- Bund bestätigt erstmals Ungleich- behandlung bei Off-Label-Vergütungen
Der Schlussbericht des Bundesamtes für Gesundheit zur Evaluation der Vergütung im Einzelfall zeigt die hohe Bedeutung der Artikel 71a–71d KVV für den raschen Zugang zu lebenswichtigen Medikamenten und bestätigt gleichzeitig, was zahlreiche Onkologen und die Krebsliga seit Jahren bemängeln: Die heutige Situation ist in der Praxis unbefriedigend. Es besteht eine stossende Ungleichbehandlung bei der Kostenübernahme von Off-Label-Medikamenten und der administrative Aufwand für alle beteiligten Akteure ist unverhältnismässig gross.
In kaum einem Fachgebiet werden Therapien so häufig ausserhalb ihrer zugelassenen Indikation eingesetzt wie in der Onkologie: Rund ein Drittel aller erwachsenen Krebsbetroffenen und fast alle Kinder mit Krebs werden in sogenannten Off-Label-Anwendungen behandelt. Mit der rasanten medizinischen Entwicklung und der personalisierten werden Off-Label-Behandlungen weiter stark zunehmen. Der Zugang zu diesen mehrheitlich lebensnotwendigen Therapien ist momentan abhängig davon, ob die obligatorische Grundversicherung der Krankenkasse die Kosten vergütet. Lehnt die Krankenkasse die Übernahme ab, gehen die Kosten, die sich auf mehrere 100 000 Franken belaufen können, aktuell zu Lasten der Patientinnen und Patienten und ihrer Familien – und sind für diese meist unbezahlbar.
Aktuelle gesetzliche Regelung ist veraltet
Sinnvolle Behandlungen dürfen nicht nur denjenigen Patientinnen und Patienten zur Verfügung stehen, welche diese selbst finanzieren können. Deshalb sind die geltenden Art. 71a-71d der Krankenversicherungsverordnung (KVV) im Grundsatz begrüssenswert. Darin ist geregelt, unter welchen Bedingungen Off-Label-Behandlungen über die obligatorische Grundversicherung vergütet werden müssen: Mittels Kostengutsprache kann im Einzelfall für Patientinnen und Patienten mit lebensbedrohlichen Erkrankungen ein nicht zugelassenes oder nicht auf der Spezialitätenliste aufgeführtes Medikament verschrieben werden – sofern ein hoher therapeutischer Nutzen zu erwarten und keine gleichwertige Alternative zugelassen ist. Letztendlich entscheidet dabei aber die Krankenversicherung, ob die Kosten übernommen werden. Die Mehrheit der Kostengutsprachegesuche wird gutgeheissen. Bei den restlichen, mehrheitlich komplexen Fällen, stellen Fachleute aus dem onkologischen Bereich unfaire Ungleichbehandlungen in Bezug auf die Vergütung fest. Hinzu kommt der grosse administrative Aufwand für alle beteiligten Akteure in der Gesuchstellung und deren Beurteilung. Zudem gelten die Artikel als überholt: Aufgrund der laufend zunehmenden Zahl der Kostengutsprachegesuche kann man längst nicht mehr von einer Ausnahmeregelung sprechen. Letztes Jahr stammte rund die Hälfte der 38 000 erfassten Gesuche um Kostengutsprache aus dem Bereich Onkologie.
Praxisorientierte Massnahmen müssen gesetzlich verankert werden
Die Krebsliga begrüsst deshalb, dass der umfassende Schlussbericht die heutige herausfordernde Situation gut aufzeigt und konkrete Empfehlungen zur Optimierung formuliert. Die Überarbeitung der Rechtsgrundlage, ein nationales Register inkl. digitaler Plattform zur Einreichung der Gesuche, die Erhöhung der Transparenz und eine zentrale Stelle für die Nutzenbeurteilung von komplexen Fällen lassen hoffen, dass sich die Zugangsgerechtigkeit in der Schweiz massgeblich verbessert. Für Krebspatientinnen und -patienten und ihre Angehörigen ist es zentral, dass die Vergütung und damit der Zugang zur lebensnotwendigen Behandlung fair, zeitgerecht und verbindlich geregelt ist.
Schlussbericht
Bundesamt für Gesundheit: Schlussprodukte der Evaluation der Vergütung von Arzneimitteln im Einzelfall nach den Artikeln 71a–71d KVV. https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/das-bag/publikationen/evaluationsberichte/evalber-kuv.html
Projekt «Empfehlungsliste»
Das Projekt unter der Leitung der Krebsliga Schweiz nimmt sich alten Medikamenten an, die nicht mehr patentgeschützt sind und die wissenschaftlich erwiesen einen therapeutischen Fortschritt im «Off-Label-Use» (Art. 71a KVV) versprechen. Bei gewissen Medikamenten akzeptieren die Krankenkassen die Vergütungsanträge in (fast) allen Fällen. Ziel ist es, eine Liste dieser Medikamente zu erstellen und einen vereinfachten Prozess für Vergütungsanträge zu entwickeln. Während der Arbeitssitzungen einigten sich die beteiligten Parteien auf eine Liste von Medikamenten. Diese Liste muss noch von den am Projekt teilnehmenden Krankenkassen formell validiert werden. Ein digitalisiertes Verfahren wird nun implementiert, um das Pilotprojekt Anfang 2021 starten zu können.
Leiterin Politik und Public Affairs Krebsliga Schweiz