- BRCA, HNPCC & Co. Gynäkologische Onkologie und familiäres Risiko
Am 10. - 11. Februar fand am Universitätsspital Zürich der 9. Internationale Kongress für Gynäkologie, organisiert durch die Klinik für Gynäkologie unter der Leitung von Prof. Dr. med. Gabriel Schär, statt. Nationale und internationale Experten präsentierten in 4 Symposien aktuelle Daten in den Gebieten Allgemeine Gynäkologie, Gynäkologische Onkologie, Senologie und Urogynäkologie. Im Folgenden wird über ein Referat aus der gynäkologischen Onkologie berichtet.

Hinweise auf genetische Krebsprädisposition sind Krebs in jungem Alter, mehrere Krebskrankheiten über Generationen hinweg, bilateraler Brustkrebs, mehrere typische Tumoren bei einer Person oder bei nahen Verwandten, stellte Frau Prof. Dr. med. Anita Rauch, Zürich, zu Beginn ihres Referates fest.
Lynch-Syndrom – Lebenszeitrisiko für Krebserkrankungen
Das Lynch-Syndrom ist eine autosomal-dominant vererbte Erkrankung, die mit einem erhöhten Risiko für frühzeitig auftretende kolorektale Karzinome und weitere Tumorerkrankungen einhergeht.
- Bei Dickdarmkrebs: Lynch-Syndrom 43-52%, Bevölkerung 4.5%
- Dünndarmkrebs: Lynch-Syndrom 0.2-11%, Bevölkerung <1%
- Magenkrebs: Lynch-Syndrom 0.2-16%, Bevölkerung <1%
- Pankreaskarzinom: Lynch-Syndrom 0.5-6%, Bevölkerung <1%
- Gebärmutterkrebs: Lynch-Syndrom 21-57%, Bevölkerung 2.7%
- Eierstockkrebs: Lynch-Syndrom 5-38%, Bevölkerung 1.3%
- Harnleiter-/Blasenkrebs: Lynch-Syndrom 0.2-18%, Bevölkerung 2.5%
Das Lynch-Syndrom ist auf molekularbiologischer Ebene durch einen Defekt der Basenmismatch-Reparatur gekennzeichnet. Bei kolorektalem Krebs zerlegt sich typischerweise der Expressionsverlust der DNA-Reparaturgene MLH1, MSH2, PMS2 oder MSH6 in der Immunhistochemie, aber ca. 6% der Tumoren mit bestätigter Mikrosatelliteninstabilität (MSI) haben eine unauffällige Immunhistochemie. MSI in 100%, wenn der Tumorzellanteil >30% beträgt. Aber bei einem Endometriumkarzinom beträgt der negativ-prädiktive Wert von MSI nur 78-86%, so die Referentin. Patientinnen mit MSH6-Keimbahnmutationen weisen oft keine MSI auf. Die Referentin präsentierte die NCCN Guidelines 1.2021 und die entsprechenden Kriterien für die Evaluation des Lynch-Syndroms.
Ähnlich wie beim Lynch-Syndrom ist auch das Lebenszeitrisiko für Krebserkrankungen bei Trägerinnen einer BRCA-Mutation höher als bei der Allgemeinbevölkerung. Für Brustkrebs bei der Frau beträgt es 50-80% bei BRCA-Mutation, gegenüber 12% in der Bevölkerung. Für Brustkrebs bis 50-jährig 40% gegenüber 2% und für Brustkrebs der Gegenseite 60% vs. 11% in der Bevölkerung, für Eierstockkrebs 20-40% gegenüber ca. 1% in der Bevölkerung. Das Risiko für Melanom oder Pankreaskrebs ist ebenfalls erhöht.
Zürcher Studie an 19 HBOC-Genen bei 400 Gesunden
Zum ersten Mal wurde in einer retrospektiven, nicht krebsbedingten Kohorte eines einzigen Schweizer genetischen Zentrums systematisch die Prävalenz sekundärer Befunde in 19 Genen (BRCA1/2 plus 17 Nicht-BRCA-Gene) untersucht, die zuvor vom US National Comprehensive Cancer Network (NCCN) für Keimbahntests auf erblichen Brust- und Eierstockkrebs (HBOC) bestimmt worden waren.
Bei 1:50 wurde eine pathogene Mutation gefunden: BRCA1/2 37%, ATM 25%, CHECK2 25%, BRIP1 13%. 5.8% der Patienten mit BRCA1/2 und 26.9% der Patienten mit Lynch-Syndrom erfüllten die Kriterien nicht. Damit wurde der erste Beweis für eine hohe Prävalenz von HBOC-bedingter Krebsanfälligkeit in der heterogenen Schweizer Allgemeinbevölkerung und relevanten Subpopulationen, insbesondere bei Personen italienischer Abstammung, gezeigt. Diese bahnbrechenden Daten könnten ein bevölkerungsbasiertes HBOC-Screening in der Schweiz rechtfertigen.
Was soll getestet werden?
Die SAKK empfiehlt (2018) die folgenden Gene: BRCA1, BRCA2, ATM, CDH1, CHEK2, PALB2, PTEN, SATK1 und TPS53.
Das NCCN (2021) empfiehlt für das Mammakarzinom BRCA1. BRCA2, ATM, CDH1, CHEK2, NF1, PALB2, PTEN, RAD51C, RAD51D, STK11, TP53 und für das Ovarialkarzinom BRCA1, BRCA2, BRIP1, MLH1, MSH2, MSH6, RAD51C, RAD51D, STK1 plus PMS2 und EPCAM (beide mit limitierter Evidenz für ein erhöhtes Risiko nach NCCN 2.2021).
In einer kürzlich publizierten Studie wurden 32 Krebsprädispositionsgene bei 33987 Patienten getestet. Dabei wurde eine grosse genetische Heterogenität in Bezug auf die Prädisposition für Krebsarten, die häufig zur Keimbahnuntersuchung überwiesen werden, festgestellt (Brust-, Eierstock-, Kolorektal-, Gebärmutter-/Endometrium-, Bauchspeicheldrüsenkrebs und Melanom). Die Häufigkeit von pathogenen Varianten (PV) war am höchsten bei Patientinnen mit Eierstockkrebs (13,8 %) und am niedrigsten bei Patientinnen mit Melanom (8,1 %). Weniger als die Hälfte der PVs, die bei Patienten identifiziert wurden, die die Testkriterien nur für BRCA1/2 oder nur für das Lynch-Syndrom erfüllten, traten in den jeweiligen Genen auf (33,1 % und 46,2 %). Darüber hinaus erfüllten 5,8 % der Patienten mit PVs in BRCA1/2- und 26,9 % der Patientinnen mit PVs in Lynch-Syndrom-Genen nicht die entsprechenden Testkriterien.
Nur Tumor oder direkt Keimbahn untersuchen?
Neben den zu untersuchenden Genen interessiert auch, wie wir untersuchen wollen: Soll es nur der Tumor sein oder direkt die Keimbahn? Dabei gibt es zwei Dinge zu bedenken: wenn man den Tumor untersucht, kann man insbesondere beim sporadischen Ovarialkarzinom in 5-10% noch somatische Mutationen entdecken, die nicht im Blut nachweisbar sind, sondern entweder im Tumor oder im Embryonalstadium neu entstanden sind und nicht in die Blutzirkulation gelangt sind. Diese könnte man verpassen, wenn man nur eine Blutanalyse macht. Umgekehrt birgt die Tumoranalyse auch die Möglichkeit für falsch negative Ergebnisse, je nach angewendeter Technik, so dass auch Keimbahnmutationen unerkannt bleiben können, so die Referentin.
Die pragmatischste Vorgehensweise ist folgende: Bei einer positiven Familienanamnese macht es Sinn, die Keimbahn zu untersuchen. Ist umgekehrt die Familienanamnese unauffällig, macht es Sinn, zunächst den Tumor zu untersuchen. Optimal wäre beides, was aber aus Kostengründen meistens scheitert.
Wann soll untersucht werden?
Die Untersuchung kann diagnostisch zur Therapieplanung sein (sollen Platin oder PARP-Inhibitoren eingesetzt werden oder die Bestrahlung?) oder präsymptomatisch, wenn in der Familie bereits eine bekannte Mutation vorhanden ist und wir wissen wollen, ob die Verwandten Risikoträger sind oder nicht. Die präsymptomatische Testung von Kindern ist in der Schweiz streng geregelt. Sie ist erlaubt, wenn es sich um eine erbliche Form der Krebsprädisposition handelt, die auch im Kindesalter schon auftritt. Da stellt sich auch de Frage nach dem Alter der Probandin, in welchem der Test durchgeführt werden sollte.
Optionen zur Verringerung der Krebssterblichkeit bei Brust- und Eierstockkrebs
Frauen mit BRCA1/2-Mutationen haben ein hohes Risiko, an Brust- und Eierstockkrebs zu erkranken. Zu den Optionen zur Verringerung der Krebssterblichkeit gehören prophylaktische Operationen oder Brustscreening. Mit Hilfe der Entscheidungsanalyse wurden risikoreduzierende Strategien bei BRCA1/2-Mutationsträgern simuliert und die daraus resultierende Überlebenswahrscheinlichkeit und die Todesursachen verglichen. Ohne Intervention beträgt die Überlebenswahrscheinlichkeit bis zum Alter von 70 Jahren 53 % für BRCA1- und 71 % für BRCA2-Mutationsträger. Die wirksamste Einzelintervention für BRCA1-Mutationsträgerinnen ist die prophylaktische Ovarektomie (PO) im Alter von 40 Jahren, die einen absoluten Überlebensgewinn von 15 % bringt; für BRCA2-Mutationsträgerinnen ist die wirksamste Einzelintervention die prophylaktische Mastektomie (PM), die einen Überlebensgewinn von 7 % bringt, wenn sie im Alter von 40 Jahren durchgeführt wird. Die Kombination von PM und PO im Alter von 40 Jahren verbessert die Überlebensrate stärker als jede einzelne Massnahme und führt zu einem Überlebensvorteil von 24 % für BRCA1- und 11 % für BRCA2-Mutationsträgerinnen. Eine PM im Alter von 25 Jahren statt im Alter von 40 Jahren bietet nur einen minimalen zusätzlichen Nutzen (1 % bis 2 %); ein Ersatz der PM durch ein Screening führt zu einer ähnlich minimalen Verringerung der Überlebensrate (2 % bis 3 %).
Risikomodifikation durch polygene Risikoscores
Abschliessend besprach die Referentin die Risikomodifikation durch polygene Risikoscores. Die Untersuchung von Assoziationen zwischen bevölkerungsbasierten polygenen Risikoscores (PRS) für Brust- (BC) oder epithelialen Eierstockkrebs (EOC) und Krebsrisiken ergab für BRCA1- und BRCA2-Trägerinnen mit pathogenen Varianten eine starke Assoziation und sagte erhebliche absolute Risikounterschiede für Frauen an den Extremen der PRS-Verteilung voraus.
Körperliche Aktivität in der Freizeit (RPA) wird bei Frauen mit durchschnittlichem Risiko mit einer verbesserten Überlebensrate nach Brustkrebs (BC) in Verbindung gebracht, aber es gibt auch Belege, dass RPA bei Frauen, die aufgrund einer BC-Familienanamnese ein erhöhtes familiäres Risiko haben, mit einer niedrigeren Gesamtmortalität verbunden ist, insbesondere bei Frauen mit BRCA1/2-Varianten.
Quelle: 9. Gynäkologie-Kongress, Universitätsspital Zürich, 10.-11. Februar 2022
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