- Von Alp zu Alp zwischen Schafberg und Albinen
Einladung zu ethnographisch-literarischen Wanderungen mit Prof. Christian E. Besimo
Das Wallis ist gesegnet mit Höhenwegen, die durch einzigartige Landschaften führen und herrliche Ausblicke bieten, sodass diese einem unvergesslich bleiben. Dazu gehören natürlich auch die Wege, die entlang der vielen Suonen oder von einer Alp zur nächsten führen. Eine dieser letzteren beginnt hoch über Leukerbad bei der Bergstation Rinderhütte.
Beliebt und viel begangen ist der Aufstieg zum Torrenthorn, das eine herrliche Rundsicht bietet. Wir wenden uns dagegen nur leicht ansteigend gegen Osten Richtung des Wysse Sees. Hierzu wählen wir den obersten Pfad, der auch den Zugang zum Restipass bildet, über welchen man ins Lötschental und zu dessen bekanntem Höhenweg gelangen kann. Von Anfang an sind wir gefangen von der herrlichen Weitsicht, die von der Mischabelgruppe über Weisshorn, Zinalrothorn, Matterhorn, Dent Blanche, Grand Cornier, Aiguille de la Tsa, Pigne d’Arolla, Mont Blanc de Cheilon, Grand Combin, Combin de Corbassière, Mont Velan bis hin zu den Grandes Jorasses und dem Mont Blanc-Massiv reicht (Abb. 1 und 2). Später tauchen auch noch das Fletschhorn, das Lagginhorn und der Weissmies auf. Es gäbe noch weit mehr Sehenswertes aufzuzählen, doch dies zu entdecken sei jedem selbst überlassen.
Zu Beginn der Wanderung sehen wir direkt auf die Dächer der Torrentalp hinunter und die darüber liegenden saftigen Kuhweiden. Über uns am Schafberg bestehen dagegen nur noch magere Weiden, die, nomen est omen, der Schafweide dienen. Wir überschreiten den kleinen Sattel mit der Höhenquote 2397 Meter und steigen zum Wysse See ab. Wir verlassen den Weg zum Restipass gegen Süden und erreichen nach kurzer Zeit die Alp Galm, die aus zahlreichen Hütten und einer kleinen Kapelle besteht. Die Kapelle wurde 1681 erbaut und der Dreifaltigkeit geweiht. Das Innere ist mit einem kleinen, kunstvoll geschnitzten und bemalten Altarbild geschmückt.
Nun kommen wir nicht darum herum, bis zur nächsten Alp Oberu die asphaltierte Alpstrasse zu benutzen, die wir nur im Bereich der auf 2134 Meter Höhe gelegenen Alpgebäude bergwärts auf dem alten Zuweg umgehen können. Was soll‘s, die herrliche Aussicht entschädigt uns mehr als genug für das kurze Ungemach. Zudem stossen wir auf 2218 Höhenmetern, ein Jux, auf den höchstgelegenen Kreisverkehr Mitteleuropas! Am westlichen Ende der Alp zweigt hangaufwärts ein Bergweg zum Obere Guggerhubel ab, den wir nach kurzem Anstieg erreichen. Hier erwartet uns zunächst ein herrlicher Lärchenwald, in dem wir unsere Mittagsrast verbringen. Doch kurz vor dem Abstieg in die Enggi Chummu erwarten uns nur noch tote Baumgerippe. Diese sind Folge des verheerenden, bei Leuk ausgebrochenen Waldbrandes im Hitzesommer 2003. Praktisch bis zur Baumgrenze hinauf wurde der Höhwald zerstört. Nur die obersten, weiter auseinander stehenden Bäume oberhalb unseres Weges blieben verschont. Die Natur hat sich zwar längst wieder zu regenerieren begonnen, trotzdem sind wir froh, gleich wieder in eine Waldweide mit gesunden Lärchen eintauchen zu dürfen. Kurz darauf erreichen wir Tschärmilonga, das auf Französisch Chermignon heissen würde. Auch hier steht oberhalb der grossen Alpsiedlung eine Kapelle, in der Kinder spielen und uns mit frohem Glockengeläut empfangen.
Nun besteht die Möglichkeit, auf direktem Weg nach Albinen abzusteigen. Doch wir beschliessen, dem Höhenweg weiter Richtung Westen zur Torrentalp hinüber zu folgen. Dieser führt weiter in leichtem Auf und Ab über offene, blumenreiche Weiden und durch Lärchenwald (Abb. 3). Wir geniessen die Stille und Einsamkeit. Kurz vor der Torrentalp stossen wir auf den von Albinen heraufkommenden breiten Alpweg, dem wir uns nun zuwenden. An vielen Stellen ist noch die alte Pflästerung dieses wichtigen Verbindungsweges erhalten, mit der zu früheren Zeiten verhindert wurde, dass die Trasse durch den häufigen Viehgang vorschnell erodierte. Mit angenehmem Gefälle steigen wir durch den Bannwald ab. Erst durch die Wiesen oberhalb des Dorfes beginnt sich der Weg in steileren engen Kehren talwärts zu winden, um in der Vergangenheit möglichst wenig der landwirtschaftlich nutzbaren Flächen in Anspruch zu nehmen (Abb. 4).
Der alte Baukern von Albinen ist noch weitestgehend erhalten und besteht aus einem Gewirr eng bei- und übereinander stehender Wohn- sowie Nutzgebäude, die über enge, teilweise äusserst abschüssige, gepflasterte Gassen erschlossen sind. Die Holzhäuser stehen auf gemauerten Sockeln, die Speicher auf Stelzen, die mit Steinplatten versehen sind, um Kleintieren den Zugang zu den Vorräten zu verwehren. Ich fühle mich wieder in die Sommerferien meiner Kindheit zurückversetzt, die ich über Jahre in St. Luc verbracht habe. Damals spielten wir mit den Dorfkindern in den engen Gassen und turnten auf den Lauben der Speicher herum, die uns herrliche Verstecke boten. Heute bestehen diese in jenem Dorf nicht mehr oder sind zu Ferienhäusern umgebaut – privat. Albinen hat sich den alten Charme erhalten, gerne würde ich hier wieder Kind sein und spielen.
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