- Interprofessionelles Teamwork in der Onkologie
Die «St. Galler Fortbildung Klinische Onkologie» hat zum zweiten Mal in ihrer Geschichte die Fortbildung interprofessionell ausgerichtet. Klassische Vorträge zum heutigen Stand des Wissens wurden durch Workshops ergänzt. Wir berichten über einen Workshop, der sich dem interprofessionellen Ansatz selbst widmete.
Hintergrund
Mit der zunehmenden Verlagerung aus dem stationären in den ambulanten Sektor sind Patient/-innen und ihr Umfeld vermehrt damit konfrontiert, eine länger dauernde Behandlung in das Privat- und Berufsleben zu integrieren. Dies bedeutet für alle Beteiligten eine intensivere und auf die Bedürfnisse der Patient/-innen abgestimmte Koordination entlang des Behandlungspfades (1, 2).
Fachspezialisierung mit Subspezialisierung finden sich nicht nur in der Ärzteschaft. Auch in der Pflege sind die Anforderungen an Wissen und Fertigkeiten in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Zunehmend werden Pflegefachpersonen auch in die Entscheidungsfindung über Behandlung und Interventionen einbezogen (shared decision-making) (3).
Unternehmen ausserhalb des Gesundheitssektors haben deshalb eine «Governance» oder «Führungsstrategie», welche die Zusammenarbeit verschiedener Professionen vorgibt. Im Alltag solcher interprofessionellen Teams spielen allerdings viele zusätzliche Faktoren eine prägende Rolle (4). Die Unterschiede in Ausbildung, fachlichem Verständnis, Fachsprache, sowie unterschiedlichen beruflichen Blickwinkeln, wie Patient/-innen am besten geholfen werden kann, können den interprofessionellen Austausch beeinflussen (5).
Fortbildungsveranstaltungen können ein Interaktionsgefäss zwischen den verschiedenen Berufsgruppen sein. Fortbildungen in der Medizin wenden sich traditionell sehr häufig von Ärzt/-innen an Ärzte/-innen oder an Pflegefachpersonen. Nur in seltenen Fällen werden Fortbildungen von Pflegefachpersonen für Ärzt/-innen gehalten. Einer der Workshops der St. Galler Fortbildungstage widmete sich dem interprofessionellen Teamwork und wurde paritätisch von einer Pflegefachfrau und einem Arzt geleitet.
Methodik
Der Workshop wurde an zwei Tagen wiederholt und wurde zahlenmässig von mehr Pflegefachpersonen als von Ärzt/-innen besucht, aber auch Pharmazeut/-innen und Pharmavertreter/-innen nahmen daran teil. Mittels einer «SWOT-Analyse» (6) nutzten wir die Expertise aller Teilnehmenden, um in multidisziplinär zusammengesetzten Arbeitsgruppen die Realitäten zu beschreiben und in der Diskussion eine Synthese zu möglichen Handlungsfeldern zu erarbeiten.
Ergebnisse der SWOT-Analyse
Nachfolgend die Zusammenfassung des Workshops aus den multiprofessionell zusammengesetzten Arbeitsgruppen für die SWOT-Analyse (Tab 1).
Diskussion und Ausblick
Die Diskussion zeigte, dass sich Onkologiepflegefachpersonen, v.a. im ambulanten Setting als Teil eines breiteren multidisziplinären Behandlungsteams wahrnehmen. Eng verzahnte interdisziplinäre und interprofessionelle Betreuungsansätze ermöglichen die unterschiedlichen Bedürfnisse einer Person nahtlos und friktionsärmer anzugehen (8). Für das Gelingen ist aber nicht nur ausreichendes Fachpersonal notwendig, sondern auch die Notwendigkeit, die interprofessionelle Zusammenarbeit und deren Prozesse gemeinsam mitzugestalten (9). Dabei können die beruflichen Rollengrenzen in der Praxis durchaus nicht immer scharf getrennt verlaufen. Denn damit Patient/-innen nicht durch einen «Raster fallen», müssen alle Mitarbeitenden situativ flexibel auf die Anforderungen reagieren können. Informelle soziale Beziehungen, formalisierte Prozesse und institutionelles «Know-how» wirken komplementär. Hinderlich wirken sich hingegen Zeitdruck, Kommunikationsschwierigkeiten und konkurrierende Prioritäten in der Zusammenarbeit und der Patient/-innenversorgung aus (10). Um in einem Behandlungsteam im Gesundheitswesen effektiv zusammenarbeiten zu können, ist es also elementar, dass gemeinsame Ziele entwickelt werden, klare Rollen, Tätigkeitsfelder und Berufskompetenzen definiert sind, gegenseitiges Vertrauen vorhanden ist, eine effektive Kommunikation gelebt wird und die Prozesse und Ergebnisse transparent gemacht werden (11).
Diskutiert wurden auch Ansätze, um die Zufriedenheit und Produktivität in den interprofessionellen Teams positiv zu beeinflussen, wie die «fish philosophy» oder «management for happiness» (12, 13). Denn «wer zusammen lachen kann, kann auch zusammenarbeiten». Dies fördere die Definition gemeinsamer Zielsetzungen und die Identifikation mit dem Arbeitsumfeld. Auch sei es sehr wertvoll, sich gemeinsam als interprofessionelles Team weiterzubilden und weiterzuentwickeln, wie es beispielsweise in diesen St. Galler Fortbildungstagen angestrebt werde. Die Integration neuerer pflegerischer Berufsrollen wie «Nurse Practitioner» im klinischen Alltag wird als sinnvolle Weiterentwicklung erachtet, wie auch die vermehrte und gezielte Nutzung der bestehenden technischen Möglichkeiten, welche oftmals nicht ausgeschöpft würden.
Aus unserer Sicht war der Workshop für uns und die Teilnehmenden eine inspirierende Gelegenheit, sich ausserhalb des eigenen Arbeitsumfelds mit verschiedensten Anspruchsgruppen auszutauschen, sowie neue Aspekte, Mittel und Wege zu einer effektiveren interprofessionellen Zusammenarbeit zu diskutieren. Wir begrüssen die Schaffung von gemeinsamen Fortbildungen sehr. Ein Anfang wurde in St. Gallen gemacht.
Cornelia Kern Fürer ¹, Dr. med. Walter Mingrone ²
¹ Spitalregion Rheintal Werdenberg Sarganserland, Onkologiezentrum, 9472 Grabs
² Kantonspital Olten, Onkologie, 4600 Olten
1. Geese, F., Flieder, M. & Schmitt KU: Die Rolle von interprofessioneller Zusammenarbeit (IPZ) im Schnittstellenmanagement bei Personen in komplexen Situationen. Bundesamt für Gesundheit (BAG) Förderprogramm «Interprofessionalität im Gesundheitswesen (2017-2020)». 2020. Online unter https://arbor.bfh.ch/16536/1/Studie%20M20_Schnittstellenmanagement%20und%20 IPZ_BFH_Schlussbericht.pdf
2. Schmitz, Ch., Atzeni, G. & Berchtold, P.: Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (2020) Interprofessionelle Zusammenarbeit in der Gesundheitsversorgung: erfolgskritische Dimensionen und Fördermassnahmen. Differenzierung, Praxis und Implementierung. Swiss Academies Communications, Vol. 15, No 2, 2020. Online unter
3. Mohile SG et al.: Praktische Beurteilung und Management von Schwachstellen bei älteren Patienten, die eine Chemotherapie erhalten: ASCO-Leitlinie für geriatrische Onkologie.J Clin Oncol 2018; 36: 2326-47.
4. Petrakou, A. (2009). Integrated care in the daily work: Coordination beyond organisational boundaries. International Journal of Integrated Care, 9(July), 1–8. doi:10.5334/ijic.325
5. Fliedner, M.C., Eychmüller, S. Ansprüche an die interprofessionelle Zusammenarbeit. Onkologe 22, 631–637 (2016)
6. Teoli D, Sanvictores T, An J. SWOT Analysis. 2023 Sep 4. In: StatPearls [Internet]. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing; 2024 Jan–. PMID: 30725987.
7. Łukasz Dekier “The Origins and Evolution of Lean Management System”, Journal of International Studies, Vol. 5, No 1, 2012, pp. 46-51.
8. Zumstein-Shaha M, Grace PJ: Competency frameworks, nursing perspectives, and interdisciplinary collaborations for good patient care: delineating boundaries. Nurs Philos 2023; 24(1): e12402. Online unter doi:10.1111/nup.12402
9. Tremblay D et al.: Effects of interdisciplinary teamwork on patient-reported experience of cancer care. BMC Health Serv Res 2017; 17(1): 218. Online unter doi:10.1186/s12913-017-2166-7
10. Nic Giolla Easpaig B et al.: The complexities, coordination, culture and capacities that characterise the delivery of oncology services in the common areas of ambulatory settings. BMC Health Serv Res 2022; 22(1): 190. Online unter doi:10.1186/s12913-022-07593-3
11. Rowland P: Core principles and values of effective team-based health care. J Interprof Care 2014;28(1): 79-80. Online unter doi:10.3109/13561820.2013.8209 06
12. Lundin, Stephen C.; Paul, Harry; Christensen, John (2000). Fish!. Hyperion. ISBN 9780340819807
13. Managing for Happiness: Games, Tools, and Practices to Motivate Any Team. Jurgen Appelo; ISBN: 978-1-119-26868-0