MINI-REVIEW

Anordnungsmodell: Herausforderung und Chance für Ärzt_innen und psychologische Psychotherapeut_innen

  • Anordnungsmodell: Herausforderung und Chance für Ärzt_innen und psychologische Psychotherapeut_innen

Im vorliegenden Artikel werden die Abläufe des Anordnungsmodells erklärt, das seit dem 1. Juli 2022 in Kraft ist. Dieses Modell erlaubt es psychologischen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, auf ärztliche Anordnung als selbstständige Leistungserbringer via Grundversicherung tätig zu sein und abzurechnen. In diesem Artikel wird der Behandlungsprozess im Rahmen des neuen Modells beschrieben. Der Beitrag weist zudem auf die Herausforderungen bei der Umsetzung des neuen Modells hin und benennt das Potenzial einer besseren interprofessionellen Zusammenarbeit zwischen anordnender Ärztin/anordnendem Arzt und psychologischer Psychotherapeutin/psychologischem Psychotherapeuten bei der Behandlung gemeinsamer Patientinnen und Patienten.
Schlüsselwörter: Anordnungsmodell, psychologische Psychotherapie, psychische Erkrankungen, interprofessionelle Zusammenarbeit



This article illustrates the procedures of the prescription model which came into force on July 1, 2022. The prescription model allows psychological psychotherapists to treat and bill patients referred to them by a physician as independent service providers via mandatory health insurance. The article describes the treatment process under the new model. It also points out the challenges when implementing the new model and identifies potential for better interprofessional collaboration between the prescribing doctor and the psychological psychotherapist in the treatment of their shared patients.
Keywords: Prescription model, psychological psychotherapy, mental disorders, interprofessional cooperation

 

Cet article explique le fonctionnement du modèle de prescription en vigueur depuis le 1er juillet 2022. Ce modèle permet aux psychologues-psychothérapeutes d‘exercer leur activité de manière indépendante et de facturer à la charge de l‘assurance de base sur prescription médicale. L‘article décrit le processus thérapeutique dans le cadre du nouveau modèle. Il met également en évidence les défis liés à sa mise en oeuvre et la possibilité d‘une meilleure collaboration interprofessionnelle entre les médecins prescripteurs et les psychologues-psychothérapeutes dans la prise en charge de leur patientèle commune.
Mots-clés: Modèle de la prescription, psychothérapie effectuée par un-e psychologue, troubles mentaux, collaboration interprofessionnelle

 

Von der delegierten Psychotherapie zum Anordnungsmodell: Was verändert sich für Behandelnde und Patient_innen?

Ausgangslage

Seit dem 1. Juli 2022 ist das sogenannte Anordnungs­modell in Kraft. Es ermöglicht kantonal zugelassenen psy­chologischen Psychotherapeut_innen, als eigenständige Leistungserbringer via Grundversicherung abzurechnen. Der Modellwechsel, welcher auch dem seit 2013 gelten­den Bundesgesetz über die Psychologieberufe (PsyG) Rechnung trägt, bedeutet für die psychologischen Psycho­therapeut_innen mit eidgenössisch anerkanntem Fachtitel eine bessere und autonomere, aber auch verantwortungs­vollere Stellung im Gesundheitssystem. Die psycholo­gischen Psychotherapeut_innen werden im Anordnungs­modell mit höheren Kompetenzen ausgestattet. Nicht zuletzt ermöglicht es den Patient_innen einen erleichter­ten Zugang zur Psychotherapie bei niedergelassenen, selbstständig arbeitenden Psychotherapeut_innen – ohne die Notwendigkeit, dazu eine Zusatzversicherung abzu­schliessen oder die Kosten selbst zu übernehmen.
Psychologische Psychotherapeut_innen mussten im al­ten Delegationsmodell zwingend bei befugten Ärzt_innen angestellt sein, wenn sie Patient_innen via Grundversiche­rung behandeln wollten. Neu arbeiten sie selbstständig, und die Rechnungsstellung erfolgt nicht mehr durch den/die anstellende Ärzt_in via Tarmed, sondern direkt über den neuen PsyTarif.

Psychische Erkrankungen in der Hausarztpraxis

Psychische Erkrankungen sind sehr häufig. Die Jahresprä­valenz psychischer Erkrankungen im Erwachsenenbereich wird auf durchschnittlich 27 % geschätzt [9]. Jede zweite Person in Europa durchlebt in ihrem Leben eine psychi­sche Krise mit Behandlungsbedarf [3]. Psychische Krank­heiten nehmen bereits heute den Spitzenplatz bei den Dia­gnosen in der ärztlichen Praxis ein [Interpharma 2017]. Am häufigsten sind Angststörungen (14 %), affektive Stö­rungen (7,8 %), somatoforme Störungen (4,9 %) und Stö­rungen durch Alkohol (3,4 %) [9]. Der Anteil der Bevölke­rung, der sich wegen psychischer Beschwerden behandeln liess, hat im Verlauf der letzten 20 Jahre stetig zugenom­men und lag 2017 bei gut 6 % [8]. In einer Modellrechnung [4] wird geschätzt, dass bei 13,8 % der Schweizer Wohn­bevölkerung ein psychiatrisch­psychotherapeutischer Be­handlungsbedarf besteht.
Damit stehen psychische Störungen in Sachen Krank­heitslast hinter Krebs (16,4 %) und den Erkrankungen des Bewegungsapparats (15,1 %) an dritter Stelle, noch vor kar­diovaskulären Erkrankungen (12,9 %) [8].

Wirksamkeit von Psychotherapie

Mit hohen und konsistenten Effektstärken [2, 10] ist Psy­chotherapie eine hocheffektive Behandlungsform. Bei vie­len psychischen Erkrankungen ist sie die Behandlung der ersten Wahl. Zudem brechen psychisch erkrankte Patient_ innen eine Psychotherapie seltener ab als eine medika­mentöse Behandlung [6]. Die Effekte der Psychotherapie sind oft nachhaltiger als bei medikamentösen Behand­lungen: Bei einem grossen Teil der Patient_innen wirkt die Behandlung über das Therapieende hinaus positiv im  Sinne einer Verbesserung der allgemeinen Lebensqualität weiter [1].

Indikationsstellung

Wann sollte eine Hausärztin/ein Hausarzt eine Psycho­therapie anordnen? Ärzt_innen in der Hausarztpraxis ken­nen ihre Patient_innen oft am besten. Sie behandeln meist ganze Familiensysteme – und das teilweise über mehrere Generationen hinweg. Oftmals äussern Patient_innen bei entsprechendem Leidensdruck selbst den Wunsch nach einer Psychotherapie. Falls bei einer Konsultation psychi­sche Symptome mit Krankheitswert festgestellt werden, kann die Indikation für eine Abklärung oder Behandlung gestellt werden. Eine genaue Erhebung der Diagnose oder des Schweregrads der psychischen Erkrankung ist bei die­sem Schritt nicht notwendig. Der/die psychologische Psy­chotherapeut_in wird in den ersten Sitz ungen eine vertief­te Diagnose mit Behandlungsplan erstellen. Ein Beispiel: Bei Abhängigkeitserkrankungen ist es oft wegen mangeln­der Krankheitseinsicht sehr schwierig, Patientinnen und Patienten für eine psychotherapeutische Behandlung zu motivieren, obwohl der Behandlungsbedarf erheblich ist.
Bei bestimmten Krankheitsbildern, wie beispielsweise einer bipolaren Erkrankung, ist eine Mitbehandlung durch eine psychiatrische Fachärztin/einen psychiatrischen Fach­arzt sinnvoll.
Bei psychisch gesunden Patient_innen, die lediglich den Wunsch nach Selbsterfahrung oder einer Paarberatung äussern, ist bei der Ausstellung einer Anordnung durch die Ärztin/den Arzt Zurückhaltung angezeigt. Nur Störungen mit Krankheitswert sind OKP­Leistungen (obligatorische Krankenpflegeversicherung).

Der Behandlungsprozess im Anordnungsmodell

Was es beim Anordnungsprozess zu beachten gilt: Grund­sätzlich ist die Anordnungsbefugnis von maximal zweimal 15 Sitzungen Psychotherapie auf folgende Fachärzt_innen beschränkt: Ärzt_innen mit einem eidgenössischen oder einem anerkannten ausländischen Weiterbildungstitel in Allgemeiner Innerer Medizin, in Psychiatrie und Psycho­therapie, in Kinderpsychiatrie und ­psychotherapie, in Kinder­ und Jugendmedizin sowie Ärzt_innen mit inter­disziplinärem Schwerpunkt Psychosomatische und psy­chosoziale Medizin der Schweizerischen Akademie für Psychosomatische und Psychosoziale Medizin (SAPPM). Handelt es sich um Leistungen zur Krisenintervention oder um Kurztherapien für Patienten und Patientinnen mit schweren Erkrankungen bei Neudiagnose oder bei  einer lebensbedrohlichen Situation, darf psychologische Psychotherapie von Ärzt_innen aller Fachrichtungen – auch diejenigen, die über einen Weiterbildungstitel «prak­tischer Arzt/praktische Ärztin» verfügen – einmalig für zehn Sitzungen angeordnet werden.
Die Schritte im Anordnungsmodell werden gut nach­vollziehbar in einer Grafik beschrieben. Sie finden sie im elektronischen Supplement (ESM) 1 in der Online­Version dieses Artikels.

Fallstricke bei der Anordnung – praktische Erfahrungen

Vor Beginn der Therapie: 1. Anordnung

Nicht nur juristisch zwingend, sondern auch fachlich wich­tig ist, dass eine Anordnung nur nach einer persönlichen Konsultation zwischen Hausärzt_in und Patient_in ver­schrieben werden kann. Auch für den später womöglich anstehenden interdisziplinären Austausch mit dem/der psychologischen Psychotherapeut_in ist dieses initiale Ge­spräch eine wichtige Basis. Die Erfahrungen der ersten Monate zeigten, dass die vom Gesetzgeber verfügte  Unterscheidung der als Hausärzt_innen tätigen prakti­schen Ärzt_innen und der anderen genannten Fachärzt_ innen Verwirrung auslöste. So stellten auch praktische Ärzt_innen Anordnungen über 15  Sitzungen aus, was zu Rückweisungen führte. Dieses Problem wurde in der Folge so zu lösen versucht, indem etwa in der Gemeinschafts­hausarztpraxis eine anordnungsbefugte Ärztin oder ein anordnungsbefugter Arzt die Anordnung stellvertretend ausstellte. In ländlichen Regionen war es manchmal nicht möglich, eine Ärztin/einen Arzt für eine reguläre Anord­nung zu finden, da dort nicht selten Hausarztpraxen von Ärzt_innen ohne Facharzttitel Allgemeine Innere Medizin geführt werden. Hier sind die involvierten Stellen aktuell daran, kantonale oder regionale Lösungen zu finden. Für manche Patient_innen bedeutet dies aber Verzögerungen oder sogar eine Verhinderung von dringend indizierten psychotherapeutischen Behandlungen. Wir möchten dar­auf hinweisen, dass in keinem Fall eine Diagnose auf dem Anordnungsformular vermerkt sein sollte. Das Formular landet in der Abrechnungsstelle der Versicherung, wo kei­ne vertraulichen Angaben der Patient_innen hingehören.
Sie finden das Anordnungsformular im ESM 2.

Verlängerung der Therapie: 2. Anordnung

Für die zweite Anordnung reicht in der Regel eine telefo­nische Kontaktaufnahme des Psychotherapeuten mit der anordnenden Ärztin. Dabei ist eine vorgängige, am besten schriftlich erfolgende Schweigepflichtsentbindung durch den Patienten zu empfehlen. Im telefonischen Austausch können die Behandelnden sich gegenseitig informieren und die Behandlung koordinieren, insofern sie für die Weiterbehandlung der Patient_innen relevant ist. Ein schrift licher Bericht nach 15 Sitzungen ist nicht zwingend erforderlich. Wir empfehlen, den administrativen Auf­wand nicht unnötig zu erhöhen.

Verlängerung der Therapie nach der 30. Sitzung

Um die Psychotherapie über 30 Sitzungen hinaus zu ver­längern, erstellt die psychologische Psychotherapeutin ei­nen Behandlungsbericht inklusive eines Vorschlags zur Behandlungsverlängerung. Der anordnende Arzt kann auf einem Formular, das von den beteiligten Verbänden erar­beitet worden ist, die Behandlungsverlängerung beantra­gen. Dabei muss aber eine schriftliche Fallbeurteilung durch eine Fachärztin/einen Facharzt Psychiatrie oder Kinder­ und Jugendpsychiatrie beigelegt werden. Diese Fallbeurteilung muss vorgängig entweder durch eine Kon­sultation der Patientin/des Patienten erfolgen oder durch eine Beurteilung aufgrund des Patientendossiers bezie­hungsweise des Behandlungsberichts des/der psychologi­schen Psychotherapeut_in.
Sie finden das Anordnungsformular im ESM 3.

Fallvignetten

A) Herr A., ein 24­jähriger frisch ausgebildeter Ingenieur, erlitt, ausgelöst durch eine Beziehungskrise, eine mit­telgradige depressive Reaktion mit Rastlosigkeit, Schuldgefühlen, Zukunftsängsten, mangelndem An­trieb und Suizidgedanken. Während der Anamneseer­hebung wurde deutlich, dass er als Kind und Jugend­licher unter ausgeprägten Trennungsängsten litt, die ihn während der Schul­ und Lehrzeit stark beeinträch­tigt hatten. Der Bindungsstil der Eltern war von Über­fürsorglichkeit, starker Ängstlichkeit und Kontrolle ge­prägt. So musste er sich noch als 18­Jähriger beim abendlichen Ausgang stündlich bei seiner Mutter mel­den. Während den psychotherapeutischen Sitzungen wurde dem Patienten klar, wie sehr diese Beziehungs­gestaltung ihn bisher geprägt hatte und er in der aktuel­len Partnerschaft den Interaktionsstil  wiederholte. Nach dieser Bewusstmachung klang die Symptomatik allmählich ab und Herr A. beschloss, aus dem für ihn beengenden Familiensystem erste Ablösungsschritte zu wagen. Er begab sich aktiv auf Wohnungssuche. Die Psychotherapeutin tauschte sich vor der 15. Psychothe­rapiesitzung mit dem langjährigen Hausarzt der Fami­lie aus, der die Beobachtungen zur Familiendynamik der Psychotherapeutin teilte und die Autonomiebestre­bungen des jungen Mannes als essenziell erachtete. Der Grundversorger unterstützte in der Folge die Ablö­sungsbestrebungen des jungen Manns, aber auch den Rest der Familie in der für alle heraus fordernden neuen Lebensphase.
B) Frau Y., eine 25­jährige Primarlehrerin, meldete sich nach einem Spitalaufenthalt im Zusammenhang mit ei­nem gynäkologischen Eingriff. Sie habe ihr Leben seit­dem nicht mehr im Griff. Neben den ihr bereits seit der Jugendzeit bekannten Energie­ und Antriebslosigkeit, Niedergeschlagenheit und Ein­ und Durchschlafstö­rungen machten ihr auch erhebliche Konzentrations­störungen und Vergesslichkeit zu schaffen. Am schlimmsten seien ihre Erinnerung aus der Kindheit. Sie habe manchmal grosse Angst, die Kontrolle über sich und ihre Gefühle zu verlieren. Die Arbeit falle ihr schwer. Auch ihre Arbeitskolleg_innen hätten sie be­reits darauf angesprochen. Da zu diesem Zeitpunkt noch keine Anordnung vorlag, ersuchte Frau Y. vor dem psychotherapeutischen Erstgespräch um einen Termin in ihrer Hausarztpraxis. Im Rahmen der ersten anam­nestischen Sitzungen zeigte sich schnell, dass Frau  Y. unter massiven intrusiven, sich unwillentlich aufdrän­genden Erinnerungsbildern und Flashbacks eines wäh­rend ihrer Kindheit über viele Jahre hindurch erlittenen sexuellen Missbrauchs litt. Die mit dem gynäkolog­ischen Eingriff einhergehende intensive Fokussierung auf die Operation mit Kontrollverlustängsten überstieg das bis dahin von Frau Y. im Rahmen einer  komplexen PTBS persistierende Vermeidungsvermögen. Die ko­morbide mittelschwere depressive Episode muss zu­dem als Teil einer rezidivierenden depressiven Störung eingestuft werden, deren Beginn im frühen Jugendalter lag. Obwohl das zwischenzeitlich durch den Hausarzt verschriebene Antidepressivum den Schlaf etwas er­leichterte, war die Symptomlast und deren Einfluss auf die meisten Bereiche ihres täglichen Lebens weiterhin beträchtlich. Um die Basis für die psycho therapeutisch indizierte Traumatherapie zu schaffen, erachtete die behandelnde Psychotherapeutin zum  damaligen Zeit­punkt zusätzlich eine weiterführende psychopharma­kologische Behandlung als wichtig. In Absprache mit dem Hausarzt wurde entschieden, dafür und für die medikamentöse Verlaufskontrolle eine Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie in die Behandlung mit einzubeziehen. Es zeigte sich, dass die Patientin sehr gut auf die kombinierte Medikation ansprach. Der auf diesem Weg etablierte interdisziplinäre Fachaustausch wurde von allen Behandelnden als hilfreich erlebt und sollte damit auch eine voraussichtliche Fallbeurteilung zur Kostengutsprache nach der 30. Sitzung erleichtern.

Herausforderungen und Chancen

Der Gesetzgeber hat bei der Konzeption des Anordnungs­modells einen starken Fokus auf die Behandlungskoordi­nation gelegt. So ist es in der ersten Behandlungsphase zwingend, dass mindestens alle 15 Sitzungen ein Aus­tausch zwischen anordnenden Ärzt_innen und psycholo­gischen Psychotherapeut_innen erfolgt. Diese Regelung ist einerseits mit mehr koordinativem Aufwand verbun­den, anderseits bietet der Austausch aber die Chance, die interprofessionelle Zusammenarbeit zu stärken. Ziel des interdisziplinären Dialogs ist es, die Patientin/den Patien­ten aus der Perspektive der jeweils anderen Disziplin zu sehen und die Problematik der psychischen Erkrankung besser zu verstehen. Durch diesen Austausch kann die  Behandlung von psychisch kranken Patient_innen deut­lich verbessert werden.

Ausblick: gemeinsam versorgen!

Die Autor_innen hoffen, dass sich die noch wenig bekann­ten Abläufe mit der Zeit besser einspielen und bekannt wer­den. Die Etablierung einer persönlichen Beziehung zwi­schen den Behandelnden sowie das Knüpfen von Netzwerken wird dabei als positiv für die Etablierung einer gelungenen und zufriedenstellenden interprofessionellen Zusammenarbeit angesehen. Problematisch bleiben Situa­tionen, in denen es nicht gelingt, Anordnungsbefugte oder Fachärzt_innen für die psychiatrische Fallbeurteilung zu fin­den. Letzteres wird für die Behandlung schwer und chro­nisch erkrankter Patient_innen eine Herausforderung sein. Die bestehenden kantonalen Lösungsansätze sind zu be­grüssen. Positiv zu vermerken ist, dass die Schweizerische Akademie für Psychosomatische und Psychosoziale Medi­zin erreicht hat, dass Fachärzt_innen mit einem Fähigkeits­ausweis für psychosoziale Medizin zur Behandlungsverlän­gerung nach 30 Sitzungen für ihre eigenen Patient_innen keine psychiatrische Fallbeurteilung benötigen.

Elektronisches Supplement

Das elektronische Supplement (ESM) ist mit der Online- Version dieses Artikels verfügbar unter:
ESM 1. Schritte im Anordnungsmodell (Grafik).
ESM 2. Anordnung psychologische Psychotherapie (Formular).
ESM 3. Antrag Fallbeurteilung nach der 30. Sitzung (Formular).

Lernfragen

1. Was bedeutet das «Anordnungsmodell» für die psychologischen Psychotherapeut_innen?
a) Sie arbeiten nun selbstständig und die Rech-nungsstellung erfolgt nicht mehr durch die anstel-lende Ärztin/den anstellenden Arzt via Tarmed, sondern direkt über den neuen PsyTarif.
b) Sie dürfen ihren Patient_innen rezeptpflichtige Medikamente verschreiben.
c) Sie müssen ihre Praxis per Gesetz nach den Prin-zipen des Feng-Shui einrichten.
2. Welche Ärzt_innen dürfen grundsätzlich anordnen?
a) Nur Ärzt_innen, die selbst schon einmal eine Psychoanalyse durchlaufen haben.
b) Alle Ärzt_innen, inklusive Assistenz- und Ober-ärzt_innen.
c) Ärzt_innen mit einem eidgenössischen oder einem anerkannten ausländischen Weiterbildungstitel in Allgemeiner Innerer Medizin, in Psychiatrie und Psychotherapie, in Kinderpsychiatrie und -psycho-therapie, in Kinder- und Jugendmedizin sowie Ärzt_innen mit interdisziplinärem Schwerpunkt Psychosomatische und psychosoziale Medizin.
3. Der Kreis der Ärzt_innen, die anordnen dürfen, wird bei diesen Situationen grösser: Krisenintervention oder Kurztherapie für Patienten und Patientinnen mit schweren Erkrankungen bei Neudiagnose oder bei einer lebensbedrohlichen Situation. Welche zusätz lichen Ärzt_innen dürfen in diesen Situationen einmalig 10 Sitzungen anordnen?
a) Assistenz- und Oberärzt_innen.
b) Die «Ärzte» der Punkrockband «Die Ärzte».
c) Ärzt_innen aller Fachrichtungen – auch diejenige, die über einen Weiterbildungstitel «praktischer Arzt/praktische Ärztin» verfügen.
Yvik Adler

Co-Präsidentin
Föderation der Schweizer Psychologinnen und Psychologen – FSP Effingerstrasse 15
3008 Bern

yvik.adler@fsp.psychologie.ch

Es bestehen keine Interessenskonflikte.

 

Historie
Manuskript angenommen: 30.01.2023

 

 

  • Seit dem 1. Juli 2022 ist das Anordnungsmodell in Kraft. Psychologische Psychotherapeut_innen kön-nen neu selbstständig über die Grundversicherung abrechnen. Dieses Modell löst das Delegationsmodell ab. Das Anordnungsmodell wird die Versorgung von psychisch erkrankten Menschen verbessern helfen.
  • Psychische Erkrankungen sind häufig. Die Jahresprä-valenz psychischer Erkrankungen bei Erwachsenen wird auf durchschnittlich 27 % geschätzt. In vielen Fällen ist eine Psychotherapie die Behandlung der Wahl. Eine grosse Anzahl von Ärzt_innen kann eine Anordnung ausstellen.
  • Eine enge Zusammenarbeit zwischen psychologischen Psychotherapeut_innen und den anordnenden Ärzt_ innen ist für den Behandlungserfolg massgebend.

Albani C, Blaser G, Geyer M, Schmutzer G, Brähler E. Ambulan-te Psychotherapie in Deutschland aus Sicht der Patienten. Teil 2: Wirksamkeit. Psychotherapeut. 2010;6:1–9.
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3. Kessler RC, Berglund P, Demler O, Jin R, Merikangas KR, Wal-ters EE.. Lifetime Prevalence and Age-of-Onset Distributions of DSM-IV Disorders in the National Comorbidity Survey Repli-cation. Arch Gen Psychiatry. 2005;62:593–602. DOI: 10.1001/archpsyc.62.6.593.
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