Fortbildung

Chancen und Herausforderungen bei der Implementierung

Digitale Tools zur Stärkung der Selbstwirksamkeit von Krebsbetroffenen

Krebsbetroffenen stehen zahlreiche Hilfsmittel zur Verfügung, welche zur Bewältigung ihrer Situation beitragen können. Die Welle der Digitalisierung aller Gesellschaftsbereiche erfasst erfreulicherweise auch diesen Bereich, so dass immer mehr digitale Hilfsmittel, Apps oder «Tools» angeboten werden.



Les personnes atteintes de cancer disposent de nombreux outils qui peuvent les aider à faire face à leur situation. Heureusement, la vague de digitalisation de tous les domaines de la société affecte également ce domaine, de sorte que de plus en plus d’aides numériques, d’applications ou de «tools» sont ainsi mis en place.

Diese digitalen Helfer können zu verschiedenen Zwecken eingesetzt werden, so beispielsweise zur Unterstützung bei der Krebsfrüherkennung, zum Erfassen individueller Symptome, zur Kommunikation zwischen Betroffenen und Behandelnden, zur Beratung bezüglich Nebenwirkungen von Therapien sowie generell zum Umgang mit der belastenden Situation einer Krebserkrankung.
Die Krebsliga Schweiz hat im Rahmen eines Projekts der Nationalen Strategie gegen Krebs bereits im 2018 einen Kongress zu solchen Apps durchgeführt. In diesem Rahmen kamen die Experten zum Schluss, dass einer der kritischen Momente auf dem Weg solcher Tools zum Patienten der Übergang von der Studienphase – welche solche Tools meistens durchlaufen – in den Alltag der Betroffenen, also in die Regelversorgung darstellt. Unklarheiten bezüglich Finanzierung, Betreuung bzw. Weiterentwicklung solcher Tools in dieser Phase stellen grosse Hürden dar.
Um sich über Herausforderungen und Erfahrungen in Zusammenhang mit diesem Übergangsmoment auszutauschen, wurde im Oktober 2019 ein Folge-Anlass zur ersten Tagung organisiert. Im Rahmen des «Forum SELF», der entsprechenden Plattform des Bundesamts für Gesundheit BAG, diskutierten insgesamt über 50 Personen aus Praxis, Verwaltung, Industrie und weiteren Kreisen, wie diese Implementierung von Tools im Bereich Selbstwirksamkeit von Krebspatienten in die Regelversorgung idealerweise angegangen werden sollte. In diesem Artikel wird auf zwei der dort besprochenen Tools eingegangen und die «Take Home Messages» dieses Anlasses werden vorgestellt.

Symptom-Navi-Programm*:
Selbstmanagement verbessern

Krebsbetroffene leiden aufgrund ihrer Erkrankung oder der erhaltenen Therapie an den verschiedensten Symptomen, welche sich negativ auf den Alltag der Betroffenen und deren Angehöriger auswirken können. Solche Symptome werden in der Onkologie mittels supportiver Therapien angegangen. Mit dem Symptom-Navi-Programm können krebserkrankte Menschen ihre Symptome auch im Selbstmanagement angehen. Laut Prof. Manuela Eicher (IUFRS, Universität Lausanne/CHUV), Verantwortliche des Symptom-Navi-Programms, wurde gezeigt, dass Menschen, die den Umgang mit den Auswirkungen ihrer Erkrankung auf ihren Alltag verbessern können, gesünder weiterleben, weniger Probleme haben und besser im Alltag zurechtkommen.
Das Symptom-Navi-Programm besteht aus 16 Informationsblättern mit schriftlichen Kurzinformationen zu häufigen Symptomen sowie einem Schulungskonzept für Pflegefachpersonen zur Patientenedukation bei der Abgabe der Informationsblätter. Jedes dieser 16 Informationsblätter ist einem Symptom gewidmet. Ziel der verschiedenen Produktangebote ist, Betroffenen dabei zu helfen, auftretende Symptome mit einem Ampelsystem «Grün, Gelb, Rot» in ihrer Intensität richtig einzuschätzen und wirksame Massnahmen zu treffen.
Das Symptom Navi ersetzt keineswegs die Betreuung und das Gespräch mit einer Fachperson. Es soll vielmehr die Information und Beratung durch Fachpersonen unterstützen. Es liegt nahe – und wurde aus Betroffenenkreisen auch nachgefragt – diese Informationen in einer Smartphone-App zusammenzufassen bzw. zur Verfügung zu stellen. Dies hat viele Vorteile: Beispielsweise, dass sich Videos und Audio-Files leicht einbinden lassen. So drückt der Nutzer auf einen Link, der ihn direkt zu Videos und weiteren Informationen und Vernetzungen führt. In der digitalen Version findet der Patient zudem die Koordinaten möglicher Ansprechpartnerinnen und -partner in seiner Gegend, wie etwa die Telefonnummer der wichtigsten Personen seines Behandlungsteams.
Aus der Patientenperspektive sind das klare Verbesserungen. Auch aus Sicht der Anbieter bringt die elektronische Version Vorteile. So können beispielweise Statistiken zur Nutzung der einzelnen Informationen angelegt und analysiert werden. Allerdings sind es, wenig überraschend, hauptsächlich Aspekte zur Finanzierung sowie zum Datenschutz, welche die Initianten beim Prozess der Digitalisierung und Implementierung vor grosse Herausforderungen stellen, so dass die Implementierung in die Regelversorgung noch nicht so weit fortgeschritten ist, wie sich dies die Initianten wünschten.

STREAM: Stress aktiv mildern

Das Online-Programm STREAM hilft neudiagnostizierten Krebserkrankten dabei, den erfahrenen Stress zu senken und die Lebensqualität dadurch zu steigern. STREAM ist ein Akronym und steht für «Stress aktiv mindern». Anhand von acht Modulen mit Fragen, Informationen, Übungen und verhaltenstherapeutischen Anleitungen erhält der Krebsbetroffene eine Unterstützung bei der Bewältigung der Belastungen, welche die Krankheit auslöst. In den Übungen arbeitet sie oder er Themen durch wie: Was löst Stress aus, wer kann mich wie unterstützen, wie finde ich Ressourcen? Innerhalb des Programms steht der Krebspatient in einem regelmässigen schriftlichen Kontakt mit einem Psychoonkologen.
Nach acht Wochen der gestützten Selbsthilfe kann der Betroffene laut Prof. Vivianne Hess (Leitende Ärztin Onkologie USB), Studienleiterin STREAM, mit seiner Krankheit besser umgehen. Ein digitales Programm wie STREAM hat den Vorteil, dass man Betroffene in einem grossen geographischen Raum erreichen kann. Die Teilnehmer schätzen es, dass sie selbständig entscheiden können, wann, wo und wie oft sie das Programm inklusive den Übungen zum Runterladen (eigens produzierte Videos und Audio-Files) benutzen.
Weitere Vorteile sind, dass sich die Betroffenen die «Sitzungen» zeitlich einteilen und dazu einen bequemen Ort wählen können. Trotz der Schriftlichkeit bauen die Betroffenen gemäss Pilotstudie eine persönliche Beziehung zum Therapeuten auf, die ähnlich stark ist wie bei der Kommunikation von Angesicht zu Angesicht. Diese Beziehung ist wichtig und führt zu einer Steigerung der Wirksamkeit der Intervention im Vergleich zu reinen Selbsthilfeprogrammen. Man darf sogar die Frage aufwerfen, ob in gewissen Situationen die digitale Psychoonkologie vielleicht sogar besser geeignet ist als Sitzungen von Angesicht zu Angesicht es sind.
Über die ganze Zeit der Behandlung – bei STREAM über elf Wochen – gesehen, ist das digitale Programm wahrscheinlich zeit-
effizienter: die schreibenden Psychoonkologinnen wendeten pro Woche im Durchschnitt nur 13 Minuten für einen Patienten auf. Persönliche Sitzungen dauern in der Regel schnell eine Stunde. Das Alter der Teilnehmer an der STREAM-Pilotstudie hat nachweislich keinen Einfluss in Bezug auf die Nutzung des digitalen Angebots.
Wie beim Symptom-Navi-Programm sind auch bei STREAM Finanzierung und Datenschutz zwei zentrale Probleme in Bezug auf die Implementierung in die Regelversorgung. Ein privates Unternehmen interessierte sich zwar für den Kauf des ganzen Programms, den Initiantinnen ist es aber wichtig, dass das Programm auf mehrere Stakeholder abgestützt ist, bzw. eine Anbindung an eine öffentliche oder Non-Profit Organisation wie der Universität Basel oder der Krebsliga Schweiz besteht.

Erkenntnisse aus der Tagung «Forum SELF» des BAG

Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat am 29. Oktober 2019 das zweite Forum der «Plattform SELF» mit dem Jahresthema «Good-practice-Angebote der Selbstmanagement-Förderung» durchgeführt. Ausgehend von den Ergebnissen des Zwischenberichts «Nachhaltige Finanzierung und Qualität in der Selbstmanagement-Förderung – eine Studie mit Beispielen guter Praxis», wurden im Rahmen von Workshops die Empfehlungen des Berichtsentwurfs diskutiert sowie verschiedene der porträtierten Good-practice-Beispiele vorgestellt.
Als Teil der Veranstaltung bot die Krebsliga Schweiz einen Workshop an, in welchem sowohl das Symptom-Navi-Programm wie auch STREAM durch Projektbeteiligte vorgestellt und die Inhalte der Präsentationen mit dem Publikum diskutiert werden konnten. Dies als Folgeveranstaltung zur Tagung «digiself 2018». Dabei bestätigte sich, dass die Frage nach der Finanzierung der Transition solcher Apps vom akademischen ins Regelversorgungs-Setting für Projektverantwortliche eine zentrale Herausforderung darstellt.
Die während der Diskussion genannten, dafür benötigten finanziellen Mittel – 250’000 Franken als Richtwert für die Durchführung einer Studie zu einem solchen digitalen Tool und gar eine halbe Million Franken für die Implementierung in die Regelversorgung – wurden in einem ersten Moment ungläubig aufgenommen. Allerdings: Allein die Zertifizierung eines solchen Tools bringt Kosten in der Grössenordnung von CHF 100’000 mit sich.
Weitere gewichtige Kostenpunkte sind laut den Projektverantwortlichen das Online-Marketing des Tools bei der Zielgruppe durch Social Media oder auch bezahlte Google-Werbung sowie insbesondere das Sicherstellen von Datenschutz und die ständige Aktualisierung des Inhalts. Wenn man zusätzlich den Aufwand bezüglich Aufbereitung für die verschiedenen technischen Plattformen (inkl. Updates) berücksichtigt, erklären sich die hohen Beträge.

Benutzerfreundliche Ausgestaltung

Ein Knackpunkt beim Erfolg der Implementierung eines solchen Tools ist des Weiteren die Benutzerfreundlichkeit. So sind die User-Präferenzen, beispielsweise bei Art und Häufigkeit der erforderlichen Interaktion mit dem Tool stark individualisiert. Nebst persönlichen Vorlieben (Zitat Workshop-Teilnehmer: «Ich will nicht ständig vom Handy zu etwas aufgefordert werden.») gibt es auch stratifizierte Unterschiede, je nach Art der Unterstützungsleistung des Tools bzw. der angestrebten Wirkung bei der Zielgruppe.
Den Gedanken des richtigen Masses weiterführend, wurde auch die «Schwemme» von Apps und Webseiten, mit denen wir in Kontakt kommen, kritisch hinterfragt. Um ein drohendes Überangebot zu vermeiden, aber auch um Synergien zu nutzen, zielte das Schlusswort von Astrid Grossert, Vertreterin von STREAM, auf alle Anbieter von Patienten-orientierten Tools und es soll auch hier multipliziert werden: im Sinne der Effizienz, aber auch um es den Betroffenen zu vereinfachen, sollten Ressourcen unbedingt gebündelt und Projekte in grösstmöglicher Vernetzung geplant und vor allem implementiert werden.

*Der Abschnitt enthält Passagen aus Interviews mit den im Text erwähnten Personen, zu finden auf www.nsk-krebsstrategie.ch

Dr. sc. nat. Michael Röthlisberger

Co-Gesamtprojektleiter NSK
Nationale Strategie gegen Krebs
c/o Oncosuisse
Effingerstrasse 40
Postfach
3001 Bern

michael.roethlisberger@nsk-krebsstrategie.ch

Der Autor hat keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.

auf Anfrage beim Verfasser

info@onco-suisse

  • Vol. 9
  • Ausgabe 6
  • Dezember 2019