- Interkulturelle Kommunikation in der onkologischen Pflege
Die Kommunikation ist in allen pflegerischen Settings eine wichtige Basis für eine gute, sichere und für alle Seiten zufriedenstellende Pflege. Jedoch sind Missverständnisse häufig und können zu verschiedenen Problemen führen. In der onkologischen Pflege ist eine gelungene Kommunikation sowohl im Rahmen der Beratung wie auch in der Begleitung der Patientinnen, Patienten und deren Angehörigen unabdingbar. In diesem Artikel stellt das Autoren- und Autorinnenteam eine Form der Kommunikation vor, die im Alltag immer wichtiger wird, die interkulturelle Kommunikation.
Interkulturelle Kommunikation
Barmeyer (2004, S. 79) definiert interkulturelle Kommunikation als «Austausch und Interaktion von Ideen, Bedeutungen und Gefühlen durch symbolische Zeichen (z. B. gesprochene, geschriebene Sprache oder Gestik und Mimik) oder Handlungen zwischen Personen mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund».
Kultur ist ein Muster von Wahrnehmungen, Werten, Einstellungen und Verhaltensweisen, das von einer Identitätsgruppe akzeptiert und erwartet wird (Singer, 2013).
Weiter erläutert Barmeyer (2004, S.79f.), dass es durch die Unterschiedlichkeit von Annahmen, Wissensbeständen, Werten, Gefühlen sowie Denk- und Verhaltensweisen der Interaktionspartnerinnen und -partner zu unterschiedlichen Bedeutungszuschreibungen kommen kann. Barmeyer (2004, S. 79f.) hält fest, dass aus diesem Verständnis heraus interkulturelle Kommunikationsprozesse häufig komplizierter verlaufen als intrakulturelle Kommunikationsprozesse.
Es wird also deutlich, dass verschiedene kulturelle Prägungen die Kommunikation herausfordernd gestalten können und unbedingt Beachtung finden sollten. Die Kommunikation ist zudem nicht von der interkulturellen Kompetenz im Allgemeinen trennbar. Napier et al., (2014) berichten sogar, dass die systematische Vernachlässigung von kultureller Relation im Gesundheitswesen und in der Gesundheitsversorgung das grösste Hindernis für den Fortschritt eines hohen Gesundheitsstandards weltweit darstellt. Dies liegt vor allem am Zusammenhang zwischen potenziell vermeidbaren Spitalaufenthalten und sozioökonomischer Benachteiligung (Spycher et al., 2021).
Interkulturelle Kompetenz
Interkulturelle Kompetenz ist ein wichtiger Baustein gelingender Beziehungen zwischen Pflegefachpersonen und Patientinnen, Patienten sowie deren Angehörigen und ebenfalls für die Behandlungsteams. Sie wird von Deardorff (2006) folgendermassen beschrieben: «Fähigkeit in interkulturellen Situationen auf der Grundlage des eigenen interkulturellen Wissens, der eigenen Fähigkeiten und Einstellungen effektiv und angemessen zu kommunizieren.» Diese Fähigkeiten unterstützen Pflegefachpersonen dabei, ihre Patientinnen, Patienten und deren Angehörige, unter Berücksichtigung ihres kulturellen Hintergrunds, optimal während der Krankheitsphase zu begleiten und zu betreuen.
Interkulturelle Kernkompetenz unterstützt uns, effektiver und angemessener mit kulturell unterschiedlichen Menschen zu interagieren (Vande Berg, 2012). Sie stärkt sowohl das kulturelle und persönliche Selbstbewusstsein durch Reflexion und Erfahrung als auch das Bewusstsein für andere innerhalb des eigenen kulturellen und persönlichen Kontexts. Ausserdem hilft interkulturelle Kompetenz im Umgang mit Emotionen gegenüber Zweideutigkeiten, Veränderungen sowie herausfordernden Situationen. Interkulturelle Unterschiede zu überbrücken bedeutet, Rahmen und Perspektiven zu wechseln, das Verhalten an andere kulturelle Kontexte anzupassen.
Kulturell, universell oder individuell?
Häufig wird angenommen, dass Verhaltensweisen persönlich und nicht kulturell bedingt sind. Universalität bezieht sich auf die Art und Weise, in der alle Menschen in allen Gruppen im Grunde gleich sind. Zum Beispiel ist es universell, nach dem Tod eines geliebten Menschen deprimiert zu sein – das passiert jedem Menschen auf der Welt. Deprimiert sein kann sich jedoch je nach Kultur, in der man aufgewachsen ist, unterschiedlich äussern. In Kulturkreisen kann man seine Trauer durch lautes Klagen ausdrücken. Kulturell bedeutet, «was eine Gruppe von Menschen miteinander gemeinsam hat und wie sie sich von anderen Gruppen unterscheidet» (University of the Pacific, 2022). Wenn etwas kulturell ist, bedeutet dies, dass es ein erkennbares Verhaltensmuster gibt. Die Mehrheit einer Gruppe wird dieses Verhalten an den Tag legen. Individuell bedeutet, «dass sich jeder Mensch von allen anderen unterscheidet, auch von denen, die zur selben Gruppe gehören.» Ist es in der Kultur üblich, laut Schmerz und Kummer zu klagen, jemand jedoch still dasitzt, dann ist das eher ein Hinweis auf eine individuelle Vorliebe als auf eine kulturelle Norm.
Um Patientinnen, Patienten und deren Angehörige bestmöglich zu unterstützen, ist es daher wichtig, herauszufinden, wie sie betreut werden möchten, und stattdessen eine Stereotype als Hypothese aufstellen und sehen, ob sich dies bewahrheitet.
Ziel soll es laut Bennett (2013) sein, die goldene Regel: «Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden möchtest», mit der Platinum-Regel zu tauschen. Diese sagt aus, dass man «andere Menschen so behandeln soll, wie sie selbst behandelt werden möchten.»
Mögliche Hilfsmittel
Checkliste Assessmentfragen
Um die interkulturelle Kompetenz von Pflegefachpersonen zu steigern, gibt es verschiedene Möglichkeiten wie beispielsweise die Verwendung der Checkliste “Migrationssensitive Palliative Care” vom BAG. Sie kann bspw. die Assessmentfragen bei Eintritt ergänzen. Erfasst werden die Bereiche Symptome und Beschwerden, Entscheidungsfindung, Netzwerkorganisation und Support der Angehörigen. Sie unterstützt dabei, spezifische religiöse und/- oder spirituelle Bedürfnisse zu erfassen. Zu finden ist die Checkliste unter: Migrationssensitive Palliative Care (admin.ch).
Fallbeispiele
Eine weitere Möglichkeit besteht in der Arbeit mit Fallbeispielen. Eines aus der onkologischen Pflegepraxis wird unten stehend dargestellt. Es ist angelehnt an einen wahren Bericht einer MAS-Absolventin, welcher im Buch «Interkulturelle Begegnungen in Gesundheitsberufen» veröffentlicht wurde (Genehmigung durch Autorin liegt vor).
Critical Incident
Herr Feuerstein, ein 62-jähriger Jude, wurde mit Bauchspeicheldrüsenkrebs im Endstadium diagnostiziert. Er und seine chinesische Frau Ling wurden deshalb durch den Onkologen bei der Spitex angemeldet. Die Pflegefachfrau Rosy ist für Herrn Feuerstein zuständig. Um die Schmerzen zu lindern, wird ihm durch die Mitarbeitenden der Spitex regelmässig Morphium verabreicht.
Trotz Chemotherapie und anderen Behandlungen entwickelt sich Herr Feuersteins Krebs schnell weiter. Doch selbst in diesem kritischen Zustand gibt er nicht auf und ist offen für alternative Behandlungen. Er probiert traditionelle chinesische Medizin aus und praktiziert buddhistische Meditation, wie es seine Frau, welche Buddhistin ist, empfiehlt. Doch nach knapp fünf Tagen verschlechtert sich sein Zustand. Eines Nachmittags, während seine Frau nicht zu Hause ist, klagt Herr Feuerstein über starke, unerträgliche Schmerzen. Mit Zustimmung von Herrn Feuerstein und in Anwesenheit anderer Familienmitglieder gibt ihm der Spezialist eine höhere Dosis an Schmerzmitteln. Herr Feuerstein ist jetzt ruhig, aber sehr schläfrig. Zwei Tage später stirbt er. Seine Frau gibt den Mitarbeitenden der Spitex die Schuld am Tod ihres Mannes. Sie sagt, dass die Droge ihn schläfrig gemacht habe und er nicht mehr klar im Kopf gewesen sei. Sie glaubt, dass ihr Mann durch die Einnahme traditioneller chinesischer Medizin länger gelebt hätte oder dass er zumindest einen klaren Kopf im Sterben gehabt hätte. Können Sie Rosy helfen, diese Situation zu bewältigen?
Im oben erwähnten Beispiel gibt es verschiedene Möglichkeiten zu handeln. Hier wäre es im Sinne der Platinum-Regel nötig, die Bedürfnisse des Patienten und der Angehörigen aus ihrer Perspektive zu klären. Ein Nachgespräch zwischen der Pflegfachperson und Rosy wäre sinnvoll, um das Erlebte zu reflektieren. Eine detaillierte Aufarbeitung des Falles ist im genannten Buch vorhanden.
Fazit
Als Fazit kann festgehalten werden, dass interkulturelle Kommunikation nicht ohne interkulturelle Kompetenz möglich ist. Jede Pflegefachperson sollte also an ihrer persönlichen interkulturellen Kompetenz arbeiten. Dies ist eine lebenslange Aufgabe, die laut den United Nations (2021) eine friedliche und inklusive Gesellschaft ermöglicht.
Wenn das Thema interkulturelle Kommunikation und interkulturelle Kompetenz Ihr Interesse wecken konnte, so möchte das Autoren- und Autorinnenteam Sie auf das TraINErs-Programm (Training Intercultural Nursing Educators and Students) hinweisen, welches ab 2023 kostenfrei zur Verfügung stehen wird. Es bietet eine gute Möglichkeit die eigene interkulturelle Kompetenz zu schulen: en: https://trainers.ap.be.
Sara Kohler
Studiengangsleitung MAS in onkologischer Pflege
Institut für Pflege, ZHAW Gesundheit, 8401 Winterthur
Azra Karabegovic
Dozentin
Institut für Pflege, ZHAW Gesundheit, 8401 Winterthur
Claudia Schönbächler Marcar
Assistentin Direktion Pflege und MTB
Universitäts-Kinderspital Zürich
Daniel Kupka
Bildungsverantwortlicher, Bereich Alter und Pflege, Stadt Winterthur
Dr. Franzisca Domeisen Benedetti
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Institut für Pflege, ZHAW Gesundheit, 8401 Winterthur
Susan Schärli-Lim
Verantwortliche Internationale Beziehungen & Dozentin
Institut für Pflege, ZHAW Gesundheit, 8401 Winterthur
Erstpublikation des Artikels in der Zeitschrift Onkologiepflege 1/2023
Barmeyer, C.I. (2004): Interkulturelle Kommunikation im deutsch-französischen Management, in: Deutsch-Französisches Institut (Hrsg.), Frankreich Jahrbuch 2003. Kulturelle Vielfalt gestalten, 79-99, Wiesbaden
Deardorff, D. K. (2006). Identification and assessment of intercultural competence as a student outcome of internationalization. Journal of Studies in International Education, 10(3), 241-266. oi:10.1177/1028315306287002
Hammer, M. R. (2021). The Intercultural Development Inventory: Resource Guide. IDI, LLC.
Napier, A. D., Ancamo, C., Butler, B., Calabrese, J., Chater, A, Chatterjee, H., …Woolf, K. (2014). Culture and health. The Lancet, 348, 1607-1639. doi: 10.1016/S0140-6736(14)61603-2
Paige, R. M., Cohen, A. D., Kappler, B., Chi, J. C., & Lassegard, J. P. (2009). Maximizing study abroad: A students’ guide to strategies for language and culture learning and use. (2nd Ed.). Center for Advanced Research on Language Acquisition, University of Minnesota.
Singer, M. R. (2013). Culture: a perceptual approach. In M.B. Basic concepts of Intercultural Communication (2nd Ed.). Intercultural Press
Spycher, J., Morisod, K., Eggli, Y., Moschetti, K., Le Pogam, M.-A., Peytremann-Bridevaux, I., Bodenmann, P., & Marti, J. (2021). Indicators on Healthcare Equity in Switzerland. New Evidence and Challenges. Report commissioned by the Federal Office of Public Health. Bern: FOPH.
University of the Pacific (2022). On-Line cultural Training Ressource for study abroad abgerufen von https://www2.pacific.edu/sis/culture/
Van den Bergh, S., Schärli-Lim, S & Wong, S.S. (2020)- Intercultural interactions for health professions: a critical incident approach. Bern: hep Verlag.
Vande Berg, M. (2013). What Can Students and Faculty Do to Maximize Learning Abroad? Presented at St. Olaf’s College, Northfield.