Fortbildung

Aktuelles zur Therapie von Desmoiden

Desmoid Tumoren (DT) sind seltene, lokal aggressive fibroblastische Proliferationen mit unvorhersehbarem klinischem Verlauf, die mehrheitlich Frauen um das 35. Lebensjahr betreffen. Während DT selten lebensbedrohlich sind, schränken sie durch chronische Schmerzen und funktionelle Defizite die Lebensqualität der Patienten stark ein. Ein Paradigmenwechsel in der Behandlung hat dazu geführt, dass asymptomatische Patienten primär durch «Active Surveillance» beobachtet werden, anstatt einer aggressiven chirurgischen oder strahlentherapeutischen Intervention. Internationale Leitlinien basieren auf systematischen Evidenzanalysen und fördern die Harmonisierung von Therapieansätzen, einschliesslich neuer lokaler und medikamentöser Optionen. Aktuelle Studien zeigen eine vielversprechende Wirksamkeit medikamentöser Therapien, wie der Tyrosinkinase Inhibitoren Sorafenib und Pazopanib, sowie der innovativen Gamma Sekretase Inhibitoren wie Nirogacestat. Letzteres ist die erste von der FDA zugelassene Therapie für DT und bietet signifikante Verbesserungen in progressionsfreier Überlebenszeit und Lebensqualität. Dieser Fortschritt markiert eine neue Ära in der Behandlung von Desmoid Tumoren.



Desmoid tumors (DT) are rare, locally aggressive fibroblastic proliferations with an unpredictable clinical course that predominantly affect women around the age of 35. While DT are rarely life-threatening, they severely limit patients’ quality of life due to chronic pain and functional deficits. A paradigm shift in treatment has led to asymptomatic patients being monitored primarily through “active surveillance” rather than aggressive surgical or radiotherapeutic intervention. International guidelines are based on systematic evidence reviews and promote the harmonization of treatment approaches, including new local and drug options. Current studies show promising efficacy of drug therapies such as the tyrosine kinase inhibitors sorafenib and pazopanib, as well as innovative gamma secretase inhibitors such as nirogacestat. The latter is the first FDA-approved therapy for DT and offers significant improvements in progression-free survival and quality of life. This advance marks a new era in the treatment of desmoid tumors.
Key words: Desmoid tumors, Active surveillance, Gamma secretase inhibitors

Epidemiologie und klinische Merkmale

Desmoid Tumoren stellen eine seltene Erkrankung dar, die histologisch durch eine lokal aggressive, monoklonale, fibroblastische Proliferation und klinisch durch einen variablen und oft unvorhersehbaren Verlauf gekennzeichnet ist. Die Inzidenz liegt bei 5-6 Fällen pro 1 Million Einwohner pro Jahr, mit einem charakteristischen Altersgipfel um die 35 Jahre bei weiblicher 2:1 Prädominanz (1). DT Patienten sind klinisch oftmals durch chronische Schmerzen, funktionelle Defizite, psychische Probleme und eine allgemeine Abnahme der Lebensqualität im täglichen Leben eingeschränkt; ein Desmoid ist jedoch prinzipiell meist keine lebensbedrohliche Erkrankung. Die vorhandene Literatur zu Desmoiden ist spärlich und es liegen überhaupt nur wenige prospektive Studien oder Metaanalysen vor. Daher gibt es seit mittlerweile zehn Jahren eine Initiative, Sarkom Experten unterschiedlicher Disziplinen mit Patienten und Patientenvertretern zusammenzubringen, zunächst aus Europa (2, 3) und seit 2018 weltweit mit Vertretern aus Nord- und Südamerika, Kanada und Asien, um die Behandlungsprinzipien von Patienten mit Desmoiden zu harmonisieren (4).

Von der Chirurgie zur «Active Surveillance»

Das aktuelle Update dieser gemeinsamen, globalen, Evidenz-basierten Konsensus Leitlinie der «The Desmoid Tumor Working Group» setzt den Fokus auf die Frage der Dauer einer «Active Surveillance» Strategie bis zum Beginn einer aktiven Therapie, die Rolle der lokalen Therapieoptionen wie beispielsweise Kryotherapie neben Chirurgie und Strahlentherapie sowie die Positionierung der neuen medikamentösen Behandlungsoptionen allen voran der Gamma Sekretase Inhibitoren. Konsensus Empfehlungen wurden erreicht durch erstens, eine evidenzbasierte systematische Literaturrecherche durch ein unabhängiges Institut unter Einbeziehung von methodologischen Experten, gefolgt von einer Evidenzanalyse nach GRADE (Grading of Recommendations Assessment, Development and Evaluation) sowie durch zweitens, eine Konsensus-Sitzung in Mailand, Italien, im Juni 2023 unter der Schirmherrschaft des Europäischen Referenznetzwerks für seltene solide Tumoren im Erwachsenenalter (EURACAN) mit Unterstützung der Patientenvertretung Sarcoma Patient Advocacy Global Network (SPAGN), The Desmoid Tumor Research Foundation (DTRF) sowie nationalen Desmoid Patientenorganisationen. Als Ergebnis dieses Treffens wurde ein umfassendes Positionspapier verfasst und veröffentlicht (5).

Historisch galt die vollständige chirurgische Resektion als Erstbehandlung für Patienten mit DT. Mittlerweile hat es einen Paradigmenwechsel im Management asymptomatischer DT Patienten gegeben, wobei das derzeit empfohlene primäre Vorgehen eine «Active Surveillance»-Strategie darstellt. Drei aktuelle prospektive Beobachtungsstudien zeigen eindeutig, dass «Active Surveillance» neu diagnostizierter DT eine wirksame Strategie ist, um einerseits Patienten besser für eine aktive Behandlung zu selektieren und andererseits Patienten vor unnötig aggressiven Behandlungen zu bewahren (6, 7, 8). Sie bestätigen retrospektive Daten und stehen im Einklang mit den Konsensus-Empfehlungen der «The Desmoid Tumor Working Group» hinsichtlich der aktiven Überwachungsstrategie. Die Chirurgie und Strahlentherapie treten somit immer mehr in den Hintergrund und werden von medikamentösen Therapieoptionen abgelöst.

Neue medikamentöse Therapieoptionen

Bisher liegen klinische Phase III Daten lediglich für den Tyrosinkinase Inhibitor Sorafenib und zuletzt für den Gamma Sekretase Inhibitor Nirogacestat vor. Sorafenib wurde in einer Placebo-kontrollierten Phase III Studie untersucht. 87 Patienten (medianes Alter 39 Jahre [Range: 18-72]) wurden mit Sorafenib 400 mg täglich oder Placebo im Verhältnis 2:1 behandelt. Die Analyse von 85 Patienten zeigte, dass das mediane progressionsfreie Überleben (PFS) von 11,3 Monaten für Placebo statistisch signifikant verlängert werden konnte (p < 0,0001); das Progressionsrisiko konnte im Sorafenib Arm um den Faktor 7 reduziert werden. Die Ansprechrate lag im Sorafenib Arm bei 33 %, allerdings auch bei 20 % im Placebo Arm. Für Sorafenib bekannte Nebenwirkungen umfassten Fatigue, Hautausschlag, Bluthochdruck sowie gastrointestinale Beschwerden (9). Eine randomisierte Phase II Studie (DESMOPAZ) untersuchte den Einsatz von Pazopanib 800 mg oral täglich im Vergleich zu einer Chemotherapie Kombination aus Methotrexat (30 mg/m²) plus Vinblastin (5 mg/m²) im Verhältnis 2:1 bei 72 RECIST progredienten Desmoid Patienten: 48 Patienten im Pazopanib Arm, 24 Patienten im Chemotherapie Arm (medianes Alter 40 Jahre [Range: 18-79]). Die 6-Monate «Non-progression» Rate, der primäre Endpunkt der Studie, lag im Pazopanib Arm bei 81 % und im Chemotherapie Arm bei 45 %. Das beste Ansprechen lag bei 37 % im Pazopanib Arm und 25 % im Chemotherapie Arm (10).

Der neueste medikamentöse Therapieansatz bei Desmoiden umfasst die Testung von Gamma Sekretase Inhibitoren (11). Die Daten der weltweiten, randomisierten, Placebo-kontrollierten Phase III Studie (DeFi) zum Einsatz von Nirogacestat bei 142 RECIST progredienten Desmoid Patienten zeigten eine statistisch signifikante Verlängerung des PFS bei einer Reduktion des Risikos einer Krankheitsprogression um 71 %. Die Ansprechrate lag für Nirogacestat bei 41 % im Vergleich zu 8 % im Placebo Arm. Nirogacestat zeigte eine gute Verträglichkeit; die häufigsten Nebenwirkungen waren Diarrhöe (84 %), Übelkeit (54 %), Fatigue (51 %), Hypophosphatemie (42 %), und Hautausschläge (32 %); 95 % aller Behandlungs-assoziierten Nebenwirkungen waren Grad 1 oder 2. Bei Frauen im gebärfähigen Alter zeigten 27 von 36 (75 %) Zeichen einer ovariellen Toxizität, die bei 20 Studienteilnehmerinnen (74 %) reversibel war. Darüber hinaus konnte die Studie alle sekundären Endpunkte erreichen und führte zu einer statistisch signifikanten Verbesserung der krankheitsspezifischen Symptomlast sowie der gesamten Lebensqualität (12). Nirogacestat ist damit die erste FDA-zugelassene Medikation in dieser Indikation überhaupt und kann auch in Europa die Standardtherapie für progrediente (und symptomatische) Desmoid-Patienten werden (13).

Copyright Aerzteverlag medinfo AG

Prof. Dr. med. Bernd Kasper

Universität Heidelberg, Universitätsklinikum Mannheim
Mannheim Cancer Center (MCC), Sarkom Zentrum
Theodor-Kutzer-Ufer 1-3
D-68167 Mannheim

BK gibt Beratungstätigkeit für Ayala, Bayer, Boehringer Ingelheim, GSK, Roche, Springworks Therapeutics an. BK erhält Honorare von Bayer, GSK und PharmaMar sowie Finanzierung wissenschaftlicher Untersuchungen von Ayala, Cogent, PharmaMar, Rain Therapeutics, Springworks Therapeutics.

  • Desmoid Tumoren sind selten, treten bevorzugt bei Frauen um das 35. Lebensjahr auf und sind durch eine lokal aggressive, aber meist nicht lebensbedrohliche Proliferation gekennzeichnet.
  • Die «Active Surveillance»-Strategie hat sich als wirksamer und
    schonender Ansatz etabliert, um unnötige aggressive Therapien bei asymptomatischen Patienten zu vermeiden.
  • Neue Medikamente wie Sorafenib, Pazopanib und insbesondere der Gamma Sekretase Inhibitor Nirogacestat zeigen vielversprechende Ergebnisse bei der Kontrolle von Tumorwachstum und Verbesserung der Lebensqualität.
  • Die globale Initiative der «The Desmoid Tumor Working Group» harmonisiert evidenzbasierte Behandlungsstrategien, fördert Innovationen und stärkt die Einbindung von Patientenorganisationen.

info@onco-suisse

  • Vol. 14
  • Ausgabe 8
  • Dezember 2024