- Wann ist der Antibiotika-Einsatz sinnvoll, wann ein operativer Eingriff?
Lange Zeit handelte es sich sowohl bei der akuten Divertikulitis als auch bei der akuten Appendizitis um Erkrankungen, die klassischerweise chirurgisch therapiert wurden. Im Falle der Sigmadivertikulitis beispielsweise galt es bis vor kurzem als Standard, spätestens ab dem zweiten Erkrankungsschub eine Sigmaresektion durchzuführen (1,2). Erst in den letzten Jahren wurde diese Strategie verlassen. Dies führte zu einem deutlichen Rückgang der Indikationen zur chirurgischen Therapie der Divertikulitis (3).
Frühe, unkomplizierte Stadien einer Sigmadivertikulitis werden, auch wenn es im Verlauf zu mehreren Schüben kommt, primär konservativ behandelt. Auch im Falle der akuten Appendizitis mehren sich Hinweise, dass die konservative Therapie mit Antibiotika je nach Stadium der Erkrankung durchaus eine Alternative zur klassischen Appendektomie darstellen kann. Ziel des vorliegenden Artikels ist es daher, die aktuellen Behandlungsstrategien beider Krankheitsbilder vor dem Hintergrund der aktuellen Literatur zu diskutieren.
Divertikelkrankheit
Epidemiologie
In den westlichen Industrienationen ist die linksseitige Kolondivertikulose – also das Vorhandensein von Ausstülpungen der Darmmukosa durch die Darmwand – häufig. Die Prävalenz der Divertikulose steigt ab dem 50. Lebensjahr deutlich an, so dass in dieser Altersgruppe bereits über 30% der Menschen betroffen sind (3).
Auf dem Boden einer bestehenden Divertikulose steigt die Wahrscheinlichkeit, eine akute Divertikulitis zu erleiden, mit steigendem Alter an. So liegt die kumulative Wahrscheinlichkeit über einen Zeitraum von 10 Jahren bei bekannter Divertikulose eine Divertikulitis zu entwickeln bei etwa 4.3% (4).
Das Vorhandensein von Divertikeln an sich hat keinen Krankheitswert, erst bei Vorliegen von Symptomen mit oder ohne Komplikationen spricht man von einer Divertikelkrankheit. Es wird dann zwischen einer akuten oder chronischen Entzündung und zwischen einer unkomplizierten oder komplizierten Entzündung unterschieden. Eine weitere Form der Divertikelkrankheit ist die Divertikelblutung.
Klinik
Das Leitsymptom der Divertikulitis ist der linksseitige Unterbauchschmerz in Kombination mit erhöhten Infektparametern in der Laborchemie (CRP, Leukozyten).
Diagnose
Zur Diagnosestellung und Klassifikation ist die sog. Triple Kontrast Computertomographie der heutige Goldstandard, also die computertomographische Darstellung nach Applikation von oralem, intravenösem und rektalem Kontrastmittel.
Die S2k-Konsensusleitlinie der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV) beinhaltet eine neue und umfassende Klassifikation der Divertikelkrankheit (Classification of Diverticular Disease – CDD), deren Anwendung im klinischen Alltag sich weitestgehend etabliert hat (Tab. 1).
Therapie
Akute unkomplizierte Divertikulitis (CDD Typ 1a und 1b)
Eine akute, unkomplizierte Divertikulitis ohne Umgebungsreaktion in der Computertomographie (Typ 1a) und ohne Fieber, Peritonitis oder Immunsuppression kann unter engmaschiger, ärztlicher Kontrolle ohne weiteres ambulant und ohne antibiotische Therapie behandelt werden. Wird hingegen eine Divertikulitis mit phlegmonöser Umgebungsreaktion diagnostiziert (Typ 1b), sollte eine antibiotische Therapie begonnen werden. Diese kann oral verabreicht werden, sofern eine suffiziente Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme gewährleistet ist. Bei Zeichen einer systemischen Entzündung sollte der Patient unter stationären Bedingungen intravenös antibiotisch behandelt werden.
Aufgrund der geringen Rezidivrate (80% der Patienten bleiben nach dem ersten Entzündungsschub rezidivfrei) stellt die erfolgreich behandelte akute unkomplizierte Sigmadivertikulitis keine Indikation zur Sigmaresektion dar.
Akute komplizierte Divertikulitis (CDD Typ 2a, 2b und 2c)
Wird die Diagnose einer akuten komplizierten Divertikulitis gestellt, erfolgt beim Typ 2a (gedeckte Perforation mit Mikroabszess < 1 cm) die intravenöse antibiotische Therapie, zum Beispiel mit Cefuroxim bzw. Ciprofloxaxin und Metronidazol. Eine operative Intervention ist in diesem Stadium der Divertikulitis in der Regel weder akut noch im Verlauf notwendig.
Der computertomographische Nachweis einer akuten komplizierten Divertikulitis vom Typ 2b (gedeckte Perforation mit Makroabszess > 1 cm) führt in der Regel zu einer radiologisch-interventionellen Therapie mit Punktion bzw. Drainage der Abszedierung.
Die klinische Symptomatik sollte sich so innerhalb von 48 Stunden deutlich bessern. Bei Versagen der konservativen Therapie ist die Sigmaresektion dringlich (innerhalb von wenigen Tagen) indiziert.
Der Typ 2b der Divertikelkrankheit ist mit einem signifikant erhöhten Rezidivrisiko assoziiert, da mehr als die Hälfe der Patienten in den folgenden Monaten einen erneuten Entzündungsschub entwickelt. Es wird daher empfohlen, 4 bis 6 Wochen nach dem akuten Entzündungsereignis eine Sigmaresektion durchzuführen.
Etwa 5% aller Patienten mit einer akuten Divertikulitis erleiden eine freie Perforation (Typ 2c) mit dem Nachweis freier Luft im Abdomen. Das Risiko einer Perforation ist beim ersten Schub einer Divertikulitis am grössten. Diese Patienten müssen notfallmässig operiert werden.
Operative Therapie der akuten komplizierten Divertikulitis (CDD Typ 2b und Typ 2c)
Das laparoskopische Vorgehen hat sich auch bei der Therapie der Divertikulitis als primäre Vorgehensweise durchgesetzt. Im Vergleich zum klassischen, offenen Vorgehen ist der minimal-invasive Zugang mit einem geringeren Risiko für Wundinfektionen und Narbenhernien assoziiert. Die Häufigkeit schwerer Komplikationen ist zwischen laparoskopischem und offenem Vorgehen identisch, so dass bei Patienten mit septischem Zustandsbild die offene Operation nicht zuletzt aufgrund der kürzeren OP-Zeit immer noch eine wichtige Rolle spielt. Die Sigmaresektion mit primärer Anastomose und allenfalls Anlage einer Schutzileostomie sollte dabei das Standardvorgehen sein.
Chronische Divertikulitis (CDD Typ 3a – 3c)
Eine chronische Divertikulitis ist geprägt von persistierenden oder wiederkehrenden Symptomen mit rezidivierenden Entzündungsschüben. Die Diagnostik und Therapie unterscheiden sich nicht von der Therapie der akuten Divertikulitis (siehe oben). Früher wurde den Patienten bereits nach dem zweiten Schub eine Sigmaresektion empfohlen (1) (6). Neuere Studien konnten allerdings zeigen, dass es keinen direkten Zusammenhang zwischen Anzahl der Schübe und dem Risiko einer Perforation gibt (7, 8). Daher muss gemeinsam mit dem Patienten individuell der richtige Zeitpunkt der Sigmaresektion besprochen werden. Dringend empfohlen werden sollte die Operation bei Stenosen oder bei Harnblasen- oder interenterischen Fisteln.
Divertikelblutung (CDD Typ 4)
Bei Hämatochezie und bekannter Divertikulose muss an eine Divertikelblutung gedacht werden. Falls die Blutungsquelle endoskopisch nicht gesichert werden kann, besteht die Möglichkeit einer angiographischen Embolisation. Erst bei Versagen beider Interventionen sollte die dringliche Operation zwingend folgen.
Appendizitis
Epidemiologie
Die akute Appendizitis stellt eines der häufigsten Krankheitsbilder des unklaren Abdomens dar. Die Wahrscheinlichkeit im Verlauf des Lebens an einer Appendizitis zu erkranken, liegt zwischen 7-9 % (9, 12, 13).
Klinik
Typischerweise stellen sich die Patienten mit in den rechten Unterbauch gewandertem Bauchschmerz vor und zeigen bei der körperlichen Untersuchung eine lokale Druckdolenz mit Loslassschmerz im rechten unteren Quadranten. In der Blutuntersuchung finden sich erhöhte Entzündungswerte. Bei fehlender Leukozytose und normalem CRP-Wert ist eine akute Appendizitis eher unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen (13). Somit stellt die akute Appendizitis vor allem eine klinische Diagnose dar.
Diagnose
Die Computertomographie ist die Untersuchung der Wahl, dank welcher die Diagnose einer akuten Appendizitis mit einer hohen Spezifität und Sensitivität gestellt werden kann (Abb. 1). Diese Untersuchung ist an vielen Orten zur Standardabklärung bei Erwachsenen geworden. Zur Strahlenreduktion sollte eine «low dose» Computertomographie durchgeführt werden (11). Bei Kindern und jungen Erwachsenen, welchen keine Strahlenbelastung zugemutet werden soll, stellt die Sonographie die erste Wahl dar.
Die präzise Diagnose soll die Unterscheidung zwischen unkomplizierter und komplizierter Appendizitis möglich machen. Dies ist entscheidend, da so der Behandlungsplan auf die Diagnose abgestimmt werden kann.
Von einer unkomplizierten Appendizitis spricht man, wenn kein Appendikolith, keine Perforation und keine freie Flüssigkeit vorhanden sind.
Eine komplizierte Appendizitis entspricht einer Appendizitis perforata mit eitriger oder stuhliger Kontamination der Bauchhöhe bis hin zur Abszessformation im kleinen Becken.
Therapie
Für viele Jahrzehnte war die offene Appendektomie die einzige Behandlungsoption der akuten Appendizitis. Heutzutage haben sich aber differenziertere und individualisierte Behandlungsstrategien etabliert. Als operative Standardtechnik hat die laparoskopische Appendektomie die offene Appendektomie weitgehend abgelöst.
In der Zwischenzeit gibt es zudem klare Hinweise, dass je nach Erkrankungsstadium auch eine konservative, nicht-chirurgische Therapie erfolgreich sein kann. So konnten Salminen et al. zeigen, dass bei unkomplizierter Appendizitis die alleinige antibiotische Therapie eine Option darstellen kann, die einer operativen Therapie nicht unterlegen ist (12). Allerdings wird bei einem relevanten Anteil der Patienten mit unkomplizierter Appendizitis, die mittels Antibiotika zunächst erfolgreich behandelt worden sind, im weiteren Verlauf doch eine laparoskopische Appendektomie erforderlich. In der Literatur liegt das Risiko nach primär erfolgreicher antibiotischer Therapie innerhalb von 90 Tagen eine erneute, operationsbedürftige Appendizitis zu entwickeln bei fast 40% (13). Bei der Entscheidung für oder gegen eine operative oder antibiotische Therapie einer unkomplizierten Appendizitis muss zudem berücksichtigt werden, dass Patienten 7 Jahre nach primärer Appendektomie oder antibiotischer Therapie eine identische Lebensqualität aufweisen (14).
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Stv. Chefarzt Viszeralchirurgie
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Die Autoren haben in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenkonflikte deklariert.
Divertikulitis
◆ Die Divertikulitis wird, gestützt auf eine Triple Kontrast Computertomographie, gemäss Klassifikation der Divertikelkrankheit (Classification of Diverticular Disease, CDD) eingeteilt. Je nach vorliegendem Typ wird die entsprechende Therapie eingeleitet.
◆ Bei akuter unkomplizierter Divertikulitis (Typ 1a und 1b) und akuter komplizierter Divertikulitis mit Mikroabszess (<1cm, Typ2a) ist i.d.R. eine konservative antibiotische Behandlung ausreichend.
◆ Bei akuter komplizierter Divertikulitis mit Makroabszess (Typ2b) sollte 4-6 Wochen nach interventioneller Drainage und anschliessender antibiotischer Therapie die elektive laparoskopische Sigmaresektion erfolgen. Bei Nichtansprechen auf die Therapie in diesem Stadium ist innerhalb weniger Tage eine chirurgische Therapie angezeit. Patienten mit freier Perforation müssen notfallmässig operiert werden.
◆ Bei chronischer Divertikulitis (Typ 3a, b und c) sollte je nach Ausprägungsgrad auch eine laparoskopische Sigmaresektion evaluiert werden, insbesondere bei Vorliegen von Stenosen oder Fisteln.
Appendizitis
◆ Bei unkomplizierter Appendizitis (kein Appendikolith, keine Perforation, kein Abszess und keine freie Flüssigkeit) ist eine antibiotische, nicht operative Therapie formell möglich. Dadurch kann bis zu 60% der Patienten eine laparoskopische Appendektomie erspart werden.
◆ Innerhalb von 90 Tagen wird in bis zu 40% der Fälle doch eine Operation notwendig. Sie kann dann ohne erhöhte Komplikationswahrscheinlichkeit vorgenommen werden.
◆ Diese Zahlen sind mit den Patienten zu diskutieren und die unterschiedlichen Therapiealternativen im Sinne des Shared Decision
Making aufzuzeigen im Hinblick auf eine gute individuelle Lösung.
◆ Gemäss unserer Erfahrung entscheiden sich die meisten Patienten in dieser Situation für eine diagnostische Laparoskopie mit Appendektomie, die das Problem final löst und mit sehr niedriger Morbidität und äusserst kurzem Spitalaufenthalt durchgeführt werden kann.
◆ Bei Patienten mit komplizierter Appendizitis (mit Appendikolith, Perforation, Abszess oder freier intraabdomineller Flüssigkeit) ist unabhängig vom Alter weiterhin eine notfallmässige Appendektomie indiziert.
1. Hall J. The American Society of Colon and Rectal Surgeons Clinical Practice Guidelines for the Treatment of Left-Sided Colonic Diverticulitis, Prepared on behalf of the Clinical Practice Guidelines Committee of the American Society of Colon and Rectal Surgeons SO Dis Colon Rectum. 2020;63(6):728.
2. Rafferty J. Practice parameters for sigmoid diverticulitis. Diseases of the colon and rectum 2006; 49: 939-944
3. Lock J.F. erste deutsche Leitlinie zur Divertikelkrankheit, Bayerisches Aezteblatt 12/17,640-646
4. Strate LL, Modi R, Cohen E et al. Diverticular disease as a chronic illness: evolving epidemiologic and clinical insights. The American journal of gastroenterology 2012; 107: 1486-1493
5. S2k Leitlinie Divertikelkrankheit/Divertikulitis (DGVS)(DGAV)021/20
6. van Dijk ST, Daniels L, Unlu C et al. Long-term effects of omitting antibiotics in uncomplicated acute diverticulitis. Am J Gastroenterol 2018; 113: 1045–52
7. Comparato G, Di Mario F. Recurrent diverticulitis. Journal of clinical gastroenterology 2008; 42: 1130-1134 335.
8. Janes S, Meagher A, Frizelle FA. Elective surgery after acute diverticulitis. The British journal of surgery 2005; 92: 133-142
9 Adiss DG, Shaffer N, Fowler BS, Tauxe RV (1990) The epidemiology of appendicitis and appendectomy in the unites states. Am J Epidemiol 132:910-925
10. de Carvalho BR, Diogo-Filho A, Fernandes C, Barra CB. [Leukocyte count, C reactive protein, alpha-1 acid glycoprotein and erythrocyte sedimentation rate in acute appendicitis]. Arq Gastroenterol. 2003 Jan-Mar. 40(1):25-30
11 Lietzen et al. Clinical and laboratory findings in the diagnosis of right lower quadrant abdominal pain: outcome analysis of the APPAC trial. Clin Chem Lab Med 201654(10)1691-1697
12. Salminen et al. Antibiotic Therapy vs Appendectomy for Treatment for Uncomplicated Acute Appendicitis (The APPAC Randomized Clinical Trial), JAMA 6/2015 2340-2348
13. Salminen et al. Five-Year Follow up of Antibiotic Therapy for Uncomplicated Acute Appendicitis in the APPAC Randomized Clinical Trial, JAMA 7/2018,1259-1265
14. Sippola et al. Quality of Life and Patient Satisfaction at 7-year Follow up of Antibiotic Therapy vs Appendectomy for Uncomplicated Acute Appendicitis, A secondary Analysis of a Randomized Clinical Trial, JAMA 4,2020, 283-289
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- Vol. 11
- Ausgabe 5
- Mai 2021