- Hypertonie Guidelines – was ist neu?
Im August 2018 sind die neuen Leitlinien der Europäischen Gesellschaften für Hypertonie und Kardiologie zum Management der arteriellen Hypertonie erschienen. Nachdem im November 2017 die sehr kontroversen Richtlinien der amerikanischen Fachgesellschaften publiziert wurden, haben nun auch die Europäer hinsichtlich der Therapiezielwerte und der Therapieempfehlungen neue Akzente gesetzt (1, 2). Als wesentliche Neuerung wurden die Zielwerte wieder strenger definiert. Zudem ist die Monotherapie aus dem Therapieregime der arteriellen Hypertonie nahezu verschwunden und die primäre Kombinationstherapie bereits bei Diagnosestellung für den Grossteil der Patienten empfohlen. Es wurde das Augenmerk auf eine Vereinheitlichung und Verbesserung der Diagnosestellung gelenkt und Empfehlungen zum Screening und zu den Messmethoden gegeben.
En août 2018, les nouvelles directives des Sociétés européennes d’ hypertension artérielle et de cardiologie sur le traitement de l’ hypertension artérielle ont été publiées. Après la publication, en novembre 2017, des directives très controversées des associations professionnelles américaines, les Européens ont également mis l’ accent sur les valeurs cibles thérapeutiques et les recommandations thérapeutiques (1, 2). Innovation majeure, les valeurs cibles ont de nouveau été définies de manière plus stricte. De plus, la monothérapie a presque disparu du régime thérapeutique de l’ hypertension artérielle et la thérapie combinée primaire est recommandée pour la majorité des patients au moment du diagnostic. Une attention particulière a été accordée à la standardisation et à l’ amélioration du diagnostic et des recommandations ont été formulées sur les méthodes de dépistage et de mesure.
Die arterielle Hypertonie ist mit weltweit über 1 Milliarde Betroffener eine der global am weitesten verbreiteten chronischen Erkrankungen und stellt einen der Hauptrisikofaktoren für das Auftreten einer ischämischen Herzkrankheit, eines Schlaganfalles und anderer Folgeerkrankungen wie der Herzinsuffizienz, dem Vorhofflimmern, der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit, der chronischen Nierenerkrankung, sowie der dementiellen Entwicklung dar. Trotzdem erreichen in Europa nach wie vor weniger als 50% der Patienten mit diagnostizierter und behandelter arterieller Hypertonie den Zielwert von < 140 mmHg systolisch.
In den nächsten Jahren ist zu erwarten, dass die Prävalenz der Erkrankung in Anbetracht der zunehmenden Alterung unserer Gesellschaft und der bewegungsarmen Lebensweise weiter zunehmen wird.
In den neuen europäischen Leitlinien gibt es insbesondere neue Empfehlungen zu den angestrebten Zielblutdruckwerten und dem initialen Therapiekonzept. Hiermit soll eine raschere und bessere Einstellung der Blutdruckwerte in den Zielbereich, insbesondere aber auch eine bessere Adhärenz der Patienten erreicht werden. Ein besonderes Augenmerk liegt auf dem einheitlichen Screening und der initialen Diagnosestellung.
Hinsichtlich der Blutdruckklassifikation bleiben die europäischen Leitlinien bei der üblichen und bekannten WHO Klassifikation. Dies steht im Gegensatz zu den amerikanischen Richtlinien, welche eine Hypertonie Stadium I seit 2017 bereits bei Werten von 130-139 mmHg systolisch bzw. 80-89 mmHg diastolisch definieren.
Empfehlung zum Screening und zur Diagnosestellung
Bei der arteriellen Hypertonie als häufig asymptomatische Erkrankung mit gravierenden Folgeschäden ist ein standardisiertes Vorgehen der Grundversorger beim Screening ein Grundpfeiler der Behandlung. Erstmals geben die europäischen Richtlinien nun Empfehlungen zur Häufigkeit des Blutdruckscreenings. Bei jedem gesunden Erwachsenen mit optimalen Blutdruckwerten sollte mindestens alle 5 Jahre der Blutdruck (BD) gemessen werden, häufiger dagegen bei Patienten mit normalen und hochnormalen Blutdruckwerten (siehe Abb. 1).
Besonders bei Patienten mit hochnormalen Blutdruckwerten und Komorbiditäten wie Adipositas, Diabetes mellitus, chronischer Niereninsuffizienz oder weiteren Risikofaktoren wie einer positiven Familienanamnese sollte das Vorhandensein einer maskierten Hypertonie in Betracht gezogen werden, welche ebenfalls einer Behandlung bedarf. Diese besteht bei ca. 15% der Patienten mit normalen Praxis-Blutdruckwerten und demaskiert sich erst im ambulanten Setting (siehe Abb. 1).
Bei Verdacht auf eine arterielle Hypertonie in der Screening-Messung sollte diese durch wiederholte Praxis-, Heimblutdruckmessungen oder durch eine 24 Stunden-Blutdruckmessung bestätigt werden – wobei letztere zu bevorzugen ist.
Sowohl bei den Praxis- wie auch bei den Heimblutdruckmessungen wird die Wichtigkeit eines standardisierten Vorgehens in den neuen europäischen Leitlinien betont, um eine bessere Abbildung der realen Blutdruckwerte zu erzielen. Für die Praxismessung sind drei repetitive Messungen nach einer Ruhephase von 5 Minuten am sitzenden, nicht sprechenden Patienten mit 1 bis 2 Minuten Wartezeit zwischen den einzelnen Messungen empfohlen. Als Neuerung wird bei einer Differenz von mehr als 10 mmHg eine weitere, vierte BD-Messung empfohlen. Zur Interpretation sollte der Durchschnitt der letzten beiden Messungen gebildet werden.
Generell besteht die Behandlungsindikation bei Blutdruckwerten von ≥ 140 mmHg systolisch und/oder ≥90 mmHg diastolisch. Für Patienten älter als 80 Jahre ist eine Therapie ab ≥ 160/90 mmHg empfohlen. Nach Diagnosestellung der arteriellen Hypertonie wird weiterhin ein Endorganscreening zur Einschätzung des individuellen kardiovaskulären Risikos empfohlen. Die Möglichkeit einer sekundären Hypertonie soll individuell evaluiert werden.
Therapiezielwerte gemäss den neuen Richtlinien
Nachdem die Therapiezielwerte in den letzten ESH/ESC Leitlinien von 2013 vereinfacht und zum Teil gelockert wurden, waren diese Gegenstand zahlreicher Diskussionen und Untersuchungen (2, 3). In den neuen Empfehlungen werden die Blutdruckzielwerte wieder strenger definiert. Als primäres Therapieziel gilt weiterhin ein Blutdruckwert von < 140/90 mmHg. Je nach Alter, Verträglichkeit und Komorbiditäten wird der Zielwert im Weiteren individuell festgelegt, wobei generell ein diastolischer Wert von 70-79 mmHg und bei jüngeren Patienten (< 65 Jahre) zusätzlich ein systolischer Wert zwischen 120-129 mmHg angestrebt wird. Besteht eine isolierte systolische Hypertonie sollte vor allem bei älteren Patienten, bei denen diese Ausdruck einer reduzierten Elastizität der Gefässe ist und ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko bedeutet, die Therapieanpassung auf Basis der bestehenden systolischen Werte erfolgen und bei guter Verträglichkeit nicht auf Grund tiefer diastolischer Blutdruckwerte unterbleiben.
Erwähnenswert ist besonders, dass für den systolischen Blutdruck neu ein Zielbereich definiert wurde mit einem unteren Wert, welcher nicht unterschritten werden sollte. Die Autoren begründen dies dadurch, dass ab einer Blutdrucksenkung unter 120 mmHg kein wesentlicher Zusatznutzen mehr erkennbar sei, sich aber ein erhöhtes Risiko für Komplikationen und Nebenwirkungen gezeigt habe.
Tabelle 1 gibt einen Überblick über die Therapieziele der verschiedenen Patientengruppen gemäss ESC/ESH-Guidelines. In Abbildung 2 findet sich ein Algorithmus wie die neuen Zielwerte einfach in den praktischen Alltag umgesetzt werden können.
Wie bereits diskutiert ist auch bei der Therapiekontrolle der arteriellen Hypertonie die Messmethode entscheidend für die Interpretation des Therapieerfolges und die resultierenden Behandlungsschritte. Die oben angegebenen Zielblutdruckwerte gelten jeweils für die standardisierten Praxis-Blutdruckmessungen und müssen dann entsprechend der angewandten Messmethode interpretiert werden. Die AHA/ACC Richtlinien geben hierfür sehr hilfreiche Äquivalenzwerte für die verschiedenen Messmodalitäten an. Diese haben wir in Tabelle 2 für verschiedene Blutdruckmessmethoden auch im Hinblick auf die einzelnen Zielwerte zusammengefasst.
Therapiekonzept und Medikamentenwahl
Grundlegend geändert hat sich die Therapieempfehlung dahingehend, dass eine primäre Kombinationstherapie die Monotherapie ablöst. Entscheidend hierbei ist die «single-pill» Strategie, welche es den Patienten ermöglicht durch Kombinationspräparate bis zu drei verschiedene Antihypertensiva in einer einzelnen Tablette einzunehmen, was die langfristige Adhärenz verbessern, die Zeit bis zum Erreichen der Zielblutdruckwerte verkürzen und die Nebenwirkungsrate reduzieren soll (siehe Abb. 3).
Unverändert bleibt für alle Patienten die Lifestyle-Anpassung mit salzreduzierter Ernährung, moderatem Alkoholkonsum, Gewichtsabnahme bei Übergewicht und ausreichender Bewegung (5-7x pro Woche mindestens 30 Minuten) die Grundlage der Therapie. Bei einem Patienten mit einer Grad I Hypertonie (systolisch 140-159 und/oder diastolisch 90-99mmHg) mit einem geringen kardiovaskulären Risiko, ohne Niereninsuffizienz und Endorganschäden gilt weiterhin, dass 3 bis 6 Monate Lifestyle-Massnahmen verfolgt werden können. Bei persistierend erhöhten Blutdruckwerten nach Lifestyle-Intervention sollte auch dann mit einer primären Kombinationstherapie begonnen werden. Eine Monotherapie sollte nur noch bei Patienten älter als 80 Jahre, gebrechlichen Patienten oder Patienten mit geringem kardiovaskulärem Gesamtrisiko und nur leicht erhöhten BD Werten erwogen werden.
Bei Patienten mit hochnormalen Blutdruckwerten (systolisch 130-139 mmHg/diastolisch 85-89mmHg) kann bei sehr hohem Risiko und insbesondere bei Vorliegen einer koronaren Herzerkrankung primär eine medikamentöse Therapie erwogen werden, womit die Anpassungen der Leitlinien von 2013 revidiert wurden.
Generell sollte das Ziel sein die Blutdruckwerte innerhalb der ersten 3 Monate nach Diagnosestellung in den Zielbereich einzustellen. Während der Titrationsphase nach Neudiagnose einer Hypertonie ist es daher sinnvoll den Patienten konsequent alle 2 bis 4 Wochen zu kontrollieren und die Medikation anzupassen bis der Zielwert erreicht ist.Die Auswahl der Medikamente ist auch weiterhin anhand der Begleiterkrankungen zu treffen – das Therapieschema wurde jedoch wesentlich vereinfacht (siehe Abb. 3). Für den Grossteil der Patienten ist eine «single-pill» Kombinationstherapie aus RAAS-Inhibitor mit Calciumantagonist oder mit Thiazid/Thiazid-like Diuretikum das Mittel der ersten Wahl.
Betablocker sind keine Antihypertensiva der ersten Wahl mehr und sollten nur mit spezifischer Indikation (zum Beispiel Angina pectoris, post-Myokardinfarkt, Herzinsuffizienz oder Frequenzkontrolle bei Vorhofflimmern) eingesetzt werden. Ausdrücklich abgeraten wird weiterhin von einer Kombination von ACE-Hemmern und Angiotensin-Rezeptorblockern.
Bei Nicht-Erreichen der Zielwerte unter einer dualen Kombination sollte auf eine Tripeltherapie aus RAAS-Inhibitor, Calcium Antagonist und Thiazid/Thiazid-like Diuretikum umgestellt werden. Im Fall einer therapieresistenten Hypertonie unter Tripeltherapie ist nach Ausschluss eines Hyperaldosteronismus und anderen sekundären Ursachen eine ergänzende Therapie mit Aldosteron-Antagonisten zu evaluieren (Abb. 3).
Spezifische Situationen, was gilt es zu beachten
Bei Patienten mit einer chronischen Niereninsuffizienz mit einer Clearance von < 30 ml/min sollten die in dieser Situation effektiveren Schleifendiuretika anstelle von Thiazid/Thiazid-like Diuretika zum Einsatz kommen.
Bei Patienten schwarzafrikanischer Abstammung wird empfohlen auf Grund eines häufigeren Auftretens von Angioödemen auf ACE-Hemmer zu verzichten und stattdessen Angiotensin-Rezeptorblocker oder Calciumantagonisten zu nutzen. Zudem ist der positive Effekt der Salzrestriktion ausgeprägter und daher wichtiger umzusetzen.
Bei Patientinnen mit Kinderwunsch müssen RAAS-Inhibitoren und Diuretika vermieden werden. Zur Blutdrucksenkung können Methyldopa, Labetalol oder Calciumantagonisten eingesetzt werden. Diese Medikamente können auch während der Schwangerschaft eingenommen werden.
In den neuen Leitlinien wird darauf hingewiesen, dass die Stentimplantation bei arteriosklerotischer Nierenarterienstenose und die renale Denervation als invasive Therapiemöglichkeiten weiterhin nicht als Standardtherapie empfohlen werden können. Aufgrund neuer positiver Studien könnten sich hier bald Neuerungen ergeben. Vorerst bleiben die invasiven Therapien gemäss den Leitlinien aber Patienten vorbehalten, die an einem Zentrum ausführlich abgeklärt und im Rahmen von Studien oder Registern behandelt werden.
Universitätsspital Basel
Klinik für Ambulante Innere Medizin und Kardiologie
Petersgraben 4
4031 Basel
Stv. Chefarzt medizinische Poliklinik
und Leiter Hypertoniesprechstunde
Universitätsspital Basel
Petersgraben 4
4031 Basel
thilo.burkard@usb.ch
Die Autoren haben keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
- Das Screening auf arterielle Hypertonie, die Diagnosestellung und Therapiekontrolle müssen standardisiert und jeweils angepasst an die gewählte Messmethode (Praxis-, Heim- oder 24 Stunden-Blutdruckmessungen) erfolgen.
- Die Behandlungsindikation besteht für alle ab Blutdruckwerten von ≥ 140/90 mmHg. Bei Patienten über 80 Jahren besteht die Indikation ab ≥ 160/90 mmHg.
- Das generelle Therapieziel ist < 140/90 mmHg
- Der individuelle Zielwert ergibt sich aus Alter, Verträglichkeit der Behandlung und Komorbiditäten, wobei generell ein diastolischer Wert von 70-79 mmHg und bei den jüngeren Patienten < 65 Jahre ein systolischer Wert zwischen 120 und 129 mmHg angestrebt werden sollte.
- Die Behandlung sollte bei allen Patienten primär mit einer Kombinationstherapie («single-pill» Strategie) begonnen und konsequent ausgebaut werden. Ausnahmen bezüglich Kombinationstherapie gelten vor allem für über 80 jährige oder gebrechliche Patienten bei denen weiterhin eine initiale Monotherapie erwogen werden kann.
Messages à retenir
- Le dépistage de l’ hypertension artérielle, le diagnostic et le contrôle thérapeutique doivent être standardisés et adaptés à la méthode de mesure choisie (au cabinet médical, à domicile ou sur 24 heures).
- L’ indication au traitement existe pour toutes les valeurs de tension artérielle supérieures à ≥ 140/90 mmHg. Pour les patients de plus de 80 ans, l’ indication est ≥ 160/90 mmHg ou plus.
- L’ objectif thérapeutique général est < 140/90 mmHg.
- La valeur cible individuelle résulte de l’ âge, de la tolérabilité du traitement et des comorbidités, une valeur diastolique de 70 à 79 mmHg devant généralement être visée et une valeur systolique comprise entre 120 et 129 mmHg pour les patients plus jeunes < 65 ans.
- Le traitement de tous les patients doit commencer principalement par un traitement d’ association (stratégie «single pill») et être constamment élargi. Les exceptions en ce qui concerne le traitement combiné s’ appliquent avant tout aux patients de plus de 80 ans ou aux patients fragiles chez qui une monothérapie initiale peut encore être envisagée.
1. Whelton PK et al. 2017 ACC/AHA/AAPA/ABC/ACPM/AGS/APhA/ASH/ASPC/NMA/PCNA Guideline for the Prevention, Detection, Evaluation, and Management of High Blood Pressure in Adults: A Report of the American College of Cardiology/American Heart Association Task Force on Clinical Practice Guidelines. Hypertension. 2018;71(6):e13-e115.
2. Williams B et al. 2018 ESC/ESH Guidelines for the management of arterial hypertension. Eur Heart J. 2018;39(33):3021-104.
3. Mancia G et al. 2013 ESH/ESC Guidelines for the management of arterial hypertension: the Task Force for the management of arterial hypertension of the European Society of Hypertension (ESH) and of the European Society of Cardiology (ESC). J Hypertens. 2013;31(7):1281-357.
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- Vol. 9
- Ausgabe 1
- Januar 2019