- The Future of Cardiology
An den Grand Rounds des Royal Brompton Hospital in London sprach Prof. Thomas Lüscher, London/Zürich, über die Errungenschaften der Kardiologie in den letzten Jahrzehnten und über ihre Zukunft.
Der Referent begann mit der Kardiologie in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts und dem Tod von Präsident Dwight D. Eisenhower, dem 34. Präsidenten der Vereinigten Staaten. Am 24. September 1955 erlitt er während eines Urlaubs in Colorado einen schweren Herzinfarkt. Zu der Zeit konnte man nur zwei Dinge tun: Papaverin und Morphin geben. Dr. Howard Snyder, sein persönlicher Arzt, diagnostizierte die Symptome fälschlicherweise als gastrointestinales Problem und versäumte es, die dringend benötigte Hilfe zu holen. Später fälschte Snyder seine eigenen Aufzeichnungen, um seinen Fehler zu vertuschen und um Eisenhowers Bedürfnis zu schützen, durch die Darstellung, dass er gesund genug war, um seine Arbeit weiterhin zu erledigen. Der Herzinfarkt erforderte einen sechswöchigen Krankenhausaufenthalt, und Eisenhower konnte erst Anfang 1956 wieder seinen normalen Arbeitsrhythmus aufnehmen. Eisenhower stirbt aber im Alter von 78 Jahren am 28. März 1969 im Walter Reed Army Hospital in Washington, D.C., an Herzversagen.
Kardiologie – eine einzigartige Erfolgsgeschichte
Seit dieser Zeit vor etwa 70 Jahren hat die Kardiologie eine beispiellose Erfolgsgeschichte erlebt. Mit einer Mortalität vor 70 Jahren von 50% bei denjenigen, die überhaupt das Spital erreichten über die Defibrillation, gefolgt von Reanimation, Betablocker, koronarer Angioplastie, Fibrinolyse bis zu Stents und Ballonkatheter gelang es die kardiale Mortalität bedeutend zu senken. Es verbleibt aber eine Mortalität im Spital von 10 %, wie in der Sweetheart Studie gezeigt wurde. Einige Probleme sind immer noch ungelöst, wie der Referent erläuterte. Ein Problem ist, dass Männer und Frauen nicht gleichermassen behandelt werden. Frauen erhalten weniger angiographische, invasive Massnahmen, weniger PCI als Männer. Sogar Statine werden bei weiblichen Patienten weniger verschrieben, wenn sie das Spital verlassen.
Kardiogener Schock ist ein weiteres ungelöstes Problem mit ungefähr 50 % Mortalität, wie der Referent erklärte. Bei Reanimation beträgt die Mortalität etwa 40 %. Was kann dagegen unternommen werden? Man könnte Reanimation vor Ort machen, wofür das Publikum ausgebildet werden müsste. Vor 35 Jahren wurde das totale Kunstherz entwickelt ohne grossen Erfolg. Das Gleiche gilt für die Stammzelltherapie.
Neben dem klassischen Herzinfarkt gibt es weitere Situationen, wie die Tako-Tsubo-Kardiomyopathie mit ACS-ähnlichen Symptomen, was mit emotionalem physischem Stress zu tun hat. Ursprünglich wurde es als harmlos betrachtet, da es reversibel ist. In etwa 10 % kommt es aber zu Komplikationen wie kardiogenem Schock, ventrikulärer Tachykardie, Thrombenbildung und Tod.
Der kardiogene Schock
Gibt es eine medizinische Behandlung des kardiogenen Schocks?
Hoffnung wird in die Behandlung mit anti-DPP3 Antikörpern gesetzt. Die DPP3 Konzentration im Plasma ist eng mit der Mortalität von Krankheiten wie dem kardiogenen Schock verbunden. DPP3 ist ein unabhängiger Prädiktor für frühzeitigen Tod. Eine Verdoppelung von DPP3 bedeutet eine 84 % Zunahme in der 30-Tagesmortalität. Die Behandlung mit anti-DPP3 Antikörpern könnte eine Hoffnung für die Behandlung des kardiogenen Schocks bedeuten. Derzeit liegt die Hoffnung aber mehr in den mechanischen Unterstützungssystemen. In einer Propensity-matched-Analyse von Patienten, die sich einer PCI bei AMI mit kardiogenem Schock unterzogen, war der Einsatz eines linksventrikulären Unterstützungssystems im Vergleich zur intraaortalen Ballonpumpe mit einem erhöhten Kurzzeit- und 1-Jahres-Risiko für Mortalität, Blutungen, kardialer Resynchonisationstherapie und Kosten verbunden. Es besteht ein dringender Bedarf an zusätzlichen Erkenntnissen über die optimale Behandlung von Patienten mit AMI, der durch kardiogenen Schock kompliziert ist.
Die frühzeitige mit extrakorporaler Membran-Oxigenierung-unterstützte Reanimation von Patienten mit Herzstillstand ausserhalb des Spitals und refraktärem Kammerflimmern verbesserte das Überleben im Vergleich zur Standard-erweiterten Herz-Lungen-Unterstützung (ACLS) erheblich. Der extrakorporale Life Support (ECLS) ermöglicht einem Viertel der Patienten mit einer ansonsten tödlichen Prognose ein Überleben von einem Jahr. Die verfahrensbedingte Sterblichkeit ist gering und die Morbidität an der Implantationsstelle moderat.
Die Aortenstenose- ein weiteres ungelöstes Problem
Das nächste Problem ist die Aortenstenose. Über die PCI hinaus existieren strukturelle Interventionen. Balloon (koronares Stenting, renales arterielles Stenting, Karotis-Stenting), Occluder (Vorhofohrverschluss), LAA (linksatrialer Appendix-Okkluder) bei kardialer
Thromboembolie und Klappen (TAVI, Mitraclip). Aber diese Behandlungen werden übermässig angewandt zu einem zu späten Zeitpunkt, wo bereits eine Remodelling stattgefunden hat und die Patienten eine Arrhythmie haben. Sogar nach Klappenersatz ist die koronare Ereignisrate höher als bei einer altersentsprechenden Population. Die Aortenstenose sollte also mit medizinischer Behandlung vermieden werden. In einer exploratorischen Studie (Fourier-Studie) wurde mit dem PCSK9 Hemmer Evolocumab das Risiko für Aortenstenosen nach einem Jahr um 52 % gesenkt.
Atherosklerose eine Krankheit des Menschen
Der Referent erinnerte daran, dass Atherosklerose eine der häufigsten Krankheiten ist und dass sie nur beim Menschen vorkommt. Der Mensch ist gleichzeitig das einzige Lebewesen mit sehr hohen Plasma LDL-Cholesterinwerten. Werte, die diejenigen von Tieren um das Mehrfache übersteigen. Gleichzeitig ist der Mensch das einzige Lebewesen, das Herzinfarkte und Hirninfarkte, Folgen einer atherosklerotischen Erkrankung, erleidet. Wahrscheinlich ist LDL-Cholesterin im Plasma gar nicht notwendig und von einem Normalwert bei LDL-Cholesterin zu sprechen ist sicher falsch, so der Referent. Dabei ist nicht nur die Grösse der LDL-Erhöhung, sondern auch die Dauer der Exposition ursächlich, wie Mendel’sche Randomisierungsstudien, prospektive Kohortenstudien und randomisierte klinische Studien gezeigt haben. Aufgrund dieser Ergebnisse sind in den Europäischen Guidelines Zielwerte für LDL-Cholesterin empfohlen worden, die sich nach dem globalen kardiovaskulären Risiko richten. Prof. Lüscher erinnerte an die Studien mit Statinen und mit PCSK9 Inhibitoren, die in der Primär- und der Sekundärprävention eindrückliche Senkungen des kardiovaskulären Risikos gezeigt haben und insbesondere an die PACMAN-AMI Studie mit Alirocumab bei Patienten nach Herzinfarkt, einer Schweizer Studie (L. Räber et al. JAMA 2022;327:1771-1781). Sie hat zum ersten Mal gezeigt, dass mit sehr tiefen Werten eine Regression der Plaques eingeleitet werden kann.
Evolution der Pharmakotherapie
Der Referent beschrieb die historischen Entwicklungen in der Pharmakologie mit der ursprünglichen Herstellung aus Kräutern, worauf Extrakte aus Pilzen (z.B. Statine) folgten, darauf die synthetischen Moleküle, die Biologika und schliesslich Medikamente, die auf der RNA-Interferenz beruhen. Die Revolution in der Pharmakotherapie sind die Antisense Technologie und die RNA-Interferenz. Als Beispiel wurde dazu Inclisiran, ein PCSK9 RNA Silencer genannt. Die Behandlung mit Inclisiran ergibt LDL-Cholesterinsenkungen in der Grössenordnung von bis zu 60 % über ein halbes Jahr. Die Therapie, die halbjährlich erfolgt, erlaubt eine wesentlich höhere Therapieadhärenz des Patienten.
Trotz dieser grossen Fortschritte bleibt ein wesentlicher unerfüllter medizinischer Bedarf. Es bleibt ein residuelles Risiko in Bezug auf Cholesterin, Inflammation, Thrombose., Triglyceride, Lp(a) und HbA1c. Die Cantos-Studie mit Canakinumab, einem monoklonalen Antikörper gegen Interleukin 1-Beta zeigte eine moderate Senkung des kardiovaskulären Risikos bei Patienten mit Zeichen einer Inflammation. Eine Senkung des Inflammationsmarkers CRP konnte auch mit Ziltivekimab, einem IL-6-Inhibitor gezeigt werden. IL1-Beta und IL-6 sind Driver der Atherogenese. Colchicin wirkt anti-inflammatorisch und reduziert die Myokardinfarktinzidenz in geringem Masse, aber nicht die Mortalität.
Dagegen hat sich Lipoprotein (a) als ein wesentlicher und unabhängiger kardiovaskulärer Risikofaktor erwiesen. Die Entwicklung eines Antisense Medikaments gegen Lp(a) hat eine Senkung von Lp(a) bis 80 % gezeigt. Entsprechende klinische Studien sind noch ausstehend.
Neben den erwähnten Risikomarkern wurden aber auch genetische Marker untersucht. In einer gut charakterisierten Kohorte wurde die höchste Anzahl bekannter Kardiomyopathie-Mutationen bei Plakophilin-2, Myosin-bindendem Protein C-3 und Desmoplakin gefunden. Wenn noch unbekannte, aber vorhergesagte Krankheitsvarianten einbezogen wurden, fanden sich unter den am häufigsten mutierten Genen Titin, Plakophilin-2, Myosin-bindendes Protein-C 3, Desmoplakin, Ryanodin-Rezeptor 2, Desmocollin-2, Desmoglein-2 und SCN5A-Varianten. Ferner verursachen die Lamin A/C Mutationen eine dilatierte Kardiomyopathie, eine Krankheit, die in jungen Jahren beginnt, eine hohe Penetranz hat und häufig eine Herztransplantation notwendig macht.
Das vorhandene Wissen über genetische Varianten, die das Risiko für koronare Herzkrankheiten beeinflussen, basiert größtenteils auf genomweiten Assoziationsstudien (GWAS) zur Analyse menschlicher SNPs. Unter Nutzung der Haplotypen des 1000 Genom- Projekts berichtete eine Studie (Nikpay et al Nature Gen 2015) über eine GWAS-Analyse von ca. 185 000 Fällen und Kontrollen, bei der 6,7 Mio. «common minor allele frequency» und 2,7 Mio.» low frequency variants» abgefragt wurden. Zusätzlich zur Bestätigung der meisten CAD-assoziierten Loci wurden in der Studie zehn neue Loci (acht additive und zwei rezessive), die kausale Genkandidaten enthalten identifiziert, die neue biologische Prozesse in den Gefäßwänden implizieren. Diese Analyse zeigt, dass die genetische Anfälligkeit für diese weit verbreitete Krankheit grösstenteils durch häufige SNPs mit geringem Wirkungsgrad bestimmt wird. Unabhängig vom genetischen Risiko spielt die Adhärenz zu einem gesunden Lebensstil eine entscheidende Rolle, wie der Referent darlegte. Die Komplexität von Genen, epigenetischen Veränderungen und Umweltfaktoren ist eine Herausforderung für die personalisierte Medizin.
Künstliche Intelligenz
Vorhofflimmern ist häufig asymptomatisch und wird daher nicht erkannt, obwohl es mit Schlaganfall, Herzversagen und Tod in Verbindung gebracht wird. Bestehende Screening-Methoden erfordern eine lange Überwachung und sind durch Kosten und geringe Ausbeute begrenzt. In einer retrospektiven Analyse wurde mit Hilfe von maschinellem Lernen ein schnelles, kostengünstiges Point-of-Care-Verfahren zur Identifizierung von Patienten mit Vorhofflimmern zu entwickeln. Ein durch künstliche Intelligenz gestütztes EKG, das im normalen Sinusrhythmus aufgenommen wurde, ermöglicht die Identifizierung von Personen mit Vorhofflimmern am Behandlungsort.
CRISPR Cas9: die Genschere
CRISPR/Cas hat sich in den letzten Jahren zum führenden Verfahren für das «Genom-Editing» entwickelt. Die Methode kombiniert ein RNA-Molekül, das an einem bestimmten Abschnitt der DNA bindet, mit einem Enzym, das an dieser Stelle den DNA-Doppelstrang zerschneidet. Der Defekt wird dann von zelleigenen Enzymen repariert, was (etwa durch den Einbau kleiner DNA-Abschnitte) in der Regel zu einer Veränderung der DNA-Sequenz führt.
US-Forscher haben den Gendefekt einer hypertrophen Kardiomyopathie, einer relativ häufigen angeborenen Störung, die zum plötzlichen Herztod und zur Herzinsuffizienz führen kann, mit der CRISPR/Cas-Methode korrigiert – und die Embryonen dann im Stadium der Blastozyste zerstört. Für die Anwendung in der Reproduktionsmedizin scheint das Verfahren derzeit jedoch nicht ausgereift genug, auch wenn Forscher Sicherheitsbedenken ausräumen können.
Ein weiteres Beispiel, das der Referent zitierte, ist die Transthyretin Amyloidose. Transthyretin-Amyloidose, auch ATTR-Amyloidose genannt, ist eine lebensbedrohliche Krankheit, die durch eine fortschreitende Anhäufung von fehlgefaltetem Transthyretin (TTR)-Protein in Geweben, vor allem in Nerven und Herz, gekennzeichnet ist. NTLA-2001 ist ein In-vivo-Gene-Editing-Therapeutikum, das zur Behandlung der ATTR-Amyloidose durch Verringerung der TTR-Konzentration im Serum entwickelt wurde. Es basiert auf dem System der «clustered regularly interspaced short palindromic repeats» und der damit verbundenen Cas9-Endonuklease (CRISPR-Cas9) und besteht aus einem Lipid-Nanopartikel, der die Boten-RNA für das Cas9-Protein und eine einzelne, auf TTR zielende Leit-RNA enthält. Bei einer kleinen Gruppe von Patienten mit hereditärer ATTR-Amyloidose mit Polyneuropathie war die Verabreichung von NTLA-2001 nur mit leichten Nebenwirkungen verbunden und führte durch gezielten Knockout von TTR zu einer Verringerung der TTR-Proteinkonzentration im Serum.
In vivo CRISPR Base Editing von PCSK9 senkt Cholesterinspiegel bei Primaten dauerhaft, wie in einer Arbeit von Musunaru K et al. (Nature 2021;593:429–434) gezeigt wurde. Die Ausschaltung von PCSK9 in der Leber war nahezu vollständig und ging mit einer gleichzeitigen Senkung der Blutspiegel von PCSK9 und Low-Density-Lipoprotein-Cholesterin um etwa 90 % bzw. etwa 60 %; einher. Diese Veränderungen blieben nach einer einmaligen Behandlung mindestens acht Monate lang stabil.
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