Wandertipp

Auf der Herzspitze der Urschweiz

Uri Rotstock

Vor vielen Jahren war seine Besteigung die letzte Trainingstour vor meiner Reise in den Himalaya, mit einem verregneten Freiluftbiwak und Frühstück auf dem Gipfel bei strahlendem Sonnenschein. Seither hat der Uri Rotstock für mich aufgrund seiner einmaligen Lage und Rundsicht auch nach unzähligen Bergtouren nichts an Faszination eingebüsst. Seine Besteigung kann als Ein- oder Zweitagestour geplant werden, im letzteren Fall auch ohne Biwak mit Übernachtung in der privaten Gitschenhörelihütte (siehe Kasten).



Aller Anfang ist schwer

Als Ausgangspunkt dieser Bergtour wählen wir Schattenberg –
St. Jakob im Isenthal, das mit Privatfahrzeug oder Postauto ab Altdorf erreicht werden kann. Hier scheinen die umliegenden Berggipfel unendlich fern, kein Sonnenstrahl wärmt am frühen Morgen die Talsohle. Ein Gefühl wie im Himalaya. Entsprechend schwer fallen die ersten Schritte. Wir folgen vorerst dem Talsträsschen rund 500 Meter bergwärts bis Rüti (Punkt 1060), wo ein breiter Feldweg ostwärts abzweigt. Dieser führt in den Rütiwald und dann weiter in südlicher Richtung ins Witental, eine vom Fulen herunterziehende Runse. Hier gibt es die Möglichkeit, den Aufstieg zur Biwaldalp über einen praktisch in der Falllinie aufsteigenden Bergweg abzukürzen, anstatt den weiten Kehren des Alpweges zu folgen. Auf der Biwaldalp atmet es sich bereits freier, der Blick auf Chaiserstuel, Gross Rimistock und Engelberger Rotstock öffnet sich. Auch bietet sich die Möglichkeit zu einer Stärkung mit lokalen Spezialitäten. Wer in der Gitschenhörelihütte übernachten möchte, bezieht hier den Schlüssel. Eine vorausgehende Reservation der Hütte ist empfehlenswert.

Adlerhorst am Fusse des Uri Rotstocks

Der Weiterweg quert mässig ansteigend die steile Westflanke des Schlieren. Bei Schneefall und Regen ist hier Vorsicht und Trittsicherheit gefordert. Die Bergbäche können sehr rasch anschwellen und gefährlich werden. Oberhalb des Oberen Mälchbodens gilt es, nochmals eine Felsstufe in östlicher Richtung zu umgehen. Dann ist das Zwischenziel, die gemütliche Gitschenhörelihütte, erreicht. Sie liegt am Ende des Blüemlisalpfirns und bietet einen eindrücklichen Rundblick auf eine vom Gletscher geprägte Hochgebirgslandschaft, die ihresgleichen sucht. Wer hier oben eine Vollmondnacht vor der Hütte unter schimmerndem Sternenhimmel erleben darf, wird diese nie vergessen, eine verregnete übrigens auch nicht.

Einer der aussichtsreichsten Alpengipfel

Der weiss-blau-weiss markierte Schlussaufstieg zum Gipfel des Uri Rotstocks gestaltet sich aufgrund der Vielfalt der hier aufgeschlossenen Gesteine sowie der sich laufend verändernden Aussicht äusserst kurzweilig. Auffallend sind die unterschiedlichen Farben der Gesteinsschichten, die zwischen grau und dunkelbraun variieren. Harte, Felswände bildende Kalksteinschichten wechseln mit dunklen Schiefer- und Kalksandsteinen ab, die der Verwitterung weniger Widerstand bieten und fast den gesamten Gipfelaufbau des Uri Rotstocks bilden. Von der Hütte steigen wir vorerst zur nördlichen Moräne des Blüemlisalpfirns auf, deren Kamm wir in südöstlicher Richtung folgen. Nach kurzer Zeit zweigt der Weg zum Einstieg des direkten, teilweise mit Ketten gesicherten Gipfelanstiegs ab. Diese Route mit kleineren Kletterpassagen ist trittsicheren, erfahrenen Berggängern vorbehalten. Wer sich im steilen, felsigen Gelände nicht sicher fühlt, benutzt weiter die Wegspur auf der Moräne bis auf den Südostgrat des Uri Rotstocks, der an einem Felskopf und einem Einschnitt vorbei unschwer zum Gipfel führt. Hier bleibt man nicht nur wegen des steilen Schlussanstiegs, sondern auch wegen der seltenen Weit- und Tiefsicht atemlos stehen, umgeben von zahllosen Gipfeln, zu Füssen der glitzernde Urnersee (Abb. 1 bis 3).

Kein Abstieg für schwache Beine

Der Abschied vom Gipfel fällt schwer und wird so lange wie möglich hinausgezögert, es sei denn, der Sturmwind bläst wie bei der letzten Besteigung. Doch die Länge des Abstiegs sollte nicht unterschätzt werden. Immerhin warten fast 1900 Höhenmeter auf uns. Wer nicht den gleichen Weg für den Abstieg nehmen will, kann auch über die Musenalp ins Chlital und weiter nach Isenthal absteigen. Dieser Weg führt im oberen Teil über Firnfelder, im unteren Teil durch den steilen, von Felswänden durchsetzten Abschluss des Chlitals und verlangt ebenfalls Trittsicherheit. Wer so weit gegangen ist, wird wohl wie ich damals auf meiner Vorbereitungstour den Sack gleich voll machen und bis nach Isleten weiterwandern, um dort das Kursschiff Richtung Luzern zu besteigen und bei einem guten Glas Wein den Blick zurück auf den Uri Rotstock in vollen Zügen geniessen zu können (Abb. 4).

Prof. Dr. med. dent. Christian E. Besimo

Riedstrasse 9
6430 Schwyz

christian.besimo@bluewin.ch

der informierte @rzt

  • Vol. 12
  • Ausgabe 5
  • Mai 2021