- Projekt SmartOncology
Angesichts von immer stärker interdisziplinär ausgerichteten onkologischen Behandlungsmöglichkeiten ist eine semantisch und technisch möglichst einheitliche und effiziente Erfassung von medizinischen, pathologischen und genetischen Daten durch alle Leistungserbringer entlang des Patientenpfades von grösster Wichtigkeit. Erst sie ermöglicht den zielführenden Datenaustausch zwischen den Fachdisziplinen, Spitälern und klinischer Forschung. Auf Initiative der Swiss Cancer Foundation (SCF) wird seit 2019 das Projekt «SmartOncology» vorangetrieben, das genau dies sicherstellen will. Am Inselspital in Bern wird die Applikation derzeit in einem Pilotversuch getestet. Der Direktor der Universitätsklinik für Radio-Onkologie (UKRO), Prof. Dr. med. Daniel Aebersold, erläutert im Gespräch die Details des Projektes.
Interview mit Prof. Dr. med. Daniel Aebersold, Projektleiter, Klinikdirektor UKRO und Vorsteher des University Cancer Center Inselspital UCI
Auf Initiative der Swiss Cancer Foundation entwickeln Sie am Inselspital Bern das digitale Instrumentarium «SmartOncology». Um was geht es bei diesem Projekt?
Daniel Aebersold: Im Klinikalltag wird sehr viel Zeit für die Erfassung und die Auswertung von medizinischen Daten verwendet, wobei jedes Spital und jede Fachabteilung unterschiedliche Systeme und Sprachregelungen verwendet. Es fehlt bisher ein «single-data-entry-point» und ein national akzeptierter und international abgeglichener Thesaurus respektive eine sogenannte Ontologie für die Beschreibung von Krankheitsfällen, pathologischen Befunden und genetischen Analysen. Wir wollen das für die Onkologie ändern.
Dann ist SmartOncology eine Software?
Zunächst ist SmartOncology eine Methodologie. Es geht darum, onkologische Daten möglichst von Beginn an semantisch und technisch interoperabel nutzbar zu machen, und zwar nicht nur auf der Ebene der einzelnen medizinischen Abteilung, sondern auch zwischen Spitälern und Forschungsinstituten. Und zweitens: SmartOncology ist eine Open-source-Technologie, ein Schlüsselelement, das nicht nur die Datenerfassung, sondern auch den Datenaustausch und die Datenarchivierung vereinfacht.
Wie funktioniert das konkret?
Kernelement von SmartOncology ist ein gemeinsam vereinbartes Medical Data Set. Es legt fest, mit welchen Beobachtungsgrössen Krankheitsbild, Therapie und Patientenzustände beschrieben werden. Das Medical Data Set muss in medizinisch standardisierten Begriffen ausgeführt sein, die in Form von medizinischen Thesauri zuhanden des Benutzers hinterlegt sind. Dadurch entsteht von erster Dateneingabe an die medizinische Interoperabilität, die wir dringend im Hinblick auf komplexe Auswertungen benötigen.
Die SmartOncology-Software ist das Unterstützungstool, das den Nutzer durch diesen Vorgang hindurchführt. Der Nutzer sieht in erster Linie ein digitales Formular, das «SmartForm», das die Ressourcen bereitstellt, die Dateneingabe entgegennimmt und im Hintergrund die erforderlichen Verknüpfungen durchführt. Das «SmartForm» kann mit geringem Aufwand an jede Arbeitsplatzsituation angepasst werden. Das ist für eine betriebswirtschaftliche Klinikführung ein wesentlicher Punkt.
Wie müssen wir uns dieses SmartForm vorstellen?
Die Benutzeroberfläche sieht genau gleich aus wie ein herkömmliches PDF oder ähnliche Formate. Bei der Eingabe der Daten aber wird im Hintergrund ein Abgleich mit einem einheitlichen Thesaurus vorgenommen. Die Daten werden in einem international standardisierten Format (HL7/FHIR) gespeichert. Damit werden sie auch für den Datentausch mit Klinikinformationssystemen interoperabel. Dies bedeutet für die Mitarbeitenden, dass auf einfachere Art der Datentausch zwischen allen angeschlossenen onkologischen Kliniken ermöglicht wird.
Was sind denn die wesentlichen Vorteile dieser Lösung?
Ärztinnen und Ärzte sollten im Alltag viel weniger Zeit für die Datenerfassung und -auswertung aufwenden müssen. Heute beträgt der Zeitbedarf für die Datenerfassung und die patientenbezogene Dokumentation oft mehrere Stunden. Zudem können mit SmartOncology Daten viel einfacher für die Forschung genutzt werden. Schliesslich werden auch betriebliche Arbeitsabläufe effizienter, was gleichzeitig die Behandlungsqualität erhöht. All dies dient am Ende dem Patientenwohl.
Welche Rolle spielt die UKRO des Inselspitals bei diesem Projekt?
Die Initiative für die Verbesserung der Kommunikation unter Schweizer Krebszentren hat die SCF ergriffen, die auch die Entwicklung mit Grants ermöglicht hat. Das Inselspital bringt die notwendige technische und medizinische Expertise mit und beteiligt sich an den Projektkosten. Die technische Entwicklung leitet Dr. med. Nikola Cihoric, der als Oberarzt und Informatiker an der UKRO arbeitet. Ich trage die Verantwortung für den wissenschaftlichen Projektlead. Seit Anfang Jahr wird zudem in der UKRO das Pilotprojekt «Head and Neck Cancer» durchgeführt, das nun die Praxistauglichkeit unter Beweis stellen muss.
Können Sie schon erste Ergebnisse bekanntgeben?
Es wurden bereits erste SmartForms für Dokumentation der Behandlung von Kopf-Hals-Tumor-Patienten produziert. In enger Zusammenarbeit mit der IT-Abteilung der Inselgruppe wird nun die Integration in die spitaleigene Software-Umgebung erarbeitet.
Warum wird das Pilotprojekt gerade im Bereich von «Head and Neck Center» durchgeführt?
Es handelt sich um eine wichtige Patientengruppe mit steigenden Fallzahlen. Typischerweise ist eine komplexe und oft auch sehr lange Behandlung notwendig. Es sind nicht nur verschiedene onkologische Disziplinen involviert, sondern auch die Chirurgie, die Zahnmedizin, die Logopädie, Ernährungsberatung und Pflege. Mit SmartOncology können wir sehr viel effizienter die spezifischen Therapie- und Behandlungsbedürfnisse des einzelnen Patienten erfassen und austauschen. Mit dem Pilotprojekt wollen wir auf der Basis eines Pflichtenheftes sowohl medizinische als auch betriebliche Schlüsselfragen beantworten. Das erst schafft die Voraussetzung für eine Implementierung.
Beteiligen sich auch weitere Spitäler an diesem Projekt?
Ja, wir haben bereits die Zusage des Kantonsspital Graubünden in Chur, dass man ebenfalls einen Test durchführen möchte, und wir stehen in Kontakt mit weiteren Universitäts- und Kantonsspitälern in der ganzen Schweiz. Wir sind sehr interessiert daran, dass SmartOncology in unterschiedlichen klinischen Konstellationen evaluiert wird.
Welche Erwartungen verknüpfen Sie persönlich mit dem Projekt?
Wir erleben in der Onkologie eine rasant zunehmende Anzahl von interdisziplinären Behandlungsmöglichkeiten, die aber auch verbunden ist mit einer immer grösser werdenden Komplexität beim Informations- und Wissensaustausch. Die möglichst einfache Erfassung und der Austausch von onkologischen Daten ist daher besonders in einem föderal ausgestalteten Gesundheitssystem wie dem unsrigen extrem wichtig. Wenn es uns gelingt, dies mit SmartOncology gleich zu Beginn des klinischen Patientenpfades zu leisten, sind wir einen grossen Schritt weiter.
Prof. em. Dr. med. Thomas Cerny
Rosengartenstrasse 1d
9000 St. Gallen
thomas.cerny@kssg.ch