- HPV-Impfung – Update für die Beratung in der gynäkologischen Praxis
2007 wurde die erste Impfung gegen humane Papillomaviren (HPV) in der Schweiz eingeführt. Sie galt in der Bevölkerung als «Gebärmutterhalskrebs-Impfung» und die ganze Impfstrategie war auf die Impfung aller 11- bis 14-jährigen Mädchen ausgerichtet. In der Zwischenzeit haben wir Gardasil 9, die Jungs und jungen Männer werden ebenso geimpft, das Impffenster ist erweitert worden und wir wissen, dass die Impfung gegen weit mehr als nur den Gebärmutterhalskrebs wirksam ist und mehr als 20 Jahre wirksam sein dürfte.
In 2007, the first vaccination against human papillomavirus (HPV) was introduced in Switzerland. It was considered by the population as «cervical cancer vaccination» and the whole vaccination strategy was focused on vaccinating all 11-14 year old girls. In the meantime we have Gardasil 9, the boys and young men are vaccinated as well, the vaccination window has been extended and we know that the vaccination is effective against much more than just cervical cancer and that it should be effective for more than 20 years.
Key Words: vaccination, human papillomavirus, Gardasil 9
Einleitung
Seit Einführung der ersten HPV-Impfung mit Gardasil® hat sich einiges getan. Die Durchimpfungsrate bei den Mädchen steigt zwar langsam, aber stetig an und lag in der Zeitperiode 2017-2019 bei den 16-Jährigen durchschnittlich bei 59% (19-74 %). Seit 2015 besteht die Impfempfehlung auch für die Jungs und jungen Männer. Bei ihnen lag die durchschnittliche Rate der geimpften 16-Jährigen bei 17 % (0-55 %) in der gleichen Zeitperiode. Das vom Bundesamt für Gesundheit angesetzte Ziel von 80 % ist jedoch sicher noch nicht erreicht (Abb. 1).
Die World Health Organisation (WHO) hat 2020 die globale Strategie definiert, mit der Vision, das Zervixkarzinom zu eliminieren (1). Hierfür soll die Inzidenzrate auf 4/100 000 Frauenjahre gesenkt sein und bis 2030 sollen folgende Ziele erreicht sein: 90 % aller Mädchen bis 15 Jahre sollen geimpft sein. 70 % aller Frauen sollen mit einem qualitativ guten Test (Zytologie oder HPV) bis zum Alter von 35 Jahren und nochmals mit 45 Jahren gescreent sein. 90 % aller Frauen mit einer Zervixerkrankung (Vorstufe oder Karzinom) erhalten eine Therapie. Diese Strategie hat dazu geführt, dass die EU Cancer Mission von jedem Land einen nationalen Beitrag fordert. In der Schweiz hat sich die HPV-Allianz Schweiz dieser Aufgabe verpflichtet. Sie erstellte eine nationale Strategie zur Elimination HPV-assoziierter Krebserkrankungen bis 2030. Braucht es das in der Schweiz? Die Inzidenzrate liegt altersstandardisiert bei 4/100 000 und die meisten Frauen erhalten eine Therapie. Jedoch haben wir das Ziel, dass 90 % der Mädchen geimpft sind, noch lange nicht erreicht.
Welches ist mein Beitrag als Ärztin zur Steigerung der Durchimpfungsrate?
Das Wissen vieler Mädchen, Jungs, Frauen und Männer in Bezug auf die HPV-Impfung reicht von «keine Ahnung» bis zu sehr differenzierten Fragen. Impfungen werden in der aktuellen Zeit sehr kritisch hinterfragt und deshalb ist es wichtig, eine sachliche und fundierte Antwort auf die Fragen der Kundinnen und Kunden zu haben. Ein lesenswerter Artikel erschien 2019 im schweizerischen Medizinforum, mit ausführlichen Informationen über die HPV-Impfung für die Impfberatung (2).
Vor einer Impfberatung soll eruiert werden, welche Einstellung die Patientin in Bezug auf die HPV-Impfung hat. Hat sie keine Vorbehalte gegenüber einer Impfung, ist sie eine Impfskeptikerin? Zu letzterer Gruppe gehören gemäss BAG ca. 30 % der Bevölkerung. Ist sie eine Impfgegnerin? Dies sind etwa 3 % der Bevölkerung. Es ist sehr wichtig, Impfskeptiker und Impfgegner voneinander zu trennen.
Denn Impfskeptiker lassen sich durchaus nach einem eingehenden Gespräch und Beantwortung ihrer kritischen Fragen impfen. Sie wollen sich selektiv impfen und impfen sich meistens später als offiziell empfohlen ist (3). Um diese kritischen Fragen beantworten zu können, ist ein gutes, aktuelles Basiswissen indiziert. Deshalb ist ein Update über die HPV-Impfung zu dem im 2015 in dieser Zeitschrift erschienenem Artikel nötig (4). Ich konzentriere mich dabei auf die Fragen, die mir auch von FachärztInnen und Weiterzubildenden öfters gestellt werden.
1. Kann ich verhindern, mich mit HPV anzustecken?
80 % der sexuell aktiven Personen stecken sich nach Beginn der sexuellen Aktivität mit HPV an. Es gibt für sexuell aktive Menschen keinen sicheren Schutz vor HPV. Die Viren liegen in der Haut und können durch Petting und Küssen ebenso übertragen werden wie durch penetrativen Sex. Die Viren können von der Mutter auf das Kind bereits transplazentar und unter der Geburt, unabhängig vom Geburtsmodus, übertragen werden.
Es ist nicht die Virusinfektion an sich, die den Krebs verursacht. Die Persistenz des Virus in Verbindung mit dem körpereigenen Immunsystem, das diese Viren nicht eliminiert, führen zu einer Zellveränderung. Ob und wann es zu einer Persistenz kommt, ist schwierig vorauszusagen. Sicher sind Faktoren wie Immunsuppression, Suszeptibilität, Nikotinabusus im Spiel.
Es ist sehr wichtig, dass den jungen Menschen nicht Angst gemacht wird, sondern dass sie wissen, dass es diese Viren gibt, eine Ansteckung häufig ist, die Infektion in 95 % der Fälle nach zwei bis drei Jahren wieder verschwindet und dass es einen ausserordentlich guten Schutz gegen die häufigsten Hochrisiko-HPV gibt.
2. Sind die Impfstoffe immer noch wirksam, ist eine Boosterimpfung nötig?
Die Immunogenität und Wirksamkeit bleiben auch nach mehr als 20 Jahren für alle Impfstoffe gegenüber HPV 16/18 und zervikalen Krebsvorstufen, aber auch Krebs gleichbleibend gut. Ebenso ist Gardasil 9 gut wirksam gegenüber Krebsvorstufen und Karzinomen, die durch weitere HP-Impfviren (31, 33, 45, 52 und 58) verursacht werden. Für diese HP-Viren liegen Daten über > 10 Jahre vor. Auch gegenüber diesen Viren zeigt sich kein Absinken der Wirksamkeit. Eine Boosterimpfung ist nicht notwendig.
3. Sind im Impfstoff die Viren vorhanden, gegen die wir uns schützen sollen?
Eine vom Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Bern und dem BAG durchgeführte Studie konnte zeigen, dass die in Gardasil 9 enthaltenen Viren (16, 18, 31, 33, 45, 52 und 58) auch in der Schweiz am häufigsten vorkommen (Abb. 2).
4. Gilt der Impfstoff weiterhin als sicher?
Die Sicherheit ist weiterhin gegeben. Über 270 Millionen Impfstoffdosen wurden bei Gardasil verimpft und es konnten keine schweren Impfreaktionen festgestellt werden. Die häufigsten systemischen Nebenwirkungen sind Kopfschmerzen mit 14 %, Fieber 5 %, Nausea 4 %, Schwindel 3 %, Müdigkeit 2 %. Sie unterscheiden sich nicht zwischen Gardasil und Gardasil 9. Die lokalen Reaktionen sind bei Gardasil 9 etwas höher als bei Gardasil: Schmerz 89 % (mild bis schwer), Schwellung 40 % und Erythem 34 %. Dies hat vermutlich mit dem höheren Anteil an Adjuvans und dem höheren Anteil an L1-Proteinen zu tun. Die anfänglich in Zeitungsartikeln erwähnten Häufungen neurologischer Erkrankungen oder Todesfälle wurden nicht häufiger festgestellt als in der ungeimpften Population. Eine zeitliche Koinzidenz solcher Vorkommnisse hat keinen kausalen Zusammenhang mit dem Impfstoff.
5. Die Patientin ist bereits mit Gardasil geimpft, soll sie noch eine oder mehrere Dosen Gardasil® 9 erhalten?
Das BAG empfiehlt keine Nachimpfung mit Gardasil® 9, wenn die Impfwilligen bereits vollständig mit Gardasil oder Cervarix geimpft wurden. Eine Nachimpfung ist nicht kostenfrei. Ist die Impfung mit Gardasil oder Cervarix nicht vollständig erfolgt, darf mit Gardasil® 9 die Reihe fertig geimpft werden. Diese Impfungen sind, sofern die Imfpwillige/der Impfwillige noch nicht 27-Jährig ist, im Rahmen der kantonalen Impfprogramme abgedeckt.
6. Für wen ist die Impfung zugelassen?
Im Alter von 11-14 Jahre reichen zwei Dosen Impfstoff im Abstand von 6 Monaten. Diese Grundimmunisierung im Alter von 11-14 Jahren gilt bei Mädchen als Basis-, bei Jungen als ergänzende Impfung. Dies hat verschiedene Gründe. In der praktischen Umsetzung löst diese Situation jedoch den Eindruck aus, dass die Knaben/jungen Männer nicht unbedingt geimpft werden sollen. Das ist ein Trugschluss: Für sie ist die Impfung genauso wichtig! Als ergänzende Impfung sind sowohl bei Mädchen und jungen Frauen als auch bei Jungen und jungen Männern im Alter von 15 – 26 Jahre 3 Impfungen im Abstand von 0,2 und 6 Monaten zugelassen. Bis zum Alter von 26 Jahren ist die Impfung von Franchisen und Kosten befreit, falls sie im Rahmen kantonaler Impfprogramme durchgeführt wurde. Gardasil® 9 ist ebenfalls für Frauen bis 45 Jahre zugelassen. Hier ist die Impfung eine Selbstkostenleistung, ausser die Frau hat eine Zusatzversicherung für Präventionsleistungen. (Siehe auch Punkt 8).
7. Verhindert die HPV-Impfung auch das Zervixkarzinom?
Ja, wie eine schwedische Studie eindrücklich aufzeigt (5). Bisher gab es nur Studien die zeigten, dass die frühe Impfung sehr wirksam vor Krebsvorstufen schützt. Nun zeigt die Studie von Lei et al. (5), dass abhängig vom Alter, in dem die Frauen mit Gardasil (HPV 16, 18, 6 und 11) geimpft wurden, die Inzidenz des Zervixkarzinoms von 94/100 000 bei ungeimpften Frauen auf 4/100 000 sinkt bei Frauen, die vor dem Alter 17 Jahren die Impfung erhalten hatten. Bei Frauen, die die Impfung im Alter von 17-30 Jahren erhalten hatten, lag die kumulative Inzidenz bei 54/100 000 Frauen. Insgesamt wurden 1 672 983 Frauen im Alter von 10 – 30 Jahren eingeschlossen und die Beobachtungsdauer war von 2006 – 2017 (Abb. 3).
8. Soll eine Frau auch nach einer behandelten Dysplasie geimpft werden?
Die HPV-Impfungen sind prophylaktische Impfungen. Es hat sich gezeigt, dass die Impfung auch bei Menschen, die bereits sexuell aktiv sind, sehr wirksam ist. Gardasil® 9 ist seit dem Jahr 2021 deshalb auch für Frauen bis 45 Jahre zugelassen. Die Immunogenität bei diesen Frauen liegt nur minim unter derjenigen der jüngeren Frauen bis 24 Jahre.
Soll nun die Impfung auch nach der Behandlung einer Dysplasie zur Verhinderung einer weiteren Erkrankung verabreicht werden? Verschiedene Studien und eine Metaanalyse zeigten, dass die Impfung das Risiko für eine erneute hochgradige Dysplasie um 59 % senkt (5).
Was bedeutet diese Reduktion? Nach einer Konisation erkranken ca. 5-6/100 Frauen erneut an einer höhergradigen Dysplasie. Bei den kurz vor oder bis ein paar Wochen nach der Konisation geimpften Frauen erkranken nur 3 / 100 Frauen (6). In absoluten Zahlen gesehen, ist diese Reduktion weniger eindrücklich, doch eine Reduktion ist da. Die meisten Frauen müssen diese Impfung selber bezahlen und die Kosten sind mit total 840 CHF für viele Frauen viel Geld. Das soll in einem Gespräch ausführlich besprochen werden. Gewisse Krankenkassen bezahlen einen Teil an diese Kosten. Mit einem vom Arzt unterschriebenen Formular «Anfrage zur Kostenübernahme der HPV-Impfung» kann die Patientin dieses Formular an ihre Krankenkasse einreichen (Formular kann bei MSD angefordert werden).
Informierte Ärztinnen und Ärzte, die im Sinne eines Informed Consent mit aktuellen Informationen die impfwillige Person aufklären und beraten und auf deren Fragen ruhig und sachlich eingehen können, haben einen grossen Einfluss auf die Steigerung der Impfrate und damit indirekt einen Einfluss auf die Reduktion von HPV-bedingten Erkrankungen. In diesem Sinne wünsche ich mir, dass wir in ein paar Jahren die Impfrate bei Jungen und Mädchen weiter gesteigert sehen. Weitere Informationen über die HPV-Impfung finden sich auch im Expertenbrief Nr. 74 der SGGG (7).
Zweitabdruck aus «der informierte arzt» 03_2022
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Frauenklinik Baselland
Rheinstrasse 26
4410 Liestal
brigitte.frey@ksbl.ch
Teilnahme an HPV Advisory Board von MSD
1. Global strategy to accelerate the elimination of cervical cancer as a public health probem, World Health Organization 2020
2. Dietrich L et al. HPV-Impfung: Update 2019 für die Impfberatung. Swiss Med Forum, 2019; 19(13-14): 220-6.
3. Demi MJ et al.: Determinants of vaccine hesitancy in Switzerland: study protocol of a mixed-methods national research program. BMJ Open 2019; 9(11): e032218.
4. Frey Tirri B. Aktuelles zur HPV-Impfung. Info@gynäkologie_01_2015.
5. Lei J et al.: HPV Vaccination and the risk of invasive cervical cancer. N Engl J Med 2020; 383:1340-8.
6. Jentschke M et al.: Prophylactic HPV vaccination after conizsatin: A systematic review and meta-analysis. Vaccine 38 (2020) 6402-6409.
6. Frey Tirri B. et al. Expertenbrief Nr. 74 HPV-Impfung, www.sggg.ch
info@gynäkologie
- Vol. 12
- Ausgabe 2
- April 2022