- Wichtige kardiometabolische Themen für die Praxis
Bedingt durch die Covid-19 Pandemie fand das durch die Firmen Amgen und Bayer unterstützte Cardio-Metabolic Update Meeting als Videokonferenz statt. Die von Medworld organisierte Veranstaltung, die wegen der grossen Nachfrage mehrmals stattfand, war ein überaus grosser Erfolg dank hervorragender Referate, guter Themenauswahl und optimaler praktischer Durchführung.
Die beiden Referenten Frau Prof. Dr. med. Isabella Sudano und Prof. Dr. med. Jan Steffel, beide Klinik für Kardiologie, USZ, stellten zwei extrem wichtige Themen für die Praxis vor, die durch Covid-19 etwas in den Hintergrund geraten sind, aber nach wie vor der häufigsten Todesursache zu Grunde liegen und deshalb grösste Aufmerksamkeit verdienen, wie Prof. Steffel eingangs betonte.
Der Bericht über das Update erfolgt in zwei Teilen. Beim folgenden Teil handelt es sich um das Update zu den Antithrombotika.
Update Antithrombotika, neue Evidenz, neue Guidelines und Therapie bei der chronischen KHK
Das Schema der Gerinnung mit der Plättchen-getriebenen Hämostase und der plasmatischen Gerinnung hat in den letzten Jahrzehnten nicht sehr viel geändert, wie Prof. Dr. med. Jan Steffel feststellte. Man hat früher die Gerinnung stets mit diesen zwei verschiedenen Kaskaden dargestellt, die hintereinander ablaufen und miteinander nichts zu tun haben. Dies stimmt in der Form nicht, denn diese beiden Kaskaden sind an den verschiedensten Stellen miteinander verbunden, unter anderem im Bereich des Thrombins, aus den Plättchen, dem sog. Thrombinburst, mit dem überhaupt die ganze Kaskade erst an Fahrt gewinnt und um den Faktor tausend amplifiziert wird. Dies ist entscheidend, denn, wenn man die eine Kaskade hemmt, hat man immer zwangsläufig einen Effekt auf die gesamte Gerinnung.
Das Ganze wird naturgemäss nochmals eine Spur komplexer, wenn man sich überlegt, wo man überall interagieren kann.
Traditionell spielte die thrombozytäre Gerinnung vor allem eine Rolle im High Shear Stress Bereich, also bei der KHK, beim Infarkt. Dort müssen wir die Plättchenhemmer einsetzen. Während die plasmatische Gerinnung traditionell mit den Vitamin K Antagonisten (VKA) und jetzt seit 10 Jahren mit den DOAC (direkte orale Antikoagulantien) eher im Low Shear Stress Bereich, im venösen System, im linken Vorhof eine Rolle spielt. So ganz stimmt dies eben nicht, wie der Referent feststellte. Die beiden Systeme hängen miteinander zusammen. Das Problem ist, dass viele dieser Substanzen nicht übergreifend untersucht worden sind. Grundsätzlich müssen wir, wenn wir über die DOAC reden, zwischen 2 verschiedenen Situationen bei Patienten mit chronischem Koronarsyndrom (früher stabile KHK) unterscheiden:
Patienten mit Vorhofflimmern (VHF) Patienten ohne Vorhofflimmern Abhängig davon sind die Möglichkeiten, die wir haben, fundamental verschieden.
Patienten mit chronischem Koronarsyndrom mit Vorhofflimmern
Patienten mit KHK plus VHF wurden traditionell vor allem nach einer Intervention oder einem Ereignis mit Triple Antikoagulation behandelt. Seit der Woest Studie wissen wir, dass die Triple Antikoagulation z.T. mehr Schaden als Nutzen anrichtet, insbesondere wenn die Patienten während eines Jahres mit Tripletherapie antikoaguliert werden. Die Zeit ist schon lange vorbei, wo die Patienten mit einem VKA, Aspirin und Clopidogrel während eines Jahres behandelt wurden. Was man aber lange Zeit nicht wusste ist, wie es sich mit den DOAC verhält, da diese eine andere Pharmakokinetik- und Pharmakodynamik haben. Heute verfügen wir über 4 grosse klinische Studien, mit den einzelnen DOAC bei AF-PCI, nämlich die PIONEER AF-PCI mit Rivaroxaban, die RE-DUAL AF-PCI mit Dabigatran, die ENTRUST AF-PCI mit Edoxaban und die AUGUSTUS AF-PCI mit Apixaban. Ohne auf die einzelnen Unterschiede einzutreten, hat sich daraus eine Standardtherapie entwickelt, wie lange man die Patienten mit Tripletherapie, dualer Therapie und dann mit DOAC Monotherapie behandeln soll. Dies haben wir im Eur. Heart Rhythm Association Guide von 2018 zusammengefasst, so der Referent. Er präsentierte dabei eine modifizierte Variante, da die beiden letzten Studien damals noch nicht publiziert waren. Wenn man alle Studien zusammennimmt gibt man heute nach einer elektiven PCI nur während weniger Tage eine Tripletherapie und danach lässt man einen der Plättchenhemmer weg, in der Regel das Aspirin. Danach schwenkt man auf eine duale Therapie um. Duale Therapie bedeutet nicht duale Plättchenhemmertherapie, sondern DOAC plus in aller Regel Clopidogrel. Beim ACS ist es so, dass gewöhnlich eine Tripletherapie nur während eines Monats empfohlen wird, dies weil durch eine Verlängerung der Tripletherapie die Wirksamkeit in Bezug auf ischämische Endpunkte nicht erhöht wird, aber das Risiko für Blutungen zunimmt. Diese Standardempfehlungen können aber durchaus Variationen je nach Situation des Patienten erfahren. Für die optimale Dauer gibt es noch keine belastbaren Daten. Zur Dauer der Tripletherapie haben wir jedoch Daten: wenn sie zu lange gegeben wird, erhöht man das Blutungsrisiko, wenn sie zu kurz gegeben wird, erhöht man das Risiko eines Reinfarkts oder sogar einer Stentthrombose.
Ein Aspekt, der über die Jahre etwas ausgeblendet war, ist das chronische Koronarsyndrom bei Patienten mit VHF. Dort hat man immer gesagt, dass ein VKA allein ohne Aspirin reicht, wenn der Patient aus der Akutphase heraus ist. Dies wurde auch auf die DOAC ausgedehnt, ohne die entsprechenden Daten zu haben. Im letzten Jahr wurde nun die AFIRE Studie publiziert, die sich explizit dieser Problematik angenommen hat. In der AFIRE Studie wurden Patienten mit chronischem Koronarsyndrom mit Rivaroxaban allein vs. Rivaroxaban plus Aspirin untersucht. Dabei ging die Monotherapie mit Rivaroxaban allein mit deutlich weniger Blutungen einher, was nicht erstaunt; was hingegen überraschend war ist, dass der primäre Effizienzendpunkt numerisch mit der Monotherapie gegenüber der Kombination sogar seltener auftrat. Dies ist wahrscheinlich darin begründet, dass bei Blutungen die Antikoagulation während einer gewissen Zeit gestoppt wurde und daher die Zahl der ischämischen Ereignisse zunahm. Das ASS kann also beim chronischen Koronarsnydrom mit VHF weggelassen werden.
Patienten mit chronischem Koronarsyndrom ohne Vorhofflimmern
Die Patienten sind nur relativ stabil. Je nach Vorgeschichte weisen sie eine wesentliche Einschränkung der Lebensdauer auf, wie der Referent zeigte. Deshalb sollten alle Risikofaktoren behandelt werden. Bei Patienten mit chronischem Koronarsyndrom und VHF können alle DOAC eingesetzt werden. Bei solchen ohne Vorhofflimmern gibt es nur eine Option, das Rivaroxaban, weil dieses als einziges in dieser Indikation untersucht worden ist. Rivaroxaban wird hier in einer Dosis, die sonst nicht üblich ist, gegeben, nämlich 2 x 2.5 mg. Dies ist extrem wichtig, weil seit der Zulassung letztes Jahr schon einige falsche Verordnungen vorgekommen sind. Rivaroxaban läuft in dieser Indikation unter Xarelto vascular, damit es nicht verwechselt wird.
COMPASS-Studie
Das Ganze basiert auf der COMPASS Studie an der insgesamt 27.395 Patienten mit klinisch stabiler KHK oder PAVK beteiligt waren. Durch die Behandlung mit Rivaroxaban (2.5 mg 2 x täglich) plus ASS (100mg täglich) wurde die Inzidenzrate für den primären kombinierten Effizienzendpunkt (kardiovaskulär verursachter Tod, Herzinfarkt und Schlaganfall) im Vergleich zur alleinigen ASS-Therapie relativ um 24% reduziert. Die Studie wurde wegen des grossen Nutzens der Kombinationstherapie vom unabhängigen Data Safety Management Board vorzeitig beendet. Diese Risikoreduktion ist vor allem durch die Reduktion der Schlaganfälle bedingt aber auch durch die Reduktion des kardiovaskulären Todes. Demgegenüber steht aber auch eine Zunahme der Blutungshäufigkeit um 70%. Dazu ist zu bemerken, dass es nicht signifikant mehr schwere Blutungen und nicht mehr intrakranielle oder tödliche Blutungen zwischen den beiden Gruppen gab. Insgesamt war die Gesamtmortalitätsrate geringer in der Rivaroxaban plus ASS-Gruppe. Weil aber die Studie vorzeitig abgebrochen wurde und daher andere statistische Voraussetzungen gelten, war dieses Ergebnis statistisch nicht signifikant.
Man kann sich nun fragen, ob die Zunahme der Blutungen die Reduktion der ischämischen Ereignisse aufwiegen und damit der Netto klinische Effekt nicht positiv ist. Der Referent hat mit Kollegen das Konzept des präspezifizierten Netto klinischen Effekts in einer kürzlichen Publikation genauer untersucht (Steffel J et al. Circulation.2020). Im Vergleich zur ASS-Monotherapie führte die Kombination von Rivaroxaban 2,5 mg zweimal täglich + ASS zu weniger Netto klinischen-Ereignissen (HR 0.8 =, p < 0.001, vor allem durch die Verhinderung unerwünschter Wirksamkeitsereignisse, insbesondere Schlaganfall und kardiovaskuläre Mortalität, während schwere Blutungen viel seltener und mit geringerer klinischer Wirkung auftraten. Die Reduktion der Netto klinischen Ereignisse war besonders günstig in den Hochrisiko-Untergruppen und in solchen mit multiplen Risikomerkmalen. Wichtig ist, dass der Netto klinische Effekt über die Zeit zunimmt, während die Blutungsrate gleich bleibt. Dies war bei jeder Hochrisikopopulation der Fall. Der relative Benefit bleibt gleich, aber der absolute Benefit nimmt zu.
Das Ganze hat sich auch in den ESC-Empfehlungen niedergeschlagen, wo die Zugabe einer zweiten antithrombotischen Substanz zu Aspirin für die Langzeitsekundärprävention bei Patienten mit hohem Risiko für ischämische Ereignisse und ohne hohes Blutungsrisiko eine IIa/A Empfehlung ist, die Zugabe einer zweiten antithrombotischen Substanz zu Aspirin in der Langzeitprävention bei Patienten mit moderat erhöhtem Risiko für ischämische Ereignisse und ohne hohes Blutungsrisiko eine IIb/A Empfehlung.
Die Zulassung für Xarelto vascular in der Schweiz entspricht den Studiendaten. Über 65-Jährige mit KHK können nach Ausschluss von Kontraindikationen direkt behandelt werden. Unter 65-Jährige müssen mindestens 2 Risikofaktoren aufweisen (Herzinsuffizienz, Niereninsuffizienz, Diabetes mellitus, rechtslakunärer ischämischer Schlaganfall vor ≥ 1 Monat, Rauchen). Der Referent wies zudem auf den Schweizer Expertenbericht zur praktischen Anwendung von Rivaroxaban 2.5 mg plus ASS zur Behandlung von Patienten mit koronarer Herzkrankheit und/oder peripherer arterieller Verschlusskrankheit hin.
VOYAGER Studie bei PAD
Die COMPASS Kombination zeigte auch bei Patienten mit einer PAD der unteren Extremitäten, die sich einer Revaskularisierung unterzogen, in der VOYAGER Studie, günstige Ergebnisse. Rivaroxaban/Aspirin war im Vergleich zu Placebo/Aspirin nach 3 Jahren mit einer 2,6%igen absoluten Risikoreduktion für kardiovaskuläre Todesfälle, akute Ischämie der Extremitäten, grössere Amputationen, Myokardinfarkte oder Schlaganfälle assoziiert. Rivaroxaban/Aspirin war mit einer ähnlichen Häufigkeit von grösseren TIMI-Blutungen assoziiert; allerdings gab es im Vergleich zu Placebo/Aspirin eine erhöhte Inzidenz von grösseren ISTH-Blutungen. Die intrakraniellen Blutungen waren zwischen den Behandlungsgruppen ähnlich.
Fazit
- DOACs sind Standardtherapien zur Schlaganfallprävention bei VHF
- Individualisierung! Es gibt kein «one size fits all» DOAC.
– Komplexes Gebiet aber «wert zu investieren»… - Patienten mit KHK und VHF:
• Hochrisiko für Blutungen
• Hochrisiko für Schlaganfall/Myokardinfarkt/Tod
• Triple Therapie: Je kürzer desto besser
• Optimale Daue? Unklar > Individuell unterschiedlich…
• 1 Jahr nach Ereignis: DOAC Monotherapie - Patienten mit KHK ohne VHF:
• Chronische KHK! Nicht «stabil» …
• Rivaroxaban 2x 2.5mg + ASS gute Option (Schlaganfall, Tod
• Je höher das Risiko desto höher der Benefit - Gemeinsame Entscheidungsfindung-Patientenbeteiligung /
Empowerment
Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen