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Parlament verwirft unfaire Erhöhung der Franchise

Weil die Gesundheitskosten und damit die Krankenkassen-Prämien stetig steigen, sucht die Politik verschiedene Massnahmen zur Kostendämpfung. Dabei sollen alle Akteuren in die Pflicht genommen werden. Da Lösungsansätze bei anderen Akteuren schwierig umzusetzen sind, versuchte das Parlament zuerst bei den Versicherten anzusetzen Gleich mehrere entsprechende Geschäfte und Vorstösse wurden in der diesjährigen Frühjahrsession beraten.



Eine der wichtigsten gesundheitspolitischen Debatten wurde zur Anpassung der Franchisen an die Kostenentwicklung (18.036) geführt. Mit dieser Vorlage erfüllte der Bundesrat einen Auftrag des Parlaments. Die Änderung des KVG sah vor, dass die ordentlichen Franchisen automatisch um 50 Franken erhöht werden, sobald die durchschnittlichen Kosten je versicherte Person in der Grundversicherung 13 Mal höher als die Mindestfranchise sind. Bei den heutigen steigenden Gesundheitskosten rechnete man damit, dass dies im Jahr 2020 bereits das erste Mal der Fall ist. Bundesrat Alain Berset ging anschliessend von einer Erhöhung um 50 Franken alle drei bis vier Jahren aus. Die Befürworter glauben, dass mit der Erhöhung der Franchise die Eigenverantwortung der Versicherten gestärkt wird. Allerdings haben bisherige Erhöhungen der Franchisen keinen kostendämpfenden Effekt gehabt, was auch Bundesrat Berset in der Debatte betonte. Nachdem beide Räte der entsprechenden Änderung des KVG in der Detailberatung noch zugestimmt hatten, wurde sie im Nationalrat in der Schlussabstimmung in einer unheiligen Allianz von SP, Grünen sowie – nach einem kurzfristigen Meinungsumschwung – von einer Mehrheit der SVP und zahlreichen Enthaltungen aus der CVP zu Fall gebracht.

Ein weiterer Vorstoss, der «positive Anreize für kostenbewusstes Verhalten» schaffen wollte, um die Prämienbelastung zu senken, war eine Motion der nationalrätlichen Gesundheitskommission (SGK-N) selbst (18.4096). Eine Mehrheit wollte den Bundesrat beauftragen, die ordentliche Franchise gemäss Verordnung über die Krankenversicherung (KVG) auf 500 Franken festzusetzen. Eine Minderheit beantragte hingegen, die Motion abzulehnen. Ebenso der Bundesrat. Er hielt fest, dass «in der Schweiz die Kostenbeteiligung der Versicherten im internationalen Vergleich hoch ist». Er ist der Ansicht, dass eine Anhebung der ordentlichen Franchise um 66 Prozent unzumutbar ist, insbesondere für Versicherte in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen. Der Nationalrat hat die Motion in der Frühjahrsession abgelehnt, damit ist diese vom Tisch.
Auch eine Parlamentarische Initiative von Roland Borer aus dem Jahr 2015 verlangt die «Stärkung der Selbstverantwortung im KVG» (15.468). Sowohl die SGK-N wie auch die ständerätliche Gesundheitskommission (SGK-S) fanden es ursprünglich eine gute Idee, dass Versicherte ihre Wahlfranchisen nur noch alle drei Jahre wechseln dürfen. Während der Nationalrat auf die Vorlage eingetreten ist und den Entwurf der SKK-N detailliert diskutiert hat, ist der Ständerat in der Frühjahressession nicht darauf eingetreten. Er folgte damit der vorberatenden SGK-S, die zum Schluss gelangte, «dass diese Vorlage die Selbstverantwortung im KVG nicht stärken, sondern im Gegenteil sogar noch schwächen könnte, weil die Versicherten tendenziell risikoscheu seien und eine tiefe Franchise dem Risiko einer mehrjährigen Bindung an eine hohe Franchise vorziehen könnten». Damit ist der Ball wieder beim Nationalrat.

Erhöhung der ordentlichen Franchise würde Krebsbetroffene unfair belasten

Die Krebsliga begrüsst diese Entscheide des Parlaments. Denn eine Erhöhung der ordentlichen Franchise würde die Falschen treffen. Eine Mindestfranchise wird von Versicherten insbesondere aufgrund des höheren Alters oder einer chronischen Krankheit gewählt. Die zahlreichen komplexen Behandlungen und Nachuntersuchungen sind neben der individuellen herausfordernden Situation für chronisch kranke Patientinnen und Patienten kostspielig und machen einen Grossteil unserer Gesundheitskosten aus. Es ist weiter zu befürchten, dass die Zahl der Menschen, die aufgrund der höheren Franchise auf eine medizinische Behandlung verzichten, zunehmen wird. Eine zu spät behandelte Erkrankung ist aber schwieriger und aufwendiger zu behandeln – was wiederum teurer ist.
Die Fachleute der Krebsliga stellen fest, dass ein Teil der Krebsbetroffenen vermehrt Schwierigkeiten hat, Krankenkassenprämien, Franchisen und Selbstbehalte zu bezahlen. 2018 betrafen beispielsweise die Hälfte der Gesuche an den Hilfsfonds für Härtefälle der Krebsliga solche Kosten. Denn eine Krebserkrankung kann drastische finanzielle Folgen mit sich bringen. Viele Betroffene können eine gewisse Zeit gar nicht oder nur teilweise arbeiten, was massive finanzielle Einbussen mit sich bringen kann. Zudem müssen sich die Patientinnen und Patienten als Versicherte an den Kosten der Behandlungen beteiligen. Neben den monatlichen Prämien und der ordentlichen Franchise kommt ein jährlicher Selbstbehalt von 10% der Kosten bis zu max. 700 Franken sowie ein Beitrag an die Spitalkosten hinzu. Krankenkassen erheben ausserdem einen Selbstbehalt von 20% für Medikamente, die durch ein günstigeres in der Spezialitätenliste aufgeführtes Medikament austauschbar ist. Nicht zu vergessen sind die weiteren zusätzlichen Kosten wie beispielsweise für nicht rezeptpflichtige Medikamente, Transport, auswärtige Verpflegung, zusätzliche Kinderbetreuung und vieles mehr.
Hinzu kommt, dass fast ein Drittel von erwachsenen Krebsbetroffenen sogenannt «off-label» behandelt wird. Dies sind Behandlung mit Medikamenten, die ausserhalb ihrer zugelassenen Indikation angewendet werden. Ob die Krankenkasse eine off-label-Behandlung vergütet, entscheidet sie nachdem ein Kostengutsprachegesuch gestellt und der Einzelfall beurteilt wurde. Die Unsicherheit, ob ein oft überlebenswichtiges Medikament bezahlt wird, ist für Betroffene sehr belastend. Zudem vergeht oft wertvolle Zeit. Die Entscheide lassen sich auch nicht immer klar nachvollziehen, weil es an Transparenz und Vergleichbarkeit fehlt. Leidtragende sind dabei die Patientinnen und Patienten. Wird die Vergütung von der Krankenkasse verweigert, müssen die Kosten selbst übernommen werden, ansonsten erhalten Betroffene die Behandlung nicht. Formal bleiben noch zwei Möglichkeiten: Patientinnen und Patienten können sich an die Ombudsstelle der Krankenkasse wenden oder den Rechtsweg beschreiten. Allerdings können krebskranke Menschen und ihre Angehörigen in dieser überaus herausfordernden Phase weder die Kraft noch die Zeit hierfür aufbringen.
Können Prämien und Selbstbehalte nicht mehr bezahlt werden, droht Krebsbetroffenen ein «Leistungsstopp». Je nach Kanton werden Betroffene auf einer sogenannten «Schwarzen Liste» aufgeführt und werden nur noch in Notfällen behandelt. In diesem Zusammenhang ist fraglich, was «Notfall» bedeutet. Wird beispielsweise die Vergütung einer Computertomographie oder parenteraler Ernährung verweigert, weil diese nicht als Notfallbehandlung gelten, kann dies für Krebspatientinnen und -patienten lebensbedrohend sein.
Sicher ist, dass es im Schweizer Gesundheitswesen noch viel Potenzial für die nötige Kostendämpfung gibt. Anstatt ältere und chronisch kranke Menschen noch mehr zu belasten, ist ein anderer Fokus angebracht.

Franziska Lenz

Leiterin Politik und Public Affairs Krebsliga Schweiz

info@onco-suisse

  • Vol. 9
  • Ausgabe 2
  • April 2019