Formen interprofessioneller Zusammenarbeit in der ambulanten Gesundheitsversorgung – Eine fallübergreifende Analyse in der deutschsprachigen Schweiz

  • Formen interprofessioneller Zusammenarbeit in der ambulanten Gesundheitsversorgung – Eine fallübergreifende Analyse in der deutschsprachigen Schweiz

Die Qualität der Versorgung chronisch kranker Menschen soll durch eine verstärkte interprofessionelle Zusammenarbeit (IPZ) verbessert werden. Bisher konzentrieren sich (Forschungs-) Projekte zur IPZ meist auf den stationären Bereich. Ziel war es, mittels eines multiplen Fallstudiendesigns Formen von IPZ in der Grundversorgung zu untersuchen, um fördernde und hemmende Faktoren zu identifizieren. Zu den Faktoren, die die Implementierung von IPZ förderten, gehörten eine verantwortliche Person, die für diese Leistung angestellt wurde, unterstützende Schulungsmassnahmen, sowie die Einführung evidenzbasierter Interventionen. Insgesamt schienen die Anreize zur Implementierung von IPZ unzureichend und die Bedürfnisse chronisch kranker Menschen wenig integriert. Es bedarf einer systematischeren Evaluation ambulanter IPZ-Initiativen, um deren Mehrwert für eine nachhaltige Versorgung aufzuzeigen. Zentral ist eine stärkere Integration der Bedürfnisse von Patient/-innen.



Einleitung

Aufgrund einer alternden Bevölkerung nimmt die Zahl von chronisch kranken, multimorbiden Menschen mit Pflegebedarf zu [1]. Dies stellt die Grundversorgung aufgrund des steigenden Fachkräftemangels vor Herausforderungen [2]. Bereits 2017 lancierte das Bundesamt für Gesundheit (BAG) das Förderprogramm «Interprofessionalität im Gesundheitswesen» [3]. Ziel war es, die interprofessionelle Zusammenarbeit (IPZ) zwischen den Berufsgruppen sowie die Effizienz und Qualität der Gesundheitsversorgung zu verbessern. Auch unterstützte die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaft (SAMW) seit 2014 Initiativen und Aktivitäten zur Förderung der interprofessionellen Praxis und Bildung [4]. Insgesamt werden damit seit fast zehn Jahren Initiativen zur interprofessionellen Versorgung gefördert. Zwar wurden in der Grundversorgung Modelle wie «Caring Communities» im Kontext des Nationalen Forschungsprogramms „Gesundheitsversorgung“ erforscht [5-7], bisherige (Forschungs-) Projekte mit Fokus auf IPZ konzentrieren sich jedoch eher auf die stationäre Versorgung [8].
Ziel dieser Studie war es, die Erfahrungen der IPZ in der ambulanten Grundversorgung zu untersuchen, um fördernde und hemmende Faktoren zu identifizieren. Dies erfolgte anhand einer gezielten Auswahl von interprofessionellen Versorgungsformen mit Fokus auf chronisch kranke und/oder pflegebedürftige Menschen.

Methode

Ein qualitatives multiples Fallstudiendesign wurde gewählt, da es sich für die Untersuchung fallübergreifender Phänomene im realen Kontext eignet [9-11]. Es erlaubt, Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den IPZ Formen herauszuarbeiten. Die Fallstudien wurden in die Studie eingeschlossen, wenn sie mindestens drei der folgenden vier Kriterien erfüllten:
– gemeindenahe ambulante Grundversorgung,
– Zusammenarbeit verschiedener Berufsgruppen,
– Versorgung chronisch kranker und/oder
pflegebedürftiger Menschen,
– deutschsprachige Schweiz.
Entsprechend dem gewählten Studiendesign [11] erfolgte die gezielte Stichprobenziehung anhand der formulierten Kriterien auf der Basis einer Recherche im «Verzeichnis Modelle guter Praxis -Interprofessionalität» des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) [12] und einer umfassenden Internetrecherche via Google.
Pro Versorgungsform, z.B. ein im hausärztlichen Setting etabliertes Behandlungsteam aus Ärzt/-innen und Pflegefachpersonen für die Langzeitbetreuung chronisch erkrankter Personen, wurde ein semistrukturiertes Interview mit einer verantwortlichen Person geführt, die entweder die Initiative oder die Evaluation leitete. Ergänzend wurden Dokumentationsmaterialen gesichtet. Der Interviewleitfaden wurde in Anlehnung an den Konsolidierten Rahmen für die Implementierungsforschung (CFIR) [13] und die Charta für Interprofessionalität [4] entwickelt und umfasste folgende Themen: 1. Projektentwicklung; 2. Ziele und Wirkungen; 3. Voraussetzungen, Einflussfaktoren und Anreize; 4. Weiteres.
Alle Interviews wurden zwischen September 2022 und Mai 2023 online durchgeführt und aufgezeichnet. Die Teilnehmenden wurden über den Zweck der Studie, die Freiwilligkeit der Teilnahme und die Möglichkeit, diese jederzeit zu beenden, informiert. Alle stimmten der Teilnahme per Email und mündlich zu. Sie erhielten Einsicht in die Ergebnisse und stimmten der vorliegenden Veröffentlichung zu. Die deduktiv-induktive Datenanalyse erfolgte in Anlehnung an die Framework Methode [14].

Ergebnisse

Acht Versorgungsinitiativen wurden identifiziert und die Verantwortlichen angeschrieben. Eine Person antwortete nicht und eine weitere lehnte die Teilnahme ab. Insgesamt wurden sechs Versorgungsformen für Interviews (Tabelle 1; 1-6) einbezogen.

Ziele und Zielgruppen

Wie Tabelle 1 zeigt, unterscheiden sich die IPZ-Ansätze. Allen gemeinsam ist das Ziel, durch IPZ zu einer qualitativ besseren und effizienteren Gesundheitsversorgung und Prävention beizutragen. Einige Initiativen sind stärker präventiv ausgerichtet. Andere haben eine über die Gesundheitsversorgung hinausgehende Grundversorgung zum Ziel. Die Zielgruppe wird nur punktuell mit in die Entwicklung eingebunden.

Interventionen

Die vorgestellten IPZ-Initiativen sind an unterschiedliche internationale Konzepte angelehnt und erreichen IPZ mittels Interventionen im Bildungsbereich und in der Praxis, dargestellt in Tabelle 2.
Interventionen im Bildungsbereich ist gemein, dass sie die jeweiligen Fachpersonen bestärken, in eine neue Rolle innerhalb eines interprofessionellen Teams hineinzuwachsen: Die Projekte «Sicher durch den Alltag» und «StoppSturz» basieren auf einer interprofessionell entwickelten Aus- bzw. Weiterbildung, die Fachpersonen auf Hausbesuche zur Sturzrisikoreduktion vorbereitet (Tabelle 1; 1,6). Bei «StoppSturz» werden, nach der Risikoeinschätzung, Massnahmen für ein interprofessionelles Team erarbeitet (I6). Das Projekt «Pflegegeleitetes Versorgungsmodell in Schweizer Pflegeinstitutionen: Verbesserung der interprofessionellen Pflege für bessere Bewohnerergebnisse», kurz «INTERCARE», unterstützt Pflegende, eine IPZ-Führungsrolle mittels Weiterbildung und Coaching zu übernehmen (I2). Bildungsmassnahmen vermitteln direkt oder indirekt zentrale Kompetenzen für die Arbeiten im interprofessionellen Team.
Interventionen in der Praxis zielen darauf ab, die Prozesse der Zusammenarbeit zu verändern. Dazu gehört die Einführung regelmässiger, gemeinsamer Besprechungen. Diese wurden erfolgreich etabliert, insofern die Organisation von Personen verantwortet wurde, die gezielt gefördert und geschult wurden bzw. die Besprechungen an den Kontext angepasst wurden. Kooperationsprozesse wurden zudem durch evidenzbasierte Instrumente zur Verbesserung der Kommunikation im interprofessionellen Team unterstützt: Im Projekt «INTERCARE» befähigte die Einführung von ISBAR («Introduction, Situation, Background, Assessment, Recommendation»), einem evidenzbasierten Instrument zur Verbesserung der klinischen interprofessionellen Kommunikation, Pflegende, das Reporting gegenüber Ärzt/-innen klarer zu strukturieren [15]. Der Verein «xunds-grauholz» hat Tools zur Unterstützung der Kommunikation im multidisziplinären Team eingeführt (I3). Die Spitex Zürich hat den «StoppSturz»-Ansatz zur evidenzbasierten und strukturierten Sturzprävention im häuslichen Umfeld übernommen (I6). Gemeinsam ist diesen Ansätzen, dass sie Fachpersonen befähigen, eine aktive, partnerschaftliche Rolle einzunehmen und dadurch zur Klärung von Zuständigkeiten und Rollen beizutragen. Auch wird somit ein abgestimmtes Handeln der verschiedenen Fachpersonen unterstützt. Es wird berichtet, dass so Barrieren abgebaut, informelle Begegnungen gefördert, und Vertrauen gestärkt werden können.
Für den Erfolg von IPZ, insbesondere mit der Ärzteschaft, scheint der direkte Austausch und die persönliche Zusammenarbeit zentral zu sein. Dies scheint dort möglich, wo ÄrztInnen Teil des IPZ-Teams vor Ort sind (z.B. Hausarztpraxis, Pflegeheim) und Arbeitsentlastung erfahren. Hier kann die Verlagerung ärztlicher Tätigkeiten auf Fachpersonal gelingen. Andererseits erscheint die Zusammenarbeit dort herausfordernd, wo Rollen, Aufgaben und Interessen divers sind oder die Barrieren der Zusammenarbeit aufgrund von räumlicher, institutioneller, interorganisationaler Distanz erhöht sind. Auch braucht es einen Mehrwert für die beteiligte Ärzteschaft: Im Kontext von «Medi Porta» – einem Projekt, das Apotheke und Arztpraxis vereint [16]- zeigte sich, dass der IPZ-basierte Walk-in zwar als Entlastung für die Hausärzteschaft geplant war, dies jedoch nicht mittels des Projekts realisiert werden konnte (I5). Im Projekt «Soziale Arbeit in der Arztpraxis» führte die IPZ hingegen zu einer deutlichen Entlastung der Hausärzteschaft, die sich so auf die ärztliche Sprechstunde konzentrieren können [17].
Drei der Initiativen wurden auf Projektebene evaluiert («INTERCARE», «Sicher durch den Alltag», «Soziale Arbeit in der Arztpraxis») und konnten den Mehrwert der IPZ belegen: Zielgruppen und beteiligte Berufsgruppen zeigten eine hohe Zufriedenheit [15, 17, 18]. Die Attraktivität der Arbeit in «INTERCARE»-Pflegeeinrichtungen wurde erhöht, gemessen an einer steigenden Zahl von Bewerbungen von Pflegekräften. Die Versorgung der Zielgruppe wurde verbessert: die Sturzrate wurde reduziert [18], ungeplante Spitalaufenthalte wurden verringert [19], die finanzielle, soziale und physische Gesundheit wurde verbessert [17]. Die Sturzprävention wirkte zu 48 Prozent kosteneinsparend [18]. Das «INTERCARE»-Programm konnte zu einer effektiveren Versorgung beitragen [20]. Auch wenn nicht alle Initiativen evaluiert wurden, so wurde doch von einer gesteigerten Mitarbeiterzufriedenheit («xunds-grauholz», «Soziale Arbeit in der Arztpraxis», I3,4) sowie einer Verbesserung und Strukturierung der Abläufe und der Zusammenarbeit mit den Patient/-innen berichtet («StoppSturz», «xunds-grauholz», «Soziale Arbeit in der Arztpraxis», I3,4,6).

Organisation und Finanzierung

Die Organisation und Finanzierung der IPZ ist vielfältig. Wird die IPZ innerhalb eines Leistungserbringers realisiert (z.B. Pflegeheim), erfolgt die Umsetzung der Massnahmen über das jeweilige Finanzierungssystem. Wird die IPZ zwischen verschiedenen Leistungserbringern erbracht, geht dies mit einer Vielfalt an Finanzierungsformen einher, ergänzt durch projektgebundene Mittel: Während die Weiterbildungen in den Präventions-Projekten «Sicher durch den Alltag» und «StoppSturz» von den Institutionen selbst getragen werden, werden die Kosten für Abklärungen und Massnahmen von Krankenversicherern, privaten Zusatzversicherungen oder teilweise über kantonale Subventionen abgegolten (Tabelle 1: 1,6). Im Projekt «Soziale Arbeit in der Arztpraxis» realisieren die Praxen verschiedene Finanzierungsansätze für die Anstellung der Sozialarbeiter/-innen (Praxisertrag, Stiftungen, Gemeinden oder Kanton, I4). Das komplexeste Finanzierungssystem setzt der Verein «xunds-grauholz» um (I4). Die Leistungen werden ehrenamtlich erbracht, Sponsoren unterstützen und es werden projektbezogene Mittel akquiriert.

Diskussion

Diese Studie untersucht anhand eines qualitativen multiplen Fallstudiendesigns [11] hemmende und fördernde Faktoren für IPZ in der Schweizerischen Grundversorgung. Wurde IPZ zwischen verschiedenen Leistungserbringern angestrebt, brauchte es vielfältige Finanzierungslösungen. Diese Vielfalt verweist auf aktuelle Versorgungslücken, die Koordination, Gesundheitsförderung und Prävention nicht hinreichend vergüten [21]. Wird IPZ innerhalb einer Organisation (z.B. Pflegeheim) realisiert, erscheinen die Hürden zur Umsetzung der IPZ zwischen den unterschiedlichen Mitarbeitenden geringer [22]. Dabei trägt die Verantwortung für Risiko und Verstetigung der IPZ der einzelne Leistungserbringer, der vom potentiellen Mehrwert profitiert. Damit rücken Personen bzw. einzelne Initiativen in den Vordergrund, die in Vorleistung gehen, um IPZ zu realisieren. Diese Personenabhängigkeit und der individuelle Aufwand sind für den Schweizer Kontext belegt [1, 7], auch das finanzielle Hürden den Nutzen von IPZ reduzieren [23].
Die Ergebnisse zeigen, dass IPZ dort funktioniert, wo Personen für das Management der IPZ-Massnahmen verantwortlich sind. Für die Befähigung zum Rollenwechsel waren Bildungsinterventionen zentral. INTERCARE leitet Pflegende an, in ihre neue Rolle hineinzuwachsen und begleitet dies durch Coaching. Bildungsangebote sollten jedoch nicht nur Wissen vermitteln sondern IPZ-relevante Kompetenzen zu Gruppendynamik und Problemlösungsstrategien einüben, um diese in der Praxis zu verstetigen [24]. Dies schien auch die Berufsattraktivität zu steigern. Die Ergebnisse unterstreichen zudem die Bedeutung von neuen kontextangepassten Kommunikationsroutinen, die die Vernetzung zwischen den Berufsgruppen und auch den Patient/-innen unterstützen. Der schnelle, teils informelle Austausch scheinen zentral zu sein. Dies deckt sich mit vorliegenden Studienergebnissen [1, 21, 25, 26]. Besprechungen ermöglichen die Umverteilung von Aufgaben [22]. Gegenseitiger Austausch und kontinuierliche Beziehungspflege sowie standardisierte Prozesse und Organisationsstrukturen tragen zum Gelingen bei, da sie klare Regeln und Rahmenbedingungen vorgeben [26, 27]. Wichtig erscheint, dass die Initiativen von interprofessionellen Teams erarbeitet wurden, nicht nur um einen Austausch auf Augenhöhe zu unterstützen, sondern alle relevanten Arbeitsabläufe und Prozesse aus unterschiedlichen Perspektiven zu berücksichtigen und zu stärken. Der Einsatz von elektronischen Datenbanken und digitalen Tools wie Apps schien bisher weniger gebräuchlich.
Hausärzt/-innen spielen eine zentrale Rolle. Diese lancieren teils selbst IPZ-Initiativen, investieren Zeit und Ressourcen, während zugleich die Zusammenarbeit mit Hausärzt/-innen nur dann gelingt, wenn für diese der direkte Mehrwert und Arbeitsentlastung spürbar ist. Dies ist im Einklang mit bestehender Literatur, die territoriales Verhalten und einen «Revierkampf» zwischen Berufsgruppen in der Grundversorgung attestiert [21, 27]. Daher ist festzuhalten, dass IPZ dort gelingt wo diese finanziert ist und ein zeitlicher wie beruflicher Mehrwert für alle involvierte Berufsgruppen entsteht.
Obwohl Patientenzentriertheit als kennzeichnend für die IPZ angesehen wird [4], werden Erfahrungen von Patient/-innen nur punktuell integriert. Einzig xunds-grauholz und die beiden Sturzpräventions’ Interventionen berücksichtigen durchgehend deren Bedürfnisse. Die Einbeziehung von Patient/-innen für die (Weiter)Entwicklung des Gesundheitswesens wird jedoch als zentral erachtet [5, 7]. Wenn Gemeinden und Kantone dahingehend partizipative Initiativen und die Vernetzung von etwa Pflege und medizinischer Behandlung im Sinne einer integrierten Versorgung unterstützen [7], kann dies auch eine stärkere Berücksichtigung von sozialen Aspekten von Gesundheit fördern [5, 28, 29].
Bei der Einordnung der Studienergebnisse ist zu berücksichtigen, dass aufgrund des gewählten Studiendesigns zwar vertiefte Einblicke in ausgewählte Formen von IPZ gegeben werden können, jedoch kein repräsentatives Bild gezeichnet werden kann [11], da die Stichprobe mit insgesamt sechs Initiativen überschaubar ist. Dennoch wird ein vertieftes Bild zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden herausgearbeitet und die Ergebnisse der Interviews korrespondieren mit den Ergebnissen der Dokumentenanalyse. Das Manuskript wurde durch die Interviewpartner/-innen validiert.

Schlussfolgerung

Soll IPZ in der Grundversorgung gelingen, braucht es eine strategische Verankerung und nachhaltige Unterstützung von allen Akteuren des Gesundheitswesens. Neue interprofessionelle Versorgungsformen könnten auf Gemeindeeben geschaffen werden, gerade weil diese eng mit dem Gemeinwesen verbunden ist. Dies ermöglicht die Integration der Bereiche Gesundheit, Soziales und Gemeinwesen/Ehrenamt, die für die Versorgung chronisch Kranker von zentraler Bedeutung sind. Dies setzt neue Rollen und Tätigkeiten der Gesundheits- und Sozialberufe voraus.
IPZ kann dort gelingen, wo ein zeitlicher wie beruflicher Mehrwert für alle involvierten Berufsgruppen entsteht. Hausärzt/-innen spielen nach wie vor eine Schlüsselrolle in gelingender IPZ – und können dazu nicht nur einen wichtigen Beitrag leisten, sondern einen Mehrwert durch Arbeitsentlastung erfahren.
Postgraduale Bildungsmassnahmen müssen Fachkräfte befähigen und dabei begleiten, IPZ Prozesse – auch gegen Widerstand – einzuführen und zu verantworten. Dazu braucht es Kompetenzvermittlung, die in der Praxis verstetigt wird; auch indem innovative, digitale Methoden Anwendung finden, die eine flexible und didaktisch hochwertige Weiterbildung gewährleisten.
Schlussendlich braucht es mehr Forschung, die IPZ und deren Mehrwert aus der Perspektive von Patient/-innen untersucht. Nur so kann eine interprofessionelle Versorgung von chronisch kranken Menschen auch bei ansteigendem Fachkräftemangel nachhaltig realisiert werden. Insgesamt ist mehr Evidenz zur Qualität und Wirkung von IPZ Ansätzen im ambulanten Bereich nötig, die die Verschränkung von gesundheitlichen und sozialen Aspekten berücksichtigt, um so deren Beitrag zu einer nachhaltigen Grundversorgung zu belegen.

Im Artikel verwendete Abkürzungen
CFIR = Consolidated framework for implementation research oder «Konsolidierten Rahmen für die Implementationsforschung»
BAG = Bundesamt für Gesundheit
INTERCARE = Pflegegeleitetes Versorgungsmodell in Schweizer Pflegeinstitutionen: Verbesserung der interprofessionellen Pflege für bessere Bewohnerergebnisse (Nurse-led model of care in Swiss nursing homes: improving interprofessional care for better resident outcomes)
IPZ = Interprofessionelle Zusammenarbeit
ISBAR-Modell = “Introduction, Situation, Background, Assessment, Recommendation” Modell, evidenzbasiertes Modell welches die strukturierte interprofessionelle Kommunikation unterstützt – v.a. zwischen Pflegepersonal und Ärzteschaft
SAMW = Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften

Dr. Jana Gerold, PhD

Schweizerisches Tropen- und Public Health Institut
Universität Basel
Kreuzstrasse 2
CH-4123 Allschwil

jana.gerold@swisstph.ch

Es bestehen keine Interessenskonflikte.

Historie
Manuskript eingereicht: 04.10.2023
Nach Revision angenommen: 22.01.2024

  • Alle Akteure des Gesundheitswesens sollten IPZ Vorhaben im ambulanten Bereich stärker (finanziell) unterstützen.
  • IPZ in der ambulanten Versorgung scheint dort zu gelingen, wo Hausärzt/-innen, Pflege(fach)personen und andere Fachpersonen des Gesundheits- und Sozialwesens auf Augenhöhe Initiativen zur IPZ erarbeiten und umsetzen.
  • Die Förderung der Autonomie und Lebensqualität von Patient/-innen kann nur dort gelingen, wo ihre Rückmeldungen eine Rolle in der Gestaltung der IPZ spielen.
  • Innovative Bildungsansätze sind zentral für die Umsetzung von IPZ, insbesondere solche, die Gesundheitsfachkräfte befähigen, in eine neue Rolle hineinzuwachsen.

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