- SAKK 86/18 ONCONAVIGATOR
Die personalisierte Onkologie bemüht sich für jeden Patienten die bestmögliche Tumortherapie basierend auf rationalen Kriterien unter Berücksichtigung einer vertieften Analyse des Tumors anzubieten. Bestmöglich beschreibt dabei das Verhältnis von Wirksamkeit zu Nebenwirkungen, aber auch das Verhältnis multipler Therapieoptionen zueinander.
L’ oncologie personnalisée s’efforce de fournir la meilleure thérapie tumorale possible pour chaque patient en fonction de critères rationnels et d’une analyse approfondie de la tumeur. Le terme meilleur possible décrit la relation entre l’efficacité et les effets secondaires, mais aussi la relation entre les multiples options thérapeutiques.
Die personalisierte Onkologie ist seit Jahren fest etabliert bei der zielgerichteten Therapie von Treibermutationen, wie z.B. beim EGFR-mutierten Lungenkarzinom, oder beim Melanom mit BRAF-Mutation. Zunehmend Anwendung findet die personalisierte Onkologie in Situationen, wenn durch Fachgesellschaften empfohlene Standardtherapien mit Überlebensvorteil ausgeschöpft sind, oder es bei seltenen Tumoren keine Standardtherapien gibt. Die Auswahl unter verschiedenen möglichen Therapien basiert bislang auf empirischen Kriterien.
Im Zeitalter der genomischen Medizin werden zunehmend molekulare Tumoranalysen mittels Next-Generation-Sequenzierung (NGS)-Technologie durchgeführt. Im Gegensatz zu prädiktiven Analysen von wenigen ausgewählten Biomarkern, wie sie beispielsweise beim Lungen- oder beim Kolonkarzinom heute Standard sind, ermöglicht NGS, sämtliche genetischen Alterationen über das gesamte Genom oder Exom zu untersuchen. In der Praxis sind technisch gut etablierte NGS-Panels im Einsatz, welche praktisch sämtliche relevanten Krebsgene abdecken. Diese bilden die Grundlage für genomisch-zielgerichtete Therapieansätze und erweitern somit die potentiellen Therapieoptionen, mitunter um ein Vielfaches. Der Grossteil der zielgerichteten Therapien erfolgt mit Medikamenten im «off-label» Einsatzgebiet und zumeist ausserhalb von klinischen Studien in der Annahme, dass die medikamentöse Hemmung einer nachgewiesenen Treibermutation einen signifikanten klinischen Effekt erwirkt. Der individuelle Nutzen kann gross sein und den einer konventionellen Chemotherapie deutlich übertreffen. Viele dieser Therapieversuche enden aber auch ohne Nutzen für den Patienten. Das Grundproblem besteht darin, dass die generelle Evidenzlage für den personalisierten Therapieansatz – mit zunehmend vielen klinisch reproduzierbaren Ausnahmen – noch gering ist. Zudem fehlt bislang eine Möglichkeit aus den vielen individuellen Therapieversuchen eine kollektive Lernerfahrung zu ziehen und diese zukünftigen Patienten und ihren Onkologen als weiteres Argument für die bestmögliche Therapieentscheidung zur Verfügung zu stellen.
Das SAKK-Projekt Onconavigator zielt darauf hin, die personalisierte Onkologie in der Schweiz in einem breiten Kontext voranzubringen. Es umfasst ein nationales Register (Abb. 1) von Patienten mit fortgeschrittenen soliden Tumorerkrankungen aller Art. Für den Einschluss wird eine NGS-Tumoranalyse vorausgesetzt. Diese kann lokal durchgeführt werden und sollte zumindest ein Standardpanel umfassen. Die Therapieentscheidung liegt ausschliesslich in der Verantwortung des Onkologen und seines Patienten. Der behandelnde Onkologe kann, falls in der NGS-Untersuchung eine behandelbare Veränderung gefunden wurde, eine zielgerichtete Therapie, oder eine konventionelle Therapie seinem Patienten empfehlen. Unterstützung erhält er bedarfsweise durch ein molekulares Tumorboard, welches auf Anfrage Empfehlungen für eine personalisierte Therapie basierend auf der genomischen Testung erarbeitet. Im Register werden alle medikamentösen Therapien erfasst, d.h. alle zielgerichteten, als auch alle nicht zielgerichteten Therapien und damit alle Formen von Chemotherapien.
Das Ideal für das SAKK-Onconavigator-Register ist die prospektive nationale Datenerfassung aller in der Schweiz behandelten Patienten mit fortgeschrittenen soliden Tumoren. Wir sind von der sehr hohen Qualität in der Patientenversorgung überzeugt und möchten diese im Register entsprechend abbilden. Teilnahmeberechtigt sind alle (assoziierten) SAKK-Zentren. Die Datenerfassung erfolgt über eine digitale Eingabemaske (SecuTrial) der SAKK. Wahlweise können die Daten von den teilnehmenden Spitälern oder Praxen eingegeben werden, oder durch «flying Datamanager» der SAKK. Die Teilnahme am Register und die Dateneingabe wird durch die Abgeltung des Aufwandes honoriert.
Informationen zu allen Therapien sowie zentrale Patienten- und Tumordaten werden in dem SAKK-Register gespeichert. Der Datensatz und die Datenerfassung wurde mit der SPHN/SPO-Initiative (Schweizer Personalisierte Onkologie) homogenisiert, welche Informationen von den fünf Universitätsspitälern erfasst. Somit wurde die Grundlage für gemeinsame Auswertungen zwischen SAKK Onconavigator und SPHN/SPO geschaffen.
Die Ergebnisse der einzelnen Therapieerfahrungen werden mit Hilfe von computer-unterstützten (AI-) Analysen ausgewertet und es werden prädiktive Therapiealgorithmen erarbeitet. Sobald sie eine definierte Qualität erreichen, werden die SAKK-Algorithmen in einer randomisierten Phase III-Studie (Abb. 2) gegen den bestehenden Standard einer empirischen Therapieauswahl, oder gegen andere Algorithmen untersucht. Der Reifegrad der Algorithmen soll auch über die Phase III-Studie hinweg weiter ausgebaut werden und alle aktuellen Erkenntnisse einschliessen. Die stete weitergeführte Aktualisierung der Algorithmen ist elementar, da zu erwarten ist, dass sich die Erkenntnisse im Bereich der Tumorbiologie, wie auch die Therapiemöglichkeiten in den nächsten Jahren hochdynamisch entwickeln werden.
Ein wichtiger Teil von Onconavigator ist der Zugang zu zielgerichteten Tumortherapien. Unter zielgerichteter Therapie verstehen wir alle Tumortherapien, ausgenommen der klassischen Chemotherapien. Der Zugang zu vielen dieser Therapien wird, wie bereits heute üblich, über KVV 71 geregelt und fällt in die Kategorien C und D gemäss OLUtool ONKO. Das Projekt Onconavigator bemüht sich einen raschen und gerechten Zugang für diese Medikamente im Rahmen der Onconavigator-Therapie herzustellen. Dazu werden Gespräche mit den Krankenkassendachverbänden und mit Vertretern der pharmazeutischen Industrie geführt. Wir hoffen, dass bis zum Start von Onconavigator eine allgemein gültige Regelung vorliegt, die den Zugang zu zielgerichteten Therapien vereinheitlicht und klar regelt.
Zudem möchten wir das Onconavigator-Projekt auch als Basis für daran angegliederte Basket-Studien mit innovativen Medikamenten für genomisch definierte Subgruppen etablieren. Dies soll es zum einen ermöglichen, zielgerichtete Therapie zu einem frühen Zeitpunkt im Rahmen von klinischen Studien für Patienten in der Schweiz zugänglich zu machen und die Weiterentwicklung solcher Therapieansätze im Rahmen von prospektiven Studien voranzubringen.
Onconavigator hat als übergeordnetes Ziel unwirksame oder sehr toxische Therapien zu erkennen und diese von besseren Therapien abzugrenzen. Algorithmen werden uns zukünftig bei der Priorisierung von Therapien unterstützen. Sie werden uns helfen unter den Aspekten der Wirksamkeit, Verträglichkeit und auch der Kosten-Nutzeneffizienz eine bessere Auswahl zu treffen. Das Onconavigator-Projekt besitzt das Potenzial diese beschriebenen Ziele zu erreichen. Wir hoffen auf breite Unterstützung und auf eine tatkräftige Teilnahme aller Beteiligten.
Das SAKK-Register wird ab 2020 Daten erfassen. Wir erwarten, ab 2022 Daten von 1000 Patienten analysieren zu können. Die Entwicklung der Algorithmen startet parallel zum Register. Die randomisierte Phase III-Studie wird ab 2022 möglich sein.
Kommentar zu SAKK 86/18 ONCONAVIGATOR
Unsere Vision einer personalisierten Onkologie in der Schweiz umfasst die feste Integration einer standardisierten Tumordiagnostik mit NGS-basierten und weiteren Biomarkern, die uns bei der rationalen Therapieauswahl helfen. Wir wollen gemeinsam prädiktive Algorithmen herstellen, welche unsere Therapierealität und hohe Betreuungsqualität abbilden und diese in die täglichen Therapieentscheidungen einbinden. Onconavigator ist ein SAKK-Projekt mit vielen Facetten und Partnern. Es ist motiviert, von den täglichen Therapieerfahrungen kollektiv zu lernen und dieses Wissen zukünftig an die Patienten zurück zu geben. Unterstützen Sie Onconavigator durch Ihre Teilnahme und beteiligen Sie sich an der Erarbeitung dieser Navigationshilfe.
Supporting Coordinating Investigators:
PD Dr. med. Dr. Sacha Rothschild, Universitätsspital Basel
PD Dr. med. Arnoud Templeton, Claraspital Basel
Prof. Dr. med. Lukas Bubendorf, Universitätsspital Basel
Project Team SAKK:
Dr. med. Anne Zuse, SAKK CC
Dr. med. Jessica Schulz, SAKK CC
St. Claraspital AG
Tumorzentrum
Kleinriehenstrasse 30
4058 Basel
tumorzentrum@claraspital.ch