- Betablocker nach Herzinfarkt?
Frage
Führt die Gabe von Betablockern bei Patienten nach einem Herzinfarkt und einer erhaltenen linksventrikulären Funktion (LVEF ≥ 50 %) zu einem Überlebensvorteil oder weniger Reinfarkten?
Hintergrund
Aktuelle Leitlinien empfehlen die Gabe von Betablockern nach einem akuten Myokardinfarkt (AMI). Der Stellenwert dieser Therapie ist aber zunehmend unklar, denn die Studien, die eine Reduktion der Mortalität nach Herzinfarkt um rund 20 % zeigten, stammen aus den 80er-Jahren und inkludierten hauptsächlich Patienten mit grossen Infarkten und eingeschränkter LVEF. Seitdem hat sich die Behandlung des AMI grundlegend verändert. Durch die in der Akuttherapie wirksamere Reperfusionsstrategie mit PTCA und drug-eluting-Stents kommt es selten zu einem ausgedehnten Myokardschaden und damit seltener zu einer Herzinsuffizienz mit reduzierter LVEF im Vergleich zur medikamentösen Lyse in der Prä-Katheter-Ära, die nur in ca. 70 % zu einer befriedigenden Revaskularisation führt.
Weitere Fortschritte gibt es seitdem in der Sekundärprävention durch den Einsatz von (initial dualen) Antithrombotika, potenten Lipidsenkern und Antagonisten des Renin-Angiotensin-Systems. Ob Betablocker im Kontext der heutigen Therapieoptionen bei Patienten mit normaler linksventrikulärer Funktion nach Infarkt von prognostischem Nutzen sind, ist in jüngerer Zeit nur in Beobachtungsstudien untersucht worden, die widersprüchliche Ergebnisse lieferten. Eine Schweizer Studie mit Daten von 4349 Postinfarktpatienten aus dem Jahre 2019, in der 63.6 % der Patienten nach Infarkt einen Betablocker verordnet bekamen, zeigte sogar ein verdoppeltes Risiko für Tod und ein erneutes schweres kardiovaskuläres Ereignis durch die Betablocker-Einnahme (1).
Die REDUCE-AMI-Studie (2) untersuchte daher die Frage, ob Postinfarkt-Patienten ohne Herzinsuffizienz von Betablockern profitieren sowie die Sicherheit der Therapie.
Studiendesign und Methodik
Die als prospektive, randomisierte, open-label (Patient und Prüfarzt nicht verblindet) konzipierte Studie wurde an 45 Zentren in Schweden, Estland und Neuseeland durchgeführt. Es wurden 5020 Patienten in der frühen Phase (Tag 1–7) nach einem Myokardinfarkt auf der Basis einer primär koronaren Herzerkrankung (AMI Typ 1) eingeschlossen, die vorgängig eine Koronarangiographie zur Dokumentation der obstruktiven KHK (Stenosegrad über 50 %, Flussreserve unter 80 %) und eine Echokardiographie zur Beurteilung einer normalen linksventrikulären Herzleistung (LVEF ≥ 50 %) erhalten hatten. Die Randomisierung erfolgte 1:1 für eine Langzeitbehandlung mit einem β1-selektiven Betablocker (Metoprolol 1. Wahl, Zieldosis wenigstens 100 mg, alternativ Bisoprolol mindestens 5 mg).
Outcomes/Endpunkte
Der primäre Endpunkt war eine Kombination aus Tod (jeglicher Ursache) oder erneuter Herzinfarkt. Sekundäre Endpunkte waren die Gesamtmortalität, kardiovaskulärer Tod, Myokardinfarkt und Hospitalisation aufgrund von Vorhofflimmern oder Herzinsuffizienz.
Zu den Sicherheitsendpunkten gehörten Hospitalisation wegen Bradyarrhythmie (Bradykardie, AV-Block II° oder III°, Schrittmacherimplantation), Hypotonie, Synkope sowie wegen Asthma oder COPD sowie wegen eines Schlaganfalls.
Resultate
2508 Patienten in der Interventionsgruppe erhielten nach dem Infarkt einen Betablocker (62 % Metoprolol, 38 % Bisoprolol), 2512 keinen. Die mediane Nachbeobachtungszeit betrug 3.5 Jahre (IQR 2.2–4.7 Jahre). Das mittlere Alter der Patienten lag bei 65 Jahren (IQR 57–73), Frauen waren mit 22.5 % unterrepräsentiert. Die Koronarangiographie zeigte bei 55 % eine koronare 1-Gefässerkrankung (GE), bei 27 % eine 2-GE und bei 17 % eine 3-GE. 96 % der Patienten erhielten eine perkutane Koronarintervention, 4 % eine Koronararterien-Bypass-Operation.
Ein primäres Endpunktereignis trat bei 7.9 % in der Betablocker-Gruppe und bei 8.3 % ohne Betablocker auf (HR 0.96; 95 %; KI 0.79–1.16; p = 0.64). Auch bei der Einzelbetrachtung der sekundären Endpunkte ergab sich kein signifikanter Unterschied zwischen der Behandlungs- und Kontrollgruppe (Tod jeglicher Ursache 3.9 % vs. 4.1 %; kardiovaskulärer Tod 1.5 % vs. 1.3 %; Myokardinfarkt 4.5 % vs. 4.7 %; Hospitalisation wegen Vorhofflimmern 1.1 % vs. 1.4 % oder wegen Herzinsuffizienz 0.8 % vs. 0.9 %). Im Hinblick auf die Sicherheits-Outcomes waren ebenfalls keine relevanten Unterschiede zwischen der Gruppe mit und ohne Betablocker festzustellen (Hospitalisation aufgrund von Bradyarrhythmien 3.4 % vs. 3.2 %, wegen Asthma oder COPD 0.6 % vs. 0.6 %, wegen eines Schlaganfalls 1.4 % vs. 1.8 %).
Kommentar
• Die Studie zeigt eindrücklich, dass Patienten mit akutem Herzinfarkt, die sich einer frühzeitigen Koronarangiographie (in den meisten Fällen mit einer koronaren Intervention) unterziehen, bei erhaltener Auswurffraktion (≥ 50 %) nicht von einer langfristigen Betablockergabe profitieren.
• Indirekt belegt sie damit auch den enormen Fortschritt in der Versorgung akuter Myokardinfarkte seit den 80-Jahren des letzten Jahrhunderts.
• Umso wichtiger ist es, die evidenzbasierten Massnahmen der Sekundärprävention mittels potenten Statinen/PCSK-9-Hemmern, ACE-Hemmern/AT1-Blockern und der (initial) doppelten Thrombozytenaggregationshemmung umzusetzen.
• Die Ergebnisse sollten zu einem Paradigmenwechsel führen und rasch in die aktuellen Leitlinien übernommen werden.
Institut für Hausarztmedizin Universitätsspital Zürich (IHAMZ)
Pestalozzistrasse 24
8091 Zürich
andrea.rosemann@usz.ch
Institut für Hausarztmedizin
Universitätsspital Zürich
Pestalozzistrasse 24
8091 Zürich
thomas.rosemann@usz.ch
Die Autorin und der Autor haben haben keine Interessenskonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.
1. Huber, C. A., Meyer, M. R., Steffel, J., Blozik, E., Reich, O., & Rosemann, T. (2019). Post-myocardial Infarction (MI) Care: Medication Adherence for Secondary Prevention After MI in a Large Real-world Population. Clinical therapeutics, 41(1), 107–117. https://doi.org/10.1016/j.clinthera.2018.11.012
2. Yndigegn, T., Lindahl, B., Mars, K., Alfredsson, J., Benatar, J., Brandin, L., Erlinge, D., Hallen, O., Held, C., Hjalmarsson, P., Johansson, P., Karlström, P., Kellerth, T., Marandi, T., Ravn-Fischer, A., Sundström, J., Östlund, O., Hofmann, R., Jernberg, T., & REDUCE-AMI Investigators (2024). Beta-Blockers after Myocardial Infarction and Preserved Ejection Fraction. The New England journal of medicine, 390(15), 1372–1381. https://doi.org/10.1056/NEJMoa2401479
PRAXIS
- Vol. 113
- Ausgabe 8
- September 2024