- Krebsregistrierung in der Schweiz
Die landesweite Erfassung aller Krebserkrankungen ist eine unentbehrliche Grundlage für eine wirkungsvolle Public-Health-Politik und eine zukunftsweisende Patientenversorgung.
Aufgrund der demographischen Entwicklung und dem ansteigenden Krebsrisiko im Alter ist mit einer weiteren Zunahme an Krebserkrankungen zu rechnen. Gleichzeitig leben immer mehr Menschen dank verbesserter Früherkennung sowie erfolgreichen Innovationen in Diagnostik und Behandlung deutlich länger mit ihrer Erkrankung. Bis ins Jahr 2030 wird es in der Schweiz laut Hochrechnungen etwa eine halbe Million sogenannte «Cancer Survivors» geben. Damit steht unser Gesundheitssystem vor grossen Herausforderungen. Die rechtliche Verankerung der Krebsregistrierung ist deshalb von grosser gesundheitspolitischer Bedeutung. Mit dem Bundesgesetz (Krebsregistrierungsgesetz, KRG) und der Verordnung (Krebsregistrierungsverordnung, KRV) ist eine solide rechtliche Grundlage für eine flächendeckende und vollständige Registrierung von Krebserkrankungen in der Schweiz geschaffen. KRG und KRV treten am 1. Januar 2020 in Kraft.
Föderalistische Strukturen
Gemäss KRG und KRV baut die Registrierung der Krebserkrankungen auf dem bestehenden föderalistischen System auf. Die kantonalen und regionalen Krebsregister – finanziert durch die Kantone – erfassen Daten zu allen Krebserkrankungen. Anschliessend führt die nationale Krebsregistrierungsstelle (NKRS) die Daten auf nationaler Ebene zusammen und bereitet sie auf.
Im Rahmen eines Ausschreibungsverfahrens hat das EDI erfreulicherweise das Nationale Institut für Krebsepidemiologie und -registrierung (NICER) mit den Aufgaben der NKRS beauftragt. Die NKRS sorgt für die nötige Harmonisierung und Standardisierung, analysiert die Daten und erstellt zusammen mit den zuständigen Fachstellen die für die Krebspolitik wesentlichen Gesundheitsberichterstattungen und Krebsstatistiken.
Krebserkrankungen bei Kindern werden weiterhin zentral in einem Kinderkrebsregister erfasst. Mit dieser Aufgabe wurde das Schweizer Kinderkrebsregister (SKKR) betraut.
Kompromisse beim Datensatz
In den Ausführungsbestimmungen und der Umsetzung des nationalen Krebsregisters mussten Kompromisse eingegangen werden. Der 2017 in die Vernehmlassung geschickte Entwurf der KRV sah einen umfassenden Satz an zu registrierenden Daten vor, beispielsweise die Erfassung von Zusatzdaten zu Lungenkrebs bei Erwachsenen sowie Daten zum Krankheitsverlauf, zu Metastasen und zu Rezidiven. Aufgrund von Interventionen der Kantone in der Vernehmlassung hat sich der Bundesrat für eine Verkleinerung des Datensatzes sowie die Verschiebung der Inkraftsetzung um ein Jahr entschieden. Damit soll der Registrierungsaufwand und damit die Kosten für die Kantone eingedämmt werden. Den Kantonen steht dank der verschobenen Inkraftsetzung mehr Zeit für den Vollzug zur Verfügung.
Dass die vollständige Registrierung erst ein Jahr später umgesetzt wird, ist zwar schade, aber nicht entscheidend, wenn im Übergangsjahr 2019 keine Datenlücke entsteht und die Finanzierung der bestehenden Register sichergestellt ist. Die Kantone sollten die Vollzugsarbeiten nicht unterbrechen, es gilt, die gewonnene Zeit sinnvoll zu nutzen. So kann die zeitliche Verschiebung eine Chance sein, die Umsetzung der Krebsregistrierung in den Kantonen sowie die Datenlieferung der Meldestellen vollständig und in guter Qualität umzusetzen. Hier gilt es insbesondere, die Zentren und meldepflichtigen Fachpersonen frühzeitig in die Umsetzungsarbeiten einzubeziehen.
Die von den Krebsregistern gesammelten epidemiologischen Daten sollen die Voraussetzung liefern für die wirkungsvolle Prävention von Krebserkrankungen, für die Verbesserung der Diagnose- und Behandlungsqualität sowie zur Unterstützung der Versorgungsplanung. Gerade im Zusammenhang mit der Versorgungsforschung ermöglichen Krebsregisterdaten beispielsweise Auswertungen zur Versorgungsqualität, zur Prozess- und Ergebnisqualität von Diagnosen und Behandlungen, Leistungsvergleiche (Benchmarking) und Auswertungen zu interdisziplinärer Zusammenarbeit und zur Qualitätssicherung. Ob dies mit dem nun in der KRV definierten Datensatz möglich ist, ist allerdings fraglich. Beispielsweise wird die Interpretation von Überlebensstatistiken durch das Fehlen von Informationen zu Vorerkrankungen erschwert. Und das Weglassen der ursprünglich angedachten Zusatzdaten zur Behandlung der Metastasen und Rezidive verunmöglicht eine Abbildung der heutzutage immer bedeutsamer werdenden Second-Line-Therapien. Die Erfassung von Prädispositionen wäre insbesondere für gewisse seltene, genetisch stark beeinflusste Krebserkrankungen wichtig gewesen, um den Bedarf an genetischer Beratung adäquat zu erfassen.
Austausch Meldestellen mit Krebsregistern
Da die notwendige Infrastruktur (z.B. Austauschformate) und die dazugehörige Qualitätssicherung erst noch aufgebaut werden müssen, muss es den einzelnen Krebsregistern erlaubt sein, unter Einhaltung der Datenschutzbestimmungen und in Absprache mit den Meldestellen die für die korrekte medizinische Kodierung nötigen Informationen aus den Institutionen zu holen. Nur so kann nach Inkrafttreten des Gesetzes eine Lücke in der Datenqualität vermieden werden. Bei den meldepflichtigen Personen und Institutionen fällt ein Mehraufwand an, der nicht vergütet wird. Deshalb ist der gegenseitige Datenaustausch zwischen Krebsregistern und klinischen Meldestellen sowie zwischen Krebsregistern und Früherkennungsprogrammen zentral.
Zudem sollen die Datenlieferanten im Sinne eines Benchmarkings Zugang zu den strukturierten, anonymisierten ausgewerteten Daten der Krebsregister erhalten. Dies bedeutet Anreiz und Motivation für die Institutionen, welche die Daten liefern. Sie erhalten durch die Vergleichswerte eine Orientierung für die Verbesserung ihrer Versorgungs- und Behandlungsqualität. Ebenso muss der beidseitige Austausch von Daten zwischen den kantonalen Krebsregistern und dem jeweiligen Einzugsgebiet eines Screening-Programms zur Zweckbestimmung des Gesetzes gewährleistet sein, damit aussagekräftige Qualitätskontrollen sichergestellt und die Wirksamkeit von Früherkennungsprogrammen überprüft werden können.
Unklar gemäss dem Entwurf der KRV ist, was auf nationaler und kantonaler Ebene als Gesundheitsberichterstattung und statistische Bearbeitung der gesammelten Daten gilt – und wo die Forschung beginnt, welche die Einhaltung der Regeln des Humanforschungsgesetzes (HFG) verlangt. Basierend auf den Krebsregisterdaten müssen zwingend Qualitätsevaluationen und deren Publikationen möglich sein.