Fortbildung

Kontrazeption bei Mädchen und Frauen mit Risiken

Jugendliche und Frauen mit chronischen Erkrankungen und gesundheitlichen oder geistigen Einschränkungen haben oft auch höhere Risiken, wenn es um die Wahl einer geeigneten Kontrazeption geht. Neben der möglichst sicheren Schwangerschaftsverhütung gilt es, die Auswirkungen auf die Grunderkrankungen, medikamentöse Interaktionen und eventuell günstige Effekte auf Blutung oder Beschwerden einzubeziehen. Beispielhaft seien die Überlegungen zur kontrazeptiven Beratung an fünf Erkrankungen oder Beeinträchtigungen dargelegt.



Adolescents and women at risk, with chronic conditions and health or mental limitations are at increased risk also in the choice of the contraceptive method. Any unplanned, unprepared pregnancy should be avoided, so the efficiency and reliability of the chosen method is important, but also the effects on the underlying disease, drug interactions and any possible favorable effects on bleeding or dysmenorrhea should be included in the contraceptive counseling. Exemplary considerations for contraceptive counseling are illustrated by five diseases or disabilities.
Key Words: Contraception, risks, handicap, disabilities

Kontrazeption, die Möglichkeit der Vermeidung einer ungewollten Schwangerschaft trotz Auslebens der Sexualität, hat zu einem immensen Gewinn an Lebensqualität und auch zu enormer Verbesserung der Frauengesundheit weltweit geführt. Die Erreichbarkeit von Kontrazeptiva für alle Frauen im fertilen Alter, erschwingliche Preise und eigenständige Entscheidungsmacht über den eigenen Körper sind die grossen Errungenschaften des letzten Jahrhunderts, die zum Rückgang der Teenagerschwangerschaften, induzierten Aborten und Abnahme von Müttersterblichkeit in Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett geführt haben. Bei aller Kritik, die heute gegenüber der (hormonellen) Kontrazeption zu hören ist, sollte dieser immense Beitrag zur Frauengesundheit nicht vergessen werden und wird daher diesem Artikel über Kontrazeption bei Risikosituationen vorangestellt. Bei Frauen mit gesundheitlichen Risiken geht es immer um die Abwägung von Nutzen und Risikoerhöhung, es bedarf im Einzelfall einer sorgfältigen Beratung und, soweit möglich, des informed consent, da es häufig keine ideale Lösung gibt. Aus der grossen Vielfalt an Erkrankungen und Risiken beschränkt sich der folgende Artikel auf eine kleine Auswahl und beleuchtet auch das eher selten beachtete Thema der geistigen Einschränkung.

Motorische Einschränkungen

Frauen mit körperlicher und/oder geistiger Beeinträchtigung haben sexuelle Bedürfnisse, wie andere Frauen auch, und selbstverständlich einen kontrazeptiven Beratungsbedarf. Die sexuelle Aktivität wird aber häufig unterschätzt oder nicht wahrgenommen, mit oft schwerwiegenden Folgen für die Betroffenen (1). Das Gespräch über Sexualität umfasst viel mehr als nur die Frage, welches Verhütungsmittel passend wäre (2), auf Grund der geforderten Kürze des Artikels wird hier aber nur die Kontrazeption besprochen. Bei Frauen im Rollstuhl muss generell von einem erhöhten Thromboserisiko ausgegangen und östrogenhaltige Kontrazeptiva vermieden werden. Ausgenommen sind Frauen, die im Alltag auch Fussgänger sind und den Rollstuhl nur für längere Strecken verwenden. Als Richtschnur kann eine Mindestaktivität der Beine von vier Stunden Belastung (Gehtraining) pro Tag angesehen werden. Keine Risikoerhöhung bezüglich Thromboembolie besteht bei reiner gestagenhaltigen Verhütung (peroral, als Implantat, Injektion oder intrauterin als Hormonspirale). Bei der Wahl des Kontrazeptivums sollen mögliche Vorteile für Dysmenorrhoe oder Hypermenorrhoe einbezogen werden (3), worauf sich die kupferhaltige intrauterine Kontrazeption eher ungünstig, die Hormonspirale aber günstig auswirkt. Vor dem Entscheid für eine intrauterine Kontrazeption müssen die anatomischen und funktionellen Voraussetzungen für eine Einlage überprüft werden: Uterusgrösse und -form, Ausschluss von Fehlbildungen oder Myomen sowie die Erreichbarkeit bei Beckenfehlbildungen oder Spastik der Beine. Bei Frauen mit schwer einstellbarer Epilepsie kann eine Zervix­dilatation einen epileptischen Krampf auslösen, was zum Zeitpunkt der Einlage sehr ungünstig oder gar gefährlich sein kann. Gelegentlich ist die Einlage in Narkose eine gute Option.

Zu beachten ist, dass Immobilität und fehlende Achsenbelastung das Osteoporose-Risiko erhöhen. Daher sollte bei Rollstuhlfahrerinnen mit definitiver Immobilisation oder Schienung der Beine auf eine östrogenhaltige Kontrazeption, aber auch auf die langfristige Depot-MPA- Gabe verzichtet werden. Bei vielen Frauen mit neurologisch bedingten Erkrankungen liegt eine Epilepsie vor, die mit erhöhter Sturzgefahr einhergeht, was bei Osteoporose zusätzlich gefährlich ist. Zudem erhöhen verschiedene Antiepileptika das Osteoporose-Risiko.

Adipositas

Adipositas, insbesondere ein BMI über 35 kg/m2, erhöht das Thromboserisiko und stellt einen Risikofaktor für die Anwendung von kombinierten hormonellen Kontrazeptiva dar (4). Die Risikoeinschätzung steigt, falls weitere Faktoren wie Hypertonie, Hyperlipidämie oder ein Diabetes mellitus mit vaskulären Komplikationen vorliegen. In diesen Situationen sollte eine östrogenfreie Kontrazeption angewendet werden. Ein weiterer Diskussionspunkt ist die Versagerquote. Einige Studien zeigen eine höhere Rate unerwünschter Schwangerschaften bei adipösen Frauen unter oraler Kontrazeption (5) sowie für das kontrazeptive Pflaster (ab 90 kg Körpergewicht). Beim Gestagenimplantat wird von einigen Autoren bei Adipositas ein vorgezogener Wechsel empfohlen oder bei Depot-MAP ein kürzeres Applikationsintervall. Die Datenlage zu Effizienz und Sicherheit der Kontrazeption bei adipösen Frauen ist aber sehr spärlich.

Bariatrische Chirurgie

Über 80% der bariatrischen Operationen werden bei Frauen durchgeführt, die Hälfte davon im fertilen Alter (6). Resektions- und Bypass-Operationen führen dank erheblichem Gewichtsverlust zu einem raschen Wiedereintritt der Fertilität. Patientinnen sollten innerhalb der ersten 12–18 Monate nach der Operation aufgrund des katabolen Stoffwechsels (7) sowie des Risikos für innere Hernien nicht schwanger werden. Daher ist eine frühzeitige sichere Kontrazeption sehr wichtig und sollte vor der Operation bereits besprochen und geplant werden (8). Die Auswirkungen der Operation auf den Gesamtorganismus, auf Resorption, Stoffwechsel und Anatomie, hängen vom gewählten Verfahren ab. Im Falle von Malabsorption ist die Resorption oraler Kontrazeptiva nicht mehr sicher gewährleistet. Die transdermale hormonale Kontrazeption ist wegen der oberen Gewichtslimite von 90 kg bei diesen Patientinnen oft keine Option, wobei auch das erhöhte Thrombose-Risiko bei östrogenhaltiger Kontrazeption bedacht werden muss. Intra­uterine Kontrazeption sowie Gestagenimplantate zeigen einen hohen Kontrazeptionsschutz und sind daher häufig empfohlen.

Kongenitale Herzerkrankungen

Die Anzahl von Jugendlichen und jungen Frauen mit kongenitalen Herzkrankheiten, die das fertile Alter erleben, nimmt stetig zu. Eine ungeplante, unvorbereitete Schwangerschaft sollte wegen erhöhter Mortalität unbedingt vermieden werden, insbesondere bei pulmonal-arterieller Hypertonie oder schwerer Links-Herzinsuffizienz (9). Die Mortalität steigt bei schweren Herzfehlern bereits in der Frühschwangerschaft an (10). Je höher die Risikoklasse, desto dringender muss eine möglichst sichere Kontrazeption empfohlen werden. Für die meisten Patientinnen mit Herzkrankheiten ist die Anwendung von reinen Gestagen-Kontrazeptiva möglich, wobei Einschränkungen für Depot-MPA gelten (arterielle Hypertonie >160/>100mmHg, vaskuläre Erkrankungen, multiple Risikofaktoren, fortgeschrittene Nephropathie oder Diabetes mellitus mit Angiopathie). Kombinierte orale Kontrazeptiva sind kontraindiziert bei Frauen mit ischämischer Herzkrankheit, bei erhöhtem Risiko für zerebrale Ischämie oder Thromboembolien, bei arterieller Hypertonie (>160/100mgHg) und vor allem bei pulmonaler Hypertonie (4). Eine sorgfältige Beratung und Risikoevaluation ist auch für Frauen mit Marfan-Syndrom äusserst wichtig, da Schwangerschaften das Risiko einer Aortendissektion oder anderen schweren kardialen Komplikation mit entsprechender Mortalität erhöhen.

Mädchen und Frauen mit geistiger Einschränkung

Eine grosse Herausforderung ist die Beratung von Jugendlichen und jungen Frauen mit schwerer geistiger Einschränkung, fehlender Sprache oder Autismus. Häufig wird hier von der Umgebung, von Pflegenden oder Eltern, eine sichere und möglichst langdauernde Kontrazeption gefordert. Da gilt es, in der Beratung den tatsächlichen Kontrazeptionsbedarf abzuklären und die Wünsche und Vorstellungen der Betroffenen so weit wie möglich zu erfassen (11). Die Balance zwischen persönlicher Freiheit einerseits und Schutzbedürftigkeit infolge der Einschränkungen andererseits kann nur im sorgfältigen Gespräch gefunden werden, wobei auch die Sorgen der Angehörigen und Betreuungspersonen ernst genommen werden müssen. Auch ein günstiger Einfluss hormoneller Kontrazeptiva auf Hyper­menorrhoe und Dysmenorrhoe sollte einbezogen werden (12). Häufig zeigen Mädchen mit geistiger Einschränkung oder Entwicklungsverzögerung kein aktives sexuelles Interesse am anderen Geschlecht oder es bleibt bei einem Schwärmen oder beim Händchenhalten. Dennoch muss eine mögliche Gefährdung miteinbezogen werden, insbesondere, wenn die Betroffenen ihre eigenen Bedürfnisse nicht mitteilen können, sich nicht wehren können und doch eine möglichst grosse Selbständigkeit im Alltag ermöglicht werden soll. Ein Kontrazeptivum kann nicht vor sexueller Gewalt schützen, aber wenigstens vor einer ungewollten, ungeplanten Schwangerschaft.

Die Wahl des Kontrazeptivums ist abhängig von der ­Grunderkrankung, bei Mädchen mit geistiger Einschränkung aber vor allem von der Anwendung und der oft eingeschränkten Compliance, insbesondere bei fehlendem Verständnis. Vor der Verschreibung muss abgeklärt werden, ob eine regelmässige, zuverlässige Pilleneinnahme durch Angehörige oder Betreuungspersonal gewährleistet werden kann. Die transdermale Verhütung ist weniger geeignet, einerseits weil die Mädchen diese entfernen können und andererseits, weil sie sichtbar ist und damit möglicherweise das Risiko für einen Übergriff erhöhen könnte. Auch die intravaginale Kontrazeption mit Hormonring ist selten geeignet, wenn das Verständnis für die Notwendigkeit fehlt oder der Ring nicht selbständig eingeführt werden kann. Die Einlage eines Implantats, das Verhütungsstäbchen, bietet sich oft als beste Lösung an, wobei die möglichen Blutungsstörungen unbedingt vorher besprochen werden sollten (13). Eher zurückhaltend sollte die Indikation für Depot-MPA (Dreimonatsspritze) gestellt werden, sowohl in Hinblick auf die Knochendichte, auf das Risiko der Gewichtszunahme sowie bei fehlendem Verständnis für die wiederkehrenden Spritzen. Als langfristige Lösung bietet sich oft die Einlage der kleinen, fünfjährigen Hormonspirale an, unter Umständen in kurzer Narkose. Eine schmerzhafte Intervention bei einem Mädchen, das den Vorgang nicht verstehen und nicht aktiv zustimmen kann, sollte vermieden werden.

Zusammenfassung

Die kontrazeptive Beratung von Frauen mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen ist oft komplex und umfasst viele Bereiche. Neben der medizinischen Fachkenntnis sind oft auch pädagogische und psychologische Fragen zu berücksichtigen, unter Umständen auch ethische und rechtliche Entscheide zu fällen, die eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit bedingen. Ziel muss immer sein, mit der Kontrazeption nicht zu schaden, eine ungeplante Schwangerschaft zu vermeiden und Gesundheit, körperliche Unversehrtheit und Sexualität zu schützen. Das Recht auf sexuelle Integrität und sexuelle Gesundheit untersteht dem Grundrecht der persönlichen Freiheit. Diese persönliche Freiheit ist auch Menschen mit Behinderung gegeben, daher ist es unsere Aufgabe, in einer ganzheitlichen Beratung die Voraussetzungen zu schaffen, dass die betroffene Person ihre Gefühle, ihre Sinnlichkeit und ihre sexuellen Bedürfnisse soweit möglich in Sicherheit leben kann. Jeder und jede kann Opfer eines sexuellen Missbrauchs werden. Für Personen mit geistiger Behinderung, eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten oder mit hohem körperlichem Unterstützungsbedarf ist das Risiko jedoch ungleich höher (14). Wer die Risiken kennt, kann besser vorbeugen.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Ruth Draths

Frauenpraxis Buchenhof
Praxis für Mädchen und Frauen
Buchenstrasse 8
6210 Sursee

Die Autorin hat keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

1. Houtrow A & Roland M. Sexual he- alth and education guidelines for the care of people with spina bifida. J Pediatr Rehabil Med 2020; 13(4): 611–9
2. Draths R. Vergessene Pubertät. Sexualität und Verhütung bei Jugendlichen mit einer chronischen Krankheit oder Behinderung. Hogrefe 2012
3. Dickson J et al. Contraception for adolescents with disabilities: taking control of periods, cycles and conditions. BMJ Sex Reprod Health 2018; 44: 7–13
4. Faculty of Sexual & Reproductive Healthcare. UK Medical Eligibility Criteria for Contraceptive Use (UKMEC). 2019.
5. Yamazaki M et al.: Effect of obesity on the effectiveness of hormonal contraceptives: an individual participant data meta-analysis. Contraception 2015 Nov; 92(5): 445–452.
6. Falcone V et al: Pregnancy after bariatric surgery: a narrative literature review and discussion of impact on pregnancy management and outcome. Pregnancy Childbirth. 2018;18(1):507.
7. Milone C et al: Richtlinien Schwangerschaft nach bariatrischer Operation, aus: SMOB.ch, SVDE ASDD Info 5/2019; 24-25
8. Kjaer MM et al: The risk of adverse pregnancy outcome after bariatric surgery: a nationwide register-based matched cohort study. Am J Obstetrics & Gynecology. 2013; 208 (6):464.e1–464.e5.
9. Loomba RS, Aggarwal S, Pelech AN. Addressing sexual health in congenital heart disease: When being the same isn’t the same. Congenit Heart Dis. 2014;10(1):30 – 5.
10. van Hagen IM, Roos-Hesselink JW. Pregnancy in congenital heart disease: risk prediction and counselling. Heart. 2020; 106(23):1853 – 61.
11. Best K. Mental disabilities affect method options. Netw Res Triangle Park N C. 1999; 19(2): 19–22
12. Dural Ö et al. Management of Menstrual and Gynecologic Concerns in Girls with Special Needs. J Clin Res Pediatr Endocrinol 2020; 12(Suppl 1): 41–5
13. Grover SR. Gynaecological issues in adolescents with disability. J Paediatr Child Health. 2011; 47:610 – 3.
14. Draths R & Stockhammer E. Fragmente eines Tabus. Sexueller Missbrauch an Kindern und Jugendlichen – über den sensiblen Umgang mit Betroffenen. Hogrefe 2017

info@gynäkologie

  • Vol. 13
  • Ausgabe 2
  • April 2023