- Welcher Typ Diabetes mellitus liegt vor?
Ausgangssituation:
Bei einem 49-jährigen kaufmännischen Angestellten wurde 2015 bei einer Routineuntersuchung zufällig ein Diabetes mellitus Typ 2 diagnostiziert. Damals wurden ihm bei einem HbA1c von 6.6% Metformin 2 x 1g/Tag und im weiteren Verlauf Janumet 50/1000 mg 2 x pro Tag verschrieben. Darunter blieb das HbA1c praktisch unverändert. Vor ca. 5 Monaten wurde ihm zusätzlich zu Janumet noch Jardiance 10 mg/Tag gegeben. Er hatte beide Präparate gut vertragen, aber das HbA1c blieb in etwa stabil bei ungefähr 6.5%.
Der Patient ist sportlich, geht regelmässig Fussball spielen. Es stört ihn, dass er seit der Diagnose des Diabetes 2015 ca. 6 kg an Gewicht abgenommen hat, obwohl er etwa gleich viel trainiert und die Kohlenhydrate ein wenig reduziert hat. Er fühlt sich ständig müde und abgeschlagen. Er trinkt wenig Alkohol (höchstens 1 Standarddrink pro Woche) und hatte nie Oberbauchschmerzen in der Vorgeschichte.
Persönliche Anamnese
Diabetes mellitus Typ 2 seit 2015 ohne Sekundärorganschäden. Gicht.
Familienanamnese
Vater mit Diabetes mellitus Typ 2, Diagnose im 35. Lebensjahr, aktuell unter Insulintherapie, sei immer schlank gewesen.
Aktuelle Medikation:
Allopurinol 300 mg p.o. 1-0-0 unregelmässig genommen
Janumet 50/1000 mg p.o. 1-0-1
Jardiance 10 mg p.o. 1-0-0
Status:
Grösse 183 cm, 69 kg, BMI 20.6 kg/m2, BD 118/75, Puls 56/min, PSR u. ASR symmetrisch, Monofilament 10/10 bds., Vibrationssinn 7/8 bds., Bauchumfang 84 cm.
Labor:
HbA1c 6.3%
eGFR nach CKD-EPI 72 ml/min
LDL 2.6 mmol/L
HDL 1.5 mmol/L
Triglyceride 1.13 mmol/L
Bestehen Zweifel an der Diagnose des Diabetes Typ 2? Weitere therapeutische und diagnostische Überlegungen?
- Bei einem BMI von 20.6 kg/m2 und einem Bauchumfang < 94 cm liegt kein metabolisches Syndrom vor.
Der ungewollte Gewichtsverlust unter der etablierten OAD mit Metformin, Sitagliptin und Empagliflozin bei unverändertem HbA1c ist für einen klassischen Diabetes mellitus Typ 2 nicht typisch. Bei Gewichtsverlust von 6 kg wäre eine Senkung des HbA1c von mindestens 1-2% zu erwarten. - Das hohe HDL-Cholesterin und die normwertigen Triglyceride sprechen gegen einen Diabetes mellitus Typ 2. Typischerweise zeigen sich bei einem
- Diabetes mellitus Typ 2 ein tiefes HDL-Cholesterin (< 0.9 mmol/L) und erhöhte Triglyceride (> 1.7 mmol/L) im Nüchternlipidstatus. Das LDL-Cholesterin ist zur Differenzierung gar nicht so relevant.
- Familienanamnese: schlanker Vater, der seit jungen Jahren einen Diabetes mellitus Typ 2 hat, was Zweifel am Diabetes-Typ des Vaters aufkommen lässt.
- Ist die Indikation eines SGLT-2-Blockers für den Patienten gut? Bei potenziell schlechter Insulinsekretion kann der SGLT-2-Blocker zu einer Zunahme des Glukagons und zur vermehrten Ketogenese und zu vermehrten euglykämen Ketoazidosen führen.
Zusammenfassend
ist die Diagnose eines Diabetes mellitus Typ 1 anhand der Anamnese wahrscheinlich. Die Diabetes-Autoantikörper (Anti-GAD, -IA2, -ZnT8, -Pankreas Inselzellen) waren negativ. Diese sind bei 10-15% aller Patienten mit Diabetes mellitus Typ 1 positiv. Anamnestisch gibt es keine Hinweise auf einen spezifischen Diabetes mellitus (normales Ferritin/Transferrinsättigung schliesst Hämochromatose aus; ein Fehlen von Bauchschmerzen und normaler Stuhl (kein Fettstuhl) spricht gegen chronische Pankreatitis). Nach Sistieren der etablierten oralen Antidiabetika und Beginn zuerst mit Basisinsulin und im weiteren Verlauf mit Bolusinsulin, hat unser Patient wieder sein athletisches Körpergewicht wie vor der Diagnose des Diabetes mellitus bekommen. Zudem ist die Müdigkeit verschwunden.
UniversitätsSpital Zürich
Rämistrasse 100
8091 Zurich
Roger.Lehmann@usz.ch
USZ Zürich
matthias.ernst@usz.ch
RL: Teilnahme an Advisory Boards und Referentenhonorare von Novo Nordisk, Sanofi, MSD, Boehringer Ingelheim, Servier und Astra Zeneca
ME: Reise- und Kongressspesen von Eli Lilly und Ipsen.
- Bei schlanken Patienten an einen Diabetes mellitus Typ 1 oder bei rezidivierenden Bauchschmerzen, Fettstühlen oder erhöhtem Alkoholkonsum an einen spezifischen Diabetes (pankreatopriver Diabetes) denken. Bei Verdacht auf Pankreasinsuffizienz kann die Pankreaselastase-1 im Stuhl bestimmt werden.
- In der Anamnese immer nach Gewicht/BMI der Diabetiker in der Familie fragen und bei schlanken Diabetikern genauer nachfragen. Weiter ist daran zu denken, dass ein Kind, bei dem ein Elternteil einen Diabetes mellitus Typ 1 hat, ein Risiko von ca. 3-6% hat, auch daran zu erkranken.
- Der Nüchtern-Lipidstatus hilft zur Differenzierung von einem Diabetes mellitus Typ 2 versus einen Diabetes mellitus Typ 1 oder einen
spezifischen Diabetes.
der informierte @rzt
- Vol. 9
- Ausgabe 4
- April 2019