- Zervixinsuffizienz in der Schwangerschaft
Die Zervixinsuffizienz stellt eine geburtshilfliche Risikosituation dar, welche im klinischen Alltag der Schwangerschaftsbetreuung häufig diagnostiziert wird. Trotz des Fortschritts in deren Diagnose und Behandlung ist die Zervixinsuffizienz weiterhin mit erhöhten Morbiditäts- und Mortalitätsrisiken vor allem für die frühgeborenen Kinder assoziiert. Eine frühzeitige Diagnose und angepasste Betreuung bieten das bestmögliche perinatale Outcome für Mutter und Kind.
Definition
Als Zervixinsuffizienz wird die schmerzfreie Erweichung und Verkürzung der Zervix mit Eröffnung des Zervixkanals meistens im zweiten und dritten Trimester definiert. Bei fehlender Symptomatik, wie zum Beispiel Wehentätigkeit, kann eine Zervixinsuffizienz unbemerkt zu einem Spätabort bzw. zu einer Frühgeburt führen.
Ätiologie
Die Risikofaktoren für eine Zervixinsuffizienz können entweder kongenital oder erworben sein (Tab.1). Eine familiäre Häufung konnte nur in einer Studie beobachtet werden. Die Kenntnis der Risikofaktoren ist hilfreich für die frühzeitige Erkennung einer Zervixinsuffizienz. Gleichzeitig ist die Abgrenzung einer vorzeitigen Wehentätigkeit für die weitere Behandlung von Bedeutung.
Diagnostik
Anamnese
Eine ausführliche Anamneseerhebung bereits präkonzeptionell oder in der Frühschwangerschaft hat einen hohen Stellenwert, besonders wenn einer oder mehrere Risikofaktoren bestehen (Verlauf der vorhergehenden Schwangerschaften, stattgehabte Operationen, Trauma).
Klinisches Bild
Eine klinische Symptomatik besteht im Rahmen einer Zervixinsuffizienz in der Regel meist nur gering oder zuweilen gar nicht. Die Mehrheit der Schwangeren mit Zervixinsuffizienz können entweder asymptomatisch sein oder berichten über milde Symptome wie menstruationsartiges Ziehen, Rückenschmerzen, ein Druckgefühl im Unterleib und/oder veränderten vaginalen Fluor.
Spekulumeinstellung
Eine Spekulumeinstellung ermöglicht die Untersuchung der Vagina und der Portio sowie die Beurteilung des Fluors. Dadurch kann eine vaginale Infektion durch Entnahme von Sekret zur pH-Messung, Nativmikroskopie und ggf. zur bakteriellen Kultur ausgeschlossen bzw. diagnostiziert werden.
Bimanuelle Untersuchung
Durch eine bimanuelle Palpation können sowohl der Portiostand, die Länge als auch die Konsistenz und die Muttermundsweite beurteilt werden. Die Untersuchervarianz ist allerdings bei diesem subjektiv erhobenen Befund sehr gross und schwer reproduzierbar.
Sonographie
Die geeignetste Untersuchung zur Diagnosestellung einer Zervixinsuffizienz ist die sonographische Bestimmung der Zervixlänge. Es ist eine effektive, günstige und einfach reproduzierbare Untersuchung, welche der vaginalen Tastuntersuchung überlegen ist. Im Rahmen der zweiten Ultraschalluntersuchung zwischen der 20. Und 23. Schwangerschaftswoche wird unter anderen die Zervixlängemessung empfohlen (3) (Abb.1 links). Eine Zervixlänge unter 25mm wird als verkürzt definiert und ist mit einem erhöhten Risiko für eine Frühgeburt assoziiert. (Abb.1 rechts).
Neben der Zervixlänge können auch weitere Charakteristika wie die Weichheit des Zervixgewebes und die Trichterbildung sonopalpatorisch überprüft werden. Ein Trichter ist ein typisches Zusatzmerkmal einer verkürzten Zervix und das sonographische Bild kann je nach Ausprägungsgrad der Insuffizienz variieren. Ein beginnender Trichter kann ein T- oder V-förmiges Schema haben (Abb. 2 links), während eine U-förmige Zervix (Abb. 2. Mitte) bzw. eine sanduhrförmige prolabierende Fruchtblase (Abb. 2. rechts) Hinweise einer fortgeschrittenen Zervixinsuffizienz sind. Zusätzlich kann manchmal innerhalb des Trichters Sludge präzervikal nachgewiesen werden. Sludge wird als eine hyperechogene fluktuierende Ansammlung vor dem Os internum definiert und besteht aus fetalem Epithel, Vernix, Leukozyten und/oder Bakterien (Abb. 3). Sludge gilt nicht nur als zusätzlicher Risikofaktor für eine drohende Frühgeburt sondern auch für eine potenziell bereits stattgefundene mikrobielle Invasion der Amnionhöhle mit beginnender Chorioamnionitis (4).
Primäre Prävention
Progesteron
Die Applikation von Progesteron bei Schwangeren mit Einlingsgravidität und positiver Anamnese einer Frühgeburt ist zwischen der 16 0/7 und 35 0/7 Schwangerschaftswoche indiziert. Die Applikation findet in der Regel vaginal (200mg als Kapsel täglich) statt (5). Progesteron hat eine tokolytische Wirkung durch Reduzierung der Konzentration von Oxytozinrezeptoren im Myometrium. Ebenfalls hat es einen antiinflammatorischen Effekt, indem es die T-Zell und Killer-Zell gesteuerte Gewebsabstossung sowie die Prostaglandinproduktion in Amnion, Chorion und Dezidua hemmt.
Prophylaktische Cerclage
Die primäre Anlage einer prophylaktischen Cerclage kann bei Schwangeren mit Einlingsgravidität und Status nach einer oder mehreren Frühgeburt(en) bzw. Spätabort(en) in Erwägung gezogen werden (6). Die Operation wird in der Regel am Anfang des zweiten Trimesters durchgeführt. Im Rahmen einer prophylaktischen Cerclage bietet die Durchführung eines gleichzeitigen totalen Muttermundsverschlusses eine zusätzliche Option zur Prolongation der Schwangerschaft durch einen Schutz gegen aszendierende Infektionen. Am häufigsten werden die Cerclage nach McDonald oder nach Shirodkar mit oder ohne einen totalen Muttermundsverschluss angewendet (Abb. 4). Beide transvaginalen Techniken haben ein ähnlich gutes Outcome, was die perinatale Morbidität und Mortalität betrifft (7). Die Cerclage wird ca. 3 Wochen vor dem errechneten Geburtstermin wieder entfernt.
Bei einer stark verkürzten bzw. amputierten Portio oder nach Versagen der vaginalen Methode in einer vorhergehenden Schwangerschaft kann alternativ ein abdominales Verfahren angewendet werden.
Eine abdominale Cerclage kann sowohl durch Laparotomie als auch laparoskopisch eingelegt werden (Abb. 5).
Das abdominale Verfahren ist mit tieferen Frühgeburtsraten assoziiert, am ehesten wegen der proximalen Lokalisation der Cerclage im Bezug zum Os internum, sowie der Absenz des vaginalen Fremdkörpers. Das laparoskopische Vorgehen scheint ein besseres perinatales Outcome zu haben, abhängig auch von der Erfahrung der Operateurs. Im Gegensatz dazu gehen die abdominalen Verfahren mit erhöhter mütterlicher Morbidität im Vergleich zu den transvaginalen Techniken einher (8).
Die peri- und postoperative Komplikationsrate einer Cerclage-Einlage beläuft sich generell auf ca. 6% der Fälle. Die häufigsten davon sind die iatrogene Frühgeburt, der vorzeitige Blasensprung, die Chorioamnionitis, die vorzeitige Wehentätigkeit oder selten eine Fistelbildung.
Sekundäre Prävention
Progesteron
Schwangere mit Einlingsgravidität sowie einer verkürzten Zervix unter 25mm und/ohne vorangegangener Frühgeburt profitieren ebenfalls von der Applikation von Progesteron vaginal bis zur 35 0/7 Schwangerschaftswoche (9).
Therapeutische Cerclage
Als sekundäre Präventionsmassnahme ist für Schwangere mit Einlingsgravidität und Status nach Spätabort oder extremer Frühgeburt sowie einer Zervixlänge unter 25mm vor der 24. Schwangerschaftswoche eine therapeutische Cerclage eine Option (10). Dadurch werden die Frühgeburtsrate und folglich die perinatale Morbidität und Mortalität deutlich gesenkt. Vor der Feststellung der Operationsindikation sollte nicht nur eine vorzeitige Wehentätigkeit sondern auch eine vaginale Infektion ausgeschlossen werden.
Pessar
Eine günstige und komplikationsarme therapeutische Methode, welche gemäss mehreren prospektiv randomisierten Studien zu tieferen Frühgeburtsraten bei Zervixinsuffizienz führen kann, ist die Anwendung eines Cerclage-Pessars (11). Durch eine Sakralisierung der Portio (Veränderung der Achse des Zervixkanals zur Achse der Vagina) wird eine Druckentlastung und mechanische Stabilisierung des Gewebes erreicht (Abb. 6).
Verhaltensempfehlungen
Bei asymptomatischen Schwangeren mit Zustand nach Frühgeburt oder sonstigen Risikofaktoren sind per se keine restriktiven Alltagsmassnahmen zu empfehlen. Beim Auftreten einer Zervixinsuffizienz ist die Abstinenz vom Geschlechtsverkehr empfehlenswert. Eine grosse Cochrane Studie hat keine Evidenz für oder gegen eine Bettruhe zur Vermeidung einer Frühgeburt ergeben(12).
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Oberarzt Kantonsspital Graubünden
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Departement Gynäkologie und Geburtshilfe
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7000 Chur
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Die Autoren haben keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel.
◆ Die Zervixinsuffizienz stellt ein häufiges Krankheitsbild im geburtshilflichen Alltag dar und ist mit erhöhter perinataler Morbidität und Mortalität verbunden.
◆ Eine Vielzahl von Risikofaktoren können eine Zervixinsuffizienz verursachen. Eine ausführliche Anamnese präkonzeptionell und/oder am Anfang der Schwangerschaft sollte erhoben werden.
◆ Die Zervixinsuffizienz manifestiert sich typischerweise mit einem symptomarmen klinischen Bild. Eine routinemässige Zervixmessung wird im Rahmen der zweiten Ultraschalluntersuchung zwischen der 20. Und 23. Schwangerschaftswoche empfohlen.
◆ Sowohl konservative als auch operative Methoden stehen als prophylaktische oder therapeutische Massnahmen zur Verfügung.
◆ Aufgrund der widersprüchlichen Resultate in vielen Studien bzgl. einer adäquaten Behandlung der Zervixinsuffizienz sollte jede Schwangere mit entsprechenden Risikofaktoren oder neu aufgetretener Symptomatik in der aktuellen Schwangerschaft unter Berücksichtigung aller Parameter individuell behandelt werden.
1. Vyas NA, Vink JS, Ghidini A, et al. Risk factors for cervical insufficiency after term delivery. Am J Obstet Gynecol 2006; 195:787.
2. Leduc L, Wasserstrum N. Successful treatment with the Smith-Hodge pessary of cervical incompetence due to defective connective tissue in Ehlers-Danlos syndrome. Am J Perinatol 1992; 9:25.
3. Schweizerische Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin, Sektion Gynäkologie und Geburtshilfe(SGUMGG) Empfehlungen zur Ultraschalluntersuchung in der Schwangerschaft 4.Auflage
4. Guzman ER, Mellon C, Vintzileos AM, et al. Longitudinal assessment of endocervical canal length between 15 and 24 weeks’ gestation in women at risk for pregnancy loss or preterm birth. Obstet Gynecol 1998; 92:31.
5. Leppert PC, Yu SY, Keller S, et al. Decreased elastic fibers and desmosine content in incompetent cervix. Am J Obstet Gynecol 1987; 157:1134.
6. Berghella V, MacKeen AD. Cervical length screening with ultrasound-indicated cerclage compared with history-indicated cerclage for prevention of preterm birth: A meta-analysis. Obstet Gynecol 2011; 118: 148– 155
7. Scheib S, Visintine JF, Miroshnichenko G, et al. Is cerclage height associated with the incidence of preterm birth in women with an ultrasound-indicated cerclage? Am J Obstet Gynecol 2009; 200:e12.
8. Vissers J, van Kesteren PJ, Bekedam DJ. Laparoscopic abdominal cerclage during pregnancy: Report on two cases using a McCartney tube. J Obstet Gynaecol 2017; 37:383.
9. Romero R, Nicolaides KH, Conde-Agudelo A et al. Vaginal progesterone decreases preterm birth </= 34 weeks of gestation in women with a singleton pregnancy and a short cervix: an updated meta-analysis including data from the OPPTIMUM study. Ultrasound Obstet Gynecol 2016; 48: 308–317
10. Ehsanipoor RM, Seligman NS, Saccone G, et al. Physical Examination-Indicated Cerclage: A Systematic Review and Meta-analysis. Obstet Gynecol 2015; 126:125.
11. GoyaM,Pratcorona L,MercedCetal.Cervical pessary in pregnant women with a short cervix (PECEP): an open-label randomised controlled trial. Lancet 2012; 379: 1800–1806
12. Claudio G Sosa, Fernando Althabe, José M Belizán, Eduardo Bergel Bettruhe bei Einlingsschwangerschaften zur Vermeidung einer Frühgeburt, Cochrane Library, 30 March 2015
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- Vol. 11
- Ausgabe 3
- Juni 2021