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Ein Überblick basierend auf den aktuellen ESC-Guidelines

Wann welche Aggregationshemmer, wann OAK in der Kardiologie?

In der Kardiologie besteht eine Vielzahl von Indikationen für Aggregationshemmer sowie Antikoagulantien. Koronare Herzkrankheit, Vorhofflimmern und Kunstklappen sind die häufigsten Gründe für deren Einnahme überhaupt und eine korrekte Indikationsstellung ist insbesondere in Anbetracht potentieller Blutungskomplikationen essentiell. Vor eine zusätzliche Herausforderung stellt uns im klinischen Alltag nicht nur die Tatsache, dass mehrere der genannten Erkrankungen gleichzeitig bestehen können, sondern auch dynamische Therapieempfehlungen über die letzten Jahre und eine grosse Auswahl an möglichen Wirkstoffen. Im Folgenden möchten wir gerne einen Überblick verschaffen basierend auf den aktuellen Guidelines der europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC).



Thrombozytenaggregationshemmer

Eine effektive Thrombozytenaggregationshemmung ist für die Behandlung von Patienten mit stabiler koronarer Herzkrankheit, akutem Koronarsyndrom sowie nach koronarer Stentimplantation eine prognoseverbessernde Therapie. Die pathogenetische Bedeutung der Thrombozyten liegt in einer Adhäsion an vorgeschädigtes Endothel oder noch nicht endothelialisierte Koronarstents mit sekundärer Einleitung der Gerinnungskaskade und Gefäss- oder Stentokklusion.
Besteht eine stabile koronare Herzkrankheit ohne Stentimplantation in den vergangenen 12 Monaten, ist eine Monotherapie mit dem Cyclooxygenase 1-Hemmer Acetylsalicylsäure (ASS) in einer Dosis von 75-100mg/d ausreichend. Im Zusammenhang mit einer instabilen Erkrankung oder interventionellen Therapie ist jedoch die Indikation zur dualen Thrombozytenaggregationshemmung (DAPT) gegeben. Hierbei handelt es sich um die Kombinationstherapie von ASS mit einem Adenosin-Diphosphat(ADP)-P2Y12-Rezeptor-Blocker. Art und Dauer der dualen Therapie geben im klinischen Alltag oft Anlass zur Unsicherheit und sollen deshalb im Folgenden erläutert werden. Tabelle 1 gibt einen Überblick über die möglichen Wirkstoffe.

Akutes Koronarsyndrom

Zur Prognoseverbesserung nach akutem Koronarsyndrom (instabile Angina pectoris, nicht ST-Hebungsinfarkt sowie ST-Hebungsinfarkt) sollte eine duale Thrombozytenaggregationshemmung für 12 Monate erfolgen, unabhängig davon ob konservativ, interventionell oder chirurgisch therapiert wird und unabhängig von der Art des implantierten Stents.
Generell wird in dieser Situation mit einem potenten P2Y-Inhibitor, namentlich Ticagrelor oder Prasugrel, zusätzlich zu ASS therapiert. Die Verwendung von Clopidogrel ist zweite Wahl, im Falle von Kontraindikationen für erstere Substanzen. Prasugrel kann in Betracht gezogen werden für Patienten, deren Koronaranatomie bekannt und eine interventionelle Therapie geplant/erfolgt ist. Ansonsten ist aber Ticagrelor auch infolge breiterer Anwendungsmöglichkeit die Substanz erster Wahl. Als relevante Nebenwirkung von Ticagrelor ist Dyspnoe zu erwähnen, was gelegentlich einen Wechsel auf Clopdiogrel erfordert.
Für Patienten mit erhöhtem Blutungsrisikos kann die Dauer der DAPT potentiell auf 6 Monate reduziert und ab dann mit ASS alleine therapiert werden. Die Kriterien für ein hohes Blutungsrisiko sind in Tabelle 2 genannt.
Besteht im ersten Jahr nach Myokardinfarkt die Notwendigkeit zum Pausieren der DAPT für einen chirurgischen Eingriff, sollte dieser so weit möglich hinausgeschoben werden. Allgemein ist das Risiko eines erneuten ischämischen Ereignisses durch das Pausieren der DAPT höher, je kürzer das akute Koronarsyndrom zurück liegt und ist abhängig von der individuellen Koronaranatomie und Komplexität der Intervention.
Ein temporäres Pausieren des P2Y-Inhibitors unter Fortführung von Aspirin ist in den meisten Fällen 6 Monate nach Ereignis vertretbar. Sollte dies früher notwendig sein, sind Nutzen und Risiko im Individualfall abzuwägen und es empfiehlt sich im Zweifelsfall die Rücksprache mit dem behandelnden invasiven Kardiologen.

Perkutane koronare Revaskularisation ohne akutes Koronarsyndrom

Wird bei stabiler koronarer Herzerkrankung eine elektive perkutane Stentimplantation durchgeführt, besteht in den ersten Monaten die erhöhte Gefahr einer Stentthrombose oder In-Stent-Restenose. Deshalb sollte bei jenen Patienten grundsätzlich eine duale Therapie mit ASS und Clopidogrel für 6 Monate erfolgen. Im Falle eines erhöhten Blutungsrisikos kann die Dauer der dualen Therapie ggf auf 1-3 Monate reduziert werden.

Orale Antikoagulation

Im Gegensatz zu den Thrombozytenaggregationshemmern werden die oralen Antikoagulantien eingesetzt, um einer übermässigen Gerinnung vorzubeugen. Ein erhöhtes Risiko dafür besteht gemäss den Virchow Trias im Falle einer Hyperkoagulabilität, Gefässwandschädigung oder
Stase. Letzteres kommt zum Tragen bei Patienten mit Vorhofflimmern. Die beeinträchtigte linksatriale Kontraktilität mit vermindertem Blutfluss, insbesondere im linken Vorhofsohr, führt zu einem deutlich erhöhten lokalen Gerinnungsrisiko. Des Weiteren besteht die Indikation zur oralen Antikoagulation kardiologisch im Falle einer veränderten Rheologie bedingt durch Kunstklappen und seltener aufgrund eines intracavitären Thrombus.

Vorhofflimmern

Bei Patienten mit Vorhofflimmern wird die Indikation zur oralen Langzeitantikoagulation nach einer individuellen Risikoeinschätzung mittels CHA2DS2-VASc score gestellt. Die 2020 neu erschienenen ESC Guidelines empfehlen den Beginn mit einer oralen Antikoagulation im Falle eines CHA2DS2-VASc scores von ≥ 1 bei Männern und ≥ 2 bei Frauen (Klasse IIa B). Eine deutlichere Evidenz und somit höhere Indikationsklasse besteht ab einem Score von ≥ 2 bei Männern und ≥ 3 bei Frauen (Klasse IA).
Diese Indikation besteht unabhängig davon, ob es sich um eine paroxysmale, persistente oder permanente Arrhythmie handelt. Des Weiteren wird der Therapieentscheid auch nicht davon beeinflusst, ob erfolgreich mittels antiarrhythmischer Medikation oder elektrischer Kardioversion therapiert wird.
Wird eine orale Antikoagulation neu begonnen, sind die direkten oralen Antikoagulanzien (DOAC) den Vitamin K-Antagonisten (VKA) vorzuziehen. Dies in Folge mehrerer Metaanalysen zu allen 4 möglichen Wirkstoffen (siehe Tabelle 1), die insgesamt eine stärkere Reduktion an thromboembolischen Ereignissen, geringere Rate von hämorrhagischen cerebralen Insulten sowie einen generellen Mortalitätsvorteil gegenüber den VKA zeigten. Einziger Nachteil schien in genannten Studien eine vergleichsweise höhere Rate an gastrointestinalen Blutungen.
Relevante Kontraindikationen für die DOAC und Ausnahmen, in denen eine Therapie mit Marcoumar indiziert ist, sind eine mindestens mittelschwere Mitralstenose oder das Vorhandensein einer mechanischen Herzklappe zusätzlich zum Vorhofflimmern.
Auch nach erfolgter Katheterablation von Vorhofflimmern sollte unabhängig von deren Erfolg weiter antikoaguliert werden, da asymptomatische Rezidive im Langzeitverlauf auftreten können. Eine Ausnahme besteht bei Patienten mit tiefem CHA2DS-VASc score (0 bei Männern und 1 bei Frauen), bei welchen keine allgemeine Indikation zur OAK besteht. Aufgrund des temporär erhöhten Thrombusrisikos nach Ablation wird postinterventionell ebenfalls eine OAK für mind. 2 Monate notwendig, ein Sistieren ist danach aber vertretbar.

Mechanische Kunstklappen

Aufgrund der Thrombogenität des prothetischen Materials ist im Falle einer mechanischen Kunstklappe eine lebenslange orale Antikoagulation in jedem Fall indiziert. Für die DOAC besteht nach Hinweisen auf eine sowohl deutlich erhöhte Thromboembolie- als auch Blutungsrate unter Dabigatran eine Kontraindikation. Deshalb sind hier Vitamin K-Antagonisten die Substanz der Wahl. Der Ziel-INR beträgt in der Regel 3.0 oder 3.5, ist jedoch individuell festgelegt in Abhängigkeit von Patienten bezogenen Risikofaktoren (Co-Existenz von Vorhofflimmern, Klappenposition, LV-EF < 35%) sowie Thrombogenität der verwendeten Klappe.

Biologische Kunstklappen

Die Thrombogenität biologischer Kunstklappen ist deutlich geringer. Eine orale Antikoagulation wird hier temporär für 3 Monate nach Implantation empfohlen für Klappen in Mitral- oder Trikuspidalposition. Biologische Klappen in aortaler Position bedürfen keiner oralen Antikoagulation. Sowohl nach chirurgischem sowie auch interventionellem Ersatz (TAVI) wird abhängig von der verwendeten Klappe 3-6 Monaten mit ASS Monotherapie therapiert.

Kombinationstherapie aus OAK und Thrombozytenaggregationshemmung

Ungefähr 6-8% der Patienten, bei denen eine PCI erfolgt, haben zusätzlich eine Indikation zur oralen Antikoagulation. Verglichen mit der OAK alleine führt die zusätzliche Einnahme einer DAPT zu einem zwei- bis dreifach erhöhten Blutungsrisiko. Entsprechend ist eine individuelle Nutzen-/Risikoabwägung essentiell und die Dauer einer sogenannten Tripel-Therapie muss möglichst kurz gehalten werden.
Zur Behandlung einer stabilen koronaren Herzerkrankung ohne akutes Koronarsyndrom oder PCI im letzten Jahr ist eine alleinige Therapie mittels oraler Antikoagulation ausreichend, auf die Zugabe von ASS sollte in dieser Situation verzichtet werden.
In den ersten 12 Monaten nach einem akuten Koronarsyndrom oder einer PCI ist die Therapiestrategie individuell festzulegen nach Abwägung des jeweiligen Ischämie- sowie Blutungsrisikos.
Bei Patienten ohne erhöhtes Blutungsrisiko wird nach ST-Hebungsinfarkt eine Dreifachtherapie (OAK, ASS + Clopidogrel) über 1-6 Monate empfohlen.
Im Falle eines hohen Blutungsrisikos und nach nicht-ST-Hebungsinfarkt kann die Dauer der Dreifachtherapie gemäss den 2020 erschienenen Guidelines auf 1 Woche reduziert werden.
Anschliessend erfolgt in beiden Fällen eine Zweifachtherapie mittels OAK plus 1 Thrombozytenaggregationshemmer (ASS oder Clopidogrel) bis 6-12 Monate nach Ereignis.
Generell werden in Kombination mit einer oralen Antikoagulation ASS und/oder Clopidogrel verwendet. Prasugrel und Ticagrelor erhöhen das Blutungsrisiko zusätzlich und sind in dieser Situation kontraindiziert.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Gabriela Hilfiker

Kardiologie Luzerner Kantonsspital
Spitalstrasse
6000 Luzern 16

gabi.hilfiker@bluewin.ch

PD Dr. med. Richard Kobza

Kardiologie Luzerner Kantonsspital
Spitalstrasse
6000 Luzern 16

Die Autorin und der Autor haben deklariert, keine Interessenskonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel zu haben.

◆ Die Einnahme von Thrombozytenaggregationshemmern ist eine Prognose verbessernde Therapie für die koronare Herzkrankheit. Sofern kein erhöhtes Blutungsrisiko besteht, ist eine Zweifachtherapie indiziert für 12 Monate nach akutem Koronarsyndrom und 6 Monate nach elektiver Stentimplantation.
◆ Ob ein Patient mit Vorhofflimmern eine OAK braucht ist abhängig vom CHADS2-VASc-Score aber unabhängig davon, ob und wie eine Rhythmuskontrolle erzielt wird.
◆ Bei Neubeginn mit einer oralen Antikoagulation sind die DOAC Marcoumar vorzuziehen. Einzige kardiale Kontraindikationen für DOAC sind eine mechanische Herzklappenprothese und eine mindestens mittelschwere Mitralklappenstenose.

auf Anfrage bei den Verfassern