- Plättchenhemmer – was, wann, wie lange?
Plättchenhemmer stellen einen zentralen Baustein in der Behandlung kardiovaskulärer Erkrankungen dar. Während sie aus der Primärprävention in den letzten Jahren praktisch verschwunden sind, hat ihre Anwendung und die Vielfalt an unterschiedlichen Schemata in der Sekundärprävention deutlich zugenommen. Dies liegt nicht zuletzt an der Einführung neuerer P2Y12-Antagonisten und neuen Daten zu Patienten unter Antikoagulation. Dieser Artikel bietet einen Überblick über die aktuellen Leitlinien und Studienlage.
Les antiplaquettaires sont un élément central dans le traitement des maladies cardiovasculaires. Si elles ont pratiquement disparu de la prévention primaire ces dernières années, leur utilisation et la variété des différents dispositifs de prévention secondaire ont considérablement augmenté. Cela est notamment dû à l’introduction de nouveaux antagonistes du P2Y12 et à de nouvelles données sur les patients sous anticoagulation. Cet article donne un aperçu des orientations actuelles et de la situation des études.
Thrombozytenaggregationshemmer (kurz Plättchenhemmer) sind seit fast 40 Jahren in der Behandlung von kardiovaskulären Erkrankungen im Einsatz. Wichtigste Vertreter sind Acetylsalicylsäure (Aspirin) sowie die P2Y12-Antagonisten Clopidogrel, Prasugrel und Ticagrelor. Hierzulande kaum eingesetzt werden Thrombinrezeptor-Antagonisten, Dipyridamol oder Cilostazol. Im letzten Jahr haben sich dank neuer Evidenz einige geänderte Leitlinienempfehlungen ergeben, welche in diesem Artikel kurz zusammengefasst werden (Tab. 1 und 2).
Primärprävention
Der Stellenwert von Plättchenhemmern in der Primärprävention ist in den letzten Jahren stetig gesunken. Grund hierfür waren enttäuschende Ergebnisse mehrerer Primärpräventionsstudien mit Aspirin (zuletzt ASCEND, ARRRIVE und ASPREE (1-3)). Wichtigstes Hemmnis ist das erhöhte Risiko gastrointestinaler Blutungen bei nur marginalem Benefit für ischämische Endpunkte (4). Aus diesem Grund rät die europäische Gesellschaft für Kardiologie in Ihrer Präventionsleitlinie von einer Plättchenhemmung bei Patienten ohne bekannte kardiovaskuläre Erkrankung ab (Klasse III, Evidenzniveau B) (5). Eine eventuelle Ausnahme sind Patienten mit Diabetes mellitus mit hohem bis sehr hohem kardiovaskulären Risiko, bei denen eine primärprophylaktische Gabe gemäss der aktuellen europäischen Diabetesleitlinie erwogen werden kann (Details siehe Tab. 1) (6). In Zukunft bleibt allenfalls zu klären, ob eine gewichtsadaptierte Dosis von Aspirin (7), eine gemeinsame Gabe mit Protonenpumpenhemmern (PPI) oder eine noch selektivere Indikationsstellung ein besseres Nutzenrisikoprofil aufweisen könnte. Die Serie der oben erwähnten negativen Studien macht dies jedoch eher unwahrscheinlich.
Sekundärprävention
Koronare Herzkrankheit
Im Gegensatz zur Primärprävention ist der Benefit einer langfristigen Plättchenhemmung nach Herzinfarkt oder koronarer Intervention klar und unbestritten. Allgemein wird eine dauerhafte Therapie mit Aspirin empfohlen, ergänzt mit einer zeitlich begrenzten Therapie mit einem P2Y12-Antagonisten nach akutem Koronarsyndrom und/oder Koronarinterventionen (auch bekannt als duale Plättchenhemmung, DAPT). Nach elektivem Stenting wird Aspirin als Dauertherapie und Clopidogrel für 6 Monate empfohlen (8). Nach Stenting im Rahmen eines akuten Koronarsyndroms besteht der Standard aus Aspirin als Dauertherapie und Ticagrelor oder Prasugrel für 12 Monate. Clopidogrel wird im Akutsetting nur noch empfohlen bei Kontraindikationen oder fehlender Verfügbarkeit von Ticagrelor und Prasugrel oder wenn eine Antikoagulation nötig ist (siehe unten). Eine längerfristige DAPT über 12 Monate hinaus kann gemäss aktueller Leitlinien bei höherem ischämischem Risiko erwogen werden. Hier sollte jedoch das erhöhte Blutungsrisiko gut gegenüber dem recht geringen Benefit auf die Mortalität abgewogen werden (9).
In den letzten Jahren zeichnet sich ein klarer Trend zu einer kürzeren DAPT-Dauer ab, u.a. bedingt durch bessere Stentdesigns, welche ein geringeres Risiko für Stentthrombosen aufweisen. Gemäss Leitlinien kann die DAPT bei hohem Blutungsrisiko nach individueller Abwägung im elektiven Setting gar bis auf 1 Monat und im Akutsetting bis auf 6 Monate verkürzt werden (10). Individuelle Faktoren wie die Koronar- und Stentanatomie sollten jedoch in die Entscheidungsfindung einbezogen werden.
Neuere Studien wie GLOBAL LEADERS, TWILIGHT und TICO untersuchten eine kürzere DAPT mit Aspirin und Ticagrelor mit Fortführung einer Ticagrelor-Monotherapie bei Hochrisikopatienten. Während in GLOBAL LEADERS kein Vorteil dieser Strategie erkennbar war (11), zeigte sich in TWILIGHT und TICO eine dreimonatige DAPT mit Ticagrelor mit anschliessender Ticagrelor-Monotherapie der üblichen 12-monatigen DAPT überlegen (deutlich niedrigeres Blutungsrisiko bei vergleichbarer Protektion gegenüber ischämischen Ereignissen) (12, 13). Interessant ist, dass sowohl elektive Fälle als auch Patienten mit einem akuten Koronarsyndrom oder einer komplexen Koronarintervention von der kürzeren DAPT-Dauer profitierten (kein Unterschied hinsichtlich ischämischen Ereignissen in Subgruppenanalysen) (12, 14). In den Leitlinienempfehlungen haben sich diese alternativen Schemata noch nicht wiedergefunden, eine Aufnahme ist jedoch in Kürze zu erwarten.
Neuigkeiten gibt es auch bei der Plättchenhemmung von Patienten unter oraler Antikoagulation, welche eine Koronarintervention erhalten haben (z.B. bei Vorhofflimmern). Studien zeigen, dass eine Tripletherapie (Aspirin und Clopidogrel kombiniert mit einem Antikoagulanz) zu einer deutlich höheren Rate an Blutungsereignissen führt bei gleichzeitig unklarem Benefit hinsichtlich ischämischer Endpunkte im Vergleich zur Dualtherapie (ein Plättchenhemmer mit einem Antikoagulanz) (15). Die AUGUSTUS-Studie zeigte, das eine einwöchige Tripletherapie (Aspirin, Clopidogrel und Antikoagulanz; Zeit bis zur Randomisierung in der Studie) gefolgt von einer 12-monatigen Dualtherapie mit Clopidogrel und Apixaban einer 6-monatigen Tripletherapie überlegen ist (16). In einer kürzlich publizierten Subanalyse zeigte sich der Vorteil der Tripletherapie mit Aspirin hinsichtlich ischämischen Endpunkten nur in den ersten 30 Tagen nach Koronarintervention (17). Analog hierzu kann gemäss Leitlinien eine kürzere Triple-Therapie-Dauer erwogen werden, welche abhängig vom Blutungs- und ischämischen Risiko individualisiert werden sollte (Tab. 2) (8). Die Leitlinien empfehlen zudem, wo immer möglich, ein direktes orales Antikoagulans (DOAK) einem Vitamin K-Antagonisten vorzuziehen und (insbesondere bei erhöhtem Blutungsrisiko) niederschwellig einen nicht-CYP2C19-abhängigen PPI zu verordnen (8). 12 Monate nach einer Koronarintervention oder einem akuten Koronarereignis wird die Umstellung auf eine alleinige Antikoagulation empfohlen. Nur in ausgewählten Risikofällen kann zusätzlich ein Plättchenhemmer zum Antikoagulanz in der Dauertherapie eingesetzt werden.
Schlaganfall/Transitorische ischämische Attacke (TIA)
Nach nicht-kardioembolischem Schlaganfall/TIA besteht eine Indikation für eine langfristige einfache Plättchenhemmung mit Aspirin oder (nach individueller Abwägung) Clopidogrel (18). Aspirin sollte innerhalb von 24-48 Stunden nach ischämischem Schlaganfall begonnen werden, mit Ausnahme von Patienten mit intravenöser Lyse, bei welchen empfohlen wird, 24 Stunden sowie eine zerebrale Kontrollbildgebung zum Blutungsausschluss abzuwarten (18). Ein Wechsel des Plättchenhemmers (z.B. von Aspirin auf Clopidogrel) kann nach einem zerebrovaskulären Ereignis unter bereits eingenommenen Plättchenhemmern erwogen werden, es ist jedoch unklar ob dies die Endpunkte verbessert (18).
Analog zur koronaren Herzkrankheit haben Studien den Nutzen einer DAPT in der Frühphase nach zerebrovaskulären Ereignissen untersucht, in welcher das Rezidivrisiko am höchsten ist. In der CHANCE und POINT-Studie reduzierte eine 3-monatige DAPT mit Clopidogrel signifikant erneute ischämische Ereignisse bei Patienten mit Minor-Stroke (NIHSS ≤ 3 Punkte) oder Hochrisiko-TIA. Es zeigte sich jedoch ein signifikant erhöhtes Blutungsrisiko. Der ischämische Benefit bestand vor allem in den ersten Wochen, weshalb die aktuellen amerikanischen Leitlinien bei dieser Patientenpopulation nun neu eine zeitlich limitierte DAPT mit Clopidogrel für 3 Wochen empfehlen (18).
Die Empfehlungen bei signifikanten Carotisstenosen sind weitgehend unverändert. Bei asymptomatischer Carotisstenose >50% oder nach Carotis-Endarteriektomie sollte eine einfache Plättchenhemmung mit Aspirin oder Clopidogrel verordnet werden, während nach Carotisstenting eine DAPT für mindestens 1 Monat empfohlen wird (19). Je nach Zentrum existieren aber auch Empfehlungen zur längeren DAPT-Dauer bei symptomatischen Carotisstenosen.
Die neueren P2Y12-Antagonisten Ticagrelor und Prasugrel spielen noch keine relevante Rolle nach ischämischem Schlaganfall. In der SOCRATES-Studie zeigte sich kein Vorteil einer Monotherapie mit Ticagrelor gegenüber Aspirin in den ersten 3 Monaten nach Schlaganfall (20). Analog dazu verpasste eine Studie mit einer reduzierten Dosis Prasugrel vs. Clopidogrel bei Schlaganfallpatienten <75 Jahren ihren primären Endpunkt (21). Die THALES-Studie (30-tägige DAPT mit Aspirin und Ticagrelor vs. Aspirin-Monotherapie) hat gemäss einer kürzlichen Pressemitteilung ihren primären Endpunkt erreicht, die Ergebnisse sind jedoch noch nicht publiziert (22).
Periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK)
Bei symptomatischer PAVK, nach Revaskularisationen oder nach infra-inguinalem Bypass wird eine einfache Plättchenhemmung mit Clopidogrel (vorzugsweise) oder Aspirin als Dauertherapie empfohlen (19. Bei asymptomatischer PAVK der unteren Extremitäten ohne weiteres betroffenes Gefässbett wird von dieser abgeraten. Eine DAPT wird in der Regel nach infra-inguinalem Stenting für 1 Monat verordnet. Nach prothetischem Bypass unterhalb des Knies kann aufgrund des erhöhten thrombotischen Risikos eine längerfristige DAPT erwogen werden. Unter Antikoagulation wird allgemein analog zum Schlaganfall und der stabilen koronaren Herzkrankheit von einer zusätzlichen Plättchenhemmung abgeraten (19). Eine ergänzende Plättchenhemmung kann bei ausgewählten Hochrisikopatienten erwogen werden. Nach endovaskulären Interventionen wird eine einfache Plättchenhemmung mit Clopidogrel oder Aspirin für 1 Monat zusätzlich zur Antikoagulation empfohlen, sofern das Blutungsrisiko niedrig ist.
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Assistenzarzt
Klinik für Kardiologie
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Labor für Molekulare Kardiologie, Leiter Plättchenforschung,
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M.P.N. deklariert keine Interessenkonflikte.
J.H.B. deklariert Grants des schweizerischen Nationalfonds und der schweizerischen Herzstiftung.
- Eine primärprophylaktische Gabe von Plättchenhemmern bei Hochrisikopatienten wird nicht mehr empfohlen, mit der (restriktiven) Ausnahme von Patienten mit Diabetes mellitus und einem hohen bis sehr hohem kardiovaskulären Risiko oder bei asymptomatischer signifikanter Carotisstenose.
- Bei stabiler koronarer Herzkrankheit wird eine dauerhafte einfache Plättchenhemmung mit Aspirin empfohlen mit einer 6-monatigen DAPT mit Clopidogrel nach elektivem Stenting oder einer 12-monatigen DAPT mit Ticagrelor oder Prasugrel nach Stenting im Rahmen eines akuten Koronarsyndroms. Eine kürzere oder längere DAPT ist nach individueller Nutzenrisikobeurteilung möglich.
- Bei Patienten unter Antikoagulation wird nach koronarem Stenting eine möglichst kurze Tripletherapie aus Aspirin, Clopidogrel und (vorzugsweise) einem DOAC empfohlen mit anschliessender Dualtherapie bis zu einem Jahr. Die Dauer der Tripletherapie ist zu individualisieren, sie sollte jedoch mindestens 1 Woche betragen.
- Nach nicht-kardioembolischem Schlaganfall/TIA ist eine langfristige einfache Plättchenhemmung mit Aspirin oder Clopidogrel indiziert. Neu wird eine dreiwöchige DAPT mit Clopidogrel bei Minor-Stroke (NIHSS ≤ 3 Punkte) oder Hochrisiko-TIA empfohlen.
- Bei symptomatischer PAVK wird eine dauerhafte einfache Plättchenhemmung mit Aspirin oder Clopidogrel empfohlen sowie eine 1-monatige DAPT mit Clopidogrel nach endovaskulären Interven-tionen.
Messages à retenir
- L’administration prophylactique primaire d’antiplaquettaires chez les patients à haut risque n’est plus recommandée, à l’exception (restrictive) des patients atteints de diabète sucré et présentant un risque cardiovasculaire élevé à très élevé ou une sténose carotidienne importante asymptomatique.
- En cas de coronaropathie stable, une simple inhibition plaquettaire permanente avec de l’aspirine est recommandée avec une DAPT de 6 mois avec du clopidogrel après pose d’une endoprothèse élective ou une DAPT de 12 mois avec du ticagrelor ou du prasugrel après pose d’une endoprothèse dans le contexte d’un syndrome coronarien aigu. Une DAPT plus courte ou plus longue est possible après une évaluation individuelle des risques et des bénéfices.
- Chez les patients soumis à une anticoagulation, il est recommandé d’administrer une trithérapie la plus courte possible, composée d’aspirine, de clopidogrel et (de préférence) d’un DOAC, après la pose d’un stent coronarien, suivie d’une double thérapie pendant un an au maximum. La durée de la trithérapie doit être individualisée, mais elle doit être d’au moins une semaine.
- Après un AVC non cardio-embolique, une simple inhibition plaquettaire à long terme avec de l’aspirine ou du clopidogrel est indiquée. Depuis peu, une DAPT de trois semaines avec clopidogrel est recommandé en cas d’accident vasculaire cérébral mineur (NIHSS ≤ 3 points) ou d’un accident ischémique transitoire à haut risque.
- En cas de PAVK symptomatique, une inhibition plaquettaire unique permanente avec de l’aspirine ou du clopidogrel est recommandée, ainsi qu’un DAPT d’un mois avec du clopidogrel après des interventions endovasculaires.
1. The ASCEND Study Collaborative Group. Effects of Aspirin for Primary Prevention in Persons with Diabetes Mellitus. New England Journal of Medicine 2018;379(16):1529-1539.
2. Gaziano JM, Brotons C, et al. Use of aspirin to reduce risk of initial vascular events in patients at moderate risk of cardiovascular disease (ARRIVE): a randomised, double-blind, placebo-controlled trial. The Lancet 2018;392(10152):1036-1046.
3. McNeil JJ, Wolfe R, et al. Effect of Aspirin on Cardiovascular Events and Bleeding in the Healthy Elderly. New England Journal of Medicine 2018;379(16):1509-1518.
4. Zheng SL, Roddick AJ. Association of Aspirin Use for Primary Prevention With Cardiovascular Events and Bleeding Events: A Systematic Review and Meta-analysis. JAMA 2019;321(3):277-287.
5. Piepoli MF, Hoes AW, et al. 2016 European Guidelines on cardiovascular disease prevention in clinical practice: The Sixth Joint Task Force of the European Society of Cardiology and Other Societies on Cardiovascular Disease Prevention in Clinical Practice. Eur Heart J 2016;37(29):2315-2381.
6. Cosentino F, Grant PJ, et al. 2019 ESC Guidelines on diabetes, pre-diabetes, and cardiovascular diseases developed in collaboration with the EASD. Eur Heart J 2020;41(2):255-323.
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- Vol. 10
- Ausgabe 3
- Juli 2020