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Vitamin D und Schmerz

Die Frage, ob Vitamin D eine nützliche Schmerzbehandlung bei einer bestimmten chronischen Schmerzerkrankung darstellt, wurde in einem Übersichtsartikel beleuchtet (1). Der folgende Beitrag stellt eine entsprechende Zusammenfassung dar.



Vitamin D spielt eine Rolle bei einer Vielzahl von Prozessen im Körper. Ausreichende Vitamin-D-Spiegel sind nicht nur für ein gesundes Skelett wichtig, sondern auch für ein gesundes Immunsystem (2). Vitamin D hat entzündungshemmende Effekte im Körper, indem es die Freisetzung von pro-inflammatorischen Zytokinen reduziert und T-Zell-Reaktionen unterdrückt (2, 3). In vitro Studien haben gezeigt, dass Vitamin D die Synthese von Prostaglandin E2 (PGE2) hemmt (4). Diese Befunde deuten darauf hin, dass Vitamin D die PGE2-Synthese und den Abbau regulieren und über diesen Mechanismus die Fibroblasten-vermittelte Gewebereparaturfunktion modulieren kann. Dies liefert eine plausible mechanistische Erklärung der Schmerz lindernden Wirkung von Vitamin D. Sowohl Beobachtungs- als auch Interventionsstudien deuten auf eine Rolle von Vitamin D bei der Schmerzintensität und bei der Behandlung von Schmerzen in unterschiedlichen klinischen Situationen hin (5-9). Trotz dieser Daten konnten drei Meta-Analysen randomisierter und placebokontrollierter Studien (RCTs) keinen Zusammenhang zwischen Vitamin-D-Supplementierung und Schmerzreduktion herstellen (8, 10, 11). Im Gegensatz dazu kam eine aktuelle systematische Übersichtsarbeit über veröffentlichte RCTs (die nicht in den drei oben genannten Metaanalysen enthalten waren) zu dem Schluss, dass eine Vitamin-D-Supplementierung bei Patienten mit chronischen Schmerzen zu einer signifikant grösseren mittleren Abnahme des Schmerz-Scores im Vergleich zu Placebo führt (12).

Vitamin D und Schmerz – physiologische Mechanismen

Der physiologische Mechanismus, der Vitamin D mit Schmerzen verbindet, ist noch nicht vollständig geklärt. Belege aus klinischen und tierexperimentellen Studien deuten darauf hin, dass unzureichende Vitamin-D-Spiegel sowohl die periphere (13, 14) als auch die parasympathische Nervenfunktion (15) beeinflussen. Das Vorhandensein von Vitamin-D-Rezeptoren (VDR) und Vitamin-D-aktivierenden Enzymen im zentralen Nervensystem (ZNS) sowie die Wirkung von Vitamin D auf Neurotransmitter wurden vorgeschlagen, um den Zusammenhang zwischen Schmerzen und Vitamin D bei Patienten mit Fibromyalgie zu erklären (16).
Der wahrscheinlichste Mechanismus von Vitamin D bei der Schmerzbehandlung beinhaltet jedoch seine entzündungshemmenden Effekte. Vitamin D verschiebt die T-Zell-Antworten, was zu einer höheren Anzahl von Th2- und Treg-Zellen anstelle der proinflammatorischen Th1- und Th17-Zellen führt (17). Darüber hinaus haben In-vitro-Studien gezeigt, dass Vitamin D die Synthese von PGE2 in Fibroblasten hemmt (4). In einer kleinen Studie an 36 gesunden Frauen führte eine Vitamin-D-Supplementierung zu einer dosisabhängigen Senkung der Prostaglandin-Spiegel (18). Interessanterweise war in einer klinischen Studie, in der eine Vitamin-D-Supplementierung Muskel-Skelett-Schmerzen reduzierte, der Effekt mit verringerten Spiegeln von entzündlichen Zytokinen einschliesslich Prostaglandin E2 (PGE2) verbunden (7). PGE2 ist ein wichtiger Faktor bei entzündlichen Schmerzen (19). Die Unterdrückung von Entzündungen im Allgemeinen und von PGE2 im Besonderen stellt somit eine glaubwürdige mechanistische Erklärung für die Wirkung von Vitamin D bei Schmerzen dar.
Dennoch kann auch argumentiert werden, dass Vitamin D keine direkte oder kausale Rolle bei Schmerzen spielt. Tatsächlich wurde in einem kürzlich erschienenen Artikel vorgeschlagen, dass UVB-Licht durch die Induktion von endogenen opioidähnlichen Sub-stanzen (Endorphinen) in der Haut starke analgetische Effekte hat (20). In diesem Modell würde der Vitamin-D-Spiegel nur als Marker für die UVB-Exposition dienen. Somit ist es möglich, dass Befunde in Beobachtungsstudien über einen deutlichen Zusammenhang zwischen Vitamin-D-Spiegeln und Schmerzen ganz oder teilweise durch Sonnenexposition und endogene Synthese von Endorphinen erklärt werden kann. Wenn jedoch UVB-Licht die einzige Assoziation zwischen Vitamin-D-Mangel und Schmerzen darstellen würde, wäre der positive Effekt auf das Schmerzmanagement, über den bei Vitamin-D-Supplementierung berichtet wurde, schwer zu erklären (9, 21-24).

Vitamin D und chronische Schmerzen

Im Jahr 2015 wurde ein Cochrane-Review mit dem Ziel veröffentlicht, die Wirksamkeit und Sicherheit einer Vitamin-D-Supplementierung bei Patienten mit chronischen Schmerzen zu bewerten. In die endgültige Analyse wurden 10 Studien mit insgesamt 811 Patienten eingeschlossen. In diesen Studien wurde Vitamin D mit Placebo oder aktiven Komparatoren verglichen (11). Die Autoren des Cochrane-Reviews kamen zu dem Schluss, dass es kein konsistentes Muster dafür gibt, dass eine Vitamin-D-Supplementierung mit einer grösseren Wirksamkeit als Placebo verbunden ist. Eine aktuelle Übersichtsarbeit, die sich mit der Rolle von Vitamin D bei der Behandlung chronischer Schmerzen befasst, kommt zum gleichen Ergebnis wie die Cochrane Übersichtsarbeit und argumentiert, dass, in Ermangelung einer mechanistischen Erklärung für den kausalen Zusammenhang zwischen Vitamin D und chronischen Schmerzen, die klinischen Daten aus Interventionsstudien die Vitamin-D-Supplementierung als eigenständige Behandlung bei dieser Patientengruppe nicht unterstützen (25). Die vielversprechendsten Ergebnisse aus klinischen Studien bei Patienten mit chronischen Schmerzen wurden bei Patienten mit Fibromyalgie (9) oder unspezifischen muskuloskelettalen Schmerzen mit unzureichenden 25-OHD-Spiegeln bei Studienbeginn berichtet (23). Im Gegensatz dazu zeigte sich in der Studie, in der die eingeschlossenen Patienten von Anfang an hohe/ausreichende 25-OHD-Spiegel hatten (100 nmol/L), kein Effekt der Vitamin-D-Supplementierung (26).

Vitamin D bei muskuloskelettalen Schmerzen

Beobachtungsstudien haben darauf hingewiesen, dass ausreichende Vitamin-D-Spiegel wichtig für eine normale Muskelfunktion und-kraft sind (25). Darüber hinaus haben Studien einen Zusammenhang zwischen dem Vitamin-D-Spiegel und der neuromuskulären Koordination gezeigt (26). Das Vorhandensein des Vitamin-D-Rezeptors (VDR) in adulten Skelettmuskelzellen ist jedoch umstritten. Studien an VDR-Knock-out-Mäusen haben gezeigt, dass die Muskelfasern klein und variabel in der Grösse waren, obwohl die Myozytendifferenzierung insgesamt normal verlief (27). Kürzlich wurde gezeigt, dass das Vitamin-D-aktivierende System in menschlichen Muskelvorläuferzellen nachgewiesen werden kann, dass es jedoch im adulten Skelettmuskel nur gering oder gar nicht nachweisbar ist (38).
In einer kleinen, randomisierten, placebokontrollierten Studie (n = 30) zeigte eine Vitamin-D-Supplementierung von 50 000 IU/Woche über 20 Wochen eine statistisch signifikante Verbesserung der Schmerzen und der Lebensqualität bei Patienten mit Fibromyalgie, einer Erkrankung, die mit chronischen Muskelschmerzen einhergeht (9). Die eingeschlossenen Patienten hatten zu Beginn der Studie mittlere 25-OHD-Werte von 50 nmol/L. In einer neueren, kleinen, nicht kontrollierten Interventionsstudie (n = 58) an Patienten mit chronischen unspezifischen und weit verbreiteten muskuloskelettalen Schmerzen und mittleren 25-OHD-Spiegeln von 20 nmol/L zu Studienbeginn zeigte eine Vitamin-D-Supplementierung mit der gleichen Dosis, 50 000 IE/Woche über drei Monate, ebenfalls eine statistisch signifikante Verbesserung der Schmerzen und der Lebensqualität (28). Im Gegensatz dazu konnte in einer Studie an Patienten mit diffusen muskuloskelettalen Schmerzen mit ausreichenden 25-OHD-Spiegeln (Mittelwert 72 nmol/L) zu Studienbeginn kein Effekt beobachtet werden (29).
In einer randomisierten, placebokontrollierten Studie an 80 Patienten mit muskuloskelettalen Schmerzen führte die Gabe von 4000 IE Vitamin D/Tag über 3 Monate zu einer Verbesserung der Symptome, die als Rückgang der Werte auf der visuellen Analogskala (VAS) erfasst wurde (7). Die eingeschlossenen Patienten hatten zu Beginn der Studie mittlere 25-OHD-Spiegel von 55 nmol/L. Interessanterweise zeigte diese Studie auch, dass die Vitamin-D-Supplementierung zu einer Senkung der Konzentrationen von entzündlichen und schmerzbezogenen Zytokinen im Plasma führte, wie z. B. Prostaglandin E2 (PGE2), TNF α und Leukotrien B4 (LTB4) (7).

Vitamin D bei Krebsschmerzen

Mehrere Beobachtungsstudien zeigen, dass Krebspatienten im Allgemeinen niedrigere Vitamin-D-Spiegel haben als gesunde Kontrollpersonen (30-33). Zwei kleinen Pilotstudien zufolge könnte eine Vitamin-D-Supplementierung die Schmerzen bei Prostatakrebspatienten mit Knochenmetastasen reduzieren (21, 24).
Der Zusammenhang zwischen Vitamin-D-Mangel und muskuloskelettalen Symptomen, die durch die Behandlung mit Aromatasehemmern bei Brustkrebspatientinnen induziert werden, wurde ebenfalls in verschiedenen Settings untersucht (34-36). In einer randomisierten, placebokontrollierten Studie mit 160 Brustkrebspatientinnen, die mit Aromatasehemmern behandelt wurden (VITAL-Studie), war eine Vitamin-D-Supplementierung jedoch nicht mit eindeutigen positiven Auswirkungen auf muskuloskelettale Symptome verbunden (37).
Bei palliativen Krebspatienten wurde in einer Beobachtungsstudie ein Zusammenhang zwischen niedrigen 25-OHD-Werten und hohen Opioiddosen festgestellt (5). In einer Folgestudie an palliativen Krebspatienten mit 25-OHD-Spiegeln < 75 nmol/L, die mit Vitamin-D (4000 IE/Tag) supplementiert wurden, traten im Vergleich zu unbehandelten Kontrollen bereits nach einem Monat signifikant niedrigere Fentanyl-Dosen auf (22). Ausserdem gab es einen Rückgang von Infektionen nach dreimonatiger Vitamin-D-Supplementierung sowie einen Anstieg der selbst eingeschätzten Lebensqualität.

Quelle: Helde-Frankling M and Björhem-Bergmann L. Vitamin D in Pain Management. Int J Mol Sci. 2017; 18:2170. Published online 2017 Oct 18. doi: 10.3390/ijms18102170

Prof. em. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen

riesen@medinfo-verlag.ch

1. Helde-Frankling M and Björhem-Bergmann L. Vitamin D in Pain Management. Int J Mol Sci. 2017; 18:2170. Published online 2017 Oct 18. doi: 10.3390/ijms18102170).
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  • Vol. 11
  • Ausgabe 5
  • Mai 2021