- Interview mit Frau Prof. Dr. med. Gabriele S. Merki
Frau Prof. Dr. med. G.S. Merki ist eine national und international bekannte Expertin auf dem Gebiet der Schwangerschaftsverhütung, insbesondere der hormonellen Kontrazeption. Sie ist Initiatorin und Erstautorin des revidierten Expertenbriefes Nr. 79, der in diesem Heft publiziert wird, und kann somit kompetent dazu Auskunft geben.
Soeben wurde der SGGG-Expertenbrief Nr. 79 überarbeitet. Was gab den Ausschlag, dass er jetzt revidiert wurde?
Es sind die neue kombinierte Pille, Drovelis©, sowie das neue Gestagen-only-Präparat Slinda© zur Kontrazeption auf den Schweizer Markt gekommen. Besonders wichtig aber für die Revision dieses Expertenbriefes waren neue Daten zum Thromboembolie-Risiko der Pille Zoely©, welche im Unterschied zu den meisten Kombinationspräparaten nicht artifizielles Ethinylestradiol, sondern das natürliche Östrogen Estradiol enthält
Seit einigen Monaten ist in der Schweiz nun Drovelis© im Handel. Drovelis© enthält neben dem bekannten Gestagen Drospirenon als Östrogen das natürliche Estetrol (E4). Welche Eigenschaften hat E4?
E4 bindet vor allem an den Östrogenrezeptor alpha und wirkt damit weniger proliferativ, was im Tierversuch an Brustgewebe und einigen Brustkrebszelllinien gezeigt werden konnte. Es induziert aber wie andere Östrogene auch Gerinnung und Fibrinolyse. E4 allein hat ausserdem einen guten therapeutische Effekt auf Hitzewallungen in der Menopause. Aktuell ist dieses E4 aber noch nicht verfügbar in einem Präparat zur Hormonersatztherapie.
Warum wurde E4 nicht schon früher in der Kontrazeption eingesetzt?
Es musste erst in Kombination mit einem Gestagen getestet werden hinsichtlich kontrazeptiver Sicherheit, aber auch Nebenwirkungen und Verträglichkeit. Auch das Blutungsmuster ist wichtig für Anwenderinnen.
Hat Drovelis© Vorteile gegenüber bisher bekannten kombinierten hormonalen Kontrazeptiva, insbesondere auch gegenüber den Kombinationen von Ethinylestradiol mit Levonorgestrel?
Der Pearl-Index ist sehr gut, es gibt wenige Nebenwirkungen. Grosse Studien zum Thromboembolie-Risiko stehen aber noch aus.
Gibt es bei Drovelis© auch Nachteile?
Das Blutungsmuster ist etwas weniger stabil als unter Kombinationspräparaten mit Ethinylestradiol.
Nachdem es lange Zeit auf dem Schweizer Markt nur noch eine Minipille, also eine nur ein Gestagen-enthaltende Pille, gab, nämlich die Desogestrel-enthaltende Cerazette©, ist seit kurzem Slinda© im Schweizer Handel. Was ist Slinda©?
Slinda© ist eine reine Gestagenpille mit dem Gestagen Drospirenon.
Worin unterscheidet sich im Alltagseinsatz Slinda© von Cerazette©?
Beide Methoden habe eine hohe kontrazeptive Sicherheit. Slinda© wird nicht durchgehend eingenommen, sondern im 24/4 Schema. Dadurch ist das Blutungsmuster tendenziell besser, mit weniger Tagen Zwischenblutungen. Da nicht alle Frauen Cerazette gut vertragen, ist es eine sehr wichtige Alternative als Gestagen-only pill, geeignet für Neustarter als auch für Frauen, die wechseln möchten oder ein Präparat anwenden möchten mit möglichst wenig Hormon. Grosser Vorteil beider Pillen ist, dass das Thromboembolie-Risiko nicht erhöht wird.
Wann soll zur Verhütung ein Kombinationspräparat und wann eine Gestagenpille empfohlen werden?
Eine Gestagenpille kann von allen Frauen eingenommen werden. Es gibt nur sehr wenige Kontraindikationen, wie zum Beispiel Lebererkrankungen oder Brustkrebs. Kombinationspräparate haben den Vorteil, dass die Kontrolle über die Blutung besser ist, was viele Frauen sehr schätzen. Oft kommt ein positiver Effekt auch auf Haut und Haare hinzu. Nachteil sind die Kontraindikationen vor allem hinsichtlich des kardiovaskulären Risikos. Hiervon sind doch mehr Frauen betroffen als man allgemein annimmt. Auch das Alter >35 Jahre ist hier als Risikofaktor zu erwähnen, besonders im Zusammenhang mit Rauchen.
Zoely© ist eine Kombinationspille, die schon seit längerem in der Schweiz erhältlich ist. Allerdings hatte Zoely© zwei Limitationen:
1. Unklare Datenlage in Bezug auf das Thromboembolie-Risiko, 2. Keine Zulassung in der Schweiz für Frauen unter 18 Jahren. Welche neuen Studienresultate gibt es zum Thromboembolie-Risiko von Zoely© und wie sehen die aus?
Neue Studien zeigen, dass das Risiko für Thromboembolien bei Zoely© ähnlich ist wie das der Kombinationspille mit dem Gestagen Levonorgestrel. Somit steht nun eine zweite kombinierte Pille in der Schweiz zur Verfügung mit dem niedrigen Thromboembolie-Risiko entsprechend der Zweitgenerationspräparate. Der Pearl-Index war sogar günstiger für Zoely© in vergleichenden Studien.
Ist mit diesen neuen Studienresultaten in absehbarer Zeit auch in der Schweiz eine Erweiterung der Indikation von Zoely© auf Frauen unter 18 zu erwarten?
Zoely© ist von Swissmedic in der Schweiz leider weiterhin für Frauen unter 18 Jahren nicht zugelassen. Die europäische Zulassungsbehörde EMA macht eine solche Einschränkung nicht. Es macht Sinn, ein Präparat mit diesen wichtigen Eigenschaften auch jungen Frauen zur Verfügung zu stellen. Ich bin nicht sicher, ob in Zukunft für den kleinen Markt Schweiz spezielle Daten bei Jugendlichen erhoben werden. Diese Studien sind sehr teuer und aufwendig.
Prof. Dr. med Bruno Imthurn
Senior Consultant Kinderwunschzentrum
360° Zürich
bruno.imthurn@uzh.ch