Fortbildung

Stellenwert eines Atherosklerosescreenings in der Primärprävention

Kardiovaskuläre Erkrankungen belasten die Gesundheitssysteme schwer, die Signifikanz präventiver Massnahmen ist unbestritten. Das durchschnittliche Erkrankungsalter mit Manifestation von Folgeerkrankungen sinkt. Immer mehr Patienten werden mit ursprünglich als geriatrische Krankheiten betrachteten Diagnosen vorstellig. Neue Ansätze wie Laborwert-basierte Screening Tools zeigen vielversprechende erste Ergebnisse für alle betroffenen Altersgruppen.



Cardiovascular diseases burden health care systems. The age in which secondary pathologies manifest has steadily decreased within the last decade. With this, an increasing number of patients are presenting with diagnoses originally defined as diseases of age. New approaches such as lab marker-based screening tools show promising initial results in all affected age groups.
Key Words: Atherosclerosis, Cardiovascular Risk, Primary Prevention, Screening

Kardiovaskuläre Erkrankungen führen europaweit als häufigste Todesursache die Mortalität an (1). Die daraus resultierende signifikante sozioökonomische Belastung ist nicht nur auf die hohe Mortalitätsrate zurückzuführen, es sind vor allem die Kosten vermehrter Hospitalisierung durch den chronisch-progredienten Charakter der Erkrankung und der Verlust an Arbeitskraft (2) (Abb. 1). Aktuelle Daten zeigen, dass eine subklinische Atherosklerose bei Jugendlichen die allgemeine Sterblichkeit für den Rest des Lebens deutlich erhöht (3). Risikofaktoren wie eine Erhöhung von Body-Mass-Index, systolischem Blutdruck und Serumcholesterin können als Prädiktor bezüglich späterer Manifestationsschwere von Herz-Kreislauf-Erkrankungen herangezogen werden (4). Diese Parameter gelten als Haupteinflussfaktoren der übergeordneten Krankheitslast
(„burden of disease), gemessen an disease-adjusted life years (DALY) und können somit als Screening Parameter eingesetzt werden (3). Insbesondere der Risikofaktor Dyslipidämie ist direkt mit der Entstehung der KHK assoziiert, ein normwertiges Lipidprofil, LDL-Cholesterin (LDL-C) im Besonderen, ist folglich einer der wichtigsten Ansatzpunkte der Primärprävention. Eine primärpräventive Statintherapie senkt das Risiko kardiovaskulärer Ereignisse signifikant mit langfristig bestehendem Nutzen (5). Je tiefer der LDL-C Serumwert und je früher eine Senkung dessen erzielt wird, desto geringer ist das Myokardinfarktrisiko, dies wurde in umfassender Evidenz von der AGLA erarbeitet (6).

Manifestation der Atherosklerose

Die atherosklerotische Gefässerkrankung verursacht folgende vier Krankheitsbilder: die KHK mit Risiko des folgenden Myokardinfarkts, die Atherosklerose der hirnzuführenden Arterien mit Risiko eines emboligenen Apoplex, die periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK), sowie die erektile Dysfunktion (ED) vaskulärer Ätiologie. Die Diagnosestellung einer karotidalen Stenose, meist die ACI betreffend, erfolgt mittels farbkodierter Duplexsonographie (FKDS), eine pAVK wird anhand des Knöchel-Arm-Indexes (ABI < 0.9) diagnostiziert (7). Zur Detektion der KHK sind bildgebende Verfahren wie Stress-Echo (SE) und Stress MRT (u.a. SPECT) aufgrund ihrer hohen Sensitivität das Mittel der Wahl. Insbesondere das SE ermöglicht neben der Ischämiediagnostik eine recht akkurate Risiko- und Prognoseabschätzung via Vitalitäsprüfung myokardialen Gewebes (8). Eine vaskulär bedingte erektile Dysfunktion kann mit duplexsonographischen Methoden diagnostiziert werden (9).

Der häufigste Grund einer schwerwiegenden Behinderung im Erwachsenenalter ist ein Apoplex, dabei sind bis zu 20% aller Ereignisse auf ACI-Stenosen zurückzuführen. Der atherosklerotisch bedingte Apoplex weist mit 34% die zweithöchste 1-Jahres Letalität auf (10). Die Prävalenz der pAVK hat drastisch zugenommen, sie gilt mittlerweile als Indikator und Marker-Erkrankung einer generalisierten Atherosklerose hoher kardiovaskulärer Morbidität und Mortalität (11). Als wichtigster beeinflussbarer Risikofaktor einer pAVK gilt nach Nikotinabusus der Diabetes mellitus, betroffene Patienten haben ein bis zu vierfach erhöhtes Risiko zu erkranken (12). Die „get ABI“ Studie zeigte eine signifikante Risikoverdopplung für Schlaganfälle bei pAVK-Patienten, dabei verhielt sich die Risikoerhöhung parallel zur Abnahme des ABI (13). Zusätzlich gewinnt als unabhängiger Prädiktor für schwerwiegende zukünftige kardiovaskuläre Ereignisse die vaskuläre ED immer mehr an Bedeutung (14).

Existente Screening Ansätze

Grundlegende Voraussetzungen eines Screening-Programms wurden durch die WHO definiert (Tab. 1). Aktuelle Leitlinienempfehlungen für ein pAVK- und ACI-Screening sprechen sich aufgrund fehlender Evidenz sowie eines nachteiligen Nutzen-Schaden-Verhältnisses einstimmig gegen ein nicht­selektives populationsweites Screening-Programm aus, jedoch besteht auch für bereits anerkannte selektive Screening Untersuchungen keine einheitliche leitliniengerechte Empfehlung (15). Bei Präsenz vordefinierter Risikofaktoren wie kardiovaskuläre Komorbidität, beispielsweise ein Diabetes, und Alter > 65 Jahre sowie Eignung des Patienten für eine indizierte Intervention ist ein selektives Carotis-Screening mittels FKDS empfohlen (16). Ein pAVK-Screening mittels ABI wiederum wird bei allen KHK-Patienten sowie bei spezifischen Patientenkohorten, wie vor interventionellem Herzklappenersatz oder bei KHK-Patienten explizit vor koronarer Bypassanlage, vorgeschlagen, da eine pAVK-Komorbidität, neben etwaigen Zugangskomplikationen, die insgesamte Mortalität bei diesen Eingriffen erhöht (17). Grund uneinheitlicher Screening Empfehlungen ist u.a. die kontrovers diskutierte Thrombozytenaggregationshemmer Therapie nach positivem Screening Befund einer pAVK (18) sowie die fragliche diagnostische Aussagekraft des ABIs bei asymptomatischen Patienten (19) und dessen Limitationen bei Komorbiditäten wie dem Diabetes mellitus und Mediasklerose. Im Falle des ACI-Screenings ist es die geringe Prävalenz und somit der hohe Wert der „number needed to screen (NNS)“, welche die Notwendigkeit eines Screenings aus finanzieller Kosten-Nutzen-Bewertung fraglich erscheinen lässt (20). Trotz zunehmender Bedeutung eines Screenings junger Patienten bleibt insbesondere die KHK eine weitverbreitete Erkrankung des Alters, viele kardiologische Patienten haben bei Erreichen des 80. Lebensjahres mindestens einen Myokardinfarkt überlebt (21). Jedoch sind die meisten in der kardiovaskulären Primärprävention existierenden Scoring-Systeme nicht zur Risikoeinschätzung im hohen Alter geeignet. Aktuell ist das SCORE2-OP-Modell das einzige, welches eine Evaluation bis zum Alter von 89 Jahren erlaubt (22). Es gilt miteinzubeziehen, dass die Aussagekraft typischer Risikofaktoren bezüglich drohender atherosklerotischer Gefässerkrankungen im Alter zurück geht, Alternativen wie Biomarker-zentrierte Screening-Ansätze, beispielsweise basierend auf Nt-proBNP und Troponin Werten, zeigen sich erfolgsversprechend (23). Weitere Instrumente effizienter sonographischer Risikograduierung sind die Intima-Media-Dicke (IMT) und die karotidale Kalklast, wobei es wichtig ist zu bemerken, dass neue Studienergebnisse die generelle Plaque-Belastung als entscheidenden Risikofaktor bewerten und nicht die einzelne Stenose-bedingte koronare Obstruktion. Insbesondere die IMT kann helfen bei asymptomatischen Patienten mit nur ein oder zwei kardiovaskulären Risikofaktoren eine differenzierte Risikoeinschätzung abzugeben (24).

Konklusion

Ergebnisse der ECTS-2 und CREST-2 Studien werden in der Apoplex Prävention bei Carotis-Stenosen die Überarbeitung bestehender Leitlinienempfehlungen bewirken. Trotz weiterhin typischer Manifestation als eine Pathologie fortgeschrittenen Alters ist es die Gesamtlast von Atherosklerose-assoziierten Erkrankungen bei jüngeren Patienten, welche in der Etablierung effektiver Primärpräventionsstrategien immer wichtiger wird. Um maximale Effektivität eines Screenings zu erreichen, sollte die Einschätzung des individuellen kardiovaskulären Risikos im hausärztlichen Setting so früh wie möglich, bei bekannt prädisponierten Patienten beispielsweise im Rahmen des alljährlichen Checkups, erfolgen. Die ED als Prädiktor kardiovaskulärer Folgeerkrankungen mit Screening-Potential wird aktuell aufgrund fehlender umfassender diagnostischer Abklärung noch zu selten miteinbezogen.

Abkürzungen: CVD Cardiovascular disease; KHK koronare Herzerkrankung; pAVK periphere arterielle Verschlusskrankheit; AGLA Arbeitsgruppe Lipide und Atherosklerose; ACI Arteria carotis interna; ABI ankle-brachial-index (Knöchel-Arm-Index); NNS number needed to screen; LDL-C low-density-lipoprotein Cholesterin; ED erektile Dysfunktion; FKDS farbkodierte Duplexsonographie; Nt-proBNP N-terminal pro-Brain Natriuretic Peptide; IMT Intima-Media-Dicke; SE Stress-Echokardiographie; ECTS European Carotid Surgery Trial; CREST Carotid Revascularization and Medical Management for Asymptomatic Carotid Stenosis Study

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Dr. med. Vignes Mohan

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PD Dr. med. Christoph Kalka

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Prof. Dr. med. Nicolas Diehm, MBA

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Die Autoren haben keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

◆ Das kardiovaskuläre Erkrankungsalter mit Manifestation von Folgeerkrankungen sinkt stetig, Marker-Erkrankungen wie die pAVK und ED sowie die Präsenz von Risikofaktoren als Prädiktor späterer Krankheitslast können helfen frühzeitig Risikopatienten zu identifizieren und primärpräventive Screening-Ansätze zu optimieren.
◆ Die Empfehlungsgrade der aktuellen Leitlinien eines Screenings auf pAVK und ACI-Stenosen variieren, zurzeit ist eine Untersuchung nur bei spezifischen Patientenkohorten empfohlen.
◆ Biomarker-zentrierte Screening-Ansätze sowie neue Parameter der sonographischen Risikograduierung haben primärpräventives Potential und sollten in zukünftige Leitlinien zum Atherosklerosescreening miteinbezogen werden.
◆ Ein normwertiges Lipidprofil ist einer der wichtigsten Ansatzpunkte der Primärprävention, eine Statintherapie wirkt unabhängig von Alter, Geschlecht und Vorerkrankungen kardiovaskulär protektiv.

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