- Das Los der Mütter
Selber sind viele von uns auch Eltern und so mit ähnlichen Problemen in Bezug auf Vereinbarkeit von Familie und Beruf konfrontiert. Bereits jetzt erleben wir in einzelnen Fachdisziplinen einen Mangel an Fachärztinnen und Fachärzten. Wieso fehlen unseren Patient*innen und unseren Kolleg*innen Perspektiven und Aufstiegsmöglichkeiten? Wieso finden wir unter den Topkadern in Spitälern immer noch viel mehr Männer als Frauen?
Die Zeit der Familiengründung fällt häufig in die Zeit zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr. In diese Zeit fallen auch die ersten Beförderungen, wobei Mütter, welche in der Schweiz nach der Geburt häufig Teilzeit arbeiten, als zu wenig qualifiziert oder belastbar angesehen und übergangen werden. Einige Firmen haben bei der Bearbeitung von Bewerbungen gar Algorithmen etabliert, welche Dossiers mit längerer Pause im Erwerbsleben aussortieren, so zum Beispiel Frauen mit längerer Kinderpause. Frauen, die gar nicht oder länger Teilzeit arbeiten, haben demnach langfristig einen Nachteil in Bezug auf Beförderung und entsprechenden Lohn. Bei der Altersrente macht sich die fehlende Berufszeit dann nochmals deutlich bemerkbar. Vor allem nach einer Scheidung schlittern betroffene Frauen nicht selten in eine Altersarmut.
Frauen kommen in ein Dilemma, entweder eine gute Mutter oder eine erfolgreiche Berufsfrau zu sein. Unter uns Ärztinnen sehen wir viele Teilzeitarbeitende, häufig auch, weil eine 100%-Anstellung deutlich mehr als eine 42-Stunden-Woche bedeutet. Zudem sind es meist die Mütter, die sich bei medizinischen Problemen der Kinder vom Arbeitsplatz abmelden. Viele Kliniken sehen sich bereits mit einem Nachwuchsengpass konfrontiert, Kolleginnen in der Praxis finden keine Nachfolger*innen mehr.
Was wäre also zu tun? Neben der bezahlbaren und qualitativ hochwertigen Kinderbetreuung sind flexible Arbeitszeiten mit Blockzeiten und Jobsharing eine gute Basis. Arbeitsinhalt soll Sinn stiften und nicht mit administrativen Leerläufen gefüllt sein. Gerade in dieser Corona-Zeit haben wir gelernt, von zuhause aus an Meetings teilzunehmen, administrative Arbeit von zuhause aus zu erledigen, gar Telefon- und Videokonsultationen wurden möglich und sind insbesondere für Beratungsgespräche eine Option. Wenn wir uns als Gesellschaft das Ziel setzen, weiter zu existieren und in dem Sinne familienfreundlich zu sein, ist es auch unsere Aufgabe zu überlegen, wie wir den Eltern Arbeitsbedingungen bieten können, welche ein Familienleben ermöglichen. Für unsere Kolleg*innen hoffen wir, dass unsere Arbeit auch in Zukunft so spannend und sinnhaft ist, sodass sich das zeitliche Engagement lohnt.
Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen beim Lesen unserer aktuellen Ausgabe.
Dr. med. Stephanie von Orelli
Stephanie.VonOrelli@zuerich.ch
Stadtspital Triemli
Frauenklinik
Birmensdorferstrasse 497
8063 Zürich
stephanie.vonorelli@zuerich.ch