Journal Watch

Der besondere Kommentar von Professor Martin Fey

Literaturbesprechung solide Tumoren



«MMR-Status ist bei jedem metastasierten Kolonkarzinom zu erheben»

André T et al. Pembrolizumab in microsatellite-instability-high advanced colorectal cancer. N Engl J Med 2020; 383: 2207.

Zusammenfassung: In mismatch-repair deficient metastatic colorectal cancer first-line pembrolizumab led to significantly longer progression-free survival than chemotherapy, with fewer treatment-related adverse events.

Kommentar

Kolonkarzinomzellen, die Defekte im DNA-mismatch Reparatur-Apparat aufweisen (dMMR-Karzinome), können Schäden in ihren Genen oder in regulatorischen Gensequenzen nicht oder nur insuffizient ausbügeln. Aus therapeutischer Sicht führt dies im Idealfall zur Expression von neuen Proteinen, somit von Neoantigenen. Diese wären willkommene Angriffspunkte für den Immun-
apparat. Und somit sollten Immun-Checkpoint-Inhibitoren, z.B. Pembrolizumab, ein PD-1 Inhibitor, wirksam sein.
Et voilà: so ist es, belegt mit einem klinischen Test, dieser Studie, für die Erstlinientherapie mit einem PD-1 Inhibitor. Die Patienten wurden aufgrund ihres MMR-Status ausgelesen, nachgewiesen mittels Immunhistochemie, die Verlust verschiedener MMR-Proteine zeigt, und/oder mittels PCR für die Detektion von Mikrosatelliten-Allel-Verschiebungen als Marker für genetische Instabilität. Pembrolizumab wurde in einer typischen Dosis (200 mg alle 3 Wochen – ohne Rücksicht auf PD-1 Expression) verglichen mit Chemotherapie selon le choix du chef local (FOLFOX, FOLFIRI mit oder ohne Bevacizumab oder Cetuximab). PFS war doppelt so lang mit Pembro (16 Monate) als mit Chemo-MAB-Therapie (8 Monate – ein durchaus typisches Resultat für dMMR-Karzinome). Gesamtüberleben kann noch nicht mit genügender Verlässlichkeit gemessen werden. Time will tell.
Pembrolizumab wurde gut toleriert, zum Teil besser als Chemotherapie. Man hätte sich vorstellen können, dass Patienten bei Status nach Hemikolektomie auch einen bescheidenen Grad an Autoimmun-Kolitis mit Durchfall als sehr unangenehm werten, aber das war nicht der Fall. Es scheint mir bemerkenswert, dass der Einsatz von Pembrolizumab nicht vom Prozentsatz PD-1 positiver Karzinomzellen abhing – die Korrelation zwischen «target» (PD-1) und Wirkung des inhibitorischen MAB ist in vielen Fällen kaum prädiktiv, auch wenn diese Behandlung unter der Flagge «targeted therapy» segelt.
Insgesamt zeigt die Studie einen neuen Therapieweg für die wenigen Patienten mit nachgewiesenem dMMR-Kolonkarzinom auf. Wenn nicht schon ohnehin in der Routinediagnostik verlangt, so sollte der MMR-Status bei jedem metastasierten Kolonkarzinom erhoben werden.

«Eine positive Studie mit ein paar bedenkenswerten Problemen»

Powles T et al. Enfortumab vedotin in previously treated advanced urothelial carcinoma. N Engl J Med 2021; DOI: 10.1056/NEJMoa20358077

Zusammenfassung: Enfortumab vedotin significantly prolonged survival as compared with standard chemotherapy in patients with locally advanced or metastatic urothelial carcinoma who had previously received platinum-based treatment and a PD-1 or PD-L1 inhibitor.

Kommentar

Patienten mit fortgeschrittenem inoperablem Urothelkarzinom haben eine schlechte Prognose, auch wenn Immuncheckpoint-Inhibitoren einen therapeutischen Fortschritt mit sich gebracht haben. In der vorliegenden Phase-III-Studie wird nun nicht ein neuer MAB, sondern ein Medikament-Antikörper-Konjugat eingesetzt. Der Antikörper zielt auf Nectin-4 ab, ein Zelladhäsionsmolekül, das auf Urothelkarzinomzellen kräftig exprimiert wird; daran angehängt ist ein neuer alter Bekannter, Monomethyl Auristatin E, auch Vedotin genannt. Diese Substanz ist ebenfalls im Konjugat AdcetrisR (Brentuximab-Vedotin) enthalten, das in der Schweiz für die Behandlung von CD30 POS Lymphomen (inkl. Hodgkin Lymphom) zugelassen ist. Sie wirkt toxisch auf intrazelluläre Mikrotubuli und führt zu Apoptose. Die Studie testet das Nectin-4/Vedotin-Konjugat bei Patienten mit vorbehandeltem metastasiertem Urothelkarzinom, nach Versagen von Platin-Kombinationen und bei Progression nach PD1- oder PD-L1-Inhibitoren.
Enfortumab Vedotin erzielt ein medianes Überleben von 13 Monaten; der Kontrollarm mit Chemotherapie 9 Monate. Die Resultate im Kontrollarm mit reiner Chemotherapie (Taxane oder Vinflunin) entsprechen den Erwartungen; der Überlebensvorteil ist somit gut belegt. Die Nebenwirkungsrate ist allerdings hoch: Mehr als 90% aller Patienten erlebten Toxizität. Wie wohl zu erwarten, war Neuropathie häufiger unter dem Vedotin-Konjugat, aber auch ein Drittel der Patienten im Chemotherapie-Arm war davon betroffen (mehr als zwei Drittel wurden mit Taxanen behandelt). Somit also eine positive Studie mit einem klinisch relevanten primären Endpunkt.
Wir sind also zufrieden. Ganz zufrieden? Nein; denn ein paar Probleme der Studie und ihrer Publikation müssen aufgezeigt werden. Es wurden nur fitte Patienten in einem ECOG PS von 0 oder 1 rekrutiert; dies schränkt die Extrapolation auf die klinische Praxis ein; denn Patienten mit vorbehandeltem inoperablem und erneut progredientem Urothelkarzinom sind oft nicht sonderlich gut dran. Es wäre also besser gewesen, den PS nicht einzuschränken, um eine weniger stringent selektionierte praxis-orientierte Patientenpopulation in der Studie abzubilden. Ein häufiges Problem bei Pharma-Studien – man fürchtet sich offenbar davor, dass der Einschluss von Patienten in reduziertem Allgemeinzustand den Erfolg der Studie gefährden könnte. Die Behandlung mit dem Nectin-4 Konjugat wird wohl stolz unter dem modernen Schlagwort einer «targeted therapy» verkauft – einmal mehr liegt hier jedoch eine Studie vor, in der nicht einmal ansatzweise versucht wurde, mit prädiktiven Markern Patienten anzureichern, die eine besonders hohe Therapie-Erfolgschance hätten («nectin-4 expression was not required for entry into the EV-301 trial» …!). Ferner: wenn in einer Kern-Publikation zu einem neuen Medikament für Patienten mit fortgeschrittenem Karzinom in der zweiten bis dritten Therapielinie keinerlei Lebensqualitätsdaten berichtet werden, nota bene bei einer Therapie, die fast alle Patienten mit mehr oder weniger ausgeprägten Nebenwirkungen bezahlen müssen, dann ist das mehr als störend. Noch störender fällt ins Gewicht, dass dies in einem renommierten Journal beileibe kein Einzelfall ist. Es fragt sich ferner, weshalb solche MAB-Konjugate auf Vedotin setzen, da Vedotin-bedingte Neurotoxizität als mitunter langwierige, wenig reversible und nicht therapierbare Nebenwirkung besonders unangenehm ist. Gäbe es denn keine anderen Moleküle, um die Krebszellen umzubringen?

«Once a cheater – always a cheater?»

Schneider J et al. Continued post-retraction citation of a fraudulent clinical trial report, 11 years after it was retracted for falsifying data. Scientometrics 2020; 125: 2877

Zusammenfassung: Eine Studie zu einer Diät als Behandlung der COPD wurde nach der Publikation (Chest 2005; 128: 3817) wegen Falschdaten zurückgezogen. Trotzdem wird diese Studie immer noch als positiv zitiert. Das Beispiel zeigt die Problematik auf, dass falsche oder gefälschte Daten in der Literatur verweilen können, auch wenn sie formal zurückgezogen wurden. (Dank an Prof. Thomas Pabst, Inselspital Bern, für den Hinweis auf dieses Paper)

Kommentar

Wird ein wissenschaftlicher Artikel zurückgezogen («retracted»), so ist er formal aus der zi-tierbaren Literatur ausgeschlossen. Leider verhindert dies nicht, dass die (falschen oder unzuverlässigen) Daten nicht trotzdem weiter zitiert und wohl auch in der Praxis verwendet werden. Diese Arbeit zu einer diätetischen Massnahme als Behandlung der COPD wurde 2005 publiziert und 2008 wegen gefälschter Daten aus dem Verkehr gezogen. Sie wurde seither trotzdem über hundert Mal zitiert, meist positiv, u.a. in Richtlinien zur Ernährung von COPD-Patienten. Das internationale Referenzsystem brandmarkt solche Arbeiten offenbar ungenügend und zu wenig deutlich.
Ich erinnere mich an die gezinkte Arbeit von Bezwoda et al. aus Südafrika, die angeblich den Nutzen einer Hochdosis-Chemotherapie mit autologer Stammzellrücktransfusion beim Mammakarzinom belegte (publiziert im J Clin Oncol 1995; 13: 2483). Mittlerweile ist sie im PubMed als «retracted article» gekennzeichnet. Allerdings ist sie noch greifbar und somit prinzipiell zitierbar. Immerhin wurde sie in eine Cochrane-Metaanalyse nicht einbezogen und in einer anderen systematischen Analyse bewusst ausgeschlossen.
Der Editor-in-Chief des Journal «Anaesthesiology» kommt zum Schluss, dass der in PubMed mit einem Eintrag dokumentierte Rückzug einer falschen Arbeit nicht genügt; sein Journal schaut somit bei allen Artikeln, die zur Publikation eingereicht werden, aktiv nach, ob sie annullierte Publikationen zitieren (Anesthesiology 2009; 110: 955). Andere Journals sollten diesen Mechanismus aufgreifen, um die Verbreitung falscher, vor allem gefälschter, Studiendaten so schwierig wie möglich zu gestalten.

«Personalisierte Krebsmedizin: ein modernes Konzept, aber auch ein nützliches?»

Kopetz S et al. Randomized trial of irinotecan and cetuximab with or without vemurafenib in BRAF-mutant metastatic colorectal cancer (SWOG S1406). J Clin Oncol 2020; 39: 285.

Zusammenfassung: Simultaneous inhibition of EGFR and BRAF combined with irinotecan is effective in BRAFV600E mutated CRC.

Kommentar

Etwa 10% aller Kolonkarzinome weisen die prognostisch ungünstige V600E Mutation im BRAF-Gen auf, die uns ebenfalls beim Melanom, bei Gliomen, Schilddrüsenkarzinomen und bei der Haarzellleukämie bekannt ist. Der Einsatz einzelner BRAF-Inhibitoren beim Kolonkarzinom erbrachte jedoch deutlich schlechtere Resultate als beispielsweise beim Melanom. Beim Kolonkarzinom erweist sich nun die Kombination von BRAF- und EGFR-Hemmung als klinisch nützlich. Logischerweise wurden für diese Studie Patienten ausgelesen, deren Kolonkarzinome die BRAF-V600E-Mutation, aber keine NRAS- oder KRAS-Mutation aufwiesen. Im experimentellen Arm wurde zusätzlich zum Standard Irinotecan-Cetuximab auch der BRAF-Inhibitor Vemurafenib eingesetzt. PFS war 4 Monate im experimentellen und 2 Monate im Standardarm, ohne Unterschied im Gesamtüberleben (cross-over der Arme war erlaubt). Diese Zahlen sind Ausdruck der ungünstigen Prognose dieser speziellen Kolonkarzinome, aber auch Beleg der limitierten Wirksamkeit der medikamentösen Tripelkombination.
Die Studie illustriert ein prinzipielles Problem in der modernen Onkologie. Zunehmend werden in der klinischen Routine Tumorbiopsien mit Next-Generation Sequencing auf somatische Mutationen und andere genetische Veränderungen untersucht. Der Enthusiasmus hiefür ist beträchtlich. Man will ja modern sein. Wird eine somatische Mutation im Tumor gefunden, gegen die ein Medikament erhältlich ist (beispielsweise ein Tyrosin-Kinase-Inhibitor), so werden allerlei Hebel in Bewegung gesetzt, den Patienten damit on- oder offline zu behandeln. Man nennt das personalisierte Krebsmedizin. Nun illustriert das Beispiel BRAF-POS Kolonkarzinom-Melanom-Haarzellleukämie just, dass dieses Konzept auf Sand auflaufen kann. Vemurafenib wurde als Therapeutikum beim BRAF V600E POS Melanom erfolgreich eingeführt. Beim BRAF V600E POS Kolonkarzinom war der Effekt der Monotherapie dagegen enttäuschend. Bei Haarzellleukämie (wo die BRAF V600E Mutation in praktisch allen Fällen als «driver mutation» vorliegt) ist die Wirkung durchwegs brillant. Die Taktik, die industriell propagiert wird, in der Routine Tumoren per NGS auf «Zielmutationen» zu untersuchen, um moderne Therapien individualisiert anzubieten, ist meines Erachtens kritisch zu sehen. Der Kurzschluss «Somatische Mutation nachgewiesen – also wirkt der entsprechende MAB oder TKI» kann eben ein kostspieliger und durchaus toxischer Fehlzünder sein. Das Beispiel zeigt denn auch die Probleme der «basket trials» auf, mit denen man Vemurafenib testete. Wenn einzelne Tumortypen im Körbchen sehr wenig vertreten sind, so ist es eher dem Zufall als statistischer Stringenz überlassen, ob sich ein besonders günstiger oder besonders enttäuschender Therapieeffekt überhaupt ermitteln lässt. In einem Vemurafenib «basket trial», das vor einigen Jahren publiziert wurde (NEJM 2015; 373: 726), wurde der Nutzen auf BRAF V600E POS Kolonkarzinom bloss als «anecdotal» apostrophiert, und Patienten mit Haarzellleukämien waren in dieser Studie gar keine vertreten.

Prof. em. Dr. med. Martin Fey

Bern

martin.fey@insel.ch

Aktien von Novartis, Roche und Johnson & Johnson

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  • Vol. 11
  • Ausgabe 2
  • April 2021