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Wie wirksam ist Chondroitin bei Arthrose?

Die Arthrose ist eine häufige und invalidisierende Erkrankung bei älteren Menschen. Ihre Behandlung beruht hauptsächlich auf hygienisch-diätetischen und nicht-pharmakologischen Massnahmen, wobei nur wenige Therapieoptionen bei dieser Bevölkerungsgruppe eine günstige Risiko-Nutzen-Bilanz zeigen. Chondroitin ist ein langsam wirkendes Antiarthrotikum, das häufig zur symptomatischen Behandlung von Osteoarthritis eingesetzt wird. Die Wirksamkeit dieses Wirkstoffs ist umstritten. Es besteht jedoch ein möglicher Nutzen in Bezug auf die Verringerung der Arthroseschmerzen und die Verbesserung der Lebensqualität, der von Fall zu Fall beurteilt werden muss.



Osteoarthritis is a frequent and disabling condition in the elderly. Its management relies mainly on dietary hygiene and non-pharmacological measures, and few therapeutic options have a favourable risk/benefit balance in this population. Chondroitin is a slow-acting anti-arthrosic widely used in the symptomatic treatment of osteoarthritis. The efficacy of this substance is controversial, although there may be a benefit in terms of reducing osteoarthritis pain and improving quality of life, which needs to be assessed on a case-by-case basis.
Key words: arthrose, chondroïtine, traitement symptomatique, douleurs

Arthrose bei älteren Menschen

Arthrose ist eine degenerative Erkrankung der Gelenke, die Schmerzen, Schwellungen und Steifheit verursacht und die Fähigkeit einer Person, sich frei zu bewegen, beeinträchtigt. Sie tritt am häufigsten in den Knien, Hüften, der Wirbelsäule und den Händen auf. Viele Faktoren können zur Entwicklung von Osteoarthritis beitragen, darunter eine Vorgeschichte von Gelenkverletzungen oder eine Überbeanspruchung der Gelenke, fortgeschrittenes Alter und Übergewicht. Besonders ältere Menschen sind von der Krankheit betroffen und Frauen mehr als Männer; im Jahr 2019 lebten weltweit etwa 528 Millionen Menschen mit Arthrose, eine Zahl, die im Vergleich zu 1990 um 113 % gestiegen ist (1–2). Es wird erwartet, dass die Prävalenz dieser chronischen Krankheit aufgrund der alternden Bevölkerung, der Zunahme von Fettleibigkeit und Traumata weiter ansteigt.

Arthrose ist eine schwer zu behandelnde Krankheit und es gibt nur sehr wenige wirksame und sichere Behandlungsmöglichkeiten. Dazu gehören nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR), von denen bei älteren Menschen abgeraten wird, Paracetamol, das bei schwerer Arthrose wenig wirksam ist und das Risiko einer Lebertoxizität birgt, und Opiate, die manchmal zur Behandlung von schwerer Arthrose eingesetzt werden und bei dieser Bevölkerungsgruppe ein ausgeprägtes iatrogenes Risiko bergen. Chondroitin (Chondroitinsulfat), das als Mittel zur Verringerung von Gelenkschmerzen und Funktionseinschränkungen angepriesen wird, ist in dieser Indikation weit verbreitet und es sind zahlreiche Produkte auf dem Markt erhältlich. Doch was sind die Vorteile und Risiken dieses Wirkstoffs?

Chondroitin: einige pharmakologische Aspekte

Chondroitin ist ein Mucopolysaccharid, ein gereinigter Extrakt aus Knorpelgewebe tierischen Ursprungs. Es kommt natürlicherweise in allen Binde- und Knorpelgeweben unseres Körpers vor und sorgt dort unter anderem für deren Struktur und Elastizität in Verbindung mit seiner ausgeprägten Fähigkeit, Wasser zu binden. Chondroitin gehört zur Klasse der langsam wirkenden symptomatischen Antiarthrotika (AASAL), zu der auch Glucosamine, Diace­rhein und Unverseifbare (aus Avocado oder Soja) gehören. Chondroitin ist auf ärztliche Verschreibung als OTC-Präparat und als Nahrungsergänzungsmittel erhältlich. In der Schweiz ist es in der Spezialitätenliste aufgeführt und wird von der Grundversicherung erstattet.

Die Wirkung von Chondroitin bei osteoartikulären Erkrankungen wird auf seine Aktivität zurückgeführt, die die Synthese von entzündungsfördernden Verbindungen und Prostaglandinen hemmt und die Proteoglykansynthese stimuliert. Darüber hinaus legen In-vitro-Studien eine Verringerung der katabolen Aktivität der Chondrozyten und der Synthese proteolytischer Enzyme nahe, die die Knorpelmatrix schädigen und zum Absterben der Chondrozyten führen können. Auch spielt es eine Rolle bei der Bildung neuer Knochen, Knorpel und Sehnen und erhält die strukturelle Integrität des Gewebes (3).

Aus pharmakokinetischer Sicht wird Chondroitin mit einer Bioverfügbarkeit von 10–20 % absorbiert. Es wird nicht durch Cytochrome P450 metabolisiert, sondern in der Leber schnell zu Mono-, Oligo- und Polysacchariden hydrolysiert, was das Risiko von Arzneimittelwechselwirkungen verringert. Es reichert sich im Gelenkgewebe an, wobei ein Gleichgewichtszustand nach 3–4 Tagen erreicht wird. Der Wirkungseintritt ist verzögert und beginnt nach einem Monat, der sich nach 2 Monaten bestätigt. Es dauert etwa 3–6 Monate, bis die maximale Wirkung erreicht ist. Chondroitin hat eine remanente Wirkung, die bis zu 2 Monate nach Absetzen der Behandlung anhält, wenn es mindestens zwei aufeinanderfolgende Halbmonate lang eingenommen wurde (3–4).

Chondroitin ist gut verträglich und scheint keine grösseren Sicherheitsbedenken zu haben. Eine kürzlich durch­geführte Infovigilanz des Nutrivigilanz-Systems der französischen Behörde für Lebensmittelsicherheit hat jedoch auf ein Risiko hingewiesen, das mit dem Verzehr von Produkten, die Chondroitin und/oder Glucosamin enthalten, verbunden ist. Die wichtigsten gemeldeten Nebenwirkungen waren gastroenterologische, hämatologische (thrombozytopenische Purpura und INR-Störung), hepatische und dermatologische Nebenwirkungen (5). Nebenwirkungen gastrointestinaler Art können reduziert werden, wenn das Medikament während einer Mahlzeit eingenommen wird. Zu beachten sind seltene Fälle von Ödemen und/oder Flüssigkeitsretention bei Patienten mit Nieren- und Herzinsuffizienz.

Welche Evidenz für die Wirksamkeit?

In zahlreichen Untersuchungen wurde die Wirksamkeit von Glucosamin und Chondroitin einzeln oder zusammen bei der Schmerzlinderung und der Verbesserung der Gelenkfunktion bewertet, wobei die Ergebnisse widersprüchlich waren. Die Empfehlungen der Osteoarthritis Research Society International (OARSI) weisen auf einen unklaren Nutzen bei der Schmerzlinderung von Kniearthrose hin, ohne dass die Krankheit beeinflusst wird (6). Ein von der Schweizerischen Gesellschaft für Rheumatologie veröffentlichter Expertenbericht rechtfertigt die Verwendung von Chondroitin und/oder Glucosamin, wenn es keine medikamentöse Alternative mit einem besseren Nutzen-Risiko-Verhältnis gibt (7).

Eine grosse Metaanalyse zur Bewertung der Wirksamkeit von Chondroitin bei Osteoarthrose (überwiegend Gonarthrose, seltener Coxarthrose und Handarthrose) berichtet über einen möglichen Nutzen dieses Moleküls auf der Grundlage von 4962 Teilnehmern, die mit Chondroitin behandelt wurden, gegenüber 4148 Teilnehmern, die mit Placebo oder anderen aktiven Vergleichsmitteln (nicht-steroidale Antirheumatika, Analgetika, Opioiden, Glucosamin oder anderen Kräuterarzneimitteln) über einen Zeitraum von 1 Monat bis 3 Jahren (8). Die Endpunkte waren Schmerzen, Steifheit und körperliche Funktion (numerische/visuelle Analogskala oder WOMAC (The Western Ontario and McMaster Universities Arthritis Index)), der Lequesne Algo-Functional Index (Index für Schmerzen, körperliche Funktion und Lebensqualität) und die Verringerung der minimalen Breite des Gelenkspalts (Röntgenaufnahme).

Die Ergebnisse dieser Metaanalyse legen nahe, dass die Schmerzen bei Patienten, die bis zu 6 Monate lang mit Chondroitin behandelt wurden, um 10 % (95 % Konfidenzintervall (95 % KI) 15 % bis 6 %) geringer waren als bei der Vergleichsgruppe mit einer erforderlichen Behandlungszahl von 5 (95 % KI 3 bis 8). In den Studien, die auf >6 Monaten Behandlungsdauer beruhten, war der Unterschied nicht signifikant (9 % 95 % KI 18 % bis 0 %). Auf der Grundlage der WOMAC-Skala wurde eine 20-prozentige Verringerung der Knieschmerzen bei 53 % der Patienten in der Chondroitin-Gruppe gegenüber 47 % in der Placebo-Gruppe erreicht, was einem Unterschied im absoluten Risiko von 6 % (95 % KI 1 % bis 11 %) entspricht. Basierend auf dem zusammengesetzten Lequesne-Endpunkt bei Patienten, die bis zu 6 Monate lang behandelt wurden, betrug der Unterschied im absoluten Risiko 8 % (95 %-KI 12 % bis 5 %). Es wurden keine statistisch signifikanten Unterschiede bei der Funktionalität und den meisten anderen klinischen und radiografischen Messwerten beobachtet. Diese Metaanalyse berichtete keine statistisch signifikanten Unterschiede in der Anzahl der unerwünschten Ereignisse, der Abbrüche aufgrund von unerwünschten Ereignissen im Vergleich zu Placebo oder einer aktiven Kontrolle. Bemerkenswert ist jedoch, dass die schwerwiegenden unerwünschten Ereignisse in der Chondroitingruppe geringer waren als in den Gruppen der Vergleichspräparate.

Im Jahr 2018 bestätigten die Ergebnisse einer weiteren Metaanalyse zur Bewertung der Wirksamkeit von Chondroitin vs. Placebo, allein oder in Kombination, bei symptomatischer Osteoarthritis des Knies bei Patienten, die mindestens einen Monat lang behandelt wurden, eine Verringerung der Schmerzen um 7.1 % (95 % KI 11 % bis 3.42 %), ohne signifikanten Unterschied beim WOMAC-Index (–1.40 %; 95 % KI –4.5 % bis 1.71 %)(9).
Zusammenfassend deuten die Studien auf eine leichte kurzfristige (< 6 Monate) Schmerzlinderung durch die Einnahme von Chondroitin allein oder in Kombination mit anderen Medikamenten sowie auf eine mögliche leichte Verbesserung der Lebensqualität hin, wobei jedoch das niedrige Beweisniveau, das hohe Risiko von Verzerrungen und die starke Heterogenität der Studien zu berücksichtigen sind. Der therapeutische Nutzen von Chondroitin könnte in der Substitution von NSAR liegen, wodurch die chronische Anwendung von NSAR und die damit verbundenen Komplikationen bei älteren Patienten vermieden werden könnten, ohne dass dieser Nutzen jedoch durch Evidenz belegt wäre.

Umfassende Behandlung von Osteoarthritis

Die Behandlung der Osteoarthritis beruht in erster Linie auf hygienisch-diätetischen Massnahmen, die Gewichtsverlust, Übungsprogramme zur Schmerzlinderung und ­Steigerung der funktionellen Fähigkeiten, Krankengymnastik, das Tragen von Orthesen und die Verwendung von Gehstöcken umfassen. Obwohl die Wirksamkeit von Chondroitin nach den Kriterien der «evidenced-based medicine» umstritten ist, könnte bei einigen Patienten ein funktioneller und schmerzlindernder Nutzen wahrgenommen werden. Da die therapeutische Wirkung nach 1–2 Monaten Behandlung eintritt, sollte Chondroitin in langen Kuren von 2–6 Monaten verschrieben werden, um die Wirksamkeit zu maximieren, und abgesetzt werden, wenn innerhalb von 6 Monaten keine symptomatische Besserung erkennbar ist (10).

Copyright Aerzteverlag medinfo AG
Zweitabdruck aus «la gazette médicale» 02-2024

Prof. Dr. pharm.Chantal Csajka

Centre de Recherche et d’ Innovation en Sciences Pharmaceutiques
cliniques Centre Hospitalier Universitaire et Université de Lausanne
Suisse Rue du Bugnon 19
1011 Lausanne

Chantal.Csajka@chuv.ch

dipl. pharm. Sophia Hannou

Centre Hospitalier Universitaire
et Université de Lausanne
Suisse Rue du Bugnon 19
1011 Lausanne

Prof. Dr. med. Patrizia D’Amelio

Centre Hospitalier Universitaire
et Université de Lausanne
Suisse Rue du Bugnon 19
1011 Lausanne

Die Autorinnen haben keine Interessens­konflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

◆ Arthrose ist eine häufige und behindernde Erkrankung bei ­älteren Patienten und es gibt nur sehr wenige wirksame und sichere Behandlungsmöglichkeiten.
◆ Der klinische Nutzen von Chondroitin bei Osteoarthritis, das allein oder in Kombination mit Glucosamin eingesetzt wird, ist nach wie vor umstritten, mit einer geringen Wirkung haupt­sächlich auf die Schmerzen.
◆ Der Nutzen der Behandlung zeigt sich nach 2 Monaten und eine Neubewertung der Risiko-Nutzen-Bilanz nach 6 Monaten ist erforderlich, um eine unnötige Fortsetzung der Behandlung zu vermeiden.
◆ Die Einsparung von nicht-steroidalen Entzündungshemmern ist in der Praxis nicht belegt.

1. GBD 2019 Diseases and Injuries Collaborators. Global burden of 369 diseases and injuries in 204 countries and territories, 1990-2019: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2019. Lancet. 2020 Oct 17;396(10258):1204-1222.
2. Long H, Liu Q, Yin H, Diao N, Zhang Y, Lin J et al. Prevalence trends of site-specific osteoarthritis from 1990 to 2019: Findings from the global burden of disease study 2019. Arthritis Rheumatol 2022; 74(7): 1172-1183.
3. Henrotin Y, Mathy M, Sanchez C, Lambert C: Chondroitin sulfate in the treatment of osteoarthritis: from in vitro studies to clinical recommendations. Ther Adv Musculoskelet Dis. 2010 Dec;2(6):335-48.
4. Knox C, Wilson M, Klinger CM, et al. DrugBank 6.0: the DrugBank Knowledgebase for 2024. Nucleic Acids Res. 2024 Jan 5;52(D1):D1265-D1275.
5. Vidal. Compléments alimentaires à visée articulaire : la glucosamine et la chondroïtine sulfate potentiellement à risquehttps://www.vidal.fr/actualites/23171-complements-alimentaires-a-visee-articulaire-la-glucosamine-et-la-chondroitine-sulfate-potentiellement-a-risque.html [cité le 28.02.2024].
6. McAlindon T, Bannuru R, Sullivan M, Arden N, Berenbaum F, Bierma-Zeinstra S, Hawker Henrotin, G, Hunter D, Kawaguchi H, Kwoh K, Lohmander S, Rannou F Roos E, Underwood M. OARSI guidelines for the non-surgical management of knee Osteoarthritis. Osteoarthritis and Cartilage 22 (2014) 363e388
7. Société Suisse de Rhumatologie. https://www.rheuma-net.ch/fr/informations-d-experts [cité le 28.02.2024]
8. Singh JA, Noorbaloochi S, MacDonald R, Maxwell LJ. Chondroitin for osteoarthritis. Cochrane Database of Systematic Reviews 2015 Jan 28;1(1):CD005614.
9. Simental-Mendía M, Sánchez-García A, Vilchez-Cavazos F, Acosta-Olivo C, Pena-Martinez V, Simental-Mendia L. Effect of glucosamine and chondroitin sulfate in symptomatic knee steoarthritis: a systematic review and meta-analysis of randomized placebo-controlled trials. Rheumatol Int 38, 1413–1428 (2018).
10. Romain Thieubau. Proposition d’outils à l’attention du pharmacien d’officine dans le cadre de la prise en charge des douleurs arthrosiques du sujet âgé. Sciences pharmaceutiques. 2021. dumas-03329132