Fortbildung

Kardiovaskuläres Restrisiko durch Lärm

«Prevention is better than cure» – eine Aussage die der Renaissance Humanist Desiderius Erasmus von Rotterdam (1469-1536) anscheinend erstmalig in seinem Buch «Encomium artis medicae» (Lob der Gesundheit) verwendete. Das Konzept von Erasmus hätte bei vielen Erkrankungen seine Gültigkeit: die konsequente Umsetzung könnte ca. 80% der kardiovaskulären Erkrankungen und ca. 40% der Krebserkrankung verhindern (1). Die moderne Gesellschaft spricht gerne über Prävention, vergisst dabei aber, dass Prävention nicht «konsumiert» werden kann, sondern diese muss von allen Beteiligten (nicht nur durch Patienten) konsequent umgesetzt werden. Das ist – wie wir alle wissen – anstrengend und schwierig. Ebenso wird vergessen, dass Präventionsmassnahmen nicht nur Lebensstil-Massnahmen beinhalten, sondern auch Umweltfaktoren, denen wir alle (meist ungewollt) ausgesetzt sind. Hierzu gehören nicht nur die Luftverschmutzung, sondern auch exzessive Lärm-Exposition. In diesem Beitrag soll die Bedeutung von Lärm als Risikofaktor für verschiedenste chronische Erkrankungen in Erinnerung gerufen werden.



“Prevention is better than cure” – a statement that the Renaissance humanist Desiderius Erasmus of Rotterdam (1469-1536) apparently first used in his book “Encomium artis medicae” (In Praise of Health). Erasmus’ concept would be valid for many diseases: consistent implementation could prevent about 80% of cardiovascular disease and about 40% of cancer (1). Modern society likes to talk about prevention, but forgets that prevention cannot be “consumed”, but must be consistently implemented by all those involved (not only by patients). This is – as we all know – exhausting and difficult. It is also forgotten that prevention measures do not only include lifestyle measures, but also environmental factors to which we are all (mostly unintentionally) exposed. These include not only air pollution, but also excessive noise exposure. This paper aims to recall the importance of noise as a risk factor for various chronic diseases.
Key Words: prevention, cardiovascular risk, noise exposure, chronic diseases

Einleitung

Trotz aller medizinischer Fortschritte hat sich in den letzten Jahren eine Abflachung der rückläufigen Trends der kardiovaskulären Mortalität eingestellt: so betrug z.B. in den USA der geschätzte Abfall der kardiovaskulären Mortalität bei prämenopausalen Frauen (35-54 Jahre) zwischen 1980-1989 ca. -5.4%, zwischen 1989-2000 -1.2%, um dann zwischen 2000-2002 erneut um 1.5% anzusteigen (2). Bei Männern in derselben Alterskategorie zeigte sich ebenfalls ein kontinuierliches Abflachen des Abfalls der kardiovaskulären Mortalität von -6.2% (1980-1989), -2.3% (1989-2000) und dann -0.5% (2000-2002) (2). Als Antwort auf diese unerfreulichen Trends rückt zunehmend das «Restrisiko» Konzept ins Zentrum des Interesses (3). Zentrale Komponenten des Restrisikos sind z.B. Inflammation, das Lipoprotein (Lp(a) oder HDL- Efflux Muster, verschiedene metabolische Risiken, Plättchenfunktion und viele andere mehr. Zur Kontrolle dieses Restrisikos werden neue Pharmaka entwickelt, welche (zumindest aus der Sicht der Physiologie) faszinierend erscheinen. Das Konzept der Kontrolle des Restrisikos ist sinnvoll und vielversprechend, sofern beachtet wird, dass 1) eine pharmakologische Restrisiko-Therapie die nachhaltige optimale Umsetzung der bekannten präventiven Lifestyle Massnahmen voraussetzt (4) und 2) ein grosser Anteil des Restrisikos durch (modifizierbare) Umweltfaktoren bedingt ist (5-8). Hierzu gehört die chronische (exzessive) Lärmexposition.

Lärm als kardiovaskulärer Risikofaktor

Jeder von uns kennt Lärm und akzeptiert Lärm, oft als Folge von kognitiver Gewöhnung, und weil es schlichtweg kaum eine Möglichkeit gibt, dem Lärm zu entkommen. Gemäss dem Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache (https://www.dwds.de/wb/Lärm) bezeichnet das Wort «der Lärm» ein «lautes Geräusch, grosses Aufsehen» und ist aus dem Wort «Alarm» hervorgegangen, das seinen Ursprung im italienischen Weck- und Waffenruf «all’arme» (d.h. zu den Waffen) hat. Das Wort «Alarm» umschreibt den «Zustand der Gefahr». Die Etymologie des Wortes «Lärm» und «Alarm» spricht für sich und deutet auf die physiologischen Konsequenzen von Lärm hin: Lärm versetzt den Körper in Alarm-Bereitschaft (9). Eine akute Alarmreaktion ist oftmals lebensrettend und stellt eine Anpassungsreaktion an eine Gefahrensituation dar (z.B. während dem Überqueren des Fussgängersteifens und Übersehen eines sich nähernden Fahrzeugs). Der Sprung auf den Bürgersteig garantiert das weitere Überleben. Durch eine lange andauernde Alarmreaktion mit Ausschüttung der Nebennierenhormonen (wie dies u.a. auch bei chronischer Lärmexposition auftritt), die aber ihre Wirkung nicht ausüben können (d.h. der Sprung auf den Bürgersteig bleibt aus), kommt es unweigerlich zur Krankheit. Dieses Konzept geht auf den Begründer des Stresskonzeptes Hans Selye (10) zurück und hat gerade auch für Lärm vollumfängliche Gültigkeit. So sind die zerebralen Effekte und Verarbeitungswege der Lärmwahrnehmung und deren direkte Kopplung mit der Nebenniere, Auge und Motorik seit langem bekannt (11, 12).
In Analogie zum Ursprung des Wortes Alarm, konnte in einer prospektiven Studie bei gesunden Erwachsenen durch Messung der metabolischen Aktivität mit 18F-FDG-PET/CT Bildgebung gezeigt werden, dass chronische Lärmexposition zu einer Aktivierung des Mandelkerns (Amygdala) führt (13). Die Amygdala ist eine zentrale Struktur des limbischen Systems, welche unter anderem in engem Zusammenspiel mit dem Hypothalamus emotionale Inhalte und Reaktionen (inklusive Stress) registriert, verarbeitet und die Stressantwort induziert. In der Arbeit von Osborne et al. wird postuliert, dass die Lärm (-Stress) assoziierte Amygdala-Aktivierung mit daraus resultierender Sympathikus- sowie Aktivierung der hypothalamischen Achse verschiedene Risikofaktoren (z.B. systemische Inflammation, metabolische Risiken, Verhaltensweisen etc.) induziert und/oder verstärkt, die schlussendlich in einem kardiovaskulären Ereignis resultieren. In dieser Studie war ein 5 db Anstieg der durchschnittlichen 24-Stunden-Lärmexposition mit einem 34%igen Anstieg der kardiovaskulären Morbidität (Herzinfarkt, Apoplexie und andere Herzerkrankungen) verbunden. Als Vergleich sei hier erwähnt, dass das normale Geräusch infolge der Atmung ca. 10 db entspricht. In diesem Zusammenhang muss erwähnt werden, dass die Amygdala nicht nur die Stressantwort auf einen Stressor auslöst, sondern dass die Amygdala parallel dazu Gedächtnisregelkreise im Hypothalamus aktiviert, damit man sich an den Stressauslöser gut erinnern kann, um diesen inskünftig konsequent zu vermeiden (14). Beim nächsten Überqueren der Strasse schaut man aufmerksamer, wartet oder läuft schneller. Bei der vielerorts mittlerweile konstanten Lärmexposition gibt es jedoch kaum kein Entkommen – auch nicht durch schnelles weglaufen. Wohin sollte man auch gehen?

Die Assoziation zwischen Lärm und erhöhter kardiovaskulärer Morbidität und Mortalität wurde in vielen Studien beschrieben. Trotz der Bedeutung der Thematik sind viele Studien qualitativ bezüglich diverser methodologischer Aspekte schlecht gemacht worden (15). In einer vor kurzem publizieren Umbrella Review von Chen et al. zum Thema Lärm und Gesundheit (31 verschiedene Endpunkte wurden untersucht) bewirkte eine Lärmexposition eine Erhöhung des kardiovaskulären Risikos und kardiovaskulärem Mortalität um 34% respektive 12%; oder führte in 58-72% der Studien zu einer Blut-druckerhöhung (15). Zudem zeigte sich eine Erhöhung des Risikos für Diabetes mellitus (pro 5 dB um 5-7%), ischämische Herzerkrankung, Schlaganfall Mortalität, Angststörungen und Depression. Das Risiko für die verschiedenen Endpunkte korrelierte mit dem Ausmass der Lärmexposition. Wie auch in anderen Studien konnte diese Umbrella Review für Eisenbahnlärm keine negativen gesundheitlichen Folgen finden.
Trotz der teils schlechten Qualität vieler Studien (15), sind die Resultate in Einklang mit dem Stresskonzept und der «physiologischen» Stressantwort (siehe oben) und konnten auch in Tiermodellen unter kontrollieren Bedingungen bestätigt werden. Lärm (dB) ist nicht gleich Lärm: Komplizierend ist der Umstand, dass Strassenlärm, Zuglärm oder Fluglärm unterschiedliche Charakteristika aufweisen, und es in unserer Umgebung viele andere Lärmquellen gibt (z.B. vom Computer Ventilator, Klimaanlagen, Windturbinen u.a.), zudem findet sich oft eine Kombination von verschiedenen Lärmursachen (z.B. Strassen- und Eisenbahnlärm gleichzeitig). Soweit bekannt, kommt es dadurch zu einer Potenzierung der schädlichen Effekte bezüglich des kardiovaskulären Risikos und im Besonderen auch für die Ausbildung des metabolischen Syndroms (15).

Die physiologische Antwort auf Lärm hängt unter anderem von diversen Charakteristika des Lärms respektive der Lärmquelle ab, aber auch von der Lärmsensitivität einer Person (16, 17). Zudem ist der Zeitpunkt der Lärmexposition relevant (z.B. Tag vs Nacht, Zeitpunkt in der Nacht), was aufgrund der Effekte von Lärm auf die Schlafqualität nicht überrascht (18).

Ein anderes Beispiel unterstreicht das pathophysiologische Potential von Lärm auf unser Verhalten und Gesundheit: während einer Mahlzeit sollten wir uns auf das Essen konzentrieren und nicht «automatisch Essen» (was u.a. als Risikofaktor für Übergewicht gilt). Verschiedene Studien zeigten, dass eine Lärmexposition während einer Mahlzeit (z.B. infolge dem üblichen «Kantinen-/Restaurantlärm oder auch durch Hintergrund-Musik, die in der Regel als Belästigung und ungewollter Lärm wahrgenommen wird) das Essverhalten und auch das Belohnungssystem des Gehirns moduliert, um nicht zu sagen «überrumpelt». So zeigten Peng-Li et al. (19) in Einklang mit anderen Studien, dass Restaurantlärm den unterschiedlichen Stimulus auf das Belohnungssystem infolge des Konsums gesunder oder ungesunder Nahrungsmittel vermindert. Zudem erfolgte bei Lärmexposition die Menüwahl schneller (in dieser Studie unabhängig davon, ob es sich um ein gesundes oder ungesundes Menü handelte). Diese Beispiele zeigen, wie wir durch Lärm (dazu gehört der übliche «Restaurantlärm» oder auch z.B. die Hintergrundmusik Berieselung in Restaurants) unser Krankheitsrisiko erhöhen oder vermindern können. Im oben erwähnten Beispiel führt die geringere «Belohnung» zu Überkonsum.

Diese wenigen Beispiele zeigen die Bedeutung von Lärmquellen im Alltag, die früher oder später durch verschiedenste Mechanismen zu Krankheit führen. Die Konsumentenforschung ist sich dieser Phänomene bewusst und nutzt diese Mechanismen zur Manipulation des Essverhaltens (Nahrungsmittel Wahl, Perzeption, Belohnung etc.) mit dem Ziel der Steigerung des Profits – leider meist auf Kosten der Gesundheit der Konsumenten. In einer stillen Umgebung werden mehr gesunde Nahrungsmittel gekauft und konsumiert (20) – schön zu wissen, doch wo kann man noch in Ruhe einkaufen oder essen? In Ruhe Mittagessen ist mittlerweile beinahe ein Ding der Unmöglichkeit und ist wohl ein Luxus, den sich nur noch wenige leisten können. Trotz vieler offener Fragen ist die Evidenzlage für die Bedeutung der Lärmexposition in der Pathogenese verschiedenster Erkrankungen, im Besonderen des Bluthochdrucks oder kardiovaskulärer Erkrankungen als gut zu taxieren. Handlungsbedarf zur Reduktion des Restrisikos wäre angebracht.
Die akuten Blutdruckeffekte von akuter Lärmexposition sind ebenfalls durch eine Aktivierung der Stressachse mit erhöhtem Adrenalin und Kortisol und Stimulierung des sympathischen Nervensystems und dem daraus resultierenden Ungleichgewicht des autonomen Nervensystems bedingt. Zudem bewirkt Lärm eine Zunahme der Inflammation, von oxidativem Stress, endothelialer Dysfunktion, zirkulierenden Cytokinen und anderen biochemischen Mediatoren, und last but not least auch die Folgen der Störungen der zirkadianen Rhythmik infolge von Schlafstörungen (21); alles Mechanismen die in der Pathogenese verschiedenster Erkrankungen von Bedeutung sind und die seit langem bekannt sind. Die chronische und repetitive Lärmexposition bewirkt dieselben Effekte und führt zu einem chronischen Anstieg des Blutdrucks bis in den hypertensiven Bereich. Nicht selten ist der Lärm auch für eine therapieresistente Hypertonie mitverantwortlich (22). Die höhere Prävalenz und Inzidenz von Hypertonie für Industriearbeiter bei chronischer Lärmbelastung am Arbeitsplatz ist seit langem bekannt. Unterschiede bezüglich der Lärmeffekte (sowie kritische Lärmpegel) in der Pathogenese der Hypertonie sind meist durch methodologische Aspekte der Studien erklärbar.

Die Schweiz wird fälschlicherweise oft als «ruhiges» Alpenland beschrieben, was in einer vor kurzem publizierten prospektiven Studie (Beobachtungszeit 15 Jahre) über die Assoziation von Lärmexposition und kardiovaskulärer Mortalität in der Schweiz widerlegt ist (23). In dieser Studie betrug die Hazard Ratio (HR, 95%-CI) per 10 dB (unter Verwendung eines für den Abend und Nacht gewichteten Lärm-Mittelwertes, dB Lden) 1.029 (1.024–1.034) für Strassen-, 1.013 (1.010–1.017) für Eisenbahn- und 1.003 (0.996–1.010) für Flugzeuglärm und der kardiovaskulären Mortalität. Die entsprechende Hazard Ratio für die Myokardinfarkt Mortalität der verschiedenen Lärmquellen betrug 1.043 (1.029–1.058), 1.020 (1.010–1.030) und 1.040 (1.020–1.060). Die Beziehung zwischen der Lärmexposition und den Endpunkten war mehrheitlich linear und war bei Männern ausgeprägter als bei Frauen (23). Auch in dieser Studie zeigte sich ein Anstieg des kardiovaskulären Risikos bereits bei einem Lärmpegel, der deutlich unterhalb des aktuellen WHO Richtwertes von 52 dB(A) liegt (i.e. bereits bei 30-35 dB(A)1) . Die in dieser und anderen Studien verwendete Gewichtung der Lärmexposition am Abend und in der Nacht ist wichtig, da nach einem Arbeitstag (mit in der Regel höherer Lärmexposition) zumindest am Abend und in der Nacht eine minimale Lärmexposition und Ruhe erwünscht wäre. Letzteres ist leider nicht mehr überall gewährleistet, sodass ein grosser Anteil der Bevölkerung auch am Abend und in der Nacht ein nicht zu unterschätzendes Restrisiko durch Lärm hat – oftmals auch selbstinduziert.

«Lärmleider aller Länder, vereinigt Euch»

Im Jahre 1960 hielt die Internationale Vereinigung gegen den Lärm (International Association Against Noise (AICB)) ihren ersten Kongress in Zürich (sic!) ab (im Jahre 2002 wurde die AICB wieder aufgelöst). Im Eröffnungsvortrag soll Helmut Hillman, einer der Gründungsväter und Initianten, den Teilnehmern «Lärmleider aller Länder, vereinigt Euch» zugerufen haben (24). Gemäss dem Bundesamt für Umwelt sind in der Schweiz am Tag jede siebte und in der Nacht jede achte Person von schädlichem oder lästigem Strassenverkehrslärm betroffen (Schätzungen aus dem Jahre 2015) (25). Somit gibt es in der Schweiz weit mehr als 1 Million Lärmleider.

Die Geschichte der Lärmleider hat ihre Anfänge in einer Mesopotamischen Schrift aus dem zweiten Jahrtausend vor Christus, in der bereits die Bedeutung von Lärm für Schlafstörungen erwähnt wird (26). In Einklang mit letzterer Schrift hat auch das Bundesamt für Umwelt (BAFU) Lärm Belastungsgrenzwerte für die wichtigsten Lärmarten definiert, damit die verbleibenden Immissionen die Anwohner in ihrem Wohlbefinden «nicht erheblich stören» sollen (27). Wie «nicht erheblich stören» definiert wird, ist dem Autor nicht bekannt, hängt aber unter anderem von der Lärm Sensitivität einer Person ab. Gemäss der WHO sollte für einen gesunden und tiefen Schlaf der nächtliche Geräuschpegel im Schlafzimmer < 30 dB(A) sein (diese Werte liegen tiefer als die in der Schweiz definierten Belastungsgrenzwerte). Die pathophysiologischen Effekte einer Lärm Exposition und deren Krankheitspotential sind seit Tausenden von Jahren bekannt und auch in prospektiven Studien (z.B. (28-30)) nachgewiesen und Lärm scheint eine kausale (Mit-) Ursache in der Pathogenese dieser Erkrankungen zu sein.

Lärmkontrolle beginnt bei sich selber

Die Lärmeindämmung und Lärmkontrolle beginnt bei sich selber: das Vermeiden von chronischer Lärm Exposition durch Kopfhörer, Regulierung der Lautstärke von Musikquellen, Verwendung von Hörschutz etc. sind sinnvoll und sollten bewusst umgesetzt werden. Beim Vorliegen von Erkrankungen (z.B. Hypertonie oder Status nach Myokardinfarkt) stellt Lärm ein wichtiger prognostischer Faktor mit hohem Risikopotential dar. So wurde in einer neueren Studie gezeigt, dass Flugzeuglärm Exposition bei Patienten nach einem Myokardinfarkt die Inflammation fördert, zu einem höheren CRP führe und auch die linksventrikuläre Auswurffraktion (LVEF) und Prognose verschlechterte (31). Die Reaktionsmuster wurden auch in einem Infarkt-Mausmodell nachgewiesen. Diese Arbeit unterstreicht, dass die Kontrolle des Restrisiko Umweltfaktoren mitberücksichtigen muss – das Restrisiko auf das Post-Infarkt Outcome durch Luftverschmutzung ist seit längerem bekannt (30).

Voraussetzung zur Optimierung der Lärmexposition im Sinne einer relevanten Reduktion ist die Kenntnis seiner eigenen Lärmexposition. «Know your number» hat auch hier seine Gültigkeit. Hierzu sei einerseits auf die online verfügbaren Lärmkarten und – Geodaten verwiesen (https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/laerm/zustand/karten.html). Viele Kantone und Gemeinden haben Lärmkataster, die online verfügbar sind. Eine Liste der verfügbaren Lärmkataster findet sich auf der Website http://www.laerm.ch.

Zur Erfassung der individuelle Lärmexposition stehen Hunderte von Lärm-Mess-Apps für Mobiltelefone zur Verfügung, die meist nur unzuverlässig messen und entsprechend nicht verwendet werden sollten. Vor einigen Jahren hat die EMPA eine Auswahl von Apps geprüft (Prüfbericht bei www.Lärm.ch verfügbar). Bei kritischer Betrachtung kann eigentlich keine App für zuverlässige Lärmmessungen empfohlen werden, zumal die Mobile Telefone nicht für Schallmessungen entwickelt wurden und die meisten Apps nicht kalibriert werden können. Zudem ändert sich die Technologie (inkl. verschiedenster elektronischer Komponenten oder des Mikrophons) und das Betriebssystem dauernd, sodass eine repetitive Kalibrierung notwendig wäre und frühere Testberichte nicht auf neue Mobiltelephone übertragbar sind. Bei den meisten Geräten ist zudem gar keine Kalibrierung möglich, sodass die Mikrophon-Eigenschaften gar nicht angepasst werden können. Das Studium dieser Testberichte kann man sich gleich ersparen. Der Begriff «Smartphone» täuscht einmal mehr – praktisch alle Smartphone sind für korrekte Schallmessungen schlichtweg nicht genügend «smart».

Die Ausnahme bestätigt die Regel: Aufgrund des hohen pathophysiologischen Potentials von Lärm hat eine Abteilung des amerikanischen CDC eine zuverlässig messende App entwickelt, die allerdings nur für Apple Geräte verfügbar ist und für jedes neue iPhone Modell kalibriert und angepasst wird und auch auf einem älteren iPhone kontrolliert und kalibriert werden kann. Diese «NIOSH Sound Level Meter App” ist vom Centers of Disease Control and Prevention (CDC) kostenlos erhältlich (https://www.cdc.gov/niosh/topics/noise/app.html). Alle Apps haben Limitationen doch bei der NIOSH App handelt sich um eine Mess App, die nicht für kommerzielle Zwecke entwickelt wurde, um ein einfaches, kostenloses, validiertes/kalibrierbares und zuverlässiges Tool zur Lärmmessung am Arbeitsplatz zur zuverlässigen Prävention von Gehörschäden zur Verfügung zu stellen. Die App ist kalibrierbar und wird für jedes neue iPhone kalibriert und bei Bedarf angepasst. Die App kann mit dem internen und auch einem externen Mikrophon kalibriert werden. Die Messgenauigkeit ist ±2 dB, weitere technische Einzelheiten sind auf der CDC-Webseite verfügbar.

Die regelmässige Messung der Lärmexposition (daheim, in ihrer Praxis und unterwegs) sei allen LesernInnen empfohlen, um zu realisieren, dass wir in einer extrem lärmigen Umgebung leben (müssen). Die Messungen werden u.a. zeigen, dass ein Teil der Lärmexposition durch uns selber verursacht wird und Potential zur nachhaltigen Reduktion birgt.

Eine kurze Messung der Lärmexposition (z.B. Einfahrt eines Zuges im HB Zürich) ist interessant und kann informativ sein. Sinnvoller ist jedoch die Messung über einen längeren Zeitraum (z.B. 15 Minuten) und mehrmalig (an verschiedenen Tagen an demselben Ort) durchzuführen, um dann einen Durchschnittswert (LAeq) der Lärmexposition von mehreren 15-minütigen Messintervallen zu erhalten. Durch repetitive Messungen an verschiedenen Tagen wird das Resultat repräsentativer. Ebenso kann man die App einfach mal über die ganze Nacht daheim oder am Tag während der Arbeit im Sprechzimmer messen lassen. Die Interpretation der Resultate ist nicht immer einfach und Grundkenntnisse der Akustik sowie Kenntnis der Literatur sind hilfreich, um eine Lärmexposition auch als potentiell gesundheitsschädigend erkennen zu können. Die von der WHO empfohlenen Richtwerte sind hilfreich: Gemäss der WHO sollte die nächtliche Lärmexposition < 30 dB(A) betragen; eine Strassen Lärmexposition > 53 dB(A) birgt gesundheitliche Risiken.

Die Grenzwerte der WHO und anderer Organisationen werden immer wieder als zu tief kritisiert, zumal zu tiefe Grenzwerte für die Wirtschaft kontraproduktiv sind. Diese Kritik ist unangebracht, da es im aktuellen Zusammenhang um Fragen der Gesundheit geht. Eine regelmässige Lärmexpositionsmessung (auch wenn es scheinbar ruhig ist), wird bestätigen, dass tiefere Grenzwerte wohltuend und wünschenswert sind, um das Restrisiko «nicht-pharmakologisch» zu reduzieren.

Das Hinterfragen von Theorie und Praxis und die Verwendung von wissenschaftlich erhobenen Daten war ein Charakteristikum der Renaissance Medizin. Auch unser «Schweizer» Arztkollege Theophrastus Bombastus von Hohenheim, bekannt unter dem Namen Paracelsus lebte und wirkte zur gleichen Zeit wie Erasmus von Rotterdam und die beiden hatten auch Kontakt. Auch Paracelsus unterstrich die Bedeutung der Prävention und der gesunden Lebensführung. Sein Prinzip, dass «allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift sei» gilt gerade auch für die Lärmexposition. Der neue Luxus ist Ruhe.

1  Wie bekannt wird Lärm mit dem Schalldruckpegel Dezibel (dB) umschrieben. Dezibel ist eine physikalisch technische Messgrösse und beschreibt die Stärke von einem Schallereignis (unabhängig von der menschlichen Empfindung der Lautheit (i.e. Lautstärke)). Für den sogenannten bewerteten Schalldruckpegel db(A) wird auch das Frequenzspektrum des Schallereignisses einbezogen und bezieht sich auf die Wahrnehmung wie laut ein Schallphänomen durch den Menschen empfunden wird.

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Prof. Dr. med. Paolo M. Suter

Klinik und Poliklinik für Innere Medizin
Universitätsspital Zürich
Rämistrasse 100
8044 Zürich

paolo.suter@usz.ch

Es bestehen keine Interessenkonflikte.

◆ Die Senkung von LDL-C und apoB ist entscheidend für den klinischen Nutzen. Es besteht eine klare lineare Beziehung zwischen der Senkung der atherosklerotischen Lipoproteine und der Verringerung des kardiovaskulären Risikos: je niedriger, desto besser, je früher, desto besser
◆ Der Einsatz von Kombinationstherapien, die auf verschiedene Wirkmechanismen abzielen, kann die Wirksamkeit der Behandlung erhöhen und die Nebenwirkungen der einzelnen Medikamente minimieren.
◆ Bei Patienten, die Statine nicht vertragen, sollte der Einsatz von Ezetimibe, Bempedosäure und PCSK9-Inhibitoren empfohlen werden.
◆ Familiäre Hypercholesterinämie ist ein sehr wichtiger Risikofaktor, der immer noch unterdiagnostiziert wird.

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