Fortbildung

Konsensus Paper des APCCC

Fortgeschrittenes Prostatakarzinom

In diesem 40-seitigen frei zugänglichen Paper – Resultat der Advanced Prostate Cancer Consensus Conference, APCCC 8.2019 – sind zahlreiche ausdiskutierte Empfehlungen und zusammenfassende Diskussionen zu den 10 wichtigsten Themen zur Diagnose und Behandlung von Patienten mit fortgeschrittenem Prostatakarzinom sorgfältig und übersichtlich zusammengestellt.



Dans ce document de 40 pages en libre accès, résultat de la Conférence de consensus sur le cancer avancé de la prostate, APCCC 8.2019, de nombreuses recommandations discutées et résumant les discussions sur les 10 sujets les plus importants pour le diagnostic et le traitement des patients atteints d’ un cancer avancé de la prostate sont soigneusement et clairement compilées.

Ein Panel von 72 international anerkannten Prostatakarzinom Experten aus allen Weltgegenden haben das Programm und die entscheidenden 123 zu diskutierenden Fragen für den abschliessenden Konsensus der 3-tägigen Konferenz nach einem Delphi-Verfahren vorbereitet. Das Panel mit Stimmrecht («Panelists») bestand aus 61 Experten mit klinischer Expertise (44% Medizinische Onkologen, 30% Urologen, 14% klinische Onkologen, und 12% Radioonkologen. 35% praktizieren in Europa, 42% in Nord Amerika, und 23% in anderen Regionen der Welt), die nicht klinisch tätigen Panelmitglieder ohne Stimme waren Nuklearmediziner, Radiologen, Pathologen, Statistiker und ein Patientenvertreter. Der Kongress selber wurde von ca. 800 Teilnehmern besucht. Im Gegensatz zur Entwicklung von Guidelines ist bei diesem Konsensus-Verfahren hier nicht die vorhandene Evidenz alleine der ausschlaggebende Massstab, sondern was die Panelists selber dazu meinen, tun und auch empfehlen. Dies ist analog zum Verfahren beim internationalen St.Galler Brustkrebs Konsensus, der dies mit Erfolg seit 30 Jahren so praktiziert. Gerade dort, wo die Evidenz noch fehlt oder auch gar nicht beigebracht werden kann, sind von Experten begründete Meinungen und Erfahrungen ein wertvoller «best estimate» für die Praxis.

Die 10 Hauptthemen

Die folgende 10 Themen wurden als prioritär ausgewählt für die Fragen an die Panelists, da hier weiterhin wichtige klinisch relevante Probleme zur Diskussion bestehen. Dabei wird auch aufgezeigt, wo die zukünftige Forschung bestehende störende Wissenslücken zu schliessen hat.
1. Das lokal fortgeschrittene Prostatakarzinom
2. Das Biochemische Rezidiv des Prostatakarzinoms nach lokaler Therapie
3. Das Management des Primärtumors beim metastasierenden Prostatakarzinom
4. Das Management des neu diagnostizierten hormon-sensitiven Prostatakarzinoms (mHSPC) inklusive oligometastatischem Stadium
5. Das Management des nicht metastasierten kastrations-resistenten Prostatakarzinoms (CRPC)
6. Das Management des metastasierten CRPC
7. Fragen der Knochengesundheit und Knochenmetastasen
8. Molekulare Charakteristika des Tumorgewebes und im Blut
9. Heterogenität zwischen den Patienten
10. Nebenwirkungen der hormonellen Therapie und deren Management
Um exemplarisch aufzuzeigen, wie hier konkret vorgegangen wurde und in welcher Detaillierung zu diesen > 100 gemeinsam vorbereiteten Fragen Stellung bezogen wurde, möchten wir Themen aus 2 Bereichen herausgreifen: aus dem Thema 2, «Biochemisches Rezidiv nach lokaler Therapie» sowie Thema 7, «Fragen der Knochengesundheit und Knochenmetastasen». Als konsensfähige Entscheidung des Panels wurde eine mindestens 75% Übereinstimmung festgelegt.

Beispiel Thema 2:

Biochemischer Rückfall nach lokaler Therapie

Einleitend wird festgehalten, dass sich zurzeit durch sensitivere PSA Tests und neue bildgebende Verfahren wie das PSMA PET/CT das therapeutische Procedere verändert. Es wird auf eine Review von 20 406 Patienten mit biochemischem Rückfall hingewiesen:
Bei Patienten mit vorangehender Prostatektomie war die PSA-Verdoppelungszeit und ein höherer Gleason-Score mit einem schlechteren OS korreliert, wohingegen nach radikaler Bestrahlung die Zeitdauer bis zum biochemischen Rückfall nach Bestrahlung und auch ein höherer Gleason-Score ein schlechteres OS anzeigte. Die Leitlinien 2019 der European Association of Urology EAU empfahlen deshalb diese prognostischen Faktoren zur Stratifikation in eine Niedrig- und Hochrisikogruppe zu integrieren wie folgt:

  • Niedrigrisiko nach radikaler Prostatektomie sind eine PSA Verdoppelungszeit von >12 Monaten und eine pathologischer ISUP Grade < 4,
  • Niedrigrisiko nach radikaler Radiotherapie ist definiert durch ein > 18 Monate dauerndes Intervall nach radikaler Radiotherapie oder nach der letzten LHRH Analog Spritze und einem pathologischen ISUP Grad < 4.

Diese Kriterien wurden in einer weiteren unabhängigen retrospektiven Kohortenstudie mit 1125 Patienten mit biochemischem Rückfall validiert.
In den EAU und ASTRO/American Urological Association Leitlinien wurde ein biochemischer Rückfall nach RP bisher definiert als ein PSA > O.2 ng/ml. Die aktuelle EAU Leitlinie aber gibt keinen PSA-Schwellenwert mehr an bei einem PSA-Rückfall, vielmehr sollen dann weitere klinische Faktoren wie z.B. pathologischer ISUP, PSA-Verdoppelungszeit, pT und pN Status sowie Abstand der tumorfreien Ränder einbezogen werden, um klinische Entscheidungen zu fällen.

Folgende Fragen wurden u.a. hierzu gestellt:

Frage 10: Welche bildgebende Untersuchung wird bei ansteigendem PSA nach vorangehender radikaler Prostatektomie empfohlen?
Konsensuspanel: 80% votierten für das PSMA PET-CT
Bei Patienten mit PSA Rückfall nach radikaler Prostatektomie empfiehlt die RTOG und die American Society for Therapeutic Radiology and Oncology (ASTRO) die Definition von PSA-Zunahme von > 2ng/ml über dem PSA-Tiefstwert (Nadir), sowohl für Patienten mit wie ohne hormonelle Therapie. Für Hochrisiko-Patienten empfehlen sie nicht zuzuwarten bis eine PSA-Zunahme von > 2ng/ml erfolgt, sondern plädieren bei fitten Patienten für eine sofortige Salvagetherapie, wenn das Rezidiv bioptisch gesichert ist. Für Patienten mit niedrigem Risiko nach EAU Definition kann zugewartet werden und die Salvage Therapie aufgeschoben werden. Daten für Salvage Therapie nach Rückfall bei vorgängiger Radiotherapie sind nur wenige vorhanden und sind allenfalls geeignet für fitte Patienten mit einer noch kurativen Chance.

Frage 12: Welche bildgebende Untersuchung wird bei ansteigendem PSA nach vorangehender radikaler Radiotherapie empfohlen?
Konsensuspanel: 87% votierten für das PSMA PET-CT
Frage 15: Gesetzt es wurde dabei eine hormonelle Massnahme empfohlen in Kombination mit einer Salvage Radiotherapie, welche?
Konsensuspanel: 91% votierten für einen LHRH Agonisten oder Antagonisten.
Frage 16: Wie lange soll die systemische Hormontherapie in Kombination mit der Salvage Radiotherapie dauern?
Konsensuspanel: 79% votierten für eine Dauer von 4-12 Monaten
Frage 19: Wann soll die ADT Therapie bei Patienten ohne Metastasen und bestätigtem PSA Anstieg nach lokaler Therapie (mit oder ohne Salvage Radiotherapie) begonnen werden?
Konsensuspanel: 80% befürworteten den Start einer ADT in dieser Situation nur für ausgewählte Patienten und nicht für die Mehrheit der Patienten mit biochemischem Rezidiv.

Beispiel Thema 7:

Knochengesundheit und Knochenmetastasen

Zur Knochengesundheit und Knochenmetastasen hielt das APCCC-Panel 2017 fest, «dass bezüglicher einer Osteoklasten hemmenden Therapie sowohl der Zeitpunkt, die Dosis wie auch die Dauer ebenso wie die Ausgewogenheit von Risiko und Benefit angesichts neuer Behandlungs-Optionen des mCRPC noch umstritten sind».
Zwischenzeitlich wissen wir aber, dass mit dem ERA-223-Trial dokumentiert wurde, dass bei chemonaiven Patienten mit mCRPC einer erhöhten Rate nicht-pathologischer Frakturen unter der Kombinationstherapie mit Abiraterone-Prednison mit Radium-223 Behandlung auftrat im Gegensatz zur alleinigen Abiraterone-Prednison Gabe.
Das Thema der Knochengesundheit ist dadurch insbesondere bei HSPC (hormon-sensitiven PC-Patienten) in den Fokus gerückt gerade bei langfristiger ADT Therapie häufig heute zusammen mit Docetaxel oder Abiraterone-Prednison. Natürlich ist die langfristige Steroideinnahme per se ein wichtiger Risikofaktur für nicht-pathologische Frakturen, ebenso wie eine aktive oder zurückliegende Raucheranamnese, eine belastete Familienanamnese mit gehäuften Hüftfrakturen, Rheumatoider Arthritis, regelmässigem Alkoholkonsum von > 3 Einheiten/Tag und/oder einem hohen oder tiefen BMI.
Webbasierte Risiko Scores wie der FRAX Score (Fracture Risk Assessment) können hier hilfreich sein. Die Androgen-Deprivations-Therapie (ADT) selbst ist ebenso entsprechend dem funktio­nalen Hypogonadismus ein Risikofaktor und muss beim FRAX zusätzlich einbezogen werden.
2017 noch empfahlen nur 62% der Panelists eine basale Messung der Knochendichte (BMD) bei Start einen langdauernden ADT Therapie. Sie diskutierten, ob in dieser Situation eher Bisphosphonate (oral oder iv) oder Denosumab vorzuziehen sei zur Verhinderung von CTIBL (cancer treatment induced bone loss). Dabei muss unbedingt darauf hingewiesen werden, dass zur Reduktion des Risikos von SRE’ s (skeletal-related events) bei mCRPC Patienten eine 10mal höhere Dosis an Osteoklasten-hemmender Therapie benötigt wird als zur Verhinderung von CTIBL bei Patienten mit HSPC und langdauernder ADT-Therapie. Wie das Panel nun 2019 entschied, ist anhand einiger Fragen hier angeführt:

Frage 85: Routine Screening für Osteoporose Risikofaktoren (z.B. Raucheranamnese, Steroidbehandlungen, familiäre Belastung mit Hüftfrakturen, Anamnese mit Knochenfrakturen, Rheumatoide Arthritis, regelmässiger Konsum von > 3 Alkoholeinheiten. BMD) bei Patienten mit Prostatakarzinom und beginnender langfristiger ADT?
Konsensuspanel: 77% waren für ein routinemässiges Screening für Osteoporose-Risikofaktoren.
Frage 86: Bei Patienten mit Beginn einer langdauernden ADT Therapie gaben 65% der Panelisten an, dass sie routinemässig die Knochendichte (BMD) messen. 30% gaben an, dass sie nur bei Risikopatienten die Knochendichte messen. Die verbleibenden 5% gaben an, keine Knochendichtemessung zu machen. Es gab keine Enthaltungen.
Kein Konsens für eine dieser Optionen
Frage 91: Eine Osteoklasten-hemmende Therapie wird in der höheren Dosierung und Frequenz zur Reduktion der skelettalen Ereignisse (SRE) empfohlen, wenn eine Radium-223 bei Patienten mit mCRPC vorgesehen ist.
Konsensuspanel: 86% befürworten eine Osteoklasten-hemmende Therapie für die Mehrheit der Patienten in dieser Situation.
Frage 96: Empfehlen Sie, dass die Mehrheit der symptomatischen Patienten mit mCRPC und vorwiegend Knochenmetastasen (ohne viszerale Metastasen und grosse Lymphknotenmetastasen > 3cm) eine Radium-223 Therapie im Verlauf der Erkrankung erhalten sollen?
Konsensuspanel: 87% bejahten diese Empfehlung für eine Radium-223 Therapie bei mCRPC Patienten mit Knochenmetastasen dominantem Verlauf ohne viszerale und grosse Lymphknotenmetastasen.

Abschliessende Bemerkungen

Das strukturierte Vorgehen beim APCCC hilft gerade dort wichtige Lücken für die Praxis zu schliessen, wo die aktuelle Literatur nicht oder noch nicht klare Evidenz liefert und somit ausdiskutierte Meinungen und Empfehlungen von international anerkannten Experten weiterhelfen können. Auch zeigt der APCCC auf, wo noch weiter grosse Lücken bestehen und auch die Experten sich nicht auf ein überwiegend einheitliches Vorgehen einigen können. Auch wird klar, dass mit jeder neuen diagnostischen oder therapeutischen Verbesserung oder Innovation die Empfehlungen zu überdenken sind und somit ein solcher Prozess in regelmässigen Abständen nachjustiert werden muss.
Auch haben nicht alle Länder gleiche Voraussetzungen um diagnostische oder therapeutische Empfehlungen umsetzen zu können. Wichtig ist aber zu wissen, welches die aktuell besten Optionen überhaupt sind, welche letztlich ja alle anstreben möchten. Wir alle habe erfahren, dass das aktuelle Können und Wissen immer wieder überprüft werden muss, dass wir auch im Experten-Kollektiv falsch liegen können, auch dort wo ein sehr klarer Konsens erreicht wurde. Somit ist der APCCC mit seinen Empfehlungen eine Momentaufnahme dieser weltweiten Expertendiskussion zu sehr praxisrelevanten Fragen notabene zum häufigsten Malignom der Männer weltweit, welches lange Zeit wenig Beachtung in der akademischen Welt fand und nun mehr und mehr auch das Interesse der forschenden Industrie und der Gesundheitspolitik findet.

Gillessen S, et al. Management of Patients with Advanced Prostate Cancer: Report of the Advanced Prostate Cancer Consensus Conference 2019. Eur Urol (2020), https://doi.org/10.1016/j.eururo.2020.01.012

Copyright bei Aerzteverlag medinfo AG

Prof. em. Dr. med.Thomas Cerny

Rosengartenstrasse 1d
9000 St. Gallen

thomas.cerny@kssg.ch

PD Dr. med. Aurelius Omlin

Onkozentrum Zürich
Seestrasse 259
8038 Zürich

Prof. Dr. med. Silke Gillessen

Oncologia, Ospedale Regionale di Bellinzona
Via Ospedale
6500 Bellinzona

silke.gillessen@eoc.ch

Die Autoren haben in Zusammenhang mit diesem Artikel keine Interessenskonflikte deklariert.

  • Patienten mit fortgeschrittenem kastrations-resistentem Prostatakarzinom haben eine ungünstige Prognose und viele diagnostische und therapeutische Fragen sind offen.
  • Die Consensus-Konferenz APCCC ruft alle 2 Jahre die Topexperten weltweit in der Schweiz zusammen, welche den Wissens- und Erfahrungsstand diskutieren und in einem elaborierten Konsensusverfahren Empfehlungen formulieren und frei zugänglich publizieren.
  • Zur Prognose Verbesserung werden heute Abiraterone, Cabazitazel, Docetaxel, Enzalutamid, Radium 223 und Sipuleucel-T (USA) ein­gesetzt.
  • Die medikamentöse Knochengesundheit spielt eine zunehmend
    wichtige Rolle.

Messages à retenir

  • Les patients atteints d’ un cancer de la prostate avancé résistant à la castration ont un pronostic défavorable et de nombreuses questions diagnostiques et thérapeutiques restent sans réponse.
  • Tous les deux ans, la conférence de consensus de l’ APCCC réunit en Suisse des experts de haut niveau du monde entier pour discuter de l’ état des connaissances et des expériences. Dans le cadre d’ un processus de consensus élaboré, des recommandations sont formulées et publiées dans un format librement accessible.
  • L’  abiratérone, le cabazitazel, le docétaxel, l’ enzalutamide, le radium 223 et le sipuleucel-T (USA) sont actuellement utilisés pour améliorer le pronostic.
  • La santé osseuse induite par les médicaments joue un rôle de plus en plus important.