Politik Forum

Rückblick und Ausblick Krebspolitik

Am 1. Dezember endet die 50. Legislatur des eidgenössischen Parlaments (2015-2019). Das Ende einer Legislatur bietet Gelegenheit, einen Blick zurück wie auch in die Zukunft zu werfen. Die grösste Errungenschaft der letzten vier Jahre ist aus onkologischer Perspektive das Krebsregistrierungsgesetz.



Bis im Juni 2019 hat die Bundesversammlung in dieser Legislatur 123 Bundesgesetze verabschiedet, etwas weniger als in den vorgängigen Legislaturperioden (1). Im gleichen Zeitraum haben die Schweizer Stimmbürger/-innen über 16 Volksinitiativen abgestimmt – sie wurden allesamt abgelehnt (2). Aus gesundheitspolitischer Sicht waren die letzten vier Jahre geprägt von der Frage über die Kosten und Finanzierung im Gesundheitswesen. Weil die Krankenkassen-Prämien stetig steigen, sucht die Politik eifrig nach wirkungsvollen Massnahmen zur Kostendämpfung. Diese Diskussionen werden in der 51. Legislatur fortgeführt.

Kostendämpfung zur Entlastung der OKP

Ende 2016 hat das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) eine Expertengruppe (geleitet von alt Ständerätin Verena Diener) beauftragt, nationale und internationale Erfahrungen zur Steuerung des Mengenwachstums auszuwerten und möglichst rasch umsetzbare kostendämpfende Massnahmen zur Entlastung der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) vorzuschlagen. Gestützt auf diese Empfehlungen hat der Bundesrat im März 2018 ein Kostendämpfungsprogramm verabschiedet, welches laufende und neue Massnahmen umfasst. Es nimmt alle Akteure des Gesundheitswesens in die Verantwortung. Die neuen Massnahmen sollen in zwei Paketen bis Herbst 2018 bzw. Ende 2019 geprüft und umgesetzt werden. Das erste Paket – das insgesamt neun Massnahmen mit Anpassungen im Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG) sowie der Sozialversicherungsgesetze umfasst – hat der Bundesrat im August 2019 zuhanden des Parlaments verabschiedet. Ein Schwerpunkt liegt auf dem Experimentierartikel, der innovative und kostendämpfende Pilotprojekte ausserhalb des «normalen» Rahmens des KVG ermöglichen soll. Der Nationalrat wird sich damit als Erstrat Anfang 2020 befassen. Im nächsten Jahr soll ein zweites Paket folgen. Ziel dieses Pakets ist es, die Kosten bei allen Akteuren transparent und so das Gesundheitssystem effizienter zu machen sowie die koordinierte Versorgung zu stärken (3). In diesem Kontext sind auch die Kostenbremse-Initiative der CVP (4) sowie die Prämien-Entlastungs-Initiative der SP (5) zu sehen.

Nationales Krebsregister

Aus onkologischer Sicht ist insbesondere das neue Krebsregistrierungsgesetz (KRG) sowie dessen wirkungsvolle Umsetzung in der Praxis von grosser Bedeutung. Die landesweite und einheitliche Erfassung aller Krebserkrankungen ist eine unentbehrliche Grundlage, um die zukünftige Krebsversorgung der Schweizer Bevölkerung optimal zu planen. Dank den registrierten Daten können die Ursachen der Krankheit besser verstanden, präventive Massnahmen gezielter geplant und Rückschlüsse auf bestmögliche Therapien gezogen werden. Das Parlament hat im März 2016 das neue Gesetz und der Bundesrat im April 2018 die entsprechende Verordnung (KRV) mit den Bestimmungen für die Umsetzung verabschiedet. Gesetz und Verordnung treten Anfang 2020 in Kraft, ab dem 1. Januar werden alle Krebsfälle in der Schweiz einheitlich erfasst (6).

Schutz vor nichtionisierender Strahlung

In der Sommersession 2017 hat das Parlament das Bundesgesetz über den Schutz vor Gefährdungen durch nichtionisierende Strahlung und Schall (NISSG) verabschiedet. Mit diesem neuen Gesetz soll die Bevölkerung besser vor Gesundheitsschäden geschützt werden, die durch nichtionisierende Strahlung wie Laserpointer, Medizinlasern und Solarien entstehen können. Der Handlungsbedarf bei starken Laserpointern war in den Räten unbestritten. Für Diskussionen im Nationalrat sorgten weiterführende Massnahmen betreffend Behandlungen mit Produkten, die sehr hohe Belastungen verursachen. Diese dürfen nur noch durch Personen vorgenommen werden, die nachweislich über genügend Sachkunde verfügen. Zudem wird kontrolliert, ob Anbieter von Solarien die Benutzer/-innen genügend über die Gefahren informieren und die Sicherheitsvorgaben der Hersteller einhalten (7).

Genetische Untersuchungen beim Menschen

Das Gesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen (GUMG) regelt unter anderem Untersuchungen zur Abklärung von Erbkrankheiten. Um Missbräuchen vorzubeugen und den Schutz der Persönlichkeit zu gewährleisten wurde das Gesetz umfassend revidiert. Ein Aspekt war aus Sicht von Krebsbetroffenen äusserst heikel: Bisher durften Versicherungsanbieter für keine Versicherung nach genetischen Daten aus früheren präsymptomatischen Untersuchungen fragen noch solche Daten verwerten. Die vorberatende Kommission wollte diesen Schutz bei privaten Versicherungen streichen. Der Nationalrat lehnte dies ab, weil er erkannte, dass ein erhöhtes familiäres oder ein aufgrund anderweitiger genetischer Veränderungen mittels Gentest festgestelltes erhöhtes Risiko für eine (Krebs-)Erkrankung noch keine Diagnose bedeutet – und nicht zu einer Diskriminierung beim Zugang zu Versicherungsleistungen führen darf. Im Juni 2018 hat das Parlament das revidierte GUMG verabschiedet, die Inkraftsetzung des Gesetzes und seiner Verordnungen, die noch überarbeitet werden, ist im Verlauf des Jahres 2021 vorgesehen (8).

Schutz der Kinder und Jugendlichen vor den schädlichen Folgen des Tabakkonsums

Im Bereich der Prävention tat sich das Parlament auch in dieser Legislatur grundsätzlich schwer. Allerdings müssen die Anforderungen an Tabakprodukte nach der Revision des Lebensmittelrechts in einem neuen Gesetz geregelt werden. Der Bundesrat schlug in seinem Entwurf von November 2015 neben dem schweizweiten Verkaufsverbot von Tabakwaren an Minderjährige auch strengere Regelung im Bereich Werbung und Sponsoring für Tabakprodukte vor. Das Parlament war allerdings der Meinung, dass die freie Marktwirtschaft höher zu gewichten sei als die Prävention und wies die Vorlage an den Bundesrat zurück. Dieser schickte die überarbeite Vorlage im November 2018 wieder ins Parlament.
Weil das Parlament keinen Willen zeigte, ein Tabakproduktegesetz (TabPG) mit wirkungsvollem Jugendschutz zu schaffen, hat die Krebsliga Schweiz gemeinsam mit zahlreichen weiteren Gesundheitsorganisationen im März 2018 die Volksinitiative «Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung» lanciert. Ziel der Volksinitiative ist, dass Kinder und Jugendliche in ihrer gesunden Entwicklung bestmöglich unterstützt und gefördert werden und deshalb Werbung für Tabakprodukte, die sie erreicht, verboten wird. Die grosse Mehrheit der Raucher/-innen beginnt nämlich unter 18 Jahren mit dem Konsum und Tabakwerbung hat nachweislich einen grossen Einfluss auf diese Altersgruppe. Im September 2019 konnte die Volksinitiative mit über 100 000 Unterschriften eingereicht werden – nur ein paar Tage, bevor der Ständerat den neuen Entwurf beraten hat. Und dieser will nun die Schrauben im Umgang mit Tabakprodukten doch anziehen mit der Erfüllung der Mindestanforderungen der Rahmenkonvention der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Eindämmung des Tabakgebrauchs. Damit könnte diese von der Schweiz endlich ratifiziert werden. Der Nationalrat wird die Vorlage in der neuen Legislatur beraten (9).

Bessere Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Angehörigenbetreuung

Die Arbeit von betreuenden Angehörigen ist ein wichtiger Beitrag für die Gesellschaft und deckt einen erheblichen Teil der Gesundheitsversorgung ab. Um erwerbstätige Personen, die gleichzeitig Angehörige betreuen, zu entlasten hat der Bundesrat die Botschaft zum Bundesgesetz über die Verbesserung der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Angehörigenbetreuung zuhanden des Parlaments verabschiedet. Dieser umfasst unter anderem den Anspruch auf kurzzeitige Arbeitsabwesenheiten inkl. Lohnfortzahlung für die Betreuung von Familienangehörigen sowie ein Betreuungsurlaub für Eltern von schwer erkrankten oder verunfallten Kindern mit Entschädigung durch die Erwerbsersatzordnung. Der Nationalrat hat erfreulicherweise im September 2019 mehrheitlich dem bundesrätlichen Vorschlag zugestimmt. Stimmt der Ständerat in der neuen Legislatur ebenfalls zu, ist dies ist ein wichtiger – aber erst ein erster – Schritt in die richtige Richtung (10).

Einheitliche Finanzierung der Leistungen im ambulanten und stationären Bereich

Die Leistungen im stationären und ambulanten Bereich werden derzeit unterschiedlich finanziert, was zu Fehlanreizen führt. Leistungen im ambulanten Bereich werden vollständig von den Krankenkassen bezahlt und damit über Prämien finanziert. Leistungen im stationären Bereich werden zu mindestens 55 Prozent von den Kantonen und damit aus Steuergeldern finanziert, den Rest bezahlen die Krankenkassen. Die Gesundheitskommission hat nun einen Gesetzesentwurf erarbeitet, wonach die Krankenkassen und die Kantone Behandlungen einheitlich finanzieren, unabhängig davon ob diese ambulant oder stationär durchgeführt werden. Der Bundesrat befürwortet grundsätzlich die einheitliche Finanzierung, gleichzeitig fordert er, dass die Anliegen der Kantone bei der Reform stärker berücksichtigt werden. Der Nationalrat ging allerdings in der Herbstsession 2019 auf Konfrontationskurs mit den Kantonen. Streitpunkte waren die Rolle der Krankenkassen, der Einbezug der Langzeitpflege, Beiträge für Privatspitäler sowie Steuerungsmöglichkeiten für die Kantone im ambulanten Bereich. Die Kantone drohen mit dem Referendum, sollten die Räte die Vorlage nicht nachbessern. Der Ständerat wird sich in der neuen Legislatur dazu äussern (11).

Wünsche für die 51. Legislatur

Mit einer neuen Legislatur gehen Herausforderungen und gleichzeitig Chancen einher. Die Wahlen 2019 – mit den Gewinnern Grüne und Grünliberale – bringen für Schweizer Verhältnisse grosse Änderung der Machtverteilung im Parlament. Die Mehrheitsverhältnisse in den beiden Räten, den Kommissionen und Delegationen verschieben sich. Aber auch in der 51. Legislatur gilt: Mehrheiten müssen über Parteigrenzen hinweg geschmiedet werden. Mit grosser Spannung erwarten wir, welche Köpfe die Gesundheits- und Sozialpolitik der nächsten vier Jahre prägen werden.
Zugangs- und Chancengerechtigkeit zur bestmöglichen Behandlung und Versorgung ist für Krebsbetroffene das zentralste Anliegen. Die Zahl der Menschen, die mit Krebs leben, steigt aufgrund des demografischen Wandels und der verbesserten diagnostischen Verfahren sowie neuen erfolgreichen Therapiemöglichkeiten. Im Jahr 2030 wird es in der Schweiz laut Hochrechnungen etwa eine halbe Million sogenannte «Cancer Survivors» geben. Damit steht unser solidarisches Gesundheitssystem vor grossen Herausforderungen. Seitens Krebsliga ist deshalb zu wünschen, dass die dringendsten heute angepackt werden, beispielsweise der gefährdete Zugang durch die hohen Preise neuer Krebstherapien, die steigende Zahl der Off-Label-Fälle und deren Vergütungsregelung, die Förderung der integrierten Versorgung und der Nachsorge sowie wirkungsvolle Massnahmen gegen das Armutsrisiko Krebs.

Franziska Lenz

Leiterin Politik und Public Affairs Krebsliga Schweiz

1. siehe auch Statistiken zur 50. Legislatur der Parlamentsdienste Stand: August 2019 (https://www.parlament.ch/de/über-das-parlament/fakten-und-zahlen/bilanz-50-legislatur)
2. siehe auch Artikel der Aargauer Zeitung von Sven Altermatt « Fünfjährige Durststrecke: Volksinitiativen haben derzeit keine Chancen» vom 27. Mai 2019 (https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/fuenfjaehrige-durstrecke-volksinitiativen-haben-derzeit-keine-chancen-134535264)
3. siehe auch Website des BAG: Krankenversicherung Kostendämpfung (https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/versicherungen/krankenversicherung/kostendaempfung-kv.html) sowie Curia Vista 19.046 (https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20190046)
4. siehe auch Website der Initiative «Für tiefere Prämien – Kostenbremse im Gesundheitswesen» (https://www.cvp.ch/de/kampagnen/initiative-fuer-tiefere-praemien-kostenbremse-im-gesundheitswesen)
5. siehe auch Website der Initiative «Maximal 10 % des Einkommens für die Krankenkassenprämien» (https://bezahlbare-praemien.ch)
6. siehe auch Website des BAG: Gesetzgebung Krebsregistrierung (https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/gesetze-und-bewilligungen/gesetzgebung/gesetzgebung-mensch-gesundheit/gesetzgebung-krebsregistrierung.html) sowie Curia Vista 14.074 (https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20140074)
7. siehe auch Curia Vista 15.084 (https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20150084)
8. siehe auch Website des BAG: Revision Gesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen (https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/medizin-und-forschung/genetische-untersuchungen/aktuelle-rechtsetzungsprojekte1.html) sowie Curia Vista 17.048 (https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20170048)
9. siehe auch Curia Vista 15.075 (https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20150075)
10. siehe auch Curia Vista 19.027 (https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20190027)
11. siehe auch Curia Vista 09.528 (https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20090528)

info@onco-suisse

  • Vol. 9
  • Ausgabe 5
  • Oktober 2019