- Möglichkeiten und Grenzen in der digitalisierten Kommunikation mit neurologischen Patienten
Zusammenfassung: Hintergrund: In der vorliegenden Arbeit geht es um die Frage, welche digitalen Touchpoints im Verlauf einer «Patient Journey» von neurologischen Patienten gewünscht, wichtig für eine effektive Behandlung und einfach umsetzbar sind.
Methodik: 100 (44 Männer, 56 Frauen) Patienten in einer neurologischen Praxis an drei unterschiedlichen Standorten wurden mithilfe eines schriftlichen Fragebogens mit geschlossenen Fragen zu Themen der Online-Buchung, Terminvergabe und Erinnerung mit SMS, Videokonsultation mit dem Arzt sowie Chat mit dem Arzt oder der medizinischen Praxisassistentin befragt.
Ergebnisse: Es konnte gezeigt werden, dass, je älter eine Person ist, sie umso weniger eine digitale Buchung und Konsultation bevorzugt und dass sie je mehr sie arbeitet, sie umso mehr die digitale Buchung und Konsultation präferiert und je länger sie in der Schweiz lebt, sie umso weniger die Chatberatung wählt. Der Datenschutz spielt eher bei älteren Patienten, insgesamt aber eine untergeordnete Rolle. Hinsichtlich des Geschlechts können keine signifikanten Unterschiede aufgezeigt werden.
Diskussion: Die Ergebnisse stehen im Einklang mit einer Befragung des Schweizer Ärzteverbands (Foederatio Medicorum Helveticorum) aus dem Jahr 2020, die zeigt, dass die Bevölkerung eine Entlastung der Ärzte in administrativen Tätigkeiten durch die Anwendung digitaler Lösungen als wünschenswert erachtet. Auch in dieser Studie sind sowohl jüngere als auch ältere Patienten sehr interessiert, die Termine online zu buchen und eine Terminerinnerung per SMS zu erhalten. Da die älteren Patienten eher die konservative Buchung und Terminvergabe präferieren, sollte ein «Hybrid-Modell» angeboten werden, so dass beide Möglichkeiten bestehen.
Schlüsselwörter: Digitalisierung, Postcovid, Patientenreise, Touchpoints
Einleitung
Ausgangslage
Neurologische Erkrankungen sind die häufigste Ursache von einschneidenden Behinderungen (1). Dabei spielen sowohl die körperlichen, aber auch kognitiven Defizite eine Rolle. Sie führen dazu, dass Patienten mit neurologischen Erkrankungen im Alltag dahingehend eingeschränkt sind, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen (1). Erschwert ist dabei vor allem der Zugang zur ärztlichen Versorgung, und ein Besuch beim Hausarzt, aber vor allem auch beim Neurologen, der häufig weiter entfernt praktiziert, ist mit viel Aufwand verbunden. Das in dieser Arbeit als «digitales Postcovid»-Syndrom bezeichnete Phänomen steht für die Zunahme des telemedizinischen Einsatzes in der Medizin und vor allem in der Neurologie (2-5). Durch die COVID-19-Pandemie und dem damit verbundenen Lockdown wurden Konferenzen und Diskussionen beruflich, aber auch privat zunehmend digital und online durchgeführt (3-5). Auch wurden gehäuft Patienten telemedizinisch kontaktiert und visitiert, auch wenn dies bei der Krankenkasse nicht abgerechnet werden konnte. Vor allem immunsupprimierte oder schwer betroffene Patienten mit einer Beeinträchtigung der Atemmuskulatur, die Sorge hatten vor einer Ansteckung, konnten so beurteilt werden (2, 3, 5). Während in anderen Ländern die telemedizinische Beurteilung in die reguläre Patientenversorgung integriert wurde, steckt die Schweiz diesbezüglich noch in den Kinderschuhen. Dies könnte sich nun zunehmend verbessern, da viele Spitäler, Arztpraxen und Haushalte durch die Pandemie digital aufgerüstet wurden. Kameras, Lautsprecher und entsprechende Ausrüstungen wurden angeschafft, sodass sowohl auf Patienten-, aber auch Arztseite die Möglichkeit zur digitalen Kommunikation geschaffen wurde (4, 5). Neben dem telemedizinischen Einsatz zur digitalen Konsultation gibt es allerdings noch viele andere Möglichkeiten, wie die Kommunikation des Patienten mit dem Arzt oder dem nicht ärztlichen Personal in einer Praxis erfolgen kann. Erwähnt sei an dieser Stelle schon einmal die Möglichkeit, Termine online zu buchen, eine Bestätigung der Termine per SMS bestätigt zu bekommen sowie über einen Messenger mit dem Arzt oder der medizinischen Praxisassistentin Kontakt aufzunehmen. Des Weiteren ist die Einführung des elektronischen Patientendossiers (EPD) in der Schweiz vorgesehen, wodurch vor allem die Weitergabe von Patientendaten an weiterbehandelnde Ärzte, Therapeuten und ggf. Krankenkassen erleichtert werden soll. In diesem Zuge sind auch elektronische Rezepte geplant (6).
Zielsetzung und Fragestellung
In der Studie geht es um die Klärung der Fragen, welche Touchpoints im Rahmen einer Patient Journey sich in welcher Form und in welcher Reihenfolge zweckmässig digitalisieren lassen. Die Zweckmässigkeit wird primär aus der Nutzer- bzw. der Patientenperspektive beurteilt und sekundär aus technischer Sicht. Es soll mit der Digitalisierung jener Berührungspunkte begonnen werden, bei denen entsprechende Lösungen auf breite Kundenakzeptanz stossen, solange der damit einhergehende Aufwand durch den zu erwarteten Nutzen gerechtfertigt wird.
Customer Journey
Der Begriff «Customer Journey» stammt aus dem Marketing. Wie der Name schon sagt, geht es um eine «Reise des Kunden», den gesamten Prozess von der Entscheidung bis zum Kauf des Kunden in verschiedenen Phasen. In diesen Phasen entstehen bestimmte Punkte, bei denen es zu einem Kontakt oder auch einer Berührung der Punkte mit einem Unternehmen kommt. Diese Punkte werden (customer) Touchpoints genannt (7). Der Begriff «Touchpoint» stammt aus dem Englischen und bedeutet Kontakt- oder auch Berührungspunkt. Er steht für die Berührung zwischen Kunden und dem Hersteller von Produkten. Die einzelnen Touchpoints bilden dann die Customer Journey. Berührungspunkte können Werbungen im Internet, in Zeitschriften, auf Plakaten oder in Rundfunk und Fernsehen sein. Punkte mit Berührungen des Kunden sind auch Werbeanrufe oder Werbungen per Mail, die häufig als «Spams» bezeichnet werden. Die Erfahrung mit ihnen kann positiv oder negativ sein (9). Die Berührungspunkte sind wie Messstationen, an denen entsprechende Daten von Kunden über Kundenerfahrungen gesammelt werden, die wichtig sind, um Möglichkeiten, aber auch kritische Punkte den Unternehmen zu verdeutlichen, was ihnen helfen kann, sich von Konkurrenten im Markt abzugrenzen und die eigene Position zu stärken (10). Die klassische Werbung in Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen verliert zunehmend an Bedeutung. Wichtiger sind mittlerweile Apps wie Instagram, Youtube, Facebook oder X. Damit und mit entsprechenden Videos von Influencern wird der Kunde deutlich stärker beeinflusst (7).
Patientensegmente
Ein wichtiger Baustein im Marketing ist die Segmentierung der Kunden bzw. der Patienten (14). Wie für den Arzt die Anamnese – also die genaue Vorgeschichte über den Krankheitsverlauf – ist für das Marketing die Patientensegmentierung von grosser Relevanz. Ohne diese ist eine entsprechende Entwicklung eines Marketingkonzeptes gar nicht möglich (15). Es braucht das Wissen und das Verständnis für den einzelnen Patienten in einer gewissen Zielgruppe, um ein massgeschneidertes Marketing zu entwickeln (15). Aus wirtschaftlichen Gründen ist es nicht sinnvoll, jeden Kunden einzeln zu betrachten und für ihn ein individuelles Konzept zu erarbeiten, dennoch sollte der Ansatz verfolgt werden, den Kunden so persönlich wie möglich anzusprechen und zu erreichen. Dafür ist es wichtig, entsprechende Segmentierungskriterien festzulegen (14).
Methodik
In der Studie ging es um die Klärung der Fragen, welche Berührungspunkte sich in welcher Form und in welcher Reihenfolge zweckmässig digitalisieren lassen. Die Zweckmässigkeit wird primär aus der Nutzer- bzw. der Patientenperspektive beurteilt und sekundär aus technischer Sicht. Es soll mit der Digitalisierung jener Berührungspunkte begonnen werden, bei denen entsprechende Lösungen auf breite Kundenakzeptanz stossen, solange der damit einhergehende Aufwand durch den zu erwartenden Nutzen gerechtfertigt wird. Ziel ist es, Handlungsempfehlungen zur schrittweisen systematischen Integration von digitalen Unterstützungsansätzen in der Patient Journey herzuleiten.
Erhebungsmethode
In der hier vorliegenden Studie wurde ein Fragebogen entwickelt, der schriftlich von den Patienten ausgefüllt werden sollte. Im Fragebogen wurden insgesamt 5 Themenblöcke behandelt, die jeweils mit «stimme zu» – «stimme eher zu» – neutral –, «stimme eher nicht zu» und «stimme nicht zu» beantwortet werden konnten. Im ersten Themenblock ging es um das Onlinebuchen von Arztterminen (online buchen, Bedenken zur Datensicherheit). Beim zweiten Themenblock um «Aussagen/Fragen zu Versand von Terminen» (Bestätigung Termin per SMS). Beim dritten Themenblock ging es um die Videokonsultation mit dem Neurologen (Onlinekonsultation mit dem Neurologen oder der MPA). Bei den Themenblöcken 4 und 5 ging es um die Chatberatung durch den Arzt/Neurologen und die Chatberatung durch die medizinische Praxisassistentin (Chatberatung mit einem Messenger wie Whatsapp).
Auswertung der Daten und Ableitung eines Umsetzungsplanes
Die statistische Auswertung und deskriptive Darstellung der Daten erfolgte mithilfe von SPSS, Version 28 (17). Hier wurden zu den Skalenniveaus entsprechend statistische Kennwerte ermittelt und grafisch dargestellt. Die erhobenen Fragen wurden im nächsten Schritt mit einer Hauptkomponentenanalyse mit Varimax-Rotation untersucht. Ziel war es, Dimensionen zu identifizieren. Dabei kommen der Bartlett-Test und das KMO-Kriterium als Gütemass zum Einsatz (18). Anschliessend extrahierte Faktoren und die einzelnen Fragen wurden ebenfalls deskriptiv dargestellt und mithilfe des Shapiro-Wilk-Tests auf Normalverteilung überprüft. Im Anschluss erfolgte eine inferenzstatistische Darstellung der vorliegenden Daten. Dabei kommen im Falle von Verteilungsfreiheit und der kleinen Stichprobengrösse überwiegend nicht parametrische Verfahren wie Mann-Whitney-U-Tests, Friedman-Tests sowie Spearman-Rangkorrelationen zum Einsatz. Das Ziel war es, Zusammenhänge und Unterschiede identifizieren zu können. Im Falle von Mehrfachvergleichen wurde zudem die Bonferroni-Korrektur im Post-hoc-Test benutzt. Abschliessend wurden zusätzlich Effektstärken nach Cohen (19) berechnet. Aus dieser Auswertung kann dann das weitere Vorgehen bezüglich einer Umsetzung digitaler Lösungen in unserer Praxis abgeleitet werden.
Ergebnisse
In der durchgeführten Hauptkomponentenanalyse zeigt sich, dass sich die vorliegenden Daten sehr gut durch übergeordnete Faktoren erklären lassen (X²(66)=724.401, p<.001, KMO=.816). Beim Betrachten der Komponenten lassen sich drei Hauptkomponenten mit einem Eigenwert über eins darstellen, die gemeinsam 71.30 % der vorliegenden Varianz erklären können.
Die erste Hauptkomponente besteht aus den Fragen, die im Allgemeinen den Onlinekontakt mit medizinischem Personal betreffen (Konsultation, Chat). Die zweite Dimension betrifft Fragen, die sich ausschliesslich mit dem Buchungs- und Erinnerungssystem befassen. Die dritte Dimension zielt auf Fragen des Datenschutzes ab.
Dementsprechend werden an dieser Stelle die drei Dimensionen «Datenschutz», «Buchung Bestätigung» und «Konsultation Beratung» erstellt, indem die Mittelwerte der einzelnen Fragen berechnet werden.
Stichprobenbeschreibung
Von den teilgenommen 100 Versuchspersonen waren 44 männlich und 56 weiblich. 84 gaben eine Schweizer Nationalität an, 16 taten dies nicht. Drei Personen gaben an, einen Rollstuhl zu benutzen, vier einen Rollator und weitere vier einen Gehstock (siehe Abbildung 1a). Bezüglich der Altersverteilung ist ein Median von 4 darstellbar, was bedeutet, dass sich die oberen 50 % und die unteren 50 % in der Kategorie 50–70 Jahren trennen (Mdn=4). Sechs Personen waren unter 18, zwölf Personen zwischen 18 und 30, 22 Personen zwischen 30 und 50, 26 Personen zwischen 60 und 70 und 34 Personen über 70 Jahre alt (siehe Abbildung 1a). 16 Versuchspersonen gaben zudem an, allein zu leben, 55 zu zweit und 29 mit mehr als drei Personen im Haushalt. Der Median lag dementsprechend in der zweiten Kategorie (Mdn=2) (siehe Abbildung 1a). Bezüglich der Arbeitsbelastung ist ein Median von 1 darstellbar, was heisst, dass sich die oberen 50 % und die unteren 50 % in der Kategorie «Keinen» Beruf trennen (Mdn=1). 49 Personen arbeiten nicht, sieben weniger als 20 %, vier 20–50 %, neun 50–70 %, sieben 70–90 % und 24 zu 100 % (siehe Abbildung 1a). Eine Versuchsperson gab an, keine Deutschkenntnisse zu besitzen, zwei nur schlechte, sieben mittelmässige und sechs gute. 84 Versuchspersonen machten keine Angaben dahingehend. Der Median lag dementsprechend in der vierten Kategorie «mittelmässig» (Mdn=4) (siehe Abbildung 1b). Bezüglich der Sportverteilung ist ein Median von 3 darstellbar, was heisst, dass sich die oberen 50 % und die unteren 50 % in der Kategorie 1–2-mal pro Woche trennen (Mdn=3). 22 Personen machen keinen Sport, sieben 2–4-mal pro Monat, 28 1–2-mal pro Woche, 24 3–5-mal pro Woche und 19 Personen täglich (siehe Abbildung 1b). Eine Versuchsperson gab an, seit 2–5 Jahren in der Schweiz zu leben, zwei 5–10 Jahre, elf über 10 Jahre und 13 über 10 Jahre. 4 Versuchspersonen machten keine diesbezüglichen Angaben. Der Median lag dementsprechend in der dritten Kategorie «>10 Jahre» (Mdn=3) (siehe Abbildung 1b). Bezüglich der Unterstützung im Haushalt ist ein Median von 5 darstellbar, was heisst, dass sich die oberen 50 % und die unteren 50 % in der Kategorie «Keine» trennen (Mdn=5). Zwei Personen gaben an, im Pflegeheim zu leben, zwei mit der Spitex, 36 mit Partner/Familie und 60 ohne Unterstützung (siehe Abbildung 1b).
Inferenzstatistik
In den Korrelationsanalysen zeigen sich beinahe überall signifikante mittelstarke bis starke inverse Korrelationen bezüglich der Fragen und Faktoren zur Buchbarkeit und Konsultation und des Alters. Je älter eine Person ist, umso weniger präferiert sie die digitale Buchung und Konsultation/Beratung (rS=(-.405 -.542)). Beim Datenschutz fallen diese Zusammenhänge hingegen schwächer aus (rS=(-.068 -.292)). Des Weiteren zeigen sich signifikante schwache bis mittelstarke positive Korrelationen bezüglich der Fragen und Faktoren zur Buchbarkeit und Konsultation und des Berufes. Je mehr eine Person arbeitet, umso mehr präferiert sie die digitale Buchung und Konsultation/Beratung (rS=(.275 .447)). Beim Datenschutz ist nur ein schwacher Zusammenhang mit der Chatberatung durch den Arzt darstellbar (rS=202). Weitere signifikante Zusammenhänge zeigen sich nur noch stark negativ bei der Aufenthaltsdauer und Chatberatung durch den Arzt und die MPA (rS=-521, rS=-.498). Je länger eine Person also in der Schweiz lebt, umso weniger präferiert sie die Chatberatung. In den Gruppenunterschieden zeigen sich in den durchgeführten Mann-Whitney-U-Tests signifikante Unterschiede zwischen den Nationalitäten bezüglich der Faktoren Konsultation/Beratung (Z=2.121, p=.034), Datenschutz (Z=2.310, p=.021) und bei den Fragen zu Bedenken hinsichtlich Onlinebuchen (Z=2.060, p=.039), SMS-Buchbarkeit (Z=2.024, p=.043), Videokonsultation (Z=2.680, p=.007), Begrüssung Chatberatung Arzt (Z=2.118, p=.034) und Bedenken Chatberatung Arzt (Z=2.236, p=.025). Nach Cohen (1992) handelt es sich dabei um schwache Effekte (r=(.21 .27)). In der deskriptiven Darstellung zeigt sich dabei, dass die Versuchspersonen mit Schweizer Nationalität bei allen signifikanten Unterschieden niedrigere Werte aufweisen. Hinsichtlich des Geschlechts können keine signifikanten Unterschiede aufgezeigt werden.
Abschliessend werden die Fragen und Faktoren auf mögliche Unterschiede hin untereinander überprüft, um Präferenzen bezüglich der Digitalisierung feststellen zu können. Im durchgeführten Friedman-Test für die Faktoren ergeben sich signifikante Unterschiede (X²(2)=60.762, p<.001). Im Post-hoc-Vergleich zeigt sich dabei, dass die Buchung signifikant stärker präferiert wird als der Datenschutz (Z=6.965, p<.001) und die Konsultation (Z=5.763, p<.001). Nach Cohen (1992) kann hier von starken Effekten gesprochen werden (r=(.58 .70)). Datenschutz und Konsultation unterschieden sich hingegen nicht signifikant (Z=.229, p=.688).
Ein ähnliches Ergebnis zeigt sich bezüglich der einzelnen Fragen (X²(11)=229.663, p<.001, s. Abb. 4, 6). Unterschiede bezüglich der Präferenzen folgen dem Profil der Faktoren. Die Fragen, die sich mit der Terminbuchung und -erinnerung befassen, werden signifikant höher bewertet als jene, die von Datenschutz und Beratung/Konsultation handeln. Diese wiederum unterschieden sich nicht signifikant. Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse, dass je älter eine Person ist, sie umso weniger eine digitale Buchung und Konsultation bevorzugt, und dass sie, je mehr sie arbeitet, sie umso mehr die digitale Buchung und Konsultation präferier, und je länger sie in der Schweiz lebt, sie umso weniger die Chatberatung wählt. Der Datenschutz spielt eher bei älteren Patienten, insgesamt aber eine untergeordnete Rolle. Hinsichtlich des Geschlechts können keine signifikanten Unterschiede aufgezeigt werden.
Diskussion
In der Studie ging es um die Klärung der Frage, welche Berührungspunkte sich in welcher Form und in welcher Reihenfolge zweckmässig digitalisieren lassen. Es zeigte sich, dass je älter eine Person ist, sie umso weniger eine digitale Buchung und Konsultation präferiert. Dies muss vor allem bei der Umsetzung der Touchpoints der Patient Journey berücksichtigt werden, da die Hauptklientel in einer neurologischen Praxis Patienten über 60 Jahre alt ist (23). Ältere Menschen haben jetzt schon in anderen Bereichen Mühe bei digitalen Lösungen, wie zum Beispiel hinsichtlich des Kaufes von Zugtickets. Die SBB kann es sich aber leisten, das System so umzustellen, da sie damit eher weniger Kunden verliert (24). In einer Arztpraxis wird aber wohl eher der entsprechende Arzt gewechselt, wenn die Kommunikation mit ihm und der Arztpraxis nicht funktioniert. Auch in einer Studie der FMH zeigte sich, dass je älter eine Person in der Befragung ist, sie eher nicht digitale Lösungen präferiert (22). Es zeigte sich auch, dass eine signifikant (schwache bis mittelstarke) positive Korrelationen bezüglich der Fragen und Faktoren zur Buchbarkeit und Konsultation und des Berufes. Das bedeutet, dass je mehr eine Person arbeitet, sie umso stärker die digitale Buchung und Konsultation präferiert. Dies ist auch über das oben erwähnte Alter erklärbar, da fast alle «Patienten ohne Beruf» Rentner waren und somit in einem Alter, in dem sie nicht gerne auf digitale Medien zurückgreifen (23, 24). Weitere signifikante Zusammenhänge zeigen sich nur noch stark negativ bei der Aufenthaltsdauer in der Schweiz und Chatberatung durch den Arzt und die MPA. Je länger eine Person also in der Schweiz lebt, umso weniger präferiert sie die Chatberatung. Diese Aussage ist nur eingeschränkt beurteilbar, da der Anteil der ausländischen Patienten in dieser Umfrage eher gering war, entspricht aber sehr wahrscheinlich den Anteil der Grundgesamtheit, dass heisst, der zu unseren Praxen kommenden Patienten. Von den ausländischen Patienten nahmen in der Zeit der Umfrage fast alle teil, sodass der Anteil repräsentativ ist. Um aber eine bessere Aussage zu dem Zusammenhang ausländischer Patienten und die Präferenz zur Chatberatung durch den Arzt oder die MPA treffen zu können, müssten spezifisch hierfür eine weitere Befragung mit einem höheren Anteil ausländischer Patienten zur Bekräftigung oder Widerlegung stattfinden. Sollte es zutreffen, wäre dies verständlich, da es bei mangelnden Sprachkenntnissen für einen Patienten einfacher ist, schriftlich via Chat zu kommunizieren. Er könnte bei Bedarf im Wörterbuch nachschlagen. Schwieriger ist es dann, das gesprochene Wort zu verstehen und Sätze selbst mündlich zu produzieren (25).
In den verschiedenen Gruppen zeigen sich signifikante Unterschiede zwischen den Nationalitäten bezüglich der Faktoren Konsultation/Beratung, Datenschutz und bei den Fragen zu Bedenken Onlinebuchen/SMS-Buchbarkeit, Videokonsultation, Begrüssung/Chatberatung Arzt und Bedenken/Chatberatung Arzt. Der Datenschutz spielt eher bei älteren Patienten, aber insgesamt eine untergeordnete Rolle. In der deskriptiven Darstellung zeigt sich dabei, dass die Versuchspersonen mit Schweizer Nationalität bei allen hervorstechenden Unterschieden niedrigere Werte aufweisen. Hinsichtlich des Geschlechts können keine bemerkenswerten Unterschiede aufgezeigt werden. Im Post-hoc-Vergleich zeigt sich dabei, dass die Buchung signifikant mehr bedeutet als der Datenschutz und die Konsultation. Datenschutz und Konsultation unterschieden sich hingegen nicht deutlich. Ein ähnliches Ergebnis zeigt sich bezüglich der einzelnen Fragen. Unterschiede hinsichtlich der Präferenzen folgen dem Profil der Faktoren. Die Fragen, die sich mit der Terminbuchung und -erinnerung befassen, werden bedeutend höher bewertet als jene, die sich mit Datenschutz und Beratung/Konsultation befassen. Diese wiederum unterschieden sich nicht signifikant voneinander. Das Thema Datenschutz lässt sich nicht so gut mit anderen Studien vergleichen. In der Onlinebefragung der FMH spielte es keine Rolle (22). Es gibt aber Untersuchungen zu diesem Thema, die vor allem auf die Schwierigkeiten zur Umsetzung des Datenschutzes in digitalen Medien hinweisen, auf die in Zukunft geachtet werden müsste (26, 27).
Als Handlungsempfehlungen ergeben sich als erste Priorität die Einführung der Benachrichtigung und Erinnerung der Patienten via SMS, gefolgt von der Möglichkeit, Termine online zu buchen, und der Einrichtung eines Chats mit der MPA. Die Einführung einer Videokonsultation sollte ggf. für kurze Folgekonsultationen angeboten werden oder als Angebot für Patienten mit grösserem Handicap, für die die Anfahrt zur persönlichen Konsultation sehr beschwerlich ist. Eine Generalisierbarkeit – also Übertragung der Ergebnisse auf alle Arztpraxen – ist, da die Studie in neurologischen Praxen durchgeführt wurde, sicherlich nicht gegeben, könnte aber einen ««Denkanstoss» geben. Grundsätzlich konnte sich in Studien in anderen Ländern, in denen die Digitalisierung weiter vorangeschritten ist, ein Nutzen für die Patienten aber auch ökonomischer Natur zeigen (28). Aus unserer Befragung lässt sich nicht ableiten, ob die Präferenz bei körperlich eingeschränkten Patienten ggf. grösser ist, da zu wenig Patienten mit Handicap und grösseren Einschränkungen daran teilgenommen haben. Auch hierfür müsste ggf. eine neue Befragung speziell dieser Patienten durchgeführt werden, um die Präferenz beurteilen zu können. Sicherlich könnte aber die Videokonsultation als Möglichkeit in der Praxis angeboten werden, da die technischen Voraussetzungen vorhanden sind und dies eine gute Werbung und Abgrenzung zu anderen Praxen sein könnte. Technisch sollte sowohl die Erinnerung via SMS als auch das Onlinebuchen kein grosses Problem sein, da mehrere Softwareanbieter für Arztpraxen dies anbieten und wir demnächst auf eine dieser Softwares wechseln. Bei der Umsetzung dieser Lösung sollte aber ein «Hybrid-Modell» bestehen bleiben, sodass zwar ein Angebot für SMS-Benachrichtigung und -erinnerung sowie Onlinebuchen grundsätzlich vorhanden ist, dass aber allen Patienten – vor allem auch den älteren – die Möglichkeit bleibt, «konservativ» telefonisch oder persönlich die Termine mit Terminkärtchen zu erhalten. Schliesslich werden nicht alle Patienten dem digitalen Fortschritt folgen können (24).
Fazit
Die Digitalisierung setzt sich in vielen Bereichen auch im Gesundheitswesen immer mehr durch. Durch die Pandemie wurde der Prozess der Digitalisierung katalysiert, da sowohl bei Konferenzen und Fortbildungen von ärztlichem Personal und Ärzten, aber auch bei der Kommunikation mit Patienten der persönliche Kontakt mehr und mehr vermieden und auf digitale Lösungen zurückgegriffen wurden. Zum einen ist es wichtig, Voraussetzungen zu schaffen, dass die Einführung und der Zugang der allgemeinen Bevölkerung, aber auch der Personen des Gesundheitssystems zu digitalen Lösungen erleichtert wird. Dafür gibt es in verschiedenen Ländern bereits gute Ansätze. Wichtig wäre es daher, in weiteren Forschungsfeldern herauszufinden, wie man diese verbessern kann und welche Faktoren es sind, die auf möglichst einfache Art und Weise die Digitalisierung vorantreiben oder auch wie vor allem der älteren Generation der Zugang zu digitalen Medien erleichtert werden kann. Dieses Patientensegment wäre vor allem zum aktuellen Zeitpunkt am stärksten von einer Digitalisierung an verschiedenen Touchpoints im Gesundheitssystem betroffen, weshalb die Forschung darauf ihren Schwerpunkt legen sollte. Ein sicherlich neuartiger und spannender Ansatz ist Generative pre-trained transformer (GPT), der unter anderen auch das amerikanische Medizinexamen (United States Medical Licensing Examination, USMLE) bestanden hat (29). Die Möglichkeiten für seinen Einsatz sind sehr interessant. Er könnte das Personal vor allem bei administrativen Aufgaben wie Datenabfragung, Anamneseerhebung, Arztbriefen und sogar zur Diagnosestellung und Therapieentwicklung unterstützen. Wichtig ist aber, dass die Haupt- und Endentscheidung beim verantwortlichen Arzt liegt (29, 30).
Der Link zum Fragebogen lautet:
https://acrobat.adobe.com/id/urn:aaid:sc:EU:94ed737f-3267-4361-abd9-afea55affa57
Historie
Manuskript eingereicht: 02.12.2023
Nach Revision angenommen: 25.03.2024
NeuroMedics Uster, Schweiz
Praxis Neurologie Uster
Loren-Allee 22
8610 Uster
neuromedics.uster@hin.ch
Es bestehen keine Interessenkonflikte.
- je älter eine Person ist, umso weniger wird eine digitale Buchung und Konsultation bevorzugt
- je mehr eine Person arbeitet, umso mehr präferiert sie eine digitale Buchung und Konsultation
- je länger eine Person in der Schweiz lebt, umso weniger bevorzugt sie eine Chatberatung
- Datenschutz spielt eher bei älteren Patienten, insgesamt aber eine untergeordnete Rolle
- Hinsichtlich des Geschlechts können keine signifikanten Unterschiede aufgezeigt werden.
- Da ältere Patienten eher die konservative Buchung und Terminvergabe präferieren, sollte ein «Hybrid-Modell» in der Praxis angeboten werden, sodass beide Möglichkeiten bestehen.
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PRAXIS
- Vol. 113
- Ausgabe 4
- April 2024