Praxis-Fall

Die invasive Listeriose – eine seltene und oft schwer verlaufende Infektionskrankheit

  • Die invasive Listeriose – eine seltene und oft schwer verlaufende Infektionskrankheit


Fallbericht

Anamnese

Ein 81-jähriger Patient wird mit Schüttelfrost, Appetitlosigkeit, Obstipation sowie seit einigen Tagen bestehendem Schwindel und Nausea notfallmässig vom Hausarzt auf die Innere Medizin zugewiesen.
Auf der Notfallstation berichtet der 81-jährige Patient über gastrointestinale Beschwerden mit Nausea, gastroösophagealem Reflux seit wenigen Tagen sowie von einmaligem Erbrechen am Vortag. Im Laufe der letzten 3 Monate ist es zu einem massiven ungewollten Gewichtsverlust von ungefähr 28 kg gekommen. Der letzte Stuhl wurde vor ungefähr 1 Woche abgesetzt. Dieser war von normaler Konsistenz, ohne Blutbeimischung. Kopfschmerzen, Husten, Bauchschmerzen oder Dysurie wurden allesamt verneint.

Vorgeschichte

Der bis anhin rüstige Physiker lebt seit seiner Pensionierung vorwiegend in einer ländlichen Region in Südfrankreich. Er erzählt, dass er dort einheimische Bauern unterstützt, indem er deren Produkte wie Honig, Milch- und Fleischprodukte (Abb. 1) kauft und konsumiert.
Vor 3 Monaten wurde die Neudiagnose eines ossär metastasierten high-grade Urothelkarzinoms des Pyelons links gestellt (Abb. 2). Die Behandlung dieser Erkrankung erfolgt in der Schweiz. Eine palliative Systemtherapie mit Carboplatin/Gemcitabine wurde eingeleitet.

Zudem erfolgte eine palliative Radiotherapie der ossären Metastasen in der LWS und im Beckenbereich. Unter dieser tumorspezifischen Therapie entwickelte der Patient eine schwere ­Hämatotoxizität mit nachgewiesener Panzytopenie. Im Rahmen dieser vorübergehenden Immunsuppression kam es trotz vierfacher Impfung gegen SARS-CoV-2 und einmalig stattgehabter SARS-CoV-2-Infektion drei Wochen vor der aktuellen Hospitalisation zu einer Reinfektion. Klinisch zeigte sich ein milder Verlauf, trotzdem wurde in Anbetracht der Tumorerkrankung eine fünftägige Behandlung mit Paxlovid eingeleitet. Danach kam es zu einer raschen Erholung, sodass wir nicht davon ausgehen, dass es sich damals bereits um eine Listerien-Infektion gehandelt hat. Weiter zeigte sich bei bereits bekannter Refluxösophagitis in einer Kontrollgastroskopie ein CMV-positives Magenulkus, welches adäquat mit Valganciclovir behandelt wurde. Nach vollständiger Erholung und laboranalytischer Regredienz der Neutropenie konnte die Chemotherapie 1 Woche vor Eintritt wiederaufgenommen werden.

Status

Bei Eintritt war der Patient in reduziertem Allgemeinzustand, subfebril mit einer Körpertemperatur von 37.9° C und hypoton (Blutdruck 85/52 mmHg) sowie tachykard (110 Schläge pro Minute). Die periphere Sauerstoffsättigung lag bei 97 % unter Raumluft. Der Patient wirkte dehydriert mit trockenen Schleimhäuten. Es fanden sich im Status keine wegweisenden Auffälligkeiten, insbesondere keine neurologischen Defizite und kein Meningismus.

Befunde

Laboranalytisch zeigte sich ein panzytopenes Blutbild mit einer Leukozytopenie (3.1 x 103/µl), einer schweren Lymphopenie (0.06 x 103/µl), Thrombozytopenie (30 x 103/µl), schwerer Anämie (Hämoglobin 69 g/l) und gleichzeitig erhöhten Entzündungswerten (CRP 115 mg/l). In der Abdomensonographie war kein eindeutiger Infektfokus eruierbar. Ein Harnstau bei tumorbedingt einliegendem Doppel-J-Katheter war nicht ersichtlich.

Differenzialdiagnostik und Therapie

Nach Abnahme von Blut- und Urinkulturen erfolgte entsprechend der prädisponierenden Faktoren eine empirische antibiotische Therapie mit Ceftriaxon intravenös bei Verdacht auf einen unklaren Infekt, wahrscheinlich urogenitalen Ursprungs. Bei einem Hämoglobin von < 70 g/l und bestehender Anstrengungsdyspnoe wurde ein Ery­throzytenkonzentrat transfundiert.

Der Patient wurde aufgrund der fortgeschrittenen Tumorerkrankung und des deutlich reduzierten Allgemeinzustandes auf der Palliativstation hospitalisiert. Ein neuerlicher nasopharyngealer Abstrich zeigte keinen Nachweis von SARS-CoV-2. Nach 24 Stunden konnte sowohl in den aeroben als auch in den anaeroben Blutkulturen ein Wachstum von grampositiven Stäbchen dokumentiert werden. Die weitere Differenzierung identifizierte dabei Listeria monocytogenes. Die antibiotische Therapie wurde anschliessend resistenzgerecht auf Amoxicillin intravenös umgestellt. Trotz adäquater Behandlung zeigte sich klinisch eine zunehmende Vigilanzminderung und Apathie. Am 6. Tag des stationären Aufenthaltes wurde ein generalisierter epileptischer Krampfanfall beobachtet, welcher nach wenigen Minuten mittels Midazolam-Nasenspray durchbrochen werden konnte. Die Lethargie und der epileptische Anfall liessen eine meningeale Beteiligung im Sinne einer Listerien-Meningoenzephalitis vermuten. Gemeinsam mit der Ehefrau wurde in Anbetracht des bekannten metastasierten Tumorleidens auf eine weiter gehende Abklärung mit zerebraler Bildgebung und Liquordiagnostik bewusst verzichtet. Die antibiotische Therapie wurde hingegen unverändert weitergeführt.

Im weiteren Verlauf wurde der Patient zunehmend wacher und zeigte sich in einem gebesserten Allgemeinzustand, sodass die antibiotische Therapie nach drei Wochen gestoppt werden konnte. Schlussendlich bestand die Diagnose einer Listerien-Bakteriämie mit wahrscheinlicher Meningoenzephalitis und eine erneute Panzytopenie im Rahmen der stattgehabten Chemotherapie. Der Patient erholte sich von der Infektion, konnte sich zuletzt wieder selbständig versorgen und daher anschliessend nach Hause entlassen werden.

Hintergrund

Die Listeriose ist eine seltene Infektionskrankheit, welche durch fakultativ anaerobe, grampositive Stäbchen Listeria monocytogenes verursacht wird (1). In der Schweiz gehört die Listeriose zu den meldepflichtigen Infektionskrankheiten. Die jährliche Inzidenz in der Schweiz liegt bei ca. 40–100 Fällen (2). Risikofaktoren sind eine Immunsuppression, Leberzirrhose, Alkoholüberkonsum, der Gebrauch von Protonenpumpenhemmern und ein Alter von über 50 Jahren. Das mediane Alter von Patienten mit einer invasiven Listeriose liegt gemäss USA-FoodNet bei Nicht-schwangeren bei 72 Jahren, rund 30 % der Infizierten sind aber jünger als 65 Jahre alt. Aus diesem Grund werden in den Guidelines der empirischen Meningitistherapie schon ab 50 Jahren Listerien mit eingeschlossen (3.) Weitere prädisponierende Faktoren sind Neugeborene oder eine Schwangerschaft (4). Als häufigste Kontaminationswege für die ubiquitär vorhandenen Bakterien gilt der Verzehr von kontaminierten Nahrungsmitteln wie Milchprodukten, rohem Gemüse oder Fleisch (1).

Verlauf

Eine Listerien-Infektion erfolgt meist über die orale Aufnahme von kontaminierten Lebensmitteln (5). Patienten ohne Risikofaktoren zeigen in der Regel einen asymptomatischen bis selten milden Verlauf in Form einer afebrilen oder febrilen Gastroenteritis. Ebenso wird häufig über eine unspezifische Symptomatik wie Gliederschmerzen und Kopfschmerzen berichtet (6). Die Inkubationszeit beträgt im Mittel 24 Stunden (7). Die Sensitivität für den Nachweis von Listeria monocytogenes im Stuhl ist sehr gering und wird deshalb nicht empfohlen. Jedoch sollen bei entsprechender Prädisposition Stuhlkulturen zum Ausschluss anderer Infektionen wie Clostridium difficile abgenommen werden (1). Unter rein symptomorientierter Therapie klingen die Symptome in der Regel nach weniger als 2 Tagen ab, und die Patienten erholen sich vollständig (7). Bei Vorliegen von Risikofaktoren können hingegen auch schwere Verläufe beobachtet werden.

Die invasive Listeriose

Zur invasiven Listeriose zählt die Listerien-Bakteriämie, die Neurolisteriose sowie die neonatale Infektion. Sehr selten sind auch fokale Listerien-Infektionen wie eine kutane Listeriose möglich (8). Wie in unserer Fallvignette kann die Symptomatik der invasiven Listeriose mit einer milden, febrilen Gastroenteritis beginnen und anschliessend schwere Verläufe annehmen. Patienten mit einer Bakteriämie berichten über Fieber und allgemeine Schwäche sowie teil­weise gastrointestinale Symptome wie Diarrhoe. Die häufigste Manifestation eine Neurolisteriose ist eine generalisierte Meningoenzephalitis (6). Zu der klassischen Symptomtrias der Meningoenzephalitis gehören Meningismus, Fieber und Bewusstseinsstörungen. In einer prospektiven Kohortenstudie aus Frankreich hatten 17 % der 252 Pa- tienten mit einer Neurolisteriose eine Hirnnervenbeteiligung (9). Bei Hirnnervenparesen wird zusätzlich von einer Rhombenzephalitis gesprochen. Ein epileptischer Anfall wurde in 46 der 252 Patienten beschrieben (18 %) (9). Bei klinischem Verdacht auf eine Neurolisteriose soll eine entsprechende Bildgebung mittels MRI und eine Liquordia­gnostik erfolgen.

Therapeutisch wird Amoxicillin eingesetzt, zudem wird häufig aufgrund synergistischer Wirkung Gentamicin hinzugegeben. Eine Alternative zu den Penicillin-Antibiotika ist Sulfamethoxazol/Trimethoprim, wenn möglich auch in Kombination mit Gentamicin. Der Einsatz von Kombinationstherapien beruht vor allem auf Beobachtungsstudien, welche eine Reduktion der Mortalität bei invasiven Infektionen zeigten. Wenn weder Amoxicillin oder Penicillin noch Sulfamethoxazol/Trimethoprim eingesetzt werden können, ist Meropenem eine gute Alternative, nach Möglichkeit auch zusammen mit Gentamicin. In einer retro­spektiven Studie war die Therapie der invasiven Listeriose mit Meropenem aber mit einer höheren Mortalität assoziiert als bei der Behandlung mit Penicillin (10). Linezolid ist ebenfalls aktiv gegen Listerien, die klinische Erfahrung ist aber limitiert auf Fallberichte, und dessen längerer Einsatz ist mit verschiedenen, unter anderem hämatotoxischen Nebenwirkungen assoziiert. Cephalosporine sind unwirksam.

Bei der invasiven Listeriose wird mindestens eine 3- bis 4-wöchige intravenöse Therapie empfohlen (1). Gentamicin sollte aufgrund seiner Oto- und Nephrotoxizität nicht während der ganzen Therapiedauer eingesetzt werden, sondern nur bis zur klinischen Besserung (1).
Die 3-Monats-Mortalität einer Listerien-Bakteriämie ist sehr hoch und liegt bei 46 %, im Falle einer Neurolisteriose bei 30 % (9).

Diskussion

Bei unserem Patienten konnte in den Blutkulturen Listeria monocytogenes nachgewiesen werden. Auch ohne eine entsprechende Diagnostik musste aufgrund des klinischen Verlaufes von einer Listerien-Bakteriämie mit Meningoenzephalitis ausgegangen werden. Unser Patient war erst kürzlich von seinem Hauptwohnsitz in Südfrankreich zurückgekehrt, wo er seine Vorliebe zu Käse und insbesondere Frischkäse auslebte. Dieser zeitliche Zusammenhang sowie die bestehende Immunsuppression im Rahmen der onkologischen Behandlung legen diesen Kontaminationsweg sehr nahe. Aufgrund der gegebenen Umstände konnten im Ausland keine weiteren lokalen Abklärungen erfolgen.

Das vorbekannte CMV-positive Magenulkus kann als mögliche Eintrittspforte angesehen werden. Obwohl dieses adäquat behandelt wurde, muss davon ausgegangen werden, dass die Schleimhautbarriere nicht vollständig intakt war und als Eintrittspforte für die Listerien gedient haben könnte. Dies lässt sich abschliessend nicht zweifelsfrei klären, könnte jedoch einen Infizierungsweg und weiteren Risikofaktor darstellen. Als weiterer Risikofaktor zeigte sich die regelmässige Einnahme von Protonenpumpenhemmern. Zusammenfassend veranschaulicht dieser Fall den seltenen, jedoch potenziell letalen Verlauf der invasiven Listeriose bei immunsupprimierten und älteren Patienten.

Dipl. med. Lucas Tschalèr

Palliative Care,
Kantonsspital Graubünden, Chur

Dr. med. Felix Fleisch

Infektiologie,
Kantonsspital Graubünden,
Chur

Dr. med. MSc Cristian Camartin

Leiter Palliative Care
Kantonsspital Graubünden
Loëstrasse 170 Chur
7000 Chur

cristian.camartin@ksgr.ch

Die Autoren haben keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Artikel deklariert.

1. Die Listeriose ist eine seltene Infektionskrankheit. Bei Immunsupprimierten ist sie gefährlich und kann einen letalen Ausgang haben.
2. Die antibiotische Behandlung der invasiven Listeriose besteht aus einer intravenösen Therapie mit Amoxicillin, wenn möglich in Kombination mit Gentamicin. Als Alternative kommt Sulfamethoxazol/Trimethoprim infrage.
3. In der Schweiz besteht beim Nachweis von Listerien eine Meldepflicht.

1. https://www.uptodate.com/contents/clinical-manifestations-and-diagnosis-of-listeria-monocytogenes-infection.
2. https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/zahlen-und-statistiken/zahlen-zu-infektionskrankheiten.exturl.html/aHR0cHM6Ly9tZWxkZXN5c3RlbWUuYmFnYXBwcy5jaC9pbmZyZX/BvcnRpbmcvZGF0ZW5kZXRhaWxzL2QvbGlzdGVyaWEuaHRtbD93/ZWJncmFiPWlnbm9yZQ==.html.
3. van de Beek D, Cabellos C, Dzupova O, Esposito S, Klein M, Kloek AT, Leib SL, Mourvillier B, Ostergaard C, Pagliano P, Pfister HW, Read RC, Sipahi OR, Brouwer MC; ESCMID Study Group for Infections of the Brain (ESGIB). ESCMID guideline: diagnosis awnd treatment of acute bacterial meningitis. Clin Microbiol Infect. 2016 May;22 Suppl 3:S37-62. doi: 10.1016/j.cmi.2016.01.007. Epub 2016 Apr 7. PMID: 27062097.
4. Craig AM, Dotters-Katz S, Kuller JA, Thompson JL. Listeriosis in Pregnancy: A Review. Obstet Gynecol Surv. 2019 Jun;74(6):362-368. doi: 10.1097/OGX.0000000000000683. PMID: 31216045.
5. Koopmans MM, Brouwer MC, Vázquez-Boland JA, van de Beek D. Human Listeriosis. Clin Microbiol Rev. 2023 Mar 23;36(1):e0006019. doi: 10.1128/cmr.00060-19. Epub 2022 Dec 8. PMID: 36475874; PMCID: PMC10035648.
6. Percuoco V, Kemp O, Bolognese M, von Hessling A, Scholte JBJ, Schneider UC. A Case of Fulminant Listeria Rhombencephalitis with Brainstem Abscesses in a 37-Year-Old Immunocompetent Patient: From Vestibular Neuritis to Ondine‘s Curse. J Neurol Surg A Cent Eur Neurosurg. 2023 May 1. doi: 10.1055/a-1994-9207. Epub ahead of print. PMID: 36481996.
7. Ooi ST, Lorber B. Gastroenteritis due to Listeria monocytogenes. Clin Infect Dis. 2005 May 1;40(9):1327-32. doi: 10.1086/429324. Epub 2005 Mar 31. PMID: 15825036.
8. Godshall CE, Suh G, Lorber B. Cutaneous listeriosis. J Clin Microbiol. 2013 Nov;51(11):3591-6. doi: 10.1128/JCM.01974-13. Epub 2013 Aug 21. PMID: 23966491; PMCID: PMC3889738.
9. Charlier C, Perrodeau É, Leclercq A, Cazenave B, Pilmis B, Henry B, Lopes A, Maury MM, Moura A, Goffinet F, Dieye HB, Thouvenot P, Ungeheuer MN, Tourdjman M, Goulet V, de Valk H, Lortholary O, Ravaud P, Lecuit M; MONALISA study group. Clinical features and prognostic factors of listeriosis: the MONALISA national prospective cohort study. Lancet Infect Dis. 2017 May;17(5):510-519. doi: 10.1016/S1473-3099(16)30521-7. Epub 2017 Jan 28. Erratum in: Lancet Infect Dis. 2017 Sep;17(9):897. PMID: 28139432.
10. Thønnings S, Knudsen JD, Schønheyder HC, Søgaard M, Arpi M, Gradel KO, Østergaard C; Danish Collaborative Bacteraemia Network (DACOBAN). Antibiotic treatment and mortality in patients with Listeria monocytogenes meningitis or bacteraemia. Clin Microbiol Infect. 2016 Aug;22(8):725-30. doi: 10.1016/j.cmi.2016.06.006. Epub 2016 Jun 23. PMID: 27345176.