Weihnachtskolumne

Die Nerven-Kekse der Hildegard von Bingen. Ein Palmares von psychotropen Eigenschaften



Gewürze spielen in der Hildegard Medizin eine grosse Rolle und werden in vielfältiger Weise auch als Heilmittel eingesetzt. Ein bekanntes Beispiel sind die Nerven-Kekse, die für eine bessere Befindlichkeit sorgen. Die Gewürz-Mischung der Nerven-Kekse enthält Muskat-Nuss, Zimt und Nelken. Muskat-Nuss ist bekannt für die psychoaktiven Inhaltsstoffe Myristicin. Safrol, Elemicin und Eugenol, alles Verbindungen aus der Familie der Allylbenzole. In Tierversuchen wurde gezeigt, dass Allylbenzole zu stickstoff-haltigen Amino-
Ketonen metabolisiert werden, die angeblich für die Psychoaktivität verantwortlich sind.

Im Handbuch der Pharmakognosie von Alexander Tschirch findet sich ein Hinweis auf eine weitere psychotrope Komponente in der Muskatnuss mit unbekannter chemischer Struktur. Mehrere Autoren berichteten über eine opium-ähnliche Wirkung dieses Inhaltsstoffes. Dazu passend wird in neueren Arbeiten der Nachweis von Alkaloiden in der Muskatnuss erbracht. Bei der Herstellung von Nerven-Keksen hat man die Möglichkeit, ein alkaloid-freies Produkt herzustellen, indem man Macis («Muskat-Blüte») oder ätherisches Muskat-Öl anstelle von Muskatnuss verwendet. Muskat-Nuss und Macis enthalten weitere pharmakologisch wirksame Bestandteile in Form der Lignane Licarin und Malabaricon mit Wirkung auf das endocannabinoide System beim Menschen.

Eine weitere Komponente in der Gewürzmischung besteht aus dem ätherischem Öl Eugenol aus den Nelken. Eugenol ist ein Allylbenzol mit bekannter Fisch-Toxizität mit schnellem Wirkungseintritt der Narkose bei der Verwendung, z.B. in der Fisch-Zucht. Eugenol stand am Anfang bei der Entwicklung von Propofol (Disoprivan) als Narkose-Mittel. In Anlehnung an die Propofol-Daten steht eine Beteiligung der GABA-Rezeptoren bei der zentralen Wirkung der Allylbenzole in der Muskatnuss im Vordergrund. Bekanntlich unterliegt Propofol einem ausgeprägten First-Pass-Effekt und ist daher nach peroraler Einnahme wirkungslos. Die Aktivität von Glykoprotein P bestimmt das Ausmass des First-Pass-Effekts und es gibt mehrere Beispiele wo die Hemmung von Glykoprotein P für eine erhöhte systemische Verfügbarkeit von oral verabreichten Substanzen erhöht wird. Wohl das wichtigste Beispiel für diese Hemmung findet sich mit Alkohol. Falls diese Überlegung auch auf die Allylbenzole zutrifft, dann wäre bei den Nerven-Keksen eine erhöhte Wirkung zu erwarten, wenn sie in Kombination mit Alkohol eingenommen werden. Das könnte im Kloster bei Hildegard von Bingen sehr wohl der Fall gewesen sein, weil die Einnahme von Bier wegen der Ungeniessbarkeit von Wasser im Mittelalter weit verbreitet war.

Was die Verwendung von Zimt in der Gewürz-Mischung betrifft, könnte es sich um eine Fehlinterpretation bei der Übersetzung des Begriffs «Cinnamomum» im lateinischen Originaltext handeln. Cinnamomum kann anstatt mit Zimt auch korrekt mit Kampfer übersetzt werden. Der Kampfer und seine Wirkung waren bei der Äbtissin Hildegard von Bingen (1089-1179) gut bekannt. An anderer Stelle berichtet sie, dass die Verwendung von Kampfer die Aufmerksamkeit bei ihren Ordens-Schwestern im Gottesdienst fördert. Daher ist es naheliegend, dass Kampfer anstelle von Zimt bei der Herstellung der Gewürzmischung verwendet werden kann. Eine neue Rezeptur bei der Herstellung der Gewürzmischung unter Verwendung von natürlichem rechtsdrehendem Kampfer wird erwartungsgemäss eine verstärkte Wirkung gegen die Herbst-Melancholie und gegen den Winter-Blues zeigen. Die zusätzliche Verwendung von Zimt gibt der Gewürzmischung eine olfaktorische Note, die für eine weihnächtliche Stimmung sorgt.

Prof. em. Dr. pharm. A. Küpfer
Herzogenbuchsee

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  • Vol. 14
  • Ausgabe 8
  • Dezember 2024