- Vorgehensweise des Expertengremiums «Cancer Screening Committee»
Im Rahmen eines Pilotprojekts der Nationalen Strategie gegen Krebs hat eine breite Trägerschaft im September 2018 das nationale Expertengremium Krebsfrüherkennung eingesetzt (www.cancerscreeningcommittee.ch). Das Expertengremium widmet sich der Beurteilung von Methoden der Krebsfrüherkennung respektive des Krebsscreenings. Es soll Empfehl-ungen ausarbeiten, die wissenschaftlich gut begründet, ausgewogen und unabhängig von Partikularinteressen sind.
Systematische und bevölkerungsbasierte Krebsscreenings können eine wirksame Massnahme sein, um die Krebsmortalitätsrate zu senken. Wird in einem Screening eine Krebserkrankung in einem früheren Stadium erkannt, kann die Krankheit oft erfolgreicher behandelt werden. Screenings bringen aber auch unterwünschte Resultate mit sich, wie zum Beispiel falsch-positive Befunde, die weitere Untersuchungen und Abklärungen nach sich ziehen. Von Betroffenen wird diese Abklärungsphase teilweise als belastend empfunden. Ein weiteres Problem sind Diagnosen, die zu Lebzeiten des Patienten keine Symptome verursachen, sogenannte Überdiagnosen. Da dies bei der Diagnose nicht sicher festgestellt werden kann, führen sie zu einer Behandlung, die möglicherweise unnötig ist. Die Abklärung auffälliger Befunde, die sich im Nachhinein als falsch-positiv herausstellen und die Überdiagnosen führen auch zu zusätzlichen, gesellschaftlich getragenen Kosten. In welchen Fällen breit angelegte Krebs-Screenings sinnvoll sind – also mehr nützen als sie möglicherweise schaden – sind Fragen, die in der breiten Bevölkerung und auch in Fachkreisen immer wieder zu Diskussionen führen.
Die Beurteilung, ob ein Krebsscreening sinnvoll ist, erfordert ein differenziertes Abwägen zwischen Nutzen und Schaden. Neben den Aspekten der öffentlichen Gesundheit und der Gesundheit der einzelnen Personen gehören ökonomische Kosten-Nutzen-Analysen heute zum Standard. Weiter sollten die Präferenzen und Wertvorstellungen der Bevölkerung zur betreffenden Untersuchung systematisch berücksichtigt werden. Und wie bei jeder Intervention auf Bevölkerungsebene müssen auch ethische und möglicherweise rechtliche Überlegungen einbezogen werden. Zudem kann ein Screening nur wirksam sein, wenn nach einem auffälligen und abklärungsbedürftigen Screening-Resultat auch die weitere Abklärungs- und Versorgungskette gesichert ist.
Ein Gremium, welches Empfehlungen zu Screenings ausarbeitet, sollte so zusammengesetzt sein, dass die verschiedenen bereits beschriebenen Aspekte gut abgedeckt werden können. Für die Zusammensetzung eines solchen Gremiums gibt es international etablierte Richtlinien, denen zum Beispiel auch die American Cancer Society folgt (1). Auch hierzulande hat sich die Trägerschaft – bestehend aus Vertreterinnen und Vertretern von BAG, DK, Oncosuisse und Public Health Schweiz – bei der Besetzung des nationalen Cancer Screening Committees an diese Richtlinien gehalten (Tab. 1).
Bei der Ausarbeitung einer Empfehlung befolgt das Expertengremium die etablierten Vorgehensweisen für die Bewertung von medizinischen Verfahren («health technology assessment») und für die Entwicklung von Richtlinien.
Hat die Trägerschaft ein Thema gewählt, zu dem das Expertengremium eine Empfehlung erarbeiten soll, wird zunächst in einem Scoping die Fragestellung eingegrenzt und die Methodik konkretisiert. Der Scoping-Bericht dient als Basis für das anschliessende Assessment, der systematischen Erfassung und Bewertung der vorhandenen Evidenz unter Einbezug von auf die Schweiz adaptierten Kosten-Nutzen Berechnungen. In beiden Phasen werden themenspezifische Stakeholder konsultiert.
Anhand eines strukturierten, transparenten Verfahrens (GRADE-approach (2)) nimmt das Expertengremium Krebsfrüherkennung auf der Basis des Assessment-Berichts eine Beurteilung vor und formuliert eine Empfehlung. Der GRADE-Ansatz fördert die transparente Entwicklung von Empfehlungen. Er zeichnet sich durch die explizite Berücksichtigung verschiedener Aspekte aus: Qualität der Evidenz, Abwägung von Nutzen und Schaden, Einstellungen und Präferenzen sowie Ressourceneinsatz. Das Expertengremium wird die Berichte (Scoping, Assessment, Appraisal) und die Empfehlungen auf seiner Webseite öffentlich zugänglich machen.
Startprojekte Krebsfrüherkennung 2019
Im Februar 2019 hat die Trägerschaft entschieden, dass das Expertengremium Krebsfrüherkennung mit den folgenden zwei Themen beginnen soll: das Lungenkrebs-Screening mittels niedrigdosierter Computer-Tomographie («low-dose CT» oder LDCT) und die Aktualisierung der Empfehlungen für das Gebärmutterhalskrebs-Screening.
Folgende Gründe haben zur Auswahl dieser beiden Themen geführt: Lungenkrebs hat aufgrund seiner Häufigkeit (Nummer 4 aller Krebsarten) und der hohen Sterblichkeit (Nummer 1 bei den Krebstodesursachen) eine grosse Krankheitslast («burden of disease»). Zum Lungenkrebs-Screening mittels low-dose CT existieren randomisierte Studien, die eine Reduktion der Lungenkrebssterblichkeit infolge eines LDCT-Screening nahe legen. Die Publikation der vollständigen Resultate einer grossen europäischen Studie (NELSON-Studie) wird in absehbarer Zeit erwartet. Somit sollte bald neue und zusätzliche Evidenz zum Thema vorliegen. Für eine Neubeurteilung der Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs spricht, dass mittlerweile gut etablierte Methoden für den Nachweis von HPV-Infektionen für das Screening oder die Abklärung auffälliger Befunde vorliegen. Es stellen sich aber auch gesundheitspolitische und ökonomische Fragen dieser neuen Verfahren des Gebärmutterhalskrebs-Screenings.
Wissenschaftliche Mitarbeiterin Krebsliga Schweiz
Geschäftsstelle Expertengremium Krebsfrüherkennung
Effingerstrasse 40
3001 Bern
Präsident Expertengremium Krebsfrüherkennung
Institut für Sozial- und Präventivmedizin (ISPM)
Universität Bern
Mittelstrasse 43
3012 Bern
marcel.zwahlen@ispm.unibe.ch
1. New American Cancer Society Process for Creating Trustworthy Cancer Screening Guidelines. JA-MA, December 14, 2011—Vol 306, No. 22
2. GRADE steht für Grading of Recommendations Assessment, Development and Evaluation
info@onco-suisse
- Vol. 9
- Ausgabe 5
- Oktober 2019