- «Plus ça change, plus c’est la même chose»
Nachdem ich dieses Jahr die 8. Dekade meines Lebens starten durfte, finde ich diesen Satz immer wieder sehr hilfreich und für Vieles erklärend. Nehmen wir den gerade erlebten Wahlsonntag: Da werden die ja nur geringen Differenzen über die letzten drei Wahlen betrachtet medial ausgelotet, und die Worte «Rutsch» und «historisch» werden inflationär bemüht – genauer betrachtet hat sich aber kaum wirklich etwas bewegt.
Für uns Mediziner viel gravierender war und ist die Illusion unserer Politiker der letzten Jahrzehnte, dass das teure Gesundheitssystem einfach daran kranke, dass es keinen richtigen Wettbewerb gäbe, und dass wir in den Medizinalberufen keinen Unternehmerverstand hätten. Nur mit Wettbewerb werde sich eine kosteneffiziente moderne Medizin von hoher Qualität erreichen lassen.
Dieser Glaube an den «freien Markt» hat aber viele Vorgaben, die für einen freien Markt unerlässlich sind. Die Politiker, die offensichtlich wenig Sachverstand für die komplexe Materie hatten, liessen sich von vielen Wirtschaftsgurus und ihren tollen teuren Analysen und Prädiktionen einseifen. Sie hofften, dass ein leidiges Problem endlich gelöst werden könnte und übersahen, dass der «Medizinmarkt» gerade kein freier Markt war und ist. Dass man das System zudem so gebaut hat, dass die Zeche dieser Fehlentwicklung mit immer höheren Krankenkassenprämien auf die Zwangsversicherten abgewälzt werden kann, hat den Druck lange von der Politik weggenommen.
Im Spitalbetrieb selbst hat sich Ähnliches abgespielt. Hier waren es nun die Managementgurus, die sich den lukrativen Spitallandschaften zuwandten: Jede Klink, jedes Institut und die Spitalleitung wurden nun für teures Geld durchleuchtet, analysiert und in unzähligen Sitzungen mit neuen modernen Modellen konfrontiert. Die Umsetzung hat dann wiederum Heerscharen von Managementleuten, aber selbstredend auch uns selber, sehr zeitintensiv beschäftigt, in der Hoffnung, dass alles nun endlich besser werde. Dass die Spitalleitungen natürlich neu aufgestellt und ausgebaut wurden, und dass sie neue Stabseinheiten mit hoher Kadenz kreierten, gehört dazu.
Wenn wir noch die ganzen enormen unkoordinierten Investitionen in Spitalinformatik, Datenschutz und E-Health auf Spital-, Kantons- und nationaler Ebene dazu nehmen, können wir langsam ermessen, wieviel Geld und Arbeit hier mit wie wenig «return on investment» geleistet wurde. Leider kann niemand nachvollziehbar beziffern, was, oder besser wie wenig dies letztlich wirklich gebracht hat. Die Finanzierung all dieser Kosten musste natürlich von den Spitälern erwirtschaftet werden. Dass die Spitäler dazu noch wettbewerbskonform hochaufgerüstet haben, und die Medizin eine enorme Verteuerung in vielen Bereichen (Apparate und Medikamente als Beispiel) erfahren hat, darf nicht unerwähnt blieben.
Somit halte ich fest, dass die grundlegenden Probleme eines finanzierbaren hochwertigen Gesundheitssystems für alle immer noch in etwa die gleichen geblieben sind – und ich steigere mich zur Aussage, dass die wirklichen Probleme nicht in den Arztpraxen, Spitälern und bei weiteren Versorgern liegen, sondern in der weiterhin nicht koordinierten und widersprüchlichen nationalen und föderalistisch-kantonalen Gesundheitspolitik selber.
Prof. em. Dr. med. Thomas Cerny
Rosengartenstrasse 1d
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thomas.cerny@kssg.ch