- Vernehmlassung: 2. Etappe zur Umsetzung der Volksinitiative «Für eine starke Pflege» (Pflegeinitiative)
Der Bundesrat hebt die Bedeutung der Einführung von Advanced Practice Nursing (APN) im Hinblick auf das Task Shifting und Task Sharing hervor und erklärt, es müsse berücksichtigt werden, dass Pflegeexpertinnen und -experten APN auch Aufgaben wahrnehmen können, die bis anhin den Ärztinnen und Ärzten vorbehalten waren. Diesbezüglich betont Oncosuisse, dass nur die Masterstufe diesen Anforderungen gerecht werden kann: Im Rahmen dieser Ausbildung besuchen die zukünftigen Pflegeexpertinnen und -experten APN einen Teil der Vorlesungen gemeinsam mit den angehenden Ärztinnen und Ärzten – diese medizinischen Elemente können nicht in den Strukturen der Berufsbildung vermittelt werden. Damit wird ihnen die Entwicklung von Kompetenzen ermöglicht, dank denen sie bestimmte Tätigkeiten übernehmen können, die bis anhin Ärztinnen und Ärzten vorbehalten waren, z. B. im Rahmen der Erstellung von Diagnosen. Ein in der Praxis nicht unwesentlicher Punkt ist zudem, dass Pflegeexpertinnen und -experten APN dadurch die Betreuung und Nachsorge von Patientinnen und Patienten übernehmen und so später auf Augenhöhe mit der Ärzteschaft zusammenarbeiten und für ein besseres gegenseitiges Verständnis und einen besseren Zugang zur Gesundheitsversorgung sorgen können.
Wie im erläuternden Bericht des Bundesrates festgehalten wird, haben auf internationaler Ebene alle Länder, die die Berufsrolle der Pflegeexpertin oder des Pflegeexperten APN kennen, den Master of Science als Voraussetzung für den Erwerb dieses Titels festgelegt.
Ein Alleingang der Schweiz wäre insbesondere aus Gründen der Mobilität nicht zweckmässig.
Auf wissenschaftlicher Ebene beschreibt die Literatur die Vorteile von Modellen, die Pflegeexpertinnen und -experten APN auf Masterstufe einbeziehen, nicht nur für Patientinnen, Patienten und ihre Angehörigen, sondern auch für eine effiziente Organisation der Pflege. So legt der International Council of Nursing – die internationale Referenz in diesem Bereich – die Masterausbildung als Voraussetzung für die Anerkennung von APN fest: «Educational preparation beyond that of a generalist or specialised nurse education at a minimum requirement of a full master’s degree programme (master’s level modules taken as detached courses do not meet this requirement).»
Konkret ermöglicht die Ausbildung auf Masterstufe den zukünftigen Pflegeexpertinnen und -experten APN ein klares Profil mit den nachfolgend aufgeführten Kompetenzen, die für die vom Bundesrat angestrebte erweiterte Pflegepraxis erforderlich sind. Dieses klare Profil ist aus der Sicht der Effizienz des Gesundheitssystems sowohl für die Qualität der Pflege und die Patientensicherheit als auch für die Zusammenarbeit mit anderen Gesundheitsfachleuten von entscheidender Bedeutung:
Erweitertes Clinical Reasoning und hohe Autonomie: Pflegeexpertinnen und -experten APN mit Masterabschluss sind darauf vorbereitet, einen strukturierten klinischen Ansatz anzuwenden, der auf einem fortgeschrittenen und autonomen Clinical Reasoning aufbaut und darin besteht, Anamnesen und körperliche und/oder geistige Untersuchungen durchzuführen, paraklinische Untersuchungen anzuordnen und zu interpretieren, diagnostische Hypothesen und endgültige Diagnosen aufzustellen, Medikamente zu verschreiben und die Medikation zu überwachen. Sie sind somit in der Lage, auch komplexe Patientenkohorten zu betreuen, was dazu beiträgt, die Effizienz des Gesundheitssystems zu steigern und den Zugang zur Gesundheitsversorgung zu verbessern.
Erweiterte klinische Kompetenzen: Die Ausbildung auf Masterstufe vermittelt die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten, um komplexe klinische Entscheidungen zu treffen (Umsetzung von Versorgungsprojekten unter Einbezug mehrerer Gesundheitsfachkräfte in Situationen mit Multi-Komorbidität und in komplexen sozioökonomischen Kontexten [soziale und familiäre Unsicherheit, niedriges Bildung-/Verständnisniveau, Migrationshintergrund, Gewaltkontext] oder in unsicheren und unvorhersehbaren Pflegesituationen). Ebenso können sie fortschrittliche Pflegepraktiken anwenden (z. B. schrittweise Reduzierung von Medikamenten bei älteren Menschen), Diagnosen stellen und paraklinische Untersuchungen anordnen, interpretieren und überwachen.
Evidenzbasierte Praxis: In der Ausbildung auf Masterstufe wird der evidenzbasierten Praxis ein hoher Stellenwert eingeräumt. Dies ermöglicht es Pflegeexpertinnen und -experten APN, aktuelle Forschungsergebnisse in die klinische Praxis zu integrieren und die Qualität der Versorgung zu verbessern, wie mehrere Studien ergeben haben. Pflegeexpertinnen und -experten APN sind darauf vorbereitet, sich kontinuierlich für eine hervorragende Praxis zu engagieren, was auch die Planung ihrer Weiterbildungsaktivitäten miteinschliesst. Sie tragen aktiv zur Aus- und Weiterbildung ihrer Kolleginnen und Kollegen bei, indem sie ihr Wissen teilen und verbreiten. In diesem Sinne helfen sie mit, die Funktionsweise von Teams zu optimieren. Schliesslich unterstützen Pflegeexpertinnen und -experten APN die Entwicklung der Forschung in der Pflegewissenschaft, indem sie klinische Probleme identifizieren und bei der Entwicklung von Forschungsprotokollen und der Durchführung von Studien direkt mit Forschenden des Fachgebiets zusammenarbeiten.
Entwicklung und Umsetzung von Pflegemodellen: Pflegeexpertinnen und -experten APN mit Masterabschluss sind qualifiziert, neue Pflegemodelle zu entwickeln, umzusetzen und zu evaluieren, um die Qualität der Pflege für Patientinnen und Patienten zu verbessern.
Stärkung der Kompetenzen, Selbstmanagement der Patientinnen und Patienten, Risikominderung und Gesundheitsförderung: Pflegeexpertinnen und -experten APN mit Masterabschluss richten ihre Aufmerksamkeit verstärkt auf die Fähigkeiten zum Selbstmanagement, die Therapietreue, die Dimensionen der Fragilität und Vulnerabilität, die familiäre und soziale Unterstützung und die Lebensqualität. Der MSc bereitet sie darauf vor, Patientinnen, Patienten und deren Angehörige sowie Gemeinschaften in komplexen Situationen im Zusammenhang mit Krankheit, Behandlung und möglichen symptombedingten Belastungen zu unterstützen und dabei das Selbstmanagement zu fördern. Pflegeexpertinnen und -experten APN evaluieren die Auswirkungen ihrer Interventionen und passen die Strategien entsprechend an. Sie können Massnahmen in den Bereichen Prävention, Risikominderung und Gesundheitsförderung entwickeln und umsetzen, z. B., um den Verbleib zu Hause zu sichern.
Interdisziplinäre und interprofessionelle Zusammenarbeit: Die Masterausbildung stärkt die Fähigkeit, effektiv mit anderen Gesundheitsberufen zu kommunizieren und zusammenzuarbeiten, und dies auch auf internationaler Ebene und mit APN Gemeinschaften, die einen ähnlichen Ausbildungsstand haben. Mit dem MSc erwerben Pflegeexpertinnen und -experten APN die erforderlichen Kompetenzen, um bestehende oder potenzielle Herausforderungen in den angetroffenen Situationen zu erkennen, vollständige und genaue Informationen weiterzugeben, eine umfassende Betreuung zu planen und die Koordination zwischen den verschiedenen klinischen Umfeldern und zwischen den verschiedenen Berufsgruppen zu erleichtern. Pflegeexpertinnen und -experten APN tragen dazu bei, die Funktionsweise von Teams zu optimieren und die Kontinuität der Versorgung zu gewährleisten.
Führung, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit: Pflegeexpertinnen und -experten APN mit Masterabschluss sorgen für die Umsetzung von Massnahmen, die gerechte und nachhaltige Ansätze im Gesundheitsbereich fördern.
Die Variante 1, die parallele Strukturen zu den bereits bestehenden vorsieht, erhöht die Komplexität des Bildungssystems im Pflegebereich und beeinträchtigt seine Verständlichkeit nicht nur für Gesundheitsfachleute, sondern auch für Arbeitgeber. Sie erschwert die berufliche Orientierung. Um das Ziel einer beruflichen Weiterentwicklung der Pflegefachpersonen HF zu fördern, wäre es vielmehr sinnvoll, die bestehenden Passerellen zu stärken, um ihnen den Zugang zur Advanced Practice zu ermöglichen. Damit wäre es möglich, auf dem bestehenden System aufzubauen und interessante Perspektiven für die berufliche Weiterentwicklung zu bieten, während zugleich die mit der Variante 1 verbundene erhöhte Komplexität vermieden werden könnte. Hinzu kommt das Risiko, dass die Variante 1 mit einem Ausbildungssystem, das parallele Wege zu Advanced Practice Nursing umfasst, zu einer Erhöhung der Kosten für das Management dieses Systems und die Überwachung seiner Qualität führen könnte.
Weitere Informationen:
info@oncosuisse.ch
Link zur Stellungnahme: https://oncosuisse.ch/vernehmlassung-2-etappe-zur-umsetzung-der-volksinitiative-fuer-eine-starke-pflege-pflegeinitiative/
Co-Gesamtprojektleiter NSK
Nationale Strategie gegen Krebs
c/o Oncosuisse
Effingerstrasse 40
Postfach
3001 Bern
michael.roethlisberger@nsk-krebsstrategie.ch