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Ausgewählte Studien zu soliden Tumoren



Sentinel-Lymphknoten-Biopsie vs. keine Axillar-Operation bei Patientinnen mit kleinem Brustkrebs und negativem Ergebnis der Ultraschalluntersuchung der Axillar-Lymphknoten

Gentilini OD et al J Sentinel Lymph Node Biopsy vs No Axillary Surgery in Patients With Small Breast Cancer and Negative Results on Ultrasonography of Axillary Lymph Nodes JAMA Oncol. 2023 Sep 21 : e233759. doi: 10.1001/jamaoncol.2023.3759 [Epub ahead of print]

Kann bei Patientinnen mit kleinem Brustkrebs (BC) und negativem Ergebnis der präoperativen axillären Ultraschalluntersuchung auf eine Sentinel-Lymphknoten-Biopsie verzichtet werden?

Die Sentinel-Lymphknotenbiopsie (SLNB) ist das Standardverfahren für das axilläre Staging von Patientinnen mit Brustkrebs im Frühstadium, aber ihre Notwendigkeit kann in Frage gestellt werden, da die Operation zur Untersuchung der Axillarknoten nicht in kurativer Absicht durchgeführt wird.
Eine kürzlich publizierte Studie hatte zum Ziel festzustellen, ob der Verzicht auf eine axilläre Operation bei Patientinnen mit kleinem BC und negativem Ergebnis der präoperativen axillären Lymphknoten-Sonographie einer SLNB nicht unterlegen ist (1).

Design, Setting und Teilnehmerinnen

Bei der SOUND-Studie (Sentinel Node vs. Observation After Axillary Ultra-Sound) (1) handelte es sich um eine prospektive, randomisierte klinische Phase-3-Studie, die in Italien, der Schweiz, Spanien und Chile durchgeführt wurde. Insgesamt wurden 1463 Frauen jeden Alters mit einem BC von bis zu 2 cm und einem negativen Ergebnis der präoperativen axillären Ultraschalluntersuchung eingeschlossen und randomisiert. Von diesen wurden 1405 in die Intention-to-Treat-Analyse aufgenommen.

Die teilnahmeberechtigten Patienten wurden im Verhältnis 1:1 randomisiert, um eine SLNB (SLNB-Gruppe) oder keine axilläre Operation (keine axilläre Operation-Gruppe) zu erhalten.

Der primäre Endpunkt der Studie war das metastasenfreie Überleben (DDFS) nach 5 Jahren, das als Intention to Treat analysiert wurde. Sekundäre Endpunkte waren die kumulative Inzidenz von Fernrezidiven, die kumulative Inzidenz von axillären Rezidiven, das DFS, das Gesamtüberleben (OS) und die Empfehlungen zur adjuvanten Behandlung.

Ergebnisse

Von den 1405 Frauen (medianes [IQR] Alter, 60 [52-68] Jahre), die in die Intention-to-Treat-Analyse einbezogen wurden, wurden 708 in die SLNB-Gruppe und 697 in die Gruppe ohne axilläre Operation randomisiert. Insgesamt betrug die mediane (IQR) Tumorgröße 1,1 (0.8-1.5) cm, und 1234 Patientinnen (87.8 %) hatten Östrogenrezeptor-positiven ERBB2 (früher HER2 oder HER2/neu), nicht überexprimierenden BC. In der SLNB-Gruppe hatten 97 Patientinnen (13.7 %) positive Axillarknoten. Die mediane (IQR) Nachbeobachtungszeit zur Beurteilung der Erkrankung betrug 5.7 (5.0-6.8) Jahre in der SLNB-Gruppe und 5,7 (5,0-6,6) Jahre in der Gruppe ohne axilläre Operation. Die Fünf-Jahres-DDFS lag in der SLNB-Gruppe bei 97,7 % und in der Gruppe ohne axilläre Operation bei 98,0 % (log-rank P = 0.67; Hazard Ratio, 0.84; 90% CI, 0.45-1.54; noninferiority P =0.02). Insgesamt wurden in der SLNB-Gruppe 12 (1.7 %) lokoregionale Rezidive, 13 (1,8 %) Fernmetastasen und 21 (3,0 %) Todesfälle beobachtet, während in der Gruppe ohne axilläre Operation 11 (1,6 %) lokoregionale Rezidive, 14 (2.0 %) Fernmetastasen und 18 (2.6 %) Todesfälle beobachtet wurden.

Schlussfolgerung und Relevanz

In dieser randomisierten klinischen Studie war der Verzicht auf eine axilläre Operation bei Patientinnen mit kleinem BC und einem negativen Ergebnis der Ultraschalluntersuchung der axillären Lymphknoten der SLNB nicht unterlegen. Diese Ergebnisse legen nahe, dass Patientinnen mit diesen Merkmalen eine axilläre Operation sicher erspart werden kann, wenn das Fehlen pathologischer Informationen den postoperativen Behandlungsplan nicht beeinträchtigt.

Kommentar

Das optimale Vorgehen in der Axilla bei der Primärbehandlung des Mammakarzinoms wird intensiv beforscht und bildet eine Kontroverse an jedem Brustkrebskongress. Das Gebiet ist stark in Bewegung und fragmentiert durch die vielen Einflussfaktoren. Neben der präoperativen Diagnostik (hier am wichtigsten der Ultraschall in erfahrenen Händen), dem histologischen Typ mit den Schwierigkeiten beim lobulären Karzinom, den biologischen Subtypen und dem Ausgangsrisiko für axillären Befall sind es vor allem der Einfluss der immer häufiger angewandten neoadjuvanten Therapie und den Optionen der personalisierten und risikoadaptierten, postoperativen adjuvanten Therapie, welche Einfluss nehmen, ob eine Sentinel-Lymphknotenbiopsie einen Nutzen bringt. Immerhin ist der Eingriff rein diagnostisch und schon dadurch ein guter Kandidat für weitere De-eskalation der Chirurgie. Zeigt die SOUND Studie nun, dass die Sentinel-Lymphknotenbiopsie bei klinisch-sonographisch unauffälliger Axilla ausgedient hat? Die Antwort heisst wohl: weitgehend. Ganz neu und überraschend sind die Ergebnisse nicht. Bereits frühere Studien in den 90er Jahren zeigten kaum einen relevanten Gewinn, sogar wenn nur eine palpatorisch untersuchte Axilla verlangt wurde. Schweizer Zentren haben bei der IBCSG 10-93 mitgeholfen die Frage zu untersuchen. In dieser Studie hatten nur 5 von 473 Patientinnen über 65 Jahren mit Hormonrezeptorpositivem Karzinom einen Rückfall in der Axilla als ersten event: 2 im Arm mit Axillachirurgie und 3 im Arm ohne Axillachirurgie. Krankheitsfreies und Gesamtüberleben war wie erwartet nicht unterschiedlich. Bekannt seit bald 20 Jahren. https://ascopubs.org/doi/10.1200/JCO.2005.01.5784
Fazit: Es ist Zeit, bei diesen kleineren Tumoren diese weitere Dees­kalation in die tägliche Routine einzuführen.

Phase-3-Studie SONIA

Sonke GS et al. Primary outcome analysis of the phase 3 SONIA trial (BOOG 2017-03) on selecting the optimal position of cyclin-dependent kinases 4 and 6 (CDK4/6) inhibitors for patients with hormone receptor-positive (HR+), HER2-negative (HER2-) advanced breast cancer (ABC). J Clin Oncol 41, 2023 (suppl 17; abstr LBA1000)

Die primäre Ergebnisanalyse der Phase-3-Studie SONIA (BOOG 2017-03) zur Auswahl der optimalen Positionierung von Inhibitoren der Cyclin-abhängigen Kinasen 4 und 6 (CDK4/6) für Patientinnen mit Hormonrezeptor-positivem (HR+), HER2-negativem (HER2-) fortgeschrittenem Brustkrebs (ABC) wurde am ASCO Annual Meeting 2023 präsentiert.

Die randomisierte, von Prüfärzten initiierte, landesweite SONIA-Studie der Phase 3 untersuchte die Wirksamkeit, Sicherheit und Kosteneffizienz von CDK4/6i als Zusatz zur endokrinen Erst- oder Zweitlinientherapie (ET) bei Patientinnen mit HR+, HER2- ABC, die zuvor keine Therapie für ABC erhalten haben. Die Zugabe von CDK4/6i zur ET verbesserte das progressionsfreie (PFS) und das Gesamtüberleben (OS) bei HR+, HER2- ABC, als Erstbehandlung (Erstlinie) und nach vorheriger endokriner Monotherapie (Zweitlinie). Die meisten internationalen Leitlinien raten zur Erstlinienbehandlung, obwohl die Toxizität länger anhält und die Kosten im Vergleich zur Zweitlinienbehandlung stark ansteigen. Die Überlegenheit der Erstlinientherapie gegenüber der Zweitlinientherapie auf der Grundlage eines direkten Vergleichs ist nicht bewiesen.

Studienanlage

In 74 niederländischen Krankenhäusern wurden prä- und postmenopausale Frauen (N=1050) mit messbarer oder auswertbarer Erkrankung und WHO-Performance-Status 0-2 aufgenommen, die zuvor keine ABC-Therapie erhalten hatten. Eine (neo)adjuvante Therapie war zulässig (krankheitsfreies Intervall nach nichtsteroidalen Aromatasehemmern (NSAI) >12 Monate). Die Patientinnen wurden im Verhältnis 1:1 randomisiert und erhielten entweder Strategie A (Erstlinientherapie mit einem NSAI + CDK4/6i, bei Fortschreiten der Erkrankung gefolgt von Fulvestrant (F)) oder Strategie B (Erstlinientherapie mit einem NSAI, bei Fortschreiten der Erkrankung gefolgt von F + CDK4/6i). Die Wahl zwischen einem der verfügbaren CDK4/6i (Abemaciclib, Palbociclib, Ribociclib) war ein Stratifikationsfaktor und lag im Ermessen des behandelnden Arztes. Der primäre Endpunkt war die Zeit von der Randomisierung bis zum zweiten objektiven Fortschreiten der Krankheit (PFS2), wie von Prüfärzten beurteilt, oder bis zum Tod. Zu den sekundären Endpunkten gehörten OS, Sicherheit, Lebensqualität und Kosteneffizienz.

Ergebnisse

Nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 37,7 Monaten (Stichtag 1. Dezember 2022) betrug das mediane PFS2 bei Strategie A 31,0 Monate gegenüber 27,8 Monaten bei Strategie B (Hazard Ratio 0,89; 95 % Konfidenzintervall, 0,75 bis 1,04; P=0,14). Der Behandlungseffekt war über die Ebenen der vordefinierten Untergruppen hinweg konsistent. Das Sicherheitsprofil war charakteristisch für ET + CDK4/6i. Die mediane Dauer der Behandlung mit CDK4/6i betrug 24,7 Monate in Strategie A und 8,3 Monate in Strategie B (Δ 16,4 Monate). Die Zahl der unerwünschten Ereignisse von Grad ≥3 betrug 2778 für Strategie A und 1620 für Strategie B.

Schlussfolgerung

Der Einsatz von CDK4/6i + ET in der Erstlinie bietet weder einen statistisch signifikanten noch einen klinisch bedeutsamen PFS-Vorteil im Vergleich zum Einsatz in der Zweitlinie bei Frauen mit HR+, HER2- ABC. Der Einsatz in der Erstlinie verlängert die Zeit, in der CDK4/6i eingesetzt wird, um 16,4 Monate und erhöht die Toxizität und die Kosten. Die Zweitlinientherapie könnte daher für die Mehrheit der Patientinnen die bevorzugte Option sein. (Finanziert von der niederländischen Organisation für Gesundheitsforschung und -entwicklung und den niederländischen Krankenkassen; ClinicalTrials.gov-Nummer, NCT03425838). Informationen zur klinischen Studie: NCT03425838.

Kommentar

Dieses paradigmatische Beispiel zeigt, dass nicht jedes neue, innovative, in der ersten Therapieline getestete und wirksame Medikament, auch so verschrieben werden muss, auch wenn es in der (Zulassungs-)Studie mit einem OS Vorteil verknüpft war.
Diese Interpretation ist wie die Studie zeigt nicht korrekt, von der vermehrten Toxizität und den Kosten abgesehen. Zeit unsere Verschreibungspraxis zu überdenken.

Prof. Dr. med. Beat Thürlimann

Brustzentrum, Kantonsspital St. Gallen
Rorschacher Strasse 95
9007 St.Gallen

info@onco-suisse

  • Vol. 13
  • Ausgabe 7
  • November 2023