Wandertipp

Dosso dell‘Ora

Vergessene Wege am Generoso



Am Monte Generoso gibt es viele markierte und nicht markierte Wege, die immer mehr in Vergessenheit geraten. Unter diesen gibt es eigentliche Kleinode wie die ehemals durchwegs gepflasterten Zuwege zum Hof La Grassa in der Valle di Selvano und nach Cragno in der Valle dell’Alpe.

Wir beginnen unsere Wanderung durch die weiten Buchenwälder südlich der Bella Vista im Dorf Salorino, das oberhalb von Mendrisio gelegen ist. Auf Höhe des grossen Parkplatzes beim Kindergarten führt eine Gasse bergwärts in die Strassensiedlung hinein. Sobald wir die längs durch das Dorf führende Gasse erreicht haben, wenden wir uns in ihre nordwestliche Richtung und verlassen diese steil hangaufwärts, bevor sie wieder zur Hauptstrasse nach Somazzo abfällt. Wir erreichen die ehemalige gepflasterte Carregiàbile nach La Grassa und Cragno.

Etwas weiter nördlich verbindet sich das steile Strässchen mit einem flacheren, welches von weiter südlich aus dem Dorf heraufführt. Trocken gefügte Kalksteinmauern stützen die bergseitigen Wiesen und Felder ab. Jenseits der Schlucht, Ul Valesgiún genannt, liegt das Nachbardorf Somazzo. Dort wo der Bergwald das Strässchen erreicht, zweigt in einem kurzen Schlag gegen Südosten der alte Fahrweg zum Hof La Grassa oben am Dosso dell’Ora ab. Nach rund 200 Metern wendet sich dieser wieder gegen Norden und quert sanft ansteigend den Bosco della Torre und del Vesc. Die Pflästerung mit den grossen Begrenzungssteinen ist auf weiten Strecken noch gut erhalten. Bei der Höhenquote 825 Meter geht das Fahrsträsschen aber gegen Osten in einen steil ansteigenden Hohlweg über, der sich mit den Jahren mit viel Erde, Laub und umgestürzten Bäumen angefüllt hat. Hier verlassen wir die verwahrloste Trasse und nutzen den Kamm der talseitigen Hohlwegbegrenzung für den weiteren Aufstieg, von dem der Wind das Laub des letzten ­Herbstes in der Regel fortgefegt hat. Wer Glück hat, begegnet Gämsen im Wald, die sich zwischen Herbst und Frühjahr auf die tieferen Hänge des Generoso-Massivs zurückziehen.

Abb. 1: Die Lichtung des Hofes La Grassa unterhalb des Dosso dell’Ora

Schliesslich wird der Weg am Eingang der Valle di Selvano bei Ul Ciapón wieder flacher und erreicht schliesslich die grosse Lichtung des Hofes La Grassa (Abb. 1). Hier kann man zu einem Kaffee einkehren, doch wir empfehlen, noch die kurze Strecke zum etwas höher gelegenen Stall im Norden zurückzulegen, wo wir gegen Osten gleich den Agriturismo Dosso dell’Ora erreichen. Dieser ist ein Geheimtipp unter den Einheimischen aus dem ganzen Tessin, nicht nur weil man hier ausgezeichnete lokale Speisen geniessen kann, sondern weil hier auch noch vielstimmig die alten Tessiner Volksweisen gesungen werden, vor, beim und nach dem Essen, wie es früher üblich war und heute leider, wie die alten Wege auch, in Vergessenheit geraten ist. Franco und Marina Cereghetti bezaubern eben nicht nur durch ihre Gastfreundlichkeit und ihre ausgezeichnete Küche, sondern auch mit ihren wunderbaren Stimmen. Zu beachten ist, dass die Wirtschaft zwischen Oktober und Juni nur an Samstagen, Sonn- und Feiertagen und während der übrigen Zeit zwischen Donnerstag und Sonntag geöffnet hat.

Abb. 2: Im Abstieg nach Cragno mit Blick in Richtung Poncione d’Arzo und Campo dei Fiori

Der Aufbruch fällt uns nicht leicht, längst gehen die Gespräche über die Tische hin und her, reiht sich Lied an Lied. Schliesslich machen wir uns doch auf den Rückweg und wenden uns gegen Westen dem kleinen Bergdorf Cragno (Abb. 2). Über den Nordkamm der Valle di Selvano folgen wir, im Frühjahr durch Wiesen voller Narzissen, einer Pfadspur bis zu einem Haus am Verbindungsweg zwischen La Grassa und Cragno. In der Haarnadelkurve gleich nach der Kirche verlässt der alte Zugangsweg gegen Südwesten das Dorf. Im Wald überrascht uns eine erste ausgebaute S-Kurve. Sobald wir nach einer längeren Hangtraverse den Kamm der Valle di Selvano wieder erreicht haben, reiht sich Kurve an Kurve, bis wir bei der Sorti di Cámpora den Wald wieder verlassen (Abb. 3). Gegen Süden gelangen wir dem Waldrand entlang, an den Häuser von Bonello vorbei, bald wieder zur Aufstiegsroute und zum Dorf Salorino. Eine kleine, aber erlebnisreiche Rundwanderung geht zu Ende, mit wohl gefülltem Bauch und einem warmen Herzen voller fröhlicher Lieder.

Abb. 3: Fahrwegkehre in der Valle di Selvano zwischen Cragno und Sorti di Cámpora
Abb. 4: Routenverlauf

Prof. Dr. med. dent. Christian E. Besimo

Riedstrasse 9
6430 Schwyz

christian.besimo@bluewin.ch

der informierte @rzt

  • Vol. 12
  • Ausgabe 9
  • Juli 2022