Praxis-Fall

Albumin-korrigiertes Calcium

Für den klinischen Alltag ist es zentral, Limitationen und Hintergrund von Laborwerten und Korrekturformeln zu kennen, damit Laborbefunde korrekt interpretiert werden können. Die Bestimmung des Gesamtcalciums als Screening ist ausreichend, der klinische Goldstandard ist die Bestimmung des ionisierten Calciums. Eine Albumin-Korrektur kann zu Fehlinterpretationen, unnötiger Zusatzdiagnostik und Therapien führen und sollte kritisch hinterfragt werden.

Schlüsselwörter: Albumin-korrigiertes Calcium, ionisiertes Calcium, Hypalbuminämie, Hyperkalzämie, Zusatzdiagnostik



Fallbeschreibung

Ein 84-jähriger Patient wird nach einem Sturzereignis mit Liegetrauma der Notfallstation zugewiesen, nachdem er von Familienangehörigen auf dem Boden liegend verwirrt vorgefunden wurde.

Klinisch präsentiert sich ein 84-jähriger Patient, dehydriert und zeitlich desorientiert. Blutdruck 170/60 mmHg, Herzfrequenz 88/min, Temperatur 36.8 °C und einer Sauerstoffsättigung von 98 % unter Raumluft.

In der persönlichen Anamnese ist eine Leberzirrhose Child Pugh A im Rahmen einer Autoimmunhepatitis mit lokalem hepatozellulärem Karzinom (HCC) im Lebersegment VI bekannt. Dies wurde mittels Chemo-Embolisation und Radiofrequenzablation kurativ behandelt. Weiter besteht eine chronische Niereninsuffizienz KDIGO G3a, eine normozytäre Anämie und ein Diabetes mellitus Typ 2. In der initialen Laboruntersuchung zeigen sich folgende Befunde (Tab. 1).

Frage: Was ist die wahrscheinlichste Ursache des erhöhten Albumin-korrigierten Calciums?

a) Tumor-assoziierte Hyperkalzämie – lokal osteolytisch
b) Vitamin-D-Intoxikation
c) Primärer Hyperparathyreoidismus
d) Überschätzung des Calciums durch die Albumin-Korrektur bei Hypalbuminämie

Die richtige Antwort lautet d.

Beim erwähnten Patienten lag das physiologisch aktive, ionisierte Calcium mit 1.25 (Referenzbereich 1.15–1.30 mmol/l) im Normbereich. Die onkologischen Verlaufskontrollen des HCC ergaben keine Hinweise für ein Tumorrezidiv (Antwort a). Sowohl Cholecalciferol und Parathormon lagen beim Patienten im Normbereich (Antworten b/c). Ursache für die Hypalbuminämie ist die Leberzirrhose.

Kommentar

Die Bestimmung des physiologisch aktiven, ionisierten Calciums (iCa2+) gilt als klinischer Goldstandard zur Beurteilung des Calciumhaushalts. Diese Laborbestimmung ist jedoch aufwendig und fehleranfällig und wird mittels Blutgasanalyse bestimmt. Im klinischen Alltag einfacher und kostengünstiger ist die Bestimmung des Gesamtcal­ciums. Calcium wird im Plasma zu 40 % proteingebunden, hauptsächlich an Albumin (Abb. 1). Daraus entstand die Annahme, dass bei einer Hypalbuminämie das Gesamt-calcium unterschätzt wird. Basierend auf dieser Überlegung beschrieb R.B. Payne 1973 die noch heute am meisten verwendete Albumin-Korrekturformel (1).

Die Korrekturformel nach Payne geht von einer konstanten Calciumbindungsfähigkeit des Serumalbumins aus. Jedoch verhält sich die Bindungsfähigkeit pro Gramm Albumin umgekehrt proportional, das heisst, je tiefer das Albumin, desto mehr Calcium kann pro Einheit Albumin gebunden werden (Abb. 2) (2). Die Korrekturformel überschätzt also in Wahrheit die Calciumwerte bei einer ­Hypalbuminämie.

1973 kamen noch andere Messmethoden zum Einsatz. Die damals erarbeitete Formel hält aus heutiger Sicht einer belastbaren Validierung nicht mehr stand. Hingegen wurde die limitierte Wertigkeit der Payne-Korrekturformel in unterschiedlichen Patientenpopulationen (Geriatrie, Chi­rurgie, Intensivstation, Hämodialyse) aufgezeigt (3). Besonders ungenau scheint die Korrekturformel in Patienten mit einer Hypalbuminämie (3).

Die Sensitivität (Richtig-positiv-Rate) und Spezifität (Richtig-negativ-Rate) des Albumin-korrigierten Calciums zur Diagnose einer Hyper- und Hypokalzämie ist in Tabelle 2 dargestellt.

Als Lesebeispiel beträgt die Sensitivität, also die Wahrscheinlichkeit, bei vorliegender Hyperkalzämie diese durch ein Albumin-korrigiertes Calcium korrekt zu diagnostizieren, 60–97 %. Diese Wahrscheinlichkeit nimmt bei einer Hypalbuminämie, zugunsten einer sinkenden Spezifität (mehr falsch positive Resultate), zu. Zu beachten gilt, dass ca. 30 % der Albumin-korrigierten Werte «falsch normal» sind und effektiv eine Hypokalzämie vorliegt (3). Dieser Anteil steigt bei zunehmender Hypalbuminämie.

Eine Reihe weiterer Korrekturformeln wurden im Laufe der Jahre entwickelt mit dem Ziel, einen möglichst genauen Surrogat-Marker fürs iCa2+ zu definieren. Eine 2017 durchgeführte retrospektive Analyse mit über 20 000 Patienten konnte schliesslich aufzeigen, dass das Gesamtcalcium besser mit dem iCa2+ korreliert als sämtliche getesteten Korrekturformeln, unabhängig davon, ob eine Hypo-, Normo- oder Hyperalbuminämie vorliegt (4).

Durch die Albumin-Korrektur kann eine effektive Hypokalzämie maskiert oder eine «reale» Normokalzämie fälschlicherweise als Hyperkalzämie beurteilt werden. Dies kann negative Folgen für den Patienten mit sich bringen, da dadurch häufig unnötige Zusatzuntersuchungen (Parathormon, Parathormon related peptide, 25-OH-D3 und 1,25-[OH]2-D3) und für den Patienten potenziell schädliche Therapien (Hydrierung) eingeleitet werden. Die Kosten belaufen sich gemäss Analysenliste 2023 des Bundesamts für Gesundheit (BAG) für Calcium auf 2.5 Taxpunkte (TP), 2.3 TP für Albumin und 22.5 TP für ionisiertes Calcium (zum Vergleich: 25-OH-D3 47.7 TP, 1,25-[OH]2-D3 76.5 TP, PTH 33.3 TP, PTHrP 79.2 TP).

Für den klinischen Alltag ist es zentral, Limitationen und Hintergrund von Laborwerten und Korrekturformeln zu kennen und kritisch zu hinterfragen, damit Laborbefunde korrekt interpretiert werden können. Hierfür ist der Austausch zwischen Klinik und Labor wertvoll. Die Bestimmung des Albumin-korrigierten Calciums kann schlimmstenfalls irreführend sein im Sinne einer «falschen» Hyperkalzämie oder einer «maskierten» Hypokalz­ämie. Im klinischen Alltag genügt in den meisten Fällen deshalb die Bestimmung des Gesamtcalciums. Sollte dies von der Norm abweichen, ist die Bestätigung mittels ionisierten Calciums indiziert.

Dr. med. Patrick Hofmann

Department of Internal Medicine, Renal Division
Brigham and Women’s Hospital, Boston MA, USA

phofmann@bwh.harvard.edu

Prof. Dr. med. Thomas Fehr

Departement für Innere Medizin
Kantonsspital Graubünden
Loëstrasse 170, 7000 Chur

thomas.fehr@ksgr.ch

Die Autoren haben keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

1. Payne RB, Little AJ, Williams RB, et al. Interpretation of Serum Calcium in Patients with Abnormal Serum Proteins. Brit Med J 1973; 4: 643.
2. Besarab A, Caro JF. Increased absolute calcium binding to albumin in hypoalbuminaemia.. J Clin Pathol 1981; 34: 1368.
3. Smith JD, Wilson S, Schneider HG. Misclassification of Calcium Status Based on Albumin-Adjusted Calcium: Studies in a Tertiary Hospital Setting. Clin Chem 2018; 64: 1713–1722.
4. Ridefelt P, Helmersson-Karlqvist J. Albumin adjustment of total calcium does not improve the estimation of calcium status. Scand J Clin Laboratory Investigation 2017; 77: 1–6.
5. Alhenc-Gelas M, Lefevre G, Bachmeyer C, et al. Poor performance of albumin or protein-adjusted plasma calcium to diagnose dyscalcemia in hospitalized patients: A confirmatory study in a general internal medicine department. La Revue De Médecine Interne 2022; 43: 206–211.