- Psychiatrische Erkrankungen in der Schwangerschaft und im Wochenbett
Am traditionellen 22. Kongress für praktische Gynäkologie und Geburtshilfe in Näfels widmete sich Frau Dr. phil. Kathrin Degen, St. Gallen, den psychiatrischen Erkrankungen in der Schwangerschaft und im Wochenbett.
Peripartale Depression
Peripartale Depressionen lassen sich unterteilen in antepartale Depression (Schwangerschaftsdepression) und postpartale Depression. Die antepartale Depression tritt mit einer Prävalenz von 10-12% auf. Fünfzig Prozent der postpartalen Depressionen beginnen bereits in der Schwangerschaft, wie die Referentin ausführte.

Die postpartalen Depressionen kommen mit einer Prävalenz von 10 bis 15% vor, bei Einschluss der minoren Depressionen und depressiven Anpassungsstörungen kommt man auf eine Prävalenz bis 19%. Dazu kommt ein gehäuftes Auftreten von Angstsymptomatik und Panikattacken. Ein Jahr nach Geburt sind ca. 30% der Betroffenen immer noch depressiv. Die Rückfallrate für spätere peripartale und nichtperipartale Depressionen beträgt ca. 40%.
Die Depressionen können innerhalb von vier (DSM-5) bis sechs (ICD-10) Wochen nach Entbindung auftreten. Im klinischen Kontext ist eine Ausweitung auf 5 bis sogar 12 Monate sinnvoll. Tritt eine depressive Verstimmung mit frühem postpartalen Beginn auf, deutet dies mit hoher Wahrscheinlichkeit auf hormonelle Auslöser hin.
Es können verschiedene Typen der postpartalen Depression unterschieden werden, stellte die Referentin fest: Beim «Insuffizienztyp» ist eine depressive Verstimmung mit Versagens- und Schuldgefühlen im Vordergrund. Beim «Zwangstyp» treten neben einer depressiven Verstimmung Zwangssymptome auf und beim «Paniktyp» ist die depressive Verstimmung begleitet vom meist erstmaligen Auftreten von Panikattacken. (1, 2)
Postpartum-Psychosen
Die Behandlungsprävalenzen betragen zwischen 0,1 und 0,2%. Meistens erfolgt ein abrupter Beginn mit kurzer Latenz nach Entbindung. Es besteht eine erhöhte Suizid- und Infantizidgefahr. Diese treten meistens im Rahmen einer bipolaren Erkrankung auf. Die isolierten Postpartum-Psychosen sind deutlich seltener. Vermutet wird eine erhöhte Vulnerabilität für endokrinologische und immunologische Veränderungen als Auslöser. (1)
Posttraumatische Belastungsstörungen
Geburtstraumata mit Vollbild einer posttraumatischen Belastungsstörung kommen in 2% vor. Das subjektive Erleben der Geburt ist dabei entscheidender als ein objektiver medizinischer Geburtsverlauf, so die Referentin. Traumatisch erlebte Entbindungen mit daraus folgender posttraumatischer Belastungsstörung treten zehnmal häufiger auf als die postpartale Psychose.
Frauen mit Vortraumatisierung sind besonders gefährdet, eine posttraumatische Belastungsstörung zu entwickeln. Peritraumatische Dissoziation während der Entbindung ist ein relevanter Prädiktor für die Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung. Sexueller Missbrauch in der Kindheit ist ausserdem mit einem vielfach erhöhten Risiko einer postpartalen posttraumatischen Belastungsstörung assoziiert, weshalb eine sorgfältige Anamnese diesbezüglich im Vorfeld der Geburt zentral ist. (1, 2)
Zwangsstörungen
Eine antepartale Zwangssymptomatik kommt in 2.1% vor, eine postpartale Zwangssymptomatik in 2.4%. Häufige Inhalte der Zwänge sind Kontamination oder Gefährdung des Kindes. Im Gegensatz zu Zwangsgedanken beim «Zwangstyp» der postpartalen Depression werden die Zwangsgedanken ich-fremder erlebt. Aggressive Zwangsgedanken sind jedoch selten mit Handlungsumsetzung verbunden. (1)
Angststörungen
Es besteht keine erhöhte Prävalenz für Angststörungen in der Peripartalzeit. Die Komorbidität mit postpartaler Depression mit ungünstigem Einfluss auf den Verlauf ist jedoch hoch. Die isolierte Panikstörung wird nur diagnostiziert, wenn Panik das zentrale Symptom ist und depressive Verstimmung lediglich eine Begleiterscheinung darstellt. (1, 2)
Vulnerabilität
Vorbestehende psychische Erkrankungen sind ein wichtiger prädiktiver Faktor für das Auftreten einer peripartalen psychischen Episode. Postpartale Depressionen mit kurzer Latenz nach Entbindung (bis vier Wochen) sind assoziiert mit einer in der Vorgeschichte bestehenden prämenstruellen dysphorischen Störung und einer familiären Vorbelastung mit postpartalen Depressionen. Es besteht zudem ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer bipolaren Erkrankung.
Frauen mit anamnestisch gehäuften depressiven Episoden und Rückfällen (auch ausserhalb der Peripartalzeit) haben hohe Rückfallraten in der Schwangerschaft bei Absetzen der Medikation.
Risikofaktoren für eine postpartale Psychose sind insbesondere frühere bipolare Episoden oder schwere frühere postpartale Episoden.
Das Rückfallrisiko bei einer bipolaren Störung ist in der Schwangerschaft bei Absetzen der Medikation deutlich erhöht. (1)
Auswirkungen auf fetale und kindliche Entwicklung
Bei unterschiedlichen Störungsbildern zeigen sich erhöhte Frühgeburtenraten, geringes Geburtsgewicht, ein erhöhtes Risiko für Fehl- und Totgeburten sowie plötzlicher Kindstod. Als korrelierende Faktoren müssen ungünstige Umweltfaktoren (z.B. Substanzgebrauch, schlechte Ernährung und häusliche Gewalt) berücksichtigt werden.
Peripartale psychische Störungen erhöhen das Risiko für emotionale, kindliche Probleme.
Depressive Symptomatik, welche nach der Postpartalzeit anhält, wirkt sich zudem ungünstig auf die kindliche kognitive Entwicklung aus.
Ein erhöhtes Risiko für Bindungsstörungen besteht bei schweren postpartalen depressiven Episoden.
Ante- und postpartale Angsterkrankungen scheinen insbesondere das Risiko für ADHS und Störungen des Sozialverhaltens zu erhöhen. (1)
Diagnostische Klassifikation
Peripartale Störungen sollen im ICD-10 unter der entsprechenden Hauptkategorie klassifiziert werden (F1-F6). Die Zuordnung der aktuellen Episode zur Peripartalphase erfolgt über den Zusatz O99.3 (Psychische Krankheiten sowie Krankheiten des Nervensystems, die Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett komplizieren).
Kategorie F53 (Psychische oder Verhaltensstörungen im Wochenbett, anderenorts nicht klassifiziert) stellt lediglich eine Restkategorie für Störungen dar, welche nicht die Kriterien einer anderen Störung erfüllen und deren Beginn innerhalb der ersten sechs Wochen nach Entbindung liegt. (1)
Quelle: 22. Kongress für praktische Gynäkologie und Geburtshilfe, Näfels, 7.-8. November 2019
riesen@medinfo-verlag.ch
1. Kühner, C. Psychiatrische Erkrankungen in Schwangerschaft und Stillzeit: Häufigkeit, Verlauf und klinische Diagnostik. In: Der Nervenarzt 2016; 87: 926–936.
2. Rohde, Anke; Dorn, Almut (2007): Gynäkologische Psychosomatik und Gynäkopsychiatrie. Das Lehrbuch. Stuttgart New York: Schattauer.
info@gynäkologie
- Vol. 9
- Ausgabe 6
- Dezember 2019