- Update Omega-3 Fettsäuren und Kardioprotektion
Die bisherigen evidenzbasierten Daten bestätigen, dass die auf Fischkonsum gestützte Hypothese der kardiovaskulären Prävention eher zutrifft. Die Hypothese der Kardioprotektion, die sich auf die Einnahme von Fischöl reduziert bleibt hingegen weiterhin kontrovers und ihre Evidenz – im Besonderen unter Berücksichtigung der neuesten Studien – fehlt weitgehend.
Les données probantes à ce jour confirment plutôt l’ hypothèse de prévention cardiovasculaire fondée sur la consommation de poisson. Cependant, l’ hypothèse de la cardioprotection qui se réduit à l’ingestion d’ huile de poisson reste controversée et ses preuves – surtout à la lumière des études récentes – font largement défaut.
Im Ursprung der Kardioprotektion durch Fischöl
Dass Fisch ein sinnvolles Nahrungsmittel ist, wird schon in der Bibel erwähnt und für an Gewässern lebende Populationen war Fisch seit Urzeiten ein hochgeschätztes Grundnahrungsmittel. Im alten Ägypten wurde sogar den Toten Fisch als Proviant auf ihre Reise mitgegeben. Erst im Jahre 1976 rückte Fisch ins Interesse der modernen Medizin: die beiden dänischen Ärzte Bang und Dyerberg publizierten eine Arbeit mit dem Titel «The composition of food consumed by Greenland-Eskimos» (1). In dieser Arbeit stellten die Forscher fest, dass die Grönland-Eskimos, bei ähnlicher Gesamt-Fettzufuhr, eine ca. 90% tiefere kardiovaskuläre Mortalität haben als eine Vergleichspopulation in Dänemark. Der Hauptunterschied in der Ernährung lag lediglich in der vergleichsweise hohen Zufuhr an Fisch durch die Eskimos. Die Autoren dieser Arbeit interpretierten diese assoziativen Resultate gemäss dem damaligen Wissenstand korrekt und formulierten in der Folge die «Hypothese der Kardioprotektion durch Fischkonsum», welche dann im Verlaufe der Zeit auf die «Kardioprotektion durch Omega-3 Fischöl» reduziert wurde. Die bisherige Evidenz bestätigt, dass die auf Fischkonsum basierte Hypothese eher zutrifft; die auf Fischöl reduzierte Hypothese der kardiovaskulären Prävention bleibt weiterhin kontrovers und bis anhin fehlt für letztere – im Besonderen unter Berücksichtigung der neuesten Studien – weitgehend die Evidenz (siehe unten). Im Verlaufe der Jahre wurden viele biochemische Effekte und Wirkungen der Omega-3 Fettsäuren (FS) beschrieben (2, 3), durch die auch eine mögliche Kardioprotektion physiologisch respektive pathophysiologisch erklärt werden könnte. Diese Wirkungen von Fischöl reichen von der Beeinflussung der Thrombozyten-Aggregation bis zur Bedeutung der Omega-3 Fettsäuren als Vorstufen von Eicosanoiden und vielen anderen Metaboliten, welche in praktisch allen Zellen und Zellsystemen eine wichtige Signaling-Funktion ausüben. Eicosanoide können aus Omega-3 FS und auch Omega-6 FS (Arachidonsäure) synthetisiert werden, wobei die physiologischen Effekte der synthetisieren Moleküle aus den Omega-3 und Omega-6 FS oftmals entgegengesetzt sind. Somit lag auch eine biochemische Erklärung vor, dass eine höhere Zufuhr an den Omega-3 FS möglicherweise «gesund» sei. Ob dies tatsächlich so ist, wird nach wie vor debattiert, auch wenn mehr und mehr gegenteilige Evidenz akkumuliert. Es erscheint plausibel, dass diese einzelnen protektiven Mechanismen bei einer optimal etablierten kardiovaskulären pharmakologischen Therapie ohne Zusatznutzen sind. Einmal mehr drängt sich die Frage auf, ob sich ein komplexes Nahrungsmittel wie Fische (und das damit verbundene Essmuster und andere Lebensstilfaktoren eines Fischkonsumenten) auf ein paar wenige Einzelkomponenten reduzieren lässt.
Neueste Evidenz: FISHing for the Miracle
«FISHing for the Miracle of Eicosapentaenoic Acid» lautete der Titel eines Editorials im NEJM (4) im Januar dieses Jahres. Im Verlaufe der letzten 10 Monate wurden weitere klärende Studien zur Bedeutung von Fischöl in der Primär- (VITAL Studie) (5) und Sekundärprävention (ASCEND Studie) (6) publiziert. Eine weitere Studie (REDUCE-IT) (7) evaluierte eine neue Darreichungsform von Fischöl auf erhöhte Triglyceride und kardiovaskuläres Risiko.
In der multizentrischen VITAL-Studie wurden über 25 000 gesunden Erwachsenen (i.e. ohne Hinweise auf eine kardiovaskuläre Erkrankung) während einer medianen Dauer von 5.3 Jahren 1 Gramm eines Fischöl-Supplemente vs. Placebo verabreicht. Die Studienendpunkte umfassten die klassischen kardiovaskulären Endpunkte inklusive Schlaganfall und jegliche Form eines angioplastischen Eingriffs. Es zeigte sich keine signifikante Reduktion der kardiovaskulären Ereignisse (MACE) und auch kein Effekt auf das Krebsrisiko. Interessanterweise zeigte sich allerdings bei Teilnehmern, welche wenig oder keinen Fisch konsumierten eine mögliche Reduktion des Risikos durch die Intervention. Eine interessante Beobachtung, welche allerdings weder wiederlegt noch bestätigt werden kann und weiterer Klärung bedarf. Wie bei vielen anderen Interventionen, erscheint es durchaus möglich, dass bestimmte Subgruppen (u.a. Afro-Amerikaner) auch von Fischöl profitieren könnten. Allerdings können wir im Moment diese Subgruppen noch nicht näher charakterisieren und die unterschiedlichen Resultate rufen nach weiterer gezielter Forschung in genau charakterisierten Subgruppen der Population. Von verschiedensten Studien ist bekannt, dass ein erhöhter Fischkonsum kardioprotektiv wirken kann, was auch in die gängigen Guidelines eingeflossen ist. Allerdings wird auch die Bedeutung von Fischkonsum zur Kardioprotektion debattiert – nicht nur aus Gründen der Klimaveränderungen und der Überfischung der Weltmeere.
In der ASCEND-Studie (6) wurde an über 10 000 Patienten mit Diabetes mellitus T2 ein Supplement mit 460 mg EPA und 380 mg DHA v.s. Placebo (in Form von Olivenöl) während durchschnittlich 7.4 Jahren verabreicht. Auch hier zeigte sich kein signifikanter positiver Effekt auf die kardiovaskulären Endpunkte. Ähnlich zeigte eine neue Meta-Analyse, dass Omega-3 FS bei Hochrisiko Patienten keinen Effekt in der Prävention von tödlichen Koronarereignissen oder irgend einer anderen kardiovaskulären Erkrankung haben (8). Diese und wohl auch die anderen Studien wurden als ein weiterer «Sargnagel» für die Hypothese der Kardioprotektion durch Fischöle interpretiert (9). Die diesbezüglichen Guidelines müssen angepasst werden. Ob dies allerdings den Konsum an den entsprechenden Supplementen beeinflussen wird ist fraglich. Diese Studien zeigen, dass Resultate von alten Studien zu diesem Thema nicht auf heutige Herzpatienten übertragen werden können, bei denen die modernen kardiovaskulären Therapiestrategien etabliert sind und so unter Umständen eine hypothetische Wirksamkeit der Fischöle verunmöglicht. In den USA konsumierten um 10% der erwachsenen Population Fischöl-Supplemente. Entsprechend überrascht es nicht, dass diverse Interessenskreise die Qualität der neuen Studien mit zum Teil spekulativen und pathophysiologisch nicht korrekten Argumenten in Frage stellen. Dies überrascht nicht, zumal es sich hierbei um ein Multimillionen Business handelt.
Im gleichen Zeitraum wurde ebenfalls im NEJM die sogenannte REDUCE-IT Studie (7) publiziert. Bei dieser Sekundär-Präventions – Studie wurde in über 8000 älteren Patienten mit Status nach einem kardiovaskulären Ereignis 4 g Icosapentyl-Ethylester vs. Placebo verabreicht. Interessanterweise konnte durch die Verabreichung von Icosapentyl eine ausgeprägte Plasma-Triglyzerid-Senkung und eine ca. 25%ige Senkung des kombinierten kardiovaskulären Risikos erreicht werden. Diese Resultate sind eindrücklich und auch etwas irritierend, zumal in anderen Omega-3 FS Trials (siehe oben) keine oder nur ein geringer kardioprotektiver Effekt erzielt werden konnte. Die REDUCE-IT-Resultate müssen durch weitere Studien bestätigt werden; im Besonderen auch durch Head-to-Head Trials mit einer identischen Menge an Omega-3 Fettsäuren und allenfalls auch anderen Fettsäuren-Ethylester. Im Moment erscheint es als eher unwahrscheinlich, dass solche Studien gemacht werden. Ohne auf Details dieser Studie eingehen zu wollen, bleiben viele methodologische und auch pathophysiologische Fragen offen und unklar. Bei dem verabreichten Icosapentyl-Ester handelt es sich um ein synthetisches Derivat von Fettsäure-Ethylester aus EPA und DHA. Die Bioverfügbarkeit der Omega-3 Fettsäuren in Form von Ethylestern ist in der Regel relativ schlecht, zumal die Ethylester vor Absorption im Darm durch die Einwirkung der Pankreaslipase hydrolysiert werden müssen. Entsprechend beeinflussen Faktoren (z.B. Anteil an Fett in der Ernährung), welche die Sekretion der Pankreaslipase beeinflussen, die Bioverfügbarkeit dieser Ethylester. Die Fettsäure-Ethylester erfüllen somit die Kriterien eines Prodrug, das im Dünndarm zu EPA metabolisiert wird und erst dann absorbiert werden kann.
Es wird immer betont, dass es sich bei Icosapentyl um ein Omega-3-Fettsäuren-Präparat handelt. Dies ist grundsätzlich richtig, aber es handelt sich um natürlicherweise in der Nahrung kaum (respektive nur in bestimmen eher selten und lediglich in geringer Menge konsumierten Nahrungsmitteln) vorkommende Fettsäuren in einer unphysiologisch hohen Dosis. Mit Ernährung, dem klassischen Fischöl oder auch Fischkonsum hat dies nicht mehr viel gemeinsam, sondern es handelt sich – wie oben erwähnt – um ein Prodrug. Wodurch die therapeutische Wirksamkeit auf das kardiovaskuläre Risiko erklärt werden kann ist nicht klar. Fettsäure Ethylester werden auch im menschlichen Körper nach Alkoholkonsum durch Stoffwechselwege des sogenannten «nicht-oxidativen Alkohol-Metabolismus» synthetisiert und sind ein guter Marker für Alkoholkonsum (10). Seit bald 40 Jahren ist bekannt, dass nach Alkoholkonsum auch im Myokard Fettsäure-Ethylester nachgewiesen werden können, die u.U. eine protektive und auch pathologische Wirkung haben können. Fettsäuren-Ethylester nach Alkohol können durch toxische Effekte u.U. antiatherogen wirken (z.B. Beeinflussung der Proliferation der vaskulären glatten Muskelzellen). Der Stellenwert von FS in Form von Ethylestern in der kardiovaskulären Protektion muss noch weiter geklärt werden; im Besonderen sollten auch Mechanismen der Protektion geklärt werden.
Wie im Titel des NEJM-Editorials erwähnt, suchen wir immer noch nach einer möglichst wirksamen Prävention zur Beeinflussung des kardiovaskulären Restrisikos. Vor lauter Suchen vergessen wir die optimale und nachhaltige Umsetzung der klassischen Lebensstil-Faktoren. Fischöl-Supplemente können aufgrund der neusten Evidenz nicht mehr empfohlen werden. Die neusten Studien sind auch in Einklang mit der letzten Cochrane Analyse (11) zu diesem Thema vom letzten Jahr.
Klinik und Poliklinik für Innere Medizin
Universitätsspital Zürich
Rämistrasse 100
8044 Zürich
paolo.suter@usz.ch
Der Autor hat keine Interessenskonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel.
- Ob Subgruppen für die Primär- und Sekundärprävention von diesen Fischöl-Supplementen profitieren können, bleibt nach wie vor unklar und wird sicherlich weiterhin debattiert werden.
- Wünscht jemand – trotz der neuen Evidenz – weiterhin Fischöl zur
Kardioprotektion zu konsumieren, dann sollte wohl ein gleichzeitiger Fischkonsum sichergestellt sein. - Allerdings braucht auch diese Empfehlung noch bessere Evidenz.
Messages à retenir
- La question de savoir si des sous-groupes en prévention primaire et secondaire peuvent bénéficier de ces suppléments d’ huile de poisson reste incertaine et continuera certainement à faire l’ objet de débats.
- Si quelqu’ un souhaite – malgré les nouvelles preuves – continuer à consommer de l’ huile de poisson pour la cardioprotection, la consommation simultanée de poisson devrait probablement être assurée.
- Toutefois, cette recommandation a également besoin de meilleures preuves.
1. Bang HO, Dyerberg J, Hjørne N. The Composition of Food Consumed by Greenland Eskimos. Acta Medica Scandinavica 1976;200:69-73.
2. Desnoyers M, Gilbert K, Rousseau G. Cardioprotective Effects of Omega-3 Polyunsaturated Fatty Acids: Dichotomy between Experimental and Clinical Studies. Mar Drugs 2018;16:234.
3. Weylandt KH, Chiu C-Y, Gomolka B, Waechter SF, Wiedenmann B. Omega-3 fatty acids and their lipid mediators: Towards an understanding of resolvin and protectin formation. Prostaglandins & Other Lipid Mediators 2012;97:73-82.
4. Kastelein JJP, Stroes ESG. FISHing for the Miracle of Eicosapentaenoic Acid. New England Journal of Medicine 2018;380:89-90.
5. Manson JE, Cook NR, Lee IM, et al. Marine n−3 Fatty Acids and Prevention of Cardiovascular Disease and Cancer. New England Journal of Medicine 2018;380:23-32.
6. The_ASCEND_Study_Collaborative_Group. Effects of n−3 Fatty Acid Supplements in Diabetes Mellitus. New England Journal of Medicine 2018;379:1540-50.
7. Bhatt DL, Steg PG, Miller M, et al. Cardiovascular Risk Reduction with Icosapent Ethyl for Hypertriglyceridemia. New England Journal of Medicine 2019;380:11-22.
8. Aung T, Halsey J, Kromhout D, et al. Associations of Omega-3 Fatty Acid Supplement Use With Cardiovascular Disease Risks: Meta-analysis of 10 Trials Involving 77 917 IndividualsMeta-analysis of Associations of Omega-3 Fatty Acids and Cardiovascular RiskMeta-analysis of Associations of Omega-3 Fatty Acids and Cardiovascular Risk. JAMA Cardiology 2018;3:225-33.
9. Abbasi J. Another Nail in the Coffin for Fish Oil SupplementsAnother Nail in the Coffin for Fish Oil SupplementsAnother Nail in the Coffin for Fish Oil Supplements. JAMA 2018;319:1851-2.
10. Sonderberg BL, Sicinska ET, Blodget E, et al. Preanalytical Variables Affecting the Quantification of Fatty Acid Ethyl Esters in Plasma ans Serum Samples. Clin Chem 1999;45:2183-90.
11. Abdelhamid AS, Brown TJ, Brainard JS, et al. Omega – 3 fatty acids for the primary and secondary prevention of cardiovascular disease. Cochrane Database of Systematic Reviews 2018.
info@herz+gefäss
- Vol. 9
- Ausgabe 5
- September 2019