Wissen Aktuell

Digital Health und Kinderwunsch

Wie digitale Hilfsmittel die Chancen auf eine Schwangerschaft verbessern können

Digitale Hilfsmittel habe längst alle Bereiche des täglichen Lebens erobert. Auf dem Gebiet der Reproduktionsmedizin können zum Beispiel Wearables dazu beitragen, das fertile Fenster besser zu ermitteln und so die Chancen auf einen erfüllten Kinderwunsch zu erhöhen. Die Nutzung von künstlicher Intelligenz eröffnet weitere Perspektiven zur Verbesserung reproduktionsmedizinischer Behandlungen.



Digitale Hilfsmittel sind aus unserem Alltag kaum mehr wegzudenken. Wie Prof. Dr. med. Brigitte Leeners von der Klinik für Reproduktions-Endokrinologie, Universitätsspital Zürich, zu Beginn ihres Vortrages erklärte, besitzen gemäss aktuellen Erhebungen in den USA 80% der 18- bis 49-Jährigen ein Smartphone. «Es gibt mittlerweile auch über 40‘000 Gesundheitsapps und mehr als 100, bei denen es um die Themen Zyklus, Fruchtbarkeit und Verhütung geht», sagte sie. Die Qualität der Apps sei jedoch sehr unterschiedlich. «Wenn wir über eine ernsthafte Anwendung solcher Hilfsmittel nachdenken, dann muss es sich dabei um Apps oder Tools handeln, die auf physiologischen Parametern basieren und diese dann nutzen, um zu validen Aussagen zu kommen», betonte sie.

Drei mögliche Anwendungsbereiche

Digitale Hilfsmittel bieten einige Vorteile. So ist die Motivation zu ihrer Nutzung hoch, sie sind leicht zugänglich und einfach in der Anwendung. Zudem können erhobene Daten sehr gut visuell aufbereitet und mit Partner und/oder Gynäkologen geteilt werden. «Andererseits weiss man heute, dass das Interesse an einer App mit der Zeit meist abnimmt. Zusätzlich stellen sich natürlich viele Fragen rund um den Datenschutz», so die Rednerin.

Für App und Tools im Bereich Kinderwunsch sind drei verschiedene Anwendungsbereiche denkbar. Zum einen können sie zu einer Verbesserung der Empfängnischancen beitragen, vor allem bei unregelmässigen Zyklen, zum anderen zur Detektion einer gestör­ten Frühschwangerschaft und schliesslich auch zur Verbesserung des Resultats von Kinderwunschbehandlungen. Prof. Leeners ging im Anschluss zuerst auf den Bereich der Konzeptionsverbesserung genauer ein. «Wir wissen heute aus Studien, dass die exakte Messung und Nutzung des fertilen Fensters die Chance auf eine Schwangerschaft im natürlichen Zyklus um den Faktor 1,5 erhöht», erläuterte sie. Daher lohne es sich durchaus, dieses Fenster, mit welcher Methode auch immer, möglichst genau zu bestimmen. «Aber selbst wenn eine Frau angibt, einen regelmässigen Zyklus zu haben, ist die Bestimmung des Ovulationstags eine absolute Herausforderung, mit der alle heute verwendeten Methoden zu kämpfen haben», schränkte sie ein. Denn der Tag der Ovulation kann, wie eine Untersuchung zeigte, zeitlich stark variieren (1). Bei einem 28-tägigen Zyklus war zwar Tag 16 der wahrscheinlichste Tag der Ovulation, sie erfolgte aber nur bei 21% der untersuchten Probandinnen (n = 949) auch wirklich an diesem Tag.

Wearables zur Ermittlung des fertilen Fensters

Wie die Rednerin weiter ausführte, setzt sie zum Zyklus-Tracking bei Frauen mit Kinderwunsch ein Armband (Ava) ein, das bereits seit ca. 2016 auf dem Markt ist. Das Sensorarmband wird während des Schlafens getragen und zeichnet dabei Parameter wie Pulsfrequenz, Atemfrequenz, Schlafqualität und -quantität, Herzfrequenzvariabilität und Hauttemperatur auf. Pro Nacht werden 3 Millionen Datenpunkte erfasst, mittels verschiedener Algorithmen ausgewertet und daraus die fruchtbaren Tage ermittelt (2). In einer firmeninitiierten, am Universitätsspital Zürich durchgeführten Vergleichsstudie zwischen dem Ava Armband und dem LadyComp erwies sich die kontinuierliche Messung der Hauttemperatur durch das Armband als signifikant sensitiver in der Vorhersage der Ovulation als eine Messung der Basaltemperatur (3).

Digitale Hilfsmittel in der Reproduktionsmedizin

Durch die in der Vergangenheit erzielten Fortschritte in der Reproduktionsmedizin haben sich die Chancen auf einen erfüllten
Kinderwunsch deutlich verbessert. «Aktuell können wir mit jeder 6. Eizelle eine Schwangerschaft induzieren und die Erfolgsrate liegt bei 35 bis 40% pro Behandlungszyklus», erklärte Prof. Leeners. Die Frage sei nun, inwiefern digitale Hilfsmittel zu einer weiteren Verbesserung der Resultate beitragen könnten. Ein aktueller Ansatz besteht darin, grosse Datensätze (Big Data) für Machine Learning zu nutzen. Diese Technologie wurde unter anderem dazu genutzt, um aus 450‘000 Stimulationszyklen korrelierende Parameter herauszufiltern und zu ermitteln, inwiefern sich diese zur Verbesserung der Resultate fertilitätsmedizinischer Behandlungen nutzen lassen. Als Endprodukt entstand daraus unter anderem eine Patientenapp. Sie dient zur Beratung von Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch und zur individuellen Einschätzung der Chance auf eine erfolgreiche Behandlung. Auch lässt sich damit abschätzen, wie lange der Weg bis zur Erfüllung des Kinderwunsches ungefähr sein wird. Die Nutzung von künstlicher Intelligenz macht es mittlerweile aber auch möglich, anhand von Bildern von Embryonen in der Entwicklung zum Blastozystenstadium diejenigen mit der höchsten Chance auf eine Schwangerschaft zu identifizieren. «In solche Big-Data-Analysen können natürlich auch grundlagenwissenschaftliche Daten, zum Beispiel zur Zusammensetzung der Follikelflüssigkeit, integriert werden. Dadurch lassen sich womöglich Muster erkennen, die aus der klinischen Perspektive nicht so evident sind und die uns schlussendlich dabei helfen werden, die Chancen auf eine erfolgreiche Behandlung zu verbessern», schloss Prof. Leeners.

Dr. Therese Schwender

1. Johnson S et al. Can apps and calendar methods predict ovulation with accuracy? Curr Med Res Opin 2018;34(9):1587-1594.
2. Goodale BM et al. Wearable Sensors Reveal Menses-Driven Changes in Physiology and Enable Prediction of the Fertile Window: Observational Study. J Med Internet Res 2019 Apr 18;21(4):e13404.
3. Zhu TY et al. The Accuracy of Wrist Skin Temperature in Detecting Ovulation Compared to Basal Body Temperature: Prospective Comparative Diagnostic
Accuracy Study

info@gynäkologie

  • Vol. 12
  • Ausgabe 6
  • Dezember 2022