- «Früher war die Brustkrebsbehandlung eine One-Man-Show»
19 Brustzentren tragen das Gütesiegel «Q-Label». Die Vorteile des Labels sind der Allgemeinbevölkerung aber auch Fachpersonen noch wenig bekannt. Die Brustkrebsspezialistin Prof. Dr. med. Monica Castiglione erklärt, was sich dank dem Label verbessert hat und mit was sie noch nicht zufrieden ist.
Frau Castiglione, wie zufrieden sind Sie mit der Brustkrebsbehandlung in der Schweiz?
Zum Teil sehr zufrieden. Die Brustzentren sind gut eingerichtet, haben sehr gut ausgebildete Leute und es gibt gute Maschinen, etwa für Mammographien. Radiologische und andere Untersuchungen und Sprechstunden können sehr schnell durchgeführt werden im Vergleich zu anderen Ländern, wo man für eine Untersuchung wochen- oder monatelang warten muss. Ich denke, man kann wirklich zufrieden sein.
Wo sind Sie noch nicht zufrieden?
Früher war der Gynäkologe der einzige, der den Brustkrebs behandelt hat. Er hat seine Patientinnen in die Strahlentherapie geschickt, vielleicht ein paar Hormone verabreicht. Er war verantwortlich für alles. Im Grunde genommen, war es einfach eine One-Man-Show, ohne umfassende Betreuung rundherum. Es gibt leider heute immer noch Ärzte, die Patientinnen im Alleingang behandeln. Nicht viele, aber doch ein paar. Mit dem Q-Label versuchen wir dem entgegenzuwirken.
In Brustzentren mit Q-Label sind also mehrere Ärzte für eine Patientin zuständig?
Jeder Schritt der Behandlung wird von einem anderen Spezialisten durchgeführt. Wir besprechen die einzelnen Fälle an einem Tumorboard, da sind 15, 20 Experten dabei und alle bestimmen gemeinsam über Behandlung und Betreuung. Das gibt für alle Beteiligten eine grosse Sicherheit.
Was sind weitere wichtige Vorteile eines zertifizierten Brustzentrums?
Wichtig ist, dass die Patientin im Mittelpunkt der Behandlung steht. Ganz wesentlich ist, dass pro Jahr eine Mindestanzahl von Patientinnen behandelt werden muss. Durch die Erfahrung entsteht Routine. Und es ist auch wichtig, dass ein Zentrum bestimmte Guidelines hat und Prozesse definiert.
Das Q-Label garantiert ein breites Betreuungsangebot. Wie wichtig ist beispielsweise die Psychoonkologie?
Früher hat es geheissen, ein Brustkrebs ist schlimm. Fertig. Bei psychischen Schwierigkeiten hat man die Patientin zum Psychiater geschickt. Aber die meisten Patientinnen wollten nicht zum Psychiater, auch heute nicht. Aber da ist diese Angst, mit der Frauen leben müssen, denn wir sprechen von einer Krankheit, die potentiell tödlich sein kann. Nicht viele Frauen sterben daran, aber trotzdem ein paar. Und es gibt mit Sicherheit auch schwerwiegende Veränderungen durch die Behandlung, etwa im Körperbild und im Sexualleben. Für viele Frauen sind das schwerwiegende Nebenwirkungen. Da kann ein Psychoonkologe helfen. Und wenn eine Patientin einen erleichterten Zugang zu diesen Angeboten hat, dann ist das nur positiv.
Als Ärztin wünschen Sie sich, dass Patientinnen mitdenken und fordern.
Ich bin immer für einen Austausch. Ein Arzt soll der Patientin nicht sagen: Sie brauchen eine Chemotherapie. Nein, er soll aufzeigen, warum. Das Fachpersonal ist immer mehr unter Druck, die Zeit der Konsultationen ist immer kürzer. Da muss man sich manchmal auf das Wesentliche beschränken. Da kann ich mir gut vorstellen, dass man nicht immer alle Fragen stellen kann. Aber eine Patientin kann sagen, heute haben Sie mir die Hälfte meiner Fragen beantwortet, wann kann ich mit den restlichen Fragen kommen? Eine Erstkonsultation dauert meist eine Stunde, das kann sehr wenig sein.
Das «Q» vom «Q-Label» steht für Qualität. Was bedeutet Qualität?
Qualität besteht aus vielen Kriterien. Für die Patientin bedeutet Qualität, dass sie das Beste kriegt, was sie kriegen kann. Und auch in der besten Art und Weise. Unabhängig von Bildungsstand und von Sprachkenntnissen. Das gilt auch für Personen, die fremd sind, die unser Land und unser System nicht kennen. Die Behandlung ist dieselbe für jede einzelne Patientin. Und dadurch, dass bei einem zertifizierten Brustzentrum alles an einem Ort eingebettet ist, erhalten Patientinnen das Beste konzentriert an einem einzigen Ort.
ZUR PERSON
Die Onkologin Prof. Dr. med. Monica Castiglione war Direktorin des Brustzentrums am Universitätsspital in Genf und CEO der International Breast Cancer Study Group (IBCSG). Seit der Gründung des Q-Labels überprüft sie als Auditorin die Qualität von Brustzentren.
Transparente Qualität
Das Q-Label wurde 2012 von der Krebsliga Schweiz und der Schweizerischen Gesellschaft für Senologie ins Leben gerufen, um die Qualität der Behandlung und Betreuung von Frauen und Männern mit Brustkrebs zu fördern. Es garantiert, dass ein Brustzentrum wichtige Anforderungen bei der Behandlung und Betreuung erfüllt und regelmässig von unabhängigen Expertinnen und Experten geprüft wird. Um das Q-Label zu erhalten, muss ein Brustzentrum mehr als 100 Qualitätskriterien erfüllen.
Die wichtigsten Kriterien im Überblick:
- Das Team eines zertifizierten Brustzentrums behandelt über 125 Personen pro Jahr und verfügt damit über umfassende Erfahrung.
- Die Befunde aller Patientinnen und Patienten werden in einem Tumorboard besprochen. Darin sind alle für die Therapieentscheidung wesentlichen Expertinnen und Experten vertreten. Je nach Situation kommen zu Chirurgie, medizinischen Onkologie, Radio-Onkologie, Radiologie und Pathologie weitere Fachrichtungen hinzu. Gemeinsam geben sie eine auf die Situation zugeschnittene Behandlungsempfehlung ab.
- Verschiedene Fachrichtungen arbeiten zusammen. Zum interdisziplinären Ansatz gehören neben den oben genannten etwa auch die Plastische Chirurgie, die spezialisierte Onkologiepflege (Breast Care Nurse), die Psychoonkologie, die Physiotherapie und weitere Disziplinen wie Seelsorge und Diätberatung.
- Die Information der Betroffenen erfolgt zeitgerecht, fachkompetent, rücksichtsvoll, umfassend und verständlich. Die Breast Care Cancer Nurse begleitet die Patientin / den Patienten bei Bedarf durch den Therapieprozess.
- Für alle Patientinnen und Patienten ist geregelt, wer die Nachsorge, also die Betreuung und weitere Kontrollen nach der Behandlung, übernimmt.
- Abklärung, Behandlung, Betreuung und Nachsorge orientieren sich an aktuellen und international anerkannten Leitlinien.
- Das Brustzentrum beteiligt sich an klinischen Studien.