- Wann muss der Nephrologe beigezogen werden?
Dieser Artikel bietet einen Überblick über das Erkennen von renalen Risikopatienten, die einer fachärztlich nephrologischen Mitbetreuung bedürfen, und zeigt deren Ziele und Vorteile auf.
Die chronische Niereninsuffizienz (CKD) ist eine chronisch-progressive Krankheit, die mit steigendem Alter und Zunahme der sogenannten Zivilisationskrankheiten wie Diabetes mellitus, Adipositas und arterieller Hypertonie stetig an Häufigkeit zunimmt (1 - 5, 12).
2016 lag die CKD-Prävalenz in der Schweiz bei 10.4 %, bei Personen über 60 Jahre sogar bei 25.4 % (1). Damit ist insgesamt ca. 1 von 10 erwachsenen Personen in der Schweiz von der chronischen Niereninsuffizienz betroffen.
CKD (chronische Niereninsuffizienz) und AKI (akute Nierenschädigung)
2012 wurden durch KDIGO (kidney disease: improving global outcome) und 2014 durch NICE (national institute of health and care excellence) internationale Guidelines zur Beurteilung und Behandlung der CKD und AKI resp. die Definition der CKD und auch des AKI entworfen (7, 8, 14).
Eine chronische Niereninsuffizienz besteht, wenn eine eingeschränkte Nierenfunktion (eGFR < 60 ml/min/1.73 m2) oder -struktur (z.B. Albuminurie > 30 mg/d) länger als 3 Monate besteht (7, 8). Die chronische Niereninsuffizienz wird gemäss glomerulärer Filtrationsrate in 5 resp. 6 Stadien eingeteilt und nach Schweregrad der Albuminurie in 3 Stadien (Tab. 1) (7, 8). Gemessen wird die Albuminurie als uACR = Albumin-Kreatinin/Ratio im Spoturin. Die uACR im Spoturin (in mg/mmol) multipliziert mit 10 ergibt in etwa die Albuminausscheidung pro Tag, da ein gesunder Mensch durchschnittlich 10 mmol Kreatinin pro Tag ausscheidet.
Um die chronische Niereninsuffizienz zu klassifizieren, sollte man die Ätiologie angeben (sofern diese bekannt ist), z.B. chronische Niereninsuffizienz KDIGO G3a A2 bei diabetischer Nephropathie oder membranöse Nephropathie G1 A3 (7, 8, 10). Ein fixiertes GFR-Level (< 60 ml/min/1.73 m2) zur Definition einer CKD führt v.a. bei älteren Menschen (> 65 Jahre) zu einer Überdiagnose der CKD, sodass bei diesen Patienten die Schwelle der CKD bei einer GFR < 45 ml/min/1.73 m2 angesetzt werden sollte (15).
Eine akute Nierenschädigung wird definiert als Anstieg des Serumkreatinins > 26.5 µmol/l innerhalb 48 h oder Anstieg des Basis-Kreatinins um > 1.5 innerhalb der letzten 7 Tage oder Abnahme der Urin-Ausscheidung < 0.5 ml/kg Körpergewicht pro Stunde für 6 h (14). Die akute Nierenschädigung wird in 3 Stadien eingeteilt je nach Anstieg des Kreatinins resp. Abnahme der Urinausscheidung (Tab. 2) (14).
Überweisungskriterien zur fachärztlichen Beurteilung:
Die (Früh)Erkennung und Prävention von Nierenkrankheiten liegt im Wesentlichen im Fokus der hausärztlichen Versorgung. Es ist wichtig, Patienten mit Risikofaktoren (z.B. Diabetes mellitus, hereditäre Nierenkrankheiten usw.) zu erkennen und diese bezüglich Nierenkrankheiten abzuklären (2, 7 - 12), da ein routinemässiges Abklären der Allgemeinbevölkerung nicht empfohlen wird.
Je schwerer die Nierenfunktionseinschränkung resp. Albuminurie desto häufiger sollten die Retentionswerte kontrolliert werden (Tab. 3) (7 - 13).
Wenn eine Nierenkrankheit vorliegt, stellt sich häufig die Frage: soll dieser Patient dem Nephrologen zugewiesen werden? Hierzu gibt es von allen renalen Fachgesellschaften als auch von KDIGO/NICE Empfehlung (7, 8) (Tab. 3 und Abb. 1).
Die Überweisungskriterien (Abb. 1) sind:
1) eGFR< 30 ml/min/1.73 m2
2) uACR > 300 mg/d in 2 verschiedenen Bestimmungen
3) eGFR-Verlust > 25 % resp. > 5-10 ml/min/1.73m2 pro Jahr
4) akute Nierenschädigung
5) glomeruläre Mikrohämaturie in 2 verschiedenen Bestimmungen
6) genetische Nierenkrankheiten (z.B. Alport-Syndrom oder ADPKD)
7) strukturelle Nierenveränderungen (z.B. Hufeisenniere oder Zystennieren)
8) rezidivierende Nephrolithiasis (zur Steinmetaphylaxie)
9) therapierefraktäre Hypertonie (> 4 Antihypertensivas)
10) schwere Elektrolytstörungen (z.B. metabolische Azidose oder Hyperkaliämie).
Ziele der fachärztlichen Beurteilung:
Nicht jeder „nierenkranke“ Patient muss von einem Nephrologen (mit)betreut werden, der Grundversorger kann viele der laborchemischen und klinischen Kontrollen in der hausärztlichen Praxis durchführen (2).
Die Vorteile/Ziele einer zeitgerechten Zuweisung zum Nephrologen sind vielfältig, einerseits als Hilfe in der Diagnosestellung resp. Findung der Ätiologie und andererseits in dem Erkennen und Behandeln der sekundären renalen Folgekrankheiten.
Die Mehrzahl der CKD ist durch Diabetes mellitus und arterielle Hypertonie bedingt (10) und bedürfen meistens keiner weiteren Abklärung (z.B. Nierenbiopsie) jedoch sind bei einigen Nierenkrankheiten wie z.B. schwere Proteinurie oder glomerulärer Mikrohämaturie eine Nierenbiopsie zur Klärung der Ätiologie nötig, um eine zielgerichtete/spezifische Therapie einzuleiten.
Die renalen Folgekrankheiten sollten rechtzeitig erkannt und behandelt werden. Die renale Anämie sollte ab einem Hämoglobin < 100 g/l behandelt werden. Primär sollte der Eisenstatus optimiert werden (Ferritin ≥ 300-500 µg/l, Transferrinsättigung ≥ 30 %), persistiert weiterhin ein Hb < 100 g/l sollte mit einem Erythropoietinpräparat begonnen werden. Ebenso sollte die metabolische Azidose ab einem Bicarbonat < 20 mmol/l mit oralem Bicarbonat therapiert werden, da die Azidosekorrektur die CKD-Progression verlangsamt. Die Elektrolytstörungen (Hyperkaliämie u/o -phosphatämie) sollten primär mittels Ernährungsumstellung resp. Diät optimiert werden, sollte dies nicht gelingen (Kalium permanent > 5.5 mmol/l resp. Phosphat > 1.5 mmol/l) sollte mit einem Kaliumbinder resp. Phosphatbinder begonnen werden.
Die Ernährungsberatung stellt in der Behandlung von Nierenkrankheiten einen wichtigen Pfeiler dar. Besonders in den höheren CKD-Stadien droht die Malnutrition, sodass häufig eine erhöhte Kalorien- und Proteinzufuhr (z.B. mittels Proteindrinks) gewährleistet werden muss.
Der sekundäre Hyperparathyreoidismus ist auch eine wichtige renale Folgekrankheit – aufgrund der geringeren renalen Bildung des Cholecalciferols muss dieses ersetzt werden. Primär mit 25-OH Vitamin D, bei unzureichender Korrektur des Parathormons und des Calciums kommen dann aktive Vitamin D-Supplemente (Cholecalciferol) sowie Calcimimetika zum Einsatz.
Ebenfalls kontrolliert der Nephrologe die bereits verschriebenen Medikamente und passt diese wenn nötig der Nierenfunktion an, potentiell nephrotoxische Medikamente (NSAR) werden abgesetzt und nephroprotektive Medikamente (wie z.B. ACE-Hemmer oder Sartan) sollten begonnen werden (2, 7, 8, 10, 12).
Ein weiterer Vorteil der fachärztlichen Zuweisung ist das frühzeitige Planen und Vorbereiten eines Nierenersatzverfahrens (Peritonealdialyse, Hämodialyse und Transplantation) mit zeitgerechter Anlage einer arterio-venösen Dialysefistel, sodass nicht notfallmässig ein Hämodialysekatheter mit erhöhter Infektgefahr eingelegt werden muss (5 – 7, 11, 12).
Erwiesenermassen sind Patienten, die vom Facharzt betreut werden, weniger lange im Spital, es können auch Hospitalisationen verhindert werden und die Kosten sind ebenfalls tiefer (1, 6, 7, 9, 13).
Ziel aller obengenannten Massnahmen sollte sein, die Progression der Krankheit zu verhindern resp. zu verzögern (2, 7, 13).
Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG
Nephrologie
Spital Zollikerberg
Trichtenhauserstrasse 20
8125 Zollikerberg
priska.schneider@spitalzollikerberg.ch
Nephrologie
Spital Zollikerberg
Trichtenhauserstrasse 20
8125 Zollikerberg
Die Autoren haben im Zusammenhang mit diesem Beitrag keine Interessenskonflikte zu deklarieren.
- KDIGO und NICE haben Guidelines für die Definition CKD sowie AKI gestaltet und auch Guidelines für die Behandlung von renalen Folgekrankheiten entwickelt (https://kdigo.org/guidelines/).
- Eine CKD liegt vor, wenn eine eingeschränkte Nierenfunktion und/oder -struktur länger als 3 Monate andauert (eGFR < 60 ml/ min/1.73 m2 u/o uACR > 30 mg/d) (Tab. 1). Je nach Schweregrad der Niereninsuffizienz u/o der Albuminurie sollte die Häufigkeit der Konsultationen angepasst
werden, s. Tabelle 3 (7, 8). - Eine akute Nierenschädigung wird definiert als Anstieg des Serumkreatinins > 26.5 µmol/l innerhalb 48 h u/o Abnahme der Urinproduktion < 0.5 ml/kg Körpergewicht/h für mind. 6 h (Tab. 2) (14).
- Besonders bei älteren Patienten (> 65 Jahre) sollte die Schwelle zur CKD nicht bei einer eGFR < 60 ml/min/1.73 m2 angesetzt werden, sondern vielmehr bei einer eGFR < 45 ml/min/1.73 m2 (15).
- Nicht jeder «nierenkranke» Patient muss dem Nephrologen zugewiesen werden. Der Grundversorger sollte Risikopatienten erkennen (z.B. schwere Albuminurie oder hereditäre Nierenkrankheiten) und diese dem Facharzt zuweisen (Abb. 1).
- Ziele der fachärztlichen (Mit)Betreuung sind: Erkennen und Behandeln der renalen Folgekrankheiten (z.B. renale Anämie, metabolische Azidose usw.) sowie wenn nötig weiterführende Diagnostik zur Klärung der Ätiologie einzuleiten (Nierenbiopsie), Anpassung der Medikation an die Nierenfunktion, Vermeiden von Nephrotoxinen, das Planen und Durchführen von Nierenersatzverfahren und v.a. die Krankheitsprogression zu verhindern resp. zu verlangsamen.
1. Valentina Forni Ogna, Adam Ogna, Belen Ponte et al.; Prevalence and determinants of chronic kidney disease in the Swiss population. Swiss Med Wkly. 2016;146:w14313
2. Annekathrin Haase, Sylvia Stracke, Jean-Francois Chenot et al.; Nephrologists perspectives on ambulatory care of patients with non-dialysis chronic kidney disease-a qualitative study. Health Soc Care Community 2019; 27:e438-e448
3. Nathan R. Hill, Samuel T. Fatoba, Jason L. Oke et al.; Global Prevalence of Chronic Kidney Disease– A Systematic Review and Meta-Analysis. PLOS ONE 2016 Jul 6;11(7):e0158765
4. Katharina Brück, Vianda S. Stel, Giovanni Gambaro et al.; CKD Prevalence Varies across the European General Population. J Am Soc Nephrol 27, 2016: 2135-2147
5. Steven Fishbane, Azzour D. Hazzan, Candice Halinski et al.; Challenges and opportunities in late-stage chronic kidney disease. Clin Kidney J 2015; 8:54-60
6. Micah R. Chan, MD, MPH, Aaron T. Dall, MD, Kathlyn E. Fletcher, MD, MA et al.; Outcomes in Patients with Chronic Kidney Disease Referred Late to Nephrologists: A Meta-analysis. The American Journal of Medicine 2007; 120:1063-1070
7. Kidney Disease: Improving Global Outcomes (KDIGO) Work Group; KDIGO 2012 clinical practice guideline for the evaluation and management of chronic kidney disease. Kidney Int Suppl 2013;3:1-150.
8. NICE – National Institute of Health and Care Excellence. Chronic kidney disease in adults: assessment and management; NICE guideline 2015
9. Gesine F C Weckmann, Sylvia Stracke, Annekathrin Haase et al.; Diagnosis and management of non-dialysis chronic kidney disease in ambulatory care: a systematic review of clinical practice guidelines. BMC Nephrology 2018; 19:258
10. Alexander R. Rosenkranz et al.; Chronische Niereninsuffizienz. ÖÄZ 11/2015; 21:22-30
11. Teresa K. Chen, MD, MHS; Daphne H. Knicely, MD; Morgan E. Grams, MD, PhD et al.; Chronic Kidney Disease Diagnosis and Management A Review. JAMA October 1, 2019 Volume 322, Number 13.
12. Allan K. Grill MD CCFP(COE) MPH FCFP Scott Brimble MD MSc FRCPC et al.; Approach to the detection and management of chronic kidney disease What primary care providers need to know. Canadian Family Physician/Le Médecin de famille canadien 10/2018; 64: 728-735
13. Jui-Hsin Chen, MS, Yi-Wen Chiu, MD, Shang-Jyh Hwang, MD et al.; Effect of nephrology referrals and multidisciplinary care programs on renal replacement and medical costs on patients with advanced chronic kidney disease. Medicine 2019; 98:33(e16808)
14. Kidney Disease: Improving Global Outcomes (KDIGO) Work Group; KDIGO 2012 clinical practice guideline for acute kidney injury. Kidney Int Suppl 2012;2:1-138.
15. Aleksandar Denic, Richard J. Glassock and Andrew D. Rule; Structural and Functional Changes With the Aging Kidney. Advances in Chronic Kidney Disease 2016, 23:1,19-28
der informierte @rzt
- Vol. 10
- Ausgabe 6
- Juni 2020