- Das Cholesterin-Conundrum
Für Menschen über 85 Jahre scheint der Effekt der LDL-Cholesterinsenkung indessen nicht mehr gültig zu sein. Dies wurde in zwei gross angelegten Studien nachgewiesen (2, 3). Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall, wie niederländische Forscher berichten (2), die in der Rotterdam-Studie mit 5750 Teilnehmern den Zusammenhang zwischen dem Cholesterinspiegel und dessen Unterfraktionen und der kardiovaskulären Mortalität untersuchten. Eine Regressionsanalyse der Gesamtbevölkerung und der verschiedenen Altersgruppen 55-64, 65-74, 75-84 und > 85 Jahre zeigte nach Adjustierung für Alter und Geschlecht, dass jede Erhöhung des Gesamtcholesterins um 1 mmol/l mit einer Reduktion des Risikos für nicht-kardiovaskuläre Mortalität um etwa 12% verbunden war (HR 0,88; p<0,001). Die Assoziation blieb über das Alter von 65 Jahren hinaus signifikant und nahm für jedes weitere Jahrzehnt signifikant zu. Diese Assoziation war grösstenteils auf Nicht-HDL-Cholesterin zurückzuführen und könnte auch teilweise mit der Krebsmortalität in Verbindung gebracht werden. Im Gegensatz dazu war das HDL-Cholesterin nicht signifikant mit der nicht-kardiovaskulären Mortalität korreliert.
Eine Meta-Analyse von 12 Publikationen mit insgesamt 13622 Teilnehmern zeigte in den verschiedenen Studien unterschiedliche Assoziationen zwischen Gesamtmortalität und Cholesterinspiegel (3). Die Assoziation wird hauptsächlich als J-Kurve beschrieben, wobei niedrige Cholesterinwerte mit der höchsten Gesamtsterblichkeit bei über 80-Jährigen assoziiert sind. Andere Studien haben eine U-förmige Beziehung gezeigt, wobei hohe Cholesterinwerte mit einem erhöhten Sterberisiko verbunden sind. Die meisten Studien zeigten, dass die niedrigste Sterblichkeit mit einem Gesamtcholesterinspiegel von etwa 6 mmol/l zusammenfiel.
In einer weiteren Studie (4), die sich auf die Messung des Cholesterinspiegels im Blut von 70-85-jährigen Einwohnern der Stadt Leiden stützte, wurde festgestellt, dass Menschen mit hohem Cholesterinspiegel eine niedrigere Sterblichkeitsrate hatten. Dies ist wahrscheinlich auf eine schützende Wirkung des Cholesterins gegen Infektionskrankheiten zurückzuführen. Bei über 85-jährigen Personen sind hohe Cholesterinwerte mit Langlebigkeit assoziiert, d.h. einer geringen Mortalität bei Krebs- und Infektions-Erkrankungen.
Eine neue wichtige Evidenz zugunsten einer Cholesterintherapie liefert eine prospektive, aktuelle dänische Kohortenstudie (5). Gemäss dieser war der Risikoanstieg für einen Myokardinfarkt und andere atherosklerotische kardiovaskuläre Ereignisse pro 1000 Personen-Jahre pro 1 mmol/l LDL-C-Erhöhung bei Patienten zwischen 70 und 100 Jahren am höchsten. Der Nutzen einer moderaten Statintherapie war mit einer NNT von 5 in dieser Altersgruppe besonders hoch. Allerdings handelte es sich bei dieser Studie um eine Kohortenstudie mit entsprechenden Möglichkeiten für Confounding. Die Annahme, dass auch ältere Patienten in der Primärprävention von einer LDL-Cholesterinsenkung profitieren, ist indessen zumindest plausibel, da alle Altersgruppen konsistente Ergebnisse zeigten.
Die Problematik des Lipid-Screenings und der Statintherapie bei über 80-Jährigen bleibt ein kontroverses Thema. Während in der Sekundärprävention eine Therapie zweifelsohne empfohlen ist, richtet sich die Primärprävention nach der Lebenserwartung des Patienten und der Beurteilung durch den behandelnden Arzt. Eine installierte Statintherapie sollte aber, wenn nicht zwingende Gründe vorhanden sind, niemals abgebrochen werden (6-8).
Prof. Dr. Dr. h.c. Walter F. Riesen
riesen@medinfo-verlag.ch
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1. Ference BA et al. Effect of long-term exposure to lower low-density lipoprotein cholesterol beginning early in life on the risk of coronary heart disease: a Medelian randomization analysis. JACC 2012;60: 2631-2639
2. Newson RS et al. Association between serum cholesterol and noncardiovascular mortality in older age. J Am Geriatr Soc. 2011; 59: 1779-1785
3. Petersen LK et al. Lipid-lowering treatment to the end? A review of observational studies and RCTs on cholesterol and mortality in 80+ -year olds . Age and Ageing 2010 ; 39, 674–680
4. Weverling-Rjinsburger A et al. High-density vs. Low-density lipoprotein cholesterol as the risk factor for coronary artery disease and stroke in old age. Arch Intern Med 2003 ;163 :1549-1554
5. Mortensen MB, Nordestgaard BG. Elevated LDL cholesterol and increased risk of myocardial infarction and atherosclerotic cardiovascular disease in individuals aged 70-100 years: a contemporary primary prevention cohort. Lancet 2020;396(10263):1644–52
6. Gomez Sandoval YH et al. Statin discontinuation in high-risk patients : a systematic review of evidence. Curr Pharm Des 2011 ; 33 :3669-3689
7. Daskalopoulou SS et al. Discontinuation of statin therapy following an acute myocardial infarction: a population-based study.Eur Heart J. 2008;29:2083-91
8. Giral P et al. Cardiovascular effect of discontinuing statins for primary prevention at the age of 75 years : a nationwide population-based cohort study in France. Eur Heart J 2019 ;40 :3516-1525
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- Vol. 11
- Ausgabe 5
- September 2021