Fortbildung

Die neuen ESC-Guidelines 2019

Supraventrikuläre Tachykardien

Nach 16 Jahren wurden von der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) im September 2019 die neuen Guidelines für die Behandlung von supraventrikulären Tachykardien (SVT) (1) publiziert. Neu spielt die Katheterablation eine zentrale Rolle und Empfehlungen für spezielle Patientengruppen wie Schwangere oder Patienten mit angeborenem Herzfehler werden gesondert aufgeführt. In diesem Artikel werden die wichtigsten Änderungen gegenüber den Guidelines des Jahres 2003 (2) zusammengefasst.



Après 16 ans, la Société européenne de cardiologie (ESC) a publié en septembre 2019 les nouvelles lignes directrices pour le traitement de la tachycardie supraventriculaire (SVT) (1). L’ablation par cathéter joue désormais un rôle central et les recommandations pour des groupes de patients particuliers comme les femmes enceintes ou les patients souffrant de malformations cardiaques congénitales sont énumérées séparément. Cet article résume les changements les plus importants par rapport aux lignes directrices de 2003 (2).

Definition und Epidemiologie

Supraventrikuläre Tachykardien (SVT) sind Herzrhythmusstörungen mit Ursprung im oder oberhalb des His-Bündels und mit einer Frequenz von 100/min. Der QRS-Komplex ist meist schmal (QRS-Breite < 120 ms), kann aber auch breit sein, etwa bei einer Aberration beim Schenkelblock oder bei einer Leitung über eine akzessorische Bahn. In Tabelle 1 sind die häufigen Schmal- und Breitkomplextachykardien zusammengestellt.
Die SVT hat in der Allgemeinbevölkerung eine Prävalenz von 2.25 pro 1000 Personen und eine Inzidenz von 35 pro 100 000 Personen pro Jahr (3). Die häufigste SVT ist das Vorhofflimmern, dessen Behandlung in separaten Guidelines diskutiert wird und auf die in diesem Artikel nicht eingegangen wird. Frauen haben ein zwei-faches und Personen über 65 Jahren ein fünffaches Risiko, eine paroxysmale SVT zu entwickeln (3).

Diagnostik

Nebst der Anamnese, der körperlichen Untersuchung, einer Blutentnahme (Blutbild, klinische Chemie, Schilddrüsenparameter) und transthorakaler Echokardiographie, sollte ein 12-Kanal-EKG während der Tachykardie und im Sinusrhythmus geschrieben werden. Treten die Symptome nicht häufig und/oder nur kurz auf, können Langzeit-EKGs während längerer Zeit oder Gadgets via Smartphone zur Aufzeichnung der Tachykardie eingesetzt werden. Wichtig ist, falls möglich, Beginn und Ende der Tachykardie aufzuzeichnen, da dies häufig Rückschlüsse auf den Mechanismus der Tachykardie zulässt.
Ebenso hilfreich sind vagale Manöver und die Adenosingabe. Dabei wird der AV-Knoten kurzzeitig blockiert und lässt eine AVNRT oder AVRT terminieren oder eine AT oder Vorhofflattern demaskieren. Wichtig ist es, während der gesamten Zeit der vagalen Manöver oder der Adenosin-Gabe ein 12-Kanal-EKG aufzuzeichnen.

Therapie

Die Änderungen der Guidelines zur Therapie von supraventrikulären Tachykardien sind in Tabelle 2 zusammengefasst.

Akute Behandlung einer supraventrikulären Tachykardie

Abbildung 1 zeigt das Vorgehen bei einer akut aufgetretenen supraventrikulären Tachykardie. Ist die Patientin oder der Patient hämodynamisch instabil, soll primär eine synchronisierte elektrische Kardioversion erfolgen. Andernfalls können vagale Manöver versucht werden. Bei Persistenz der Tachykardie kann Adenosin intravenös verabreicht werden. Da Adenosin Vorhofflimmern induzieren kann und bei einer antidromen AVRT die Gefahr einer schnellen Überleitung des Vorhofflimmerns über die akzessorische Bahn auf die Ventrikel (präexzitiertes Vorhofflimmern) besteht, muss vor dessen Gabe eine Präexzitation im Ruhe-EKG ausgeschlossen werden. Wenn kein Ruhe-EKG vorliegt, muss die Möglichkeit einer sofortigen elektrischen Kardioversion gewährleistet sein. Aufgrund der kurzen Halbwertszeit wird Adenosin als ein sicheres Medikament angesehen und in den neuen Guidelines von der IIb auf die IIa-Indikationsklasse aufgewertet. Ebenfalls als sicher und neu in die IIa-Klasse eingestuft wurde der Betablocker (IIb im 2003). Im Vergleich zu 2003 werden Amiodaron und Digoxin bei der Schmalkomplextachykardie und Sotalol und Lidocain bei der Breitkomplextachykardie zur akuten Therapie – wegen möglichen ausgeprägten Hypotonien und Bradykardien – nicht mehr aufgeführt. Kann eine ventrikuläre Tachykardie nicht ausgeschlossen werden, soll Verapamil wegen der negativ inotropen Wirkung nicht angewendet werden.

Katheterablation

Die Technik der Radiofrequenz-Katheterablation hat sich in den letzten Jahren stark weiterentwickelt. Bei den meisten symptomatischen Patienten ist langfristig die Katheterablation die Therapie der Wahl, insbesondere wenn die Herzfunktion durch die Tachykardie beeinträchtigt ist (Tachykardie-induzierte Kardiomyopathie). Auch besteht beim Vorhofflattern, bei fokaler AT, AVRT und AVNRT eine Klasse-I-Indikation zur Ablation. Die Katheterablation hat bei den meisten SVT eine hohe Erfolgsrate (> 85%) und die Komplikationsrate ist niedrig (Tab. 3). Die häufigsten Komplikationen sind Gefässkomplikationen in der Leiste, AV-Blockierungen oder sehr selten ein Perikarderguss. Insbesondere die AVNRT hat die höchste Erfolgs- und die niedrigste Komplikationsrate.

Sinustachykardie

Obwohl meist gutartig, kann die Sinustachykardie sehr symptomatisch sein und geht oft mit einer sekundären Ursache (z. B. Hyperthyreose, Anämie, etc.) einher, die zuerst behoben werden muss. In den früheren Guidelines wurde primär der Betablocker empfohlen (Klasse I). Jedoch muss der Betablocker häufig so hoch dosiert werden, dass dieser wegen Müdigkeit nicht vertragen wird, sodass es aktuell dafür nur noch eine IIa-Indikation besteht.
In den aktuellen europäischen Guidelines wird Ivabradin mit einer IIa-Indikation zur Behandlung von inadäquaten Sinustachykardien aufgeführt. Ivabradin ist ein für den Sinusknoten selektiver Betablocker, der die Herzfrequenz direkt senkt, kann aber durch Erhöhung des Sympathikotonus auch proarrhythmogen sein. Ivabradin kann entweder als Monotherapie oder in Kombination mit einem Betablocker (IIa) eingesetzt werden und ist bei Schwangerschaft und bei gleichzeitiger Einnahme eines CYP3A4-Hemmers kontraindiziert.

Fokale atriale Tachykardien

Als akute Therapie für fokale AT besteht bei fast allen Antiarrhythmika eine IIa-Indikation (IIb für Amiodaron) und langfristig ist bei wiederholten AT-Episoden die Katheterablation empfohlen (Klasse I). Anders ist es bei den multifokalen ATs (≥  3 verschiedene P-Wellen-Morphologien), welche meist mit einer anderen zugrundeliegenden Erkrankung (pulmonale Erkrankung, koronare oder valvuläre Kardiopathie, etc.) einhergehen, die primär behandelt werden muss. Bei einem strukturell normalen Herzen können als chronische Therapie Verapamil und Diltiazem oder selektive Betablocker eingesetzt werden. Die aktuellen Guidelines empfehlen hier die AV-Knotenablation mit Schrittmacherimplantation als pace-and-ablate-Strategie (IIa), wenn die medikamentöse Therapie nicht erfolgreich sein sollte und kein dominierender Fokus vorhanden ist.

Vorhofflattern

Die neuen Guidelines betonen die akute Effektivität der elektrischen Kardioversion (EKV) bei Vorhofflattern, mit einer niedrigeren Inzidenz für ein Rezidiv als beim Vorhofflimmern. Auch wird neu der Einsatz von Ibutilid zur Kardioversion empfohlen. Jedoch ist der Vertrieb von Ibutilid in der Schweiz seit 2018 eingestellt. Wichtig zu erwähnen ist, dass Propafenon und Flecainid aufgrund der Gefahr einer 1:1-Überleitung durch die Verlangsamung der atrialen Herzfrequenz nicht ohne Betablocker verabreicht werden dürfen. Langfristig ist auch hier die Katheterablation die Therapie der Wahl.
Neu besteht in den neuen Empfehlungen eine IIa-Indikation für die orale Antikoagulation bei Patienten mit Vorhofflattern und ohne diagnostiziertes Vorhofflimmern.

AV-Knoten-Reentrytachykardie (AVNRT)

Als chronische Therapie für die AVNRT empfehlen die neuen Guidelines aufgrund der hohen Erfolgsrate von 97% und des niedrigen Risikos eines totalen AV-Blocks (< 1%) klar die Katheterablation (Klasse I). Falls die Katheterablation abgelehnt wird, werden Betablocker, Diltiazem oder Verapamil als medikamentöse Therapie empfohlen. Flecainid und Propafenon und die pill-in-the-pocket-Strategie werden aktuell nicht mehr aufgeführt.

AV-Reentrytachykardie (AVRT)

Auch hier wird in meisten Fällen die Katheterablation aufgrund der hohen Effektivität und der tiefen Komplikationsrate als Langzeittherapie der Wahl empfohlen. Die medikamentöse Therapie wird in den aktuellen Guidelines als alternative Option beschrieben, wenn eine Ablation nicht möglich, ineffektiv oder von den Patienten unerwünscht ist. Neu wird bei asymptomatischen Patienten mit Präexzitation eine invasive Risikostratifizierung empfohlen, insbesondere bei kompetitiven Athleten oder Personen mit Hochrisikoberufen wie Piloten oder Berufschauffeuren. Eine akzessorische Bahn mit invasiv nachgewiesenem hohem Risiko (minimales RR-Intervall ≤ 250 ms während Vorhofflimmern, antegrade refraktäre Periode ≤ 250 ms, induzierbare durch die akzessorische Bahn vermittelte Tachykardie oder Vorliegen von multiplen akzessorischen Bahnen) soll abladiert werden.

Supraventrikuläre Tachykardie und angeborene Herzfehler

Im Bereich der angeborenen Herzfehler wird aufgrund der besseren Kenntnisse der Anatomie und des Fortschritts der Herzchirurgie und der Ablationstechnologie empfohlen, die Katheterablation früh und vor einer chirurgischen Korrektur durchzuführen. Zudem sind Klasse-I Antiarrhythmika und Sotalol nicht mehr als Firstline-Therapie aufgeführt und Amiodaron (IIb) soll nur noch nach erfolglosen oder nicht möglichen Ablationen eingesetzt werden.

Supraventrikuläre Tachykardie und Schwangerschaft

Während der Schwangerschaft können SVT – wenn möglich ab dem 2. Trimester – in erfahrenen elektrophysiologischen Zentren unter Anwendung nichtfluoroskopischer elektroanatomischer Mapping-Systeme abladiert werden. In den neuen Guidelines wird bei Frauen mit bekannten SVT und einer Schwangerschaft in Planung eine vorgängige Katheterablation empfohlen. Eine EKV kann in der Schwangerschaft bei hämodynamisch relevanten Arrhythmien sicher durchgeführt werden und ist auch die Therapie der Wahl. Ist die Patientin hämodynamisch stabil, können vagale Manöver oder Adenosin versucht werden.

Abkürzungsverzeichnis: AT = atriale Tachykardie(n), AV = atrioventrikulär, AVNRT = AV-Knoten-Reentry-Tachykardie(n), AVRT = AV-Reentry-Tachykardie(n), CTI = cavotrikuspidaler Isthmus, EKG = Elektrokardiogramm, EKV = elektrische Kardioversion, ESC = European Society of Cardiology, LV = linksventrikulär, SVT = supraventriku-läre Tachykardie(n)

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Dr. med. Anna Lam

Oberärztin Rhythmologie und Elektrophysiologie
Universitätsklinik für Kardiologie
Inselspital Bern
Freiburgstrasse
3010 Bern

anna.lam@insel.ch

Prof. Dr. med. Hildegard Tanner

Leitende Ärztin Rhythmologie und Elektrophysiologie
Universitätsklinik für Kardiologie
Inselspital
Freiburgstrasse
3010 Bern

Die Autorinnen haben im Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte zu deklarieren.

  • Vagale Manöver und Adenosin sind bei SVT sicher und die akute Therapie der Wahl.
  • Viele bisher zur Behandlung von SVT eingesetzte Medikamente wurden in den neuen Guidelines heruntergestuft oder gar nicht mehr erwähnt.
  • Die Katheterablation hat bei SVT eine hohe Erfolgs- und niedrige Komplikationsrate und ist langfristig die Therapie der Wahl.
  • Die Katheterablation ist durch die neuen Technologien auch bei Schwangeren ohne Strahlenbelastung möglich, sollte aber, wenn immer möglich, vor oder nach der Schwangerschaft durchgeführt werden.
  • Eine invasive Risikostratifizierung soll auch bei asymptomatischer Präexzitation in Erwägung gezogen werden.

Messages à retenir

  • Les manœuvres vagales et l’adénosine sont sans danger dans la SVT et sont la thérapie aiguë de choix.
  • De nombreux médicaments utilisés auparavant pour traiter la SVT ont été déclassés ou ne sont plus mentionnés dans les nouvelles directives.
  • L’ablation par cathéter a un taux de réussite élevé et un faible taux de complication en cas de SVT et constitue la thérapie de choix à long terme.
  • Grâce aux nouvelles technologies, l’ablation par cathéter est également possible chez les femmes enceintes sans exposition aux radiations, mais elle doit être effectuée avant ou après la grossesse dans la mesure du possible.
  • La stratification du risque invasif doit également être envisagée dans le cas d’une pré-excitation asymptomatique.

1. Brugada J et al. 2019 ESC Guidelines for the management of patients with supraventricular tachycardiaThe Task Force for the management of patients with supraventricular tachycardia of the European Society of Cardiology (ESC). Eur Heart. 2019;1–10.
2. Blomström-Lundqvist C et al. ACC/AHA/ESC guidelines for the management of patients with supraventricular arrhythmias. J Am Coll Cardiol. 2003;42:1493–1531.
3. Orejarena LA et al. Paroxysmal Supraventricular Tachycardia in the General Population. J Am Coll Cardiol. 1998;31:150–157.